Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Im römischen Schiffslager an der Ochsenzunge waren wenige Wochen später vier Trieren eingelaufen. Haterius, der Zenturio, der zufällig dem Wachtdienst im Hafenamt zugeteilt war, wußte nicht recht, was er mit ihnen anfangen sollte. Sie führten, wenn man aus den an den äußeren Bordwänden aufgehängten Schilden schließen durfte, nicht mehr Schiffssoldaten an Bord, als etwa hingereicht hätten, sie gegen einen Seeräuber zu schützen, und glichen im übrigen eher friedlichen Fahrzeugen. Eine Prüfung der Schiffspapiere ergab, daß es sich um das kleine Geschwader handelte, das Scipio Aemilianus bei Antritt seines Konsulats und Übernahme des Oberbefehls zu dem Zwecke ausgerüstet hatte, das Land jenseits der Säulen des Herkules zu erforschen und festzustellen, ob man Libyen von Mittag her umschiffen könne.
Der Befehlshaber dieses friedlichen Geschwaders, ein kleiner hagerer Mann mit kurz gehaltenem silberweißen Haar, der einfache militärische Kleidung trug, wies sich als ein dem Stabe des Konsuls zugeteilter Achaier aus. Da bezeigte Haterius ihm alle schuldige Ehrerbietung und geleitete ihn selbst durch das an den Schiffspark anschließende Feldlager, in dessen Mitte das Feldherrnzelt sich befand.
Kaum war der Name des Fremden dem Konsul gemeldet, als dieser ihn eintreten hieß. Freudig bewegt empfing der schlank- und hochgewachsene Mann den mehr trockenen und in sich verhaltenen Achaier und streckte ihm mit warmer Herzlichkeit beide Hände entgegen.
»Gegrüßt, mein Polybios! Ich segne den Tag, der dich in meine Nähe zurückführt. In vielen Dingen bedarf ich deines Rates. Ich brenne darauf, die Anstalten, die ich traf, dieses hartnäckige und – der Wahrheit die Ehre! – bewundernswerte Volk endlich zu bezwingen, von deinem erfahrenen Urteil begutachtet zu sehen.«
»Schon meine Fahrt am ehemaligen Hafeneingang Karthagos vorüber,« gab Polibyos zurück, »belehrte mich, welchen Weg du einzuschlagen gedenkst. Es soll mich ehren, wenn du mich für würdig hältst, in deine Pläne eingeweiht zu werden. Aber Schauen geht über Erklären, und die Vorkehrungen zur Eroberung eines so stark befestigten und kühn verteidigten Hafenplatzes lassen sich leichter an Ort und Stelle als am Beratungstisch richtig einschätzen. Wenn es dir genehm ist, bin ich sofort bereit, mich durch den Augenschein von deiner Feldherrnkunst überzeugen zu lassen.«
»Du wirst ermüdet sein von der Reise?«
»Eine Seefahrt ermüdet nicht. Man schläft an Bord besser aus als zu Lande, und auch die Eßlust steigert sich. Schon die erquickende Luft dieses gesegneten Erdstrichs schließt für einen aus den überheißen Gegenden Kommenden jede Ermüdung aus. Ich bin gespannt, was du inzwischen erlebt und geleistet hast.«
»Und ich kann es kaum erwarten zu erfahren, wie weit du in die fremden Meere vorgedrungen bist, und welche Art von Menschen an ihren unbekannten Gestaden lebt.«
»Schon unsre alten Philosophen haben es erprobt,« sagte der Grieche lächelnd, »daß man im Umherwandeln einander am besten belehrt.«
Sie traten ins Freie und schlenderten langsam und angeregt miteinander plaudernd die Zeltreihen erst der Tribunen, dann der Mannschaften entlang in der Richtung gegen die Meeresküste.
Vor allem schien dem Konsul die Frage am Herzen zu liegen, ob Libyen eine Insel sei, und ob man, von den Säulen des Herkules immer gegen Mittag segelnd und schließlich ganz Libyen umschiffend, auf diesem Wege nach Ägypten gelangen könne?
»Meine Reise war für ein halbes Jahr in Aussicht genommen,« antwortete Polybios. »Ich weiß nicht, wie vieler Halbjahre ich noch bedurft hätte, um deine Wißbegierde befriedigen zu können. Denn falls Libyen wirklich rings vom Meere umspült wäre, so ist es doch sicher eine sehr große Insel, und es scheint mir fraglich, ob man jene Teile davon, die in den heißesten Gegenden liegen, noch mit dem Namen Libyen wird benennen können. Wiederholt habe ich so ausgedehnte Reisen unternommen wie diese, um das Erkundete aufzuschreiben und der Nachwelt zu überliefern, aber immer mehr komme ich dahinter, daß die Erde größer ist, als wir uns träumen lassen. Und überall wohnen Menschen, die essen und Kinder zeugen, nach Besitz gierig sind, sich miteinander raufen und schließlich sterben ...«
Und er erzählte, wie er den Spuren jenes Phoinikers folgend, der vor mehr als dritthalbhundert Jahren eine Forschungsreise in dieselben Gegenden angetreten hätte, zuerst dem Atlasgebirge auf den Leib gerückt sei, die Entfernung zwischen Atlas und Anatis ausgemessen, zweihundertsechzig Miglien südlich der mauretanischen Stadt Lixus ein hohes Vorgebirge und diesem gegenüber eine Insel entdeckt habe, die Cerne heiße. Wie er hierauf ins Land der Aethioper gekommen sei, aber nur Dörfer und Faktoreien vorgefunden habe, keine punischen Städte, deren Unterwerfung unter Roms Oberhoheit er hätte entgegennehmen können. Er erzählte, wie er dann ein großes Gebirge ausgekundschaftet habe, Theon ochema genannt, wo eine Menge fremdartiger Völker wohnten, die Flüsse Salz führten und die Leute wie wilde Tiere in Höhlen hausten. Und wie er von da noch weitere zehn Tag- und Nachtfahrten vorgedrungen sei bis zu einem mächtigen Hochland, wo es viele Regengüsse gebe und nach seiner Meinung die Quellen des Nils sich befänden. Dort sei Gold zu finden, so viel man wolle, ganze Klumpen davon hätte er einhandeln können, hätte er klüglich daran gedacht, sich genügend mit Tauschware zu versehen ...
»Aber dies alles,« schloß er, »wirst du in meinen Aufzeichnungen ausführlicher nachlesen können. Es sind Dinge, die uns nicht davonlaufen. Laß uns die Gedanken lieber dem Dringenden zuwenden, das Entscheidungen fordert.«
*
Sie waren ans Gestade gelangt und näherten sich dem Damm, den Scipio ins Meer hatte vortreiben lassen, und der bereits bis an den Dorn des Choma reichte.
Erstaunt blieb Polybios stehen und schüttelte den Kopf. Er hatte nämlich bemerkt, daß Belagerungsmaschinen und Mauerbrecher über diesen Damm gegen das Choma geschafft wurden.
»Vom Schiff aus meinte ich, der Damm hätte den Zweck, den Hafenausgang abzusperren?« meinte er.
»Dieser Zweck ist hinfällig geworden. Ich erinnere mich, wie wir als Jäger in den makedonischen Wildparken manchmal ein Erdloch umstellten und geduldig davor warteten, weil wir unserer Sache schon sicher zu sein glaubten. Das kluge Tier aber, das in der Höhle hauste, hatte sich längst ein zweites Loch ins Freie gegraben.«
Und Aemilianus erzählte, wie die Karthager sich eine neue Flotte gebaut, ohne daß auch nur ein einziger etwas davon verraten und ihm hinterbracht hätte. Er schilderte seine Überraschung, wie sie mit dieser Flotte plötzlich durch eine neue Hafenausfahrt, von der er ebensowenig etwas geahnt, auf offener See erschienen seien. Und als er ihre Niederlage am Choma beschrieb, riß die Achtung, die er dem Heldenmut der seit bald drei Jahren belagerten Stadt nicht versagen konnte, ihn so weit hin, daß er gleichsam wie mit Bedauern von der Zerstörung dieser Flotte berichtete, und man fast hätte glauben können, eher einen Punier als einen Römer sprechen zu hören.
Mit gutmütigem Lächeln über seinen Eifer scherzte Polybios: »Laß uns hoffen, daß die Karthager insgeheim noch eine zweite Flotte zur Verfügung haben.«
Da brach auch Scipio in Lachen aus und versetzte gleichsam zu seiner Entschuldigung: »Es fiel mir schon auf der Jagd immer schwer, einem edlen Tier, das sich ritterlich gewehrt hatte, den Fangstoß zu geben. Und hier,« fuhr er wieder ernst geworden fort, »haben wir es mit einem Volk zu tun, das verdienen würde zu leben. Ich bin Soldat und habe meine Aufgabe zu lösen. Wäre ich Staatsmann und könnte im Senat das Wort ergreifen, ich würde meine Stimme erheben gegen die von Marcus Porcius Cato eingeleitete Politik, die ebenso grausam und abgefeimt ist und im Grunde ebenso beschränkt, wie auch Catos Verstand es war. Denn wäre jener Cato weitblickend gewesen, er hätte erkennen müssen, daß die Unehrlichkeit und Härte im Verkehr der Völker letzten Endes auch dem Volke selbst zum Schaden gereicht, das sie übt. Aber Haß verblendete ihn. So hat er wie kein anderer, solang er lebte, daran gearbeitet, selbst zu untergraben, was ihm persönlich am höchsten stand: die Ehrfurcht vor den Göttern und den schlichten, aufopferungsfähigen und maßhaltenden Geist des alten Römertums.«
Mit einer lebhaften Bewegung, die zu seiner sonst mehr zurückhaltenden Art im Gegensatz stand, ergriff Polybios seine Hand und drückte sie warm.
»Mit Freuden erkenne ich, daß der Konsul und ruhmgekrönte Feldherr noch derselbe hochherzige Aemilianus geblieben ist, der er als begeisterungsfähiger Jüngling gewesen!«
Sie hatten den Damm erreicht, und Polybios bewunderte die ungeheure Arbeit, die hier geleistet worden. Die Mauertore der ehemaligen punischen Hafeneinfahrt und das von der Bosra überragte Karthago zur Linken, die weite blaue See zur Rechten, gingen sie, überwältigt und ergriffen von dem Anblick dieser unglücklichen, im Sonnenglanz des Spätherbstes trügerisch schimmernden Stadt, trockenen Fußes gleichsam ins Meer hinaus, auf jener breiten Straße, die jetzt den Damm entlang in der Richtung gegen das Choma führte. Und Scipio fuhr fort, dem alten Freunde und ehemaligen Lehrer sein Herz auszuschütten.
»Wie gern hätte ich weiterem Blutvergießen Einhalt getan!« sagte er. »Der Senat fordert ja nur, daß die Stadt vom Erdboden verschwinde, die Menschen könnten irgendwo weiterleben. Aber gerade das wollen sie nicht. Vom Ersten bis zum Letzten sind sie entschlossen, lieber zu sterben, als Haus und Herd, ihre Heiligtümer, Altäre und Gräber preiszugeben. Und haben sie nicht recht? Schmach über jedes Volk, das nicht bis zum letzten Blutstropfen sich wehrt, wenn es so heuchlerisch betrogen, vor der ganzen gesitteten Welt so plump verleumdet, so unwürdig drangsaliert wurde, wie das punische von Rom! Mit der Vernichtung der unter beispielloser Hingebung der hungernden Bevölkerung erbauten Flotte glaubte ich wenigstens den seelischen Widerstand gebrochen. Über mein Ersuchen ließ König Gulussa Hasdrubal, den Boëtharchen, zu einer Unterredung einladen. Er erschien in voller Rüstung, einen Purpurmantel um die Schultern, von zehn prächtig gekleideten Trabanten begleitet am Tor von Magara und winkte den dort harrenden Numider mit einer gnädigen Bewegung zu sich heran, gerade als wäre er der König, jener andre aber der Bedrängte und Hilfsbedürftige. Was ich ihm bieten ließ, war nicht wenig, obgleich gerade dieser in vieler Hinsicht großzügige, aber leidenschaftliche und übermütige Mann durch grausame Hinmordung unsrer Gefangenen sich keinen Dank von uns verdient hat. Aber er wies alles stolz zurück.«
»Wie lauteten deine Bedingungen?« fragte Polybios gespannt.
»Ich sicherte ihm, seiner Frau und seinen Kindern nebst zehn verwandten oder befreundeten Familien Leben und Freiheit zu. Außerdem zehn Talente von seinem Vermögen und von seinen Sklaven so viele als er mitnehmen wolle.«
»Und seine Gegenleistung?«
»Keine! Außer daß er Karthago verlassen sollte. Es lag mir daran, das Volk seines Oberhauptes und seiner angesehensten Adelsfamilien zu berauben. Mit der kopflosen Menge wäre ich dann wohl eher fertig geworden. Vielleicht hätte ich sie doch können mit Sack und Pack abziehen lassen, ohne daß es erst zum Stürmen und Morden hätte zu kommen brauchen.«
»Und die Antwort des Boëtharchen?«
»Er schlug an sein Schwert, rief die Götter und das Schicksal an und erklärte, nie werde der Tag erscheinen, an dem die Sonne die Stadt in Flammen und zugleich Hasdrubal am Leben schauen würde. Denn für hochgesinnte Männer seien die Trümmer der Vaterstadt das einzig würdige Grabdenkmal.«
»Hätte es doch solche Männer unter den Achaiern gegeben!« sagte Polybios mit einem Seufzer.
Und Scipio antwortete: »Auch im Rom von heute würde man sie mit der Laterne suchen müssen.«
Immer die Straße auf dem Damm verfolgend, waren sie inzwischen ziemlich nahe an den steinernen Außenkai des punischen Handelshafens herangekommen. Die Verteidiger der Stadt hatten, da der Damm sich schon bis zum Dorn des Choma vorschob, die auf diesem befindliche Brustwehr in fieberhafter Tätigkeit zu einer ansehnlich hohen und starken Mauer ausgebaut, die sogar mit Wehrtürmen versehen war. Auf römischer Seite dagegen wurde Hals über Kopf daran gearbeitet, Belagerungsmaschinen und Mauerbrecher auf dem Damm, soweit seine Breite es zuließ, in Stellung zu bringen. Starke hölzerne Balkenbauten und Schutzdächer schirmten die damit beschäftigten Soldaten.
Polybios begriff nun, daß Scipio vom Choma aus in die nur durch einfache Mauern beschützten Hafenanlagen einbrechen wollte, und erkannte jetzt erst recht den Sinn des Dammes, der den Zugang zum Choma vermittelte. Er konnte dem Plan seine Bewunderung nicht versagen. Nie hätte jemand sich träumen lassen, daß die Stadt von der Seeseite her könne angegriffen werden. Hier auch nur annähernd so sturmsichere Befestigungswerke aufzuführen, wie sie gegen die Landseite bestanden, hätte Jahre erfordert.
Plötzlich sauste ein Pfeil an Scipios Kopf vorbei. Aus einem der Wehrtürme am Choma war er gekommen, und bald folgte ihm ein zweiter. Rasch hatten die beiden Freunde sich zurückgezogen. Sie lachten, wie der Mensch immer geneigt ist zu lachen, wenn der Zufall ihm ein Weinen erspart hat.
Und während sie nun den Rückweg antraten, äußerte Polybios seine aufrichtige Befriedigung über das Gesehene und die getroffenen Anstalten.
»Alles was du vorgekehrt hast, mein Aemilianus, ist so klug durchdacht und zweckmäßig, daß ich nicht das geringste daran zu erinnern wüßte. Nur einen Rat möchte ich dir noch geben. Das Wasser hier,« sagte er, auf den von der See abgetrennten Meeresteil zeigend, der zwischen dem Damm und dem alten Hafeneingang lag, »das Wasser hier ist durch den breiten Unterbau des Dammes und durch abrollenden Schutt so seicht geworden, daß man an einigen Stellen den Grund sieht. Es könnte geschehen, daß die Karthager es in der Nacht durchschwimmen und durchwaten, deinen Belagerungspark in Brand stecken und auf demselben Damm, den du gebaut hast, sie anzugreifen, umgekehrt dein Lager angreifen. Du mußt unbedingt Fußangeln und mit Stacheln besetzte Bretter ins Wasser werfen lassen!«
»Ich habe den Damm nicht vorgetrieben,« erwiderte Scipio stolz, »um mir die Karthager vom Leibe zu halten, sondern zu dem Zweck, um endlich handgemein mit ihnen zu werden.«
Da lächelte Polybios und wiegte das Haupt. Er sagte nichts, aber er dachte bei sich, daß das römische Gesetz, welches ein Alter von über vierzig Jahren für den Konsul vorschrieb, doch vielleicht nicht so ganz töricht sei.
*
Und wieder dunkelte eine Neumondnacht ...
Pechschwarz schaukelten in dem weiten Wasserbecken, das Scipio gegen die offene See hatte absperren lassen, die Wellen. Von der alten Hafeneinfahrt her rauschten sie auf und rollten über die finstere Fläche hin und brandeten mit dumpfem Dröhnen gegen den Damm. Und doch war die Nacht windstill, und jenseits des Dammes regte sich keine Woge. Wie ein schwarzes Tuch hingebreitet lag das offene Meer.
Hatte ein Schwarm Thunfische sich ins künstliche Binnengewässer verirrt und die Wogen aufgewühlt?
Der römische Wachposten auf dem Damm, der sich's beim Belagerungspark zwischen einem Stoß Balken bequem gemacht hatte, taumelte auf und lauschte. Der starke Wellenschlag und die Brandung gerade im abgeschlossenen Meeresteil war ihm ein Rätsel. Da sah er durch die Dunkelheit etwas wie fahle Leiber im Wasser schimmern. Wahrhaftig, Thunfische! Ein ganzer Zug riesiger Thunfische! Wie kamen die Ungetüme da herein? Nicht die schmalste Wasserstraße bot einen Zugang vom offenen Meer her.
Plötzlich flammte auf dem Damm selbst, da wo er ans Choma stieß, eine Fackel auf. Der Wachtposten schlug Lärm. Brennende Pechkränze flogen auf die hölzernen Schutzdächer und Belagerungsmaschinen der Römer. Grell leuchtete den Mannschaften, die aufgestört durch den Weckruf des Wächters aus der langgestreckten Unterkunftshütte krochen, der Feuerbrand entgegen, und nackte Kerle, die Pechfackeln in den Händen schwangen, stürzten auf sie los. Der Zenturio, der den Befehl führte, sammelte die Soldaten um sich und ließ die seltsamen Angreifer mit Bogen und Wurfspießen beschießen. Vergeblich! Wie die Dämonen kamen sie angerast, manche blutüberströmt von Pfeil- oder Lanzenspitzen, die ihnen in Stirn, Wange oder Brust eingedrungen waren und sie doch nicht verhinderten, ihr Schreien und Rennen und wütendes Fackelschwingen fortzusetzen.
Ihrer Wunden nicht achtend, hieben sie mit ihren Feuerbränden wie mit Schwertern auf die Römer ein, die erschrocken über eine so ungewohnte Waffe Miene machten, die Flucht zu ergreifen. Noch einmal versuchte ein Stück weiter rückwärts der Zenturio sie zu sammeln, aber was sie jetzt erlebten, war zu verwirrend und schreckeinflößend, als daß sie noch weiter auf seine Befehle hätten hören mögen.
Denn noch unzählige andere nackte Gestalten tauchten nunmehr aus der schwarzen Tiefe empor und entstiegen dem Wasser. Wie Geister kletterten sie die Böschungen herauf. Und alle schwangen sie brennende Fackeln in den Händen, steckten in Brand, was brennen wollte, und stürzten sich, sonst gänzlich unbewehrt, wie Wahnsinnige auf die Feinde.
Die Tollkühnheit eines solchen Angriffs gegen gerüstete und bis auf die Zähne bewaffnete Soldaten war Menschen von Fleisch und Blut kaum zuzutrauen. Darum hielten viele von den Römern diese splitternackten Erscheinungen für Lemuren, umherschweifende Seelen gefallener Feinde, die Rache zu nehmen kämen für ihren Tod. Andere, denen gefangene Punier gelegentlich etwas von Gott Milkart und den heiligen Flammen erzählt haben mochten, die in der Untergrotte des Eschmun-Tempels gehütet wurden, glaubten kartchadische Feuergötter vor sich zu sehen, deren geheimnisvolle Übermacht den Gebrauch von Waffen überflüssig mache. Und noch andere, die mit den Sagen der Griechen vertraut waren, meinten von Titanen überfallen zu werden, die aus dem Tartaros ausgebrochen wären, oder von Kyklopen, die die Feuerbrände, welche sie in den Händen schwangen, im Krater des Ätna entzündet hätten.
Panischer Schreck fuhr den Soldaten in die Glieder und machte sie sinnlos. Alle Bemühungen des Zenturio, sie zum Stehen zu bringen, blieben fruchtlos. Jeder dachte nur mehr an sich selbst, Hals über Kopf rissen sie aus und rannten den Damm entlang schreiend gegen das Lager. Die Fackelschwinger, zum Teil mit Blut überquollen und von Geschossen zerfleischt, in rastloser Leidenschaft hinter ihnen drein. Allen voran ein nackter Riese von hagebüchnem Körperbau, der wie ein brünstiger Stier brüllte. Er schien sich's in den Kopf gesetzt zu haben, mit tollen Sprüngen noch ein paar von den Davonlaufenden einzuholen, um sie in seinen Fäusten zu zerquetschen oder ihnen mit seiner Pechleuchte die Augen auszubrennen.
Als die geängstigt Fliehenden ihn schon knapp hinter ihren Fersen und keine Rettung mehr sahen, machten einige von ihnen Halt und schossen eng aneinandergedrückt Pfeile ab gegen den vermeintlichen Titanen, der geradenwegs vom Kampf gegen die olympischen Götter zu kommen, und für den es ein Kinderspiel zu sein schien, gegen Menschen zu kämpfen. Sie atmeten erleichtert auf, als sie jetzt wahrnahmen, daß er wankte und von ihnen abließ. Wie Besessene rannten sie weiter.
Der nackte Riese aber stürzte tödlich getroffen zu Boden. Die Fackel, die seinen Händen entfallen war, kollerte die Böschung hinunter und erlosch zischend im Wasser.
Hilflos lag der gewaltige Mann auf dem Rücken. Die Schäfte zweier Pfeile ragten lang aus seiner Brust, der dritte war abgebrochen, nur die Spitze stak in der Herzgegend. Ein anderer Fackelträger, ein kleiner schmächtiger Mensch, der fast lächerlich anzusehn war in seiner Nacktheit, kniete nieder und beugte sich über ihn.
»Soll ich deinem Weib noch etwas bestellen, Goliath?«
»Sag' ihr, wenn sie wieder mal auf die Welt kommt, soll sie nicht so viel keifen. Im übrigen lass' ich sie grüßen ... Aber eins möcht' ich wissen, Jarbas. Brennt denn alles gehörig? Der ganze Belagerungspark?«
»Überzeuge dich selbst.«
Jarbas half ihm sich aufrichten. Auf den Ellenbogen gestützt, blickte Goliath den Weg zurück, den sie gekommen waren, und sah den ganzen Damm entlang Rauch aufsteigen, in der Richtung gegen das Choma aber ein züngelndes Flammenmeer. Ein Lächeln glitt über seine erschlaffenden Züge, die vom Feuerschein rot bestrahlt waren.
Und nach Luft schnappend, keuchte er: »Nackt kam ich ... nackt geh' ich ... Aber von allen Kartchadern hab' ich doch die schönste Totenfackel!«
Er sank zurück. Mit seinem letztem Atem entrang sich ihm noch ein kummervolles Stöhnen: »Euch andern ... leuchtet... die brennende Stadt hinüber ...«
*
Am nächsten Morgen schritten Scipio und Polybios Seite an Seite denselben Weg den Damm entlang, den sie schon einmal gemeinsam gewandelt.
»Ich hätte deinen Rat befolgen sollen,« sagte Aemilianus. »Aber so ist der Mensch: wenn er sich dem Gelingen nahe dünkt, vergißt er leicht, daß Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit ist, und neigt dazu, sie eher für Feigheit zu halten.«
Mit dem blutigen Ende Goliaths, ihres Anführers, war der tollkühne Vorstoß der unbewehrten Fackelschwinger zum Stehen gekommen. Aber die fliehenden Soldaten hatten im Lager Schreck verbreitet, indem sie überall ausschrien, Geister und schweifende Seelen von übermenschlicher Größe stürmten heran, schon ihr bloßer Anhauch sei tödlich. Da waren die Legionen, von Grausen gepackt, im Strom der Flüchtenden mitgerissen worden, und Scipio hatte der allgemeinen Bestürzung und Kopflosigkeit nur dadurch Einhalt gebieten können, daß er mit einer Reiterschar an dem gegen die Landseite führenden Ausgang des Lagers Aufstellung nahm, einen jeden mit dem Tode bedrohend, der es zu verlassen Miene machen würde.
Auf diese Weise gelang es ihm, die Ordnung notdürftig wiederherzustellen. Aber seine gänzlich entmutigten Leute zur Abwehr des Angriffs und zum Löschen des allenfalls noch zu Rettenden auf den Damm zu führen, mußte er verzichten. So hatten die Fackelträger durch den abgegrenzten Meeresteil unbehelligt wieder zurückschwimmen und -waten und sich hinter den Mauern des Handelshafens in Sicherheit bringen können. Auf dem Damm aber war von dem mit vieler Mühe hinausgeschafften Belagerungspark nichts übriggeblieben als verkohlte Balken und schwelende Trümmer.
Mit Bedauern nahmen jetzt die beiden Männer die Verwüstung in Augenschein.
»Wir werden Monate benötigen, um den Schaden wieder gutzumachen,« sagte Scipio. »Inzwischen will ich die letzten Örter des Hinterlandes, die noch zu Karthago halten, zu bezwingen versuchen. Der äthiopische Numider Bithyas, den sie zum Hipparchen machten, steht noch immer mit einer ansehnlichen Macht bei Nepheris. Seit Karthago eine neue Hafeneinfahrt besitzt, sendet er von Zeit zu Zeit wieder ein Schiff mit Lebensmitteln, und nicht immer gelingt es uns, es zu kapern. Die Aushungerung der Stadt muß eine vollständige werden. Vom Choma Besitz zu ergreifen und von da die Hafenmauern zu durchbrechen, kann erst gelingen, wenn ich meine Belagerungsgeräte ersetzt haben werde.«
»Ich gebe dir zu bedenken,« antwortete Polybios, »daß der Winter bald vorübergehen wird. Im Frühjahr endet dein Konsulat. Es wäre schade, mein Aemilianus, wenn ein anderer dann ohne viel Anstrengungen ernten würde, was du sätest.«
»Nennst du zerstören – ernten?« fragte Scipio lächelnd. Aber in Wahrheit war er doch soweit Menschenskind, daß es auch ihm ein peinlicher Gedanke gewesen wäre, den Ruhm, der Zerstörer Karthagos gewesen zu sein, und die Ehre, als Triumphator durch die Straßen Roms zu ziehen, irgendeinem Nachfolger überlassen zu müssen.
Und er sagte, sich besinnend: »Du hast recht, mein Polybios! Ich muß mich beeilen ..«
Von dem Tage an steigerte er die Anforderungen, die er an sich selbst stellte, ins Ungemessene. Überall schien er gleichzeitig anwesend zu sein, vor Nepheris und im Lager an der Ochsenzunge. Dort belagerte er, unterstützt von seinem Freunde, dem Tribunen Casus Lälius und von König Gulussa, der sich mit großen Reiterscharen und all seinen Kriegselefanten einfand, den Bithyas, zuerst in dessen verpfähltem Lager, später in der stark befestigten Stadt Nepheris selbst. Hier, an der Ochsenzunge dagegen, betrieb er die Herstellung neuer Belagerungsgeräte mit brennendem Eifer.
Immer schien er zwischen dem Meer und dem Hinterlande unterwegs zu sein, und überall war er doch gegenwärtig, wo seine Anwesenheit not tat. Und kaum hatte seine Feldherrnkunst einen Erfolg gegen Bithyas errungen, so segelte er auch schon wieder über den See von Tunes zurück, um an der Ochsenzunge nach dem Rechten zu sehen und wenige Tage später abermals den See von Tunes zu durchkreuzen und einen neuen Angriff gegen Bithyas ins Werk zu setzen.
So gelang es ihm im Laufe des Winters, den Sturm gegen das Choma wieder aufzunehmen. Einmal war dessen Eroberung schon nahezu geglückt, aber die eingedrungenen römischen Manipel mußten wieder zurück, weil die Quadern auf der steinernen Kaimauer von geronnenem Blut so schlüpfrig waren, daß die Soldaten nicht vom Fleck kommen konnten. Beim zweiten Male endlich stellte der Erfolg sich ein. Das Choma war in Scipios Hand. Er ließ es mit Graben, Wall und Wehrtürmen gegen die kartchadische Hafenmauer hin befestigen und legte eine Besatzung von viertausend Mann auf den langgestreckten Kai. Nun saß der geängstigten Stadt eine kleine, aber schier unangreifbare Festung, von der jeden Tag ein Angriff ausgehen konnte, gleichsam im Nacken.
Scipio selbst aber eilte nach Nepheris zurück, das Bithyas mit beispielloser Hartnäckigkeit verteidigte. Erst mit dem Herannahen des Frühlings fiel diese tapfere Stadt. Und damit war auch das letzte Bollwerk gefallen, das Kart-Chadast noch im libyschen Hinterland besessen.
Die letzte Hilfsquelle war versiegt, die der unglücklichen Stadt ab und zu einmal noch ihren nagenden Hunger beschwichtigt hatte.
*