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Mimi Hatzeforn hatte eine mächtige Laufbahn gemacht. Vor einem Jahre noch war sie Kellnerin in einem ziemlich mittelmäßigen Café gewesen, und da es mit den Trinkgeldern haperte, mußte sie schon sonst sehn, ein paar Groschen zu verdienen. Und dazu hatten ihre Studenten und Schauspieler selbst so verdammt wenig! Dann kam das große Glück. Ein Leutnant hatte ihr im Lokale selbst eine Eifersuchtsszene gemacht, und dabei – mit dem Revolver auf sie geschossen. Als ihm im selben Augenblick zum Bewußtsein kam, was er getan, hatte er sich die zweite Kugel durch den Kopf gejagt. Und diese wenigstens hatte brav getroffen, während Mimi nur eine kleine Wunde am Arm hatte. Mimi hatte den richtigen Instinkt, sie warf sich heulend über die Leiche ihres Leutnants, den sie auf einmal wahnsinnig liebte. Auch als die Leiche zum Bahnhof gebracht wurde – sie sollte irgendwohin überführt werden – war die Mimi dabei, in einem reizenden schwarzen Trauerkleidchen stand sie da und schluchzte. Sie hatte entschieden Talent: ein Tröster ließ nicht lange auf sich warten, der hübsche Baron Hohenthal, der zweite Chargierte der Franken, nahm sie gleich vom Bahnhof mit auf eine kleine Hochzeitsreise. Der Baron kehrte bald zurück, aber die Mimi kam erst nach drei Jahren wieder nach München.
Und da hieß sie nicht mehr Mimi Hatzeforn, sondern Mia Bienavant. Sie kam auch nicht allein, sie hatte eine Tante und ein französisches Kammermädchen und eine große Tasche voll Geld. Sie war in Baden-Baden gewesen und in Interlaken und in Nizza; von da hatte eine rasch gewonnene Freundin sie mit nach Paris genommen. Mia wurde gemacht und erfaßte bald mit fabelhaftem Verständnis die Anforderungen und Pflichten ihres Berufes. Die kleine Münchnerin war mal wieder was anderes nach den ewigen Engländerinnen und Amerikanerinnen – schon nach drei Monaten hatte sie im Bois einen neuen Hut gezeigt, dem aus jedem Landaulet ein paar neidische Augen nachsahen. Aber sie wollte zurück nach der Isar und fand in einem Attaché der deutschen Botschaft, der nach München mußte, endlich den geeigneten Protektor.
Mia Bienavant hatte eine entzückende Villa auf der Keithstraße. Sie machte ein großes Haus; Offiziere, Künstler, Juristen, Schriftsteller gingen dort aus und ein, nur von den Studenten wollte sie nichts mehr wissen. Mia war entzückend, sie begönnerte die jungen Maler, sie hatte literarische und musikalische Abende, sie setzte ihren Gästen den besten Perrin vor; dabei hatte sie immer Besuch von einigen reizenden Pariser oder Neuyorker Freundinnen. Ihr Porträt war das beste in der Sezession, ihr Auto das schnellste in ganz Bayern. Seit den Tagen der Lola Montez hatte man in München nie wieder so viel von einer Dame gesprochen. Jeder Gassenjunge konnte von ihren Fahrten erzählen, jede Schönheit der Kaufingerstraße kannte ihre Toilette auswendig. Alle Kellnerinnen erzählten Witzchen und Geschichten von Mia, und keinem Münchener war auch das letzte Winkelchen ihrer Villa oder ihres Herzens unbekannt.
Aber von etwas weiß kein einziger außer mir ganz allein; und da ich die Münchener nicht allzu eifersüchtig machen will, will ich es rasch erzählen.
Mia hatte eine Knopfsammlung.
Ich kenne eine Aspasia in Florenz, die hat allen ihren Geliebten Löckchen abgeschnitten. Sie hatte braune, schwarze, blonde und auch schneeweiße Löckchen. Eine andere Schöne, die in Berlin wohnt, hat eine große Schachtel voll Münzen aller Länder, und auf alle ist ein Buchstabe geschnitten. Die schwarze Ellen Brunkhorst, die jetzt ein großes Tingeltangel in Amsterdam besitzt, hat einen mächtigen Schrank voll Taschentücher, grobe sackleinene und weiche battistene und seidene. Namenszüge stehn auf den meisten, manche haben auch Wappen und Kronen, schöne sieben- und neunzackige Kronen.
Die Mia aber sammelte weder Löckchen, noch Münzen, noch Taschentücher – sie hat eine Knopfsammlung.
Keiner ihrer Liebhaber weiß es, denn sie bittet nie um die Knöpfe, sie stiehlt sie heimlich, wenn –
Früher tat sie das selbst, jetzt muß es Suzon tun, ihr Kammermädchen.
Von der hab ich das Geheimnis. Sie ist auf dem Montmartre geboren; ich habe sie als Kind schon gekannt, als sie vor unserem Kabarett ihre Veilchensträuße verkaufte. Und ich bin der einzige von allen Gästen in Mias Haus, dem sie das Geheimnis erzählte.
Das kam so:
Gestern wollte ich Tee bei Mia trinken, aber ich hatte mich etwas verspätet, und da war die ganze Gesellschaft schon zur Theresienwiese hinausgefahren.
Ich war recht ärgerlich und schimpfte.
Da rief Suzon:
»Si vous êtes bien gentil, je vous dirai quelque chose!«
»Quoi donc?«
Sie lachte: »Ah – le secret, – le secret!«
Und sie zog mich in das Boudoir ihrer Herrin.
Sie öffnete einen Schrank, zog ein Schubfach auf und nahm ein Kästchen heraus:
»Madame a oublié la clef – tiens là, tiens là!«
Sie schüttelte sich vor Lachen.
Ich öffnete. Da lagen eine Menge runder Pappstücke, alle mit Samt überzogen, rote, blaue, gelbe und grüne. Und auf jedem war ein Hosenknopf sorgsam aufgenäht.
Ich nahm einen Knopf heraus: »For gentlemen« stand darauf; das war gewiß ein Kellner gewesen. »W. f. A. u. M. D. O. V.« stand auf dem zweiten. Aha: Warenhaus für Armee und Marine, Deutscher Offiziersverein – also ein Leutnantchen. Dann ein Hornknopf, der sicher erst einmal am Unterzeuge gesessen hatte und den der Besitzer erst später bei Verlust eines Hosenknopfes zur Würde eines solchen erhoben hatte. Das muß ein Student gewesen sein! »Gabriel Schöllhorn« stand auf einem anderen. Der erste Schneider Münchens – also ein Bankier! Auf einem schmutzigen Messingknopf stand: »Fritz Blasberg, Schneidermeister, Terllborg in Br.« Ein märkischer Rittergutsbesitzer und Graf – das war wenigstens so gut wie die Kronen der Ellen Brunkhorst. »Made in Germany« hieß das Sprüchlein eines andern. Der gehörte gewiß einmal einem echten Sohne Albions. Da war auch ein Knopf, den ich schon kannte –
»Voyez, le vôtre!« lachte Suzon.
Brr – ich schämte mich für meinen armen Knopf, bei so vielen – ich will nicht indiskret sein, ich will nicht sagen, wie viele es waren, aber –