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VII.

In dem Augenblick, wo die Kartchader die pfeilgerade Straße zwischen den auf beiden Seiten aufgestellten Reihen des Heeres betraten, erschollen soldatische Befehlsrufe, und die Feldzeichen wurden hoch emporgehalten. So hatte Manius Manilius es angeordnet, damit die Gesandten danach die Stärke des Heeres ermessen könnten.

Diese begriffen denn auch sofort die Meinung, und manchem unter ihnen entsank der Mut, als sie die vielen silbernen Adler in der Sonne blitzen sahen.

Es waren gegen dreißig Männer, teils aus dem Hohen Rat, teils aus den außerhalb dieser Versammlung stehenden vornehmen oder wohlhabenden Kreisen der Stadt ausgewählt, alle in die Trauergewänder gehüllt, in denen man Totenopfer darzubringen pflegte, und Ölbaumzweige in der Hand tragend. Angesehene Männer aus allen Ständen befanden sich darunter, die keiner ausgesprochenen Parteirichtung angehörten oder sich doch vom politischen Leben fernhielten, wie Ithobaal, der Vertreter eines der ältesten und reichsten Kaufherrngeschlechter, der Hipparch Melekpalas und der Schiffsreeder Malchas. Die Mehrzahl aber bestand, da die numidische und die Volkspartei sich ferngehalten hatten, aus sogenannten Römlingen, wie man in barkidischen Kreisen die Anhänger jener Partei nannte, die an einem gütlichen Einvernehmen mit dem Erbfeind festhielt. Sogar Mago, der Bruttier, selbst, das Haupt dieser Partei, hatte sich's trotz seines Alters und leidenden Zustands nicht nehmen lassen, sich unter Anstrengungen und Qualen mit herauszuschleppen, felsenfest auf Roms Gerechtigkeit bauend, das nach seiner Überzeugung nur auf eine Gelegenheit wartete, den geleisteten Gehorsam durch Abschluß eines Freundschaftsbündnisses zu belohnen. Matho, der Leiter der Geiselverschiffung nach Sizilien, stützte ihn von der einen Seite; von der andern Blanno Tigillas, der selbst den Römern einen Sohn als Geisel nach Lilybaion gestellt hatte. An der Spitze des Zuges aber schritten zwei würdige Greise in blütenweiß wallendem Barte: Wahballat, der oberste Priester des Heiligtums der Tanit, der Schutzherrin der Stadt, und Paam-Eljon, Eschmuns Hoherpriester, dem dieser Tag einen Markstein in der Geschichte der Menschheit bedeutete. Denn er zweifelte keinen Augenblick daran, daß die Römer die vertrauensvoll entgegengestreckten waffenlosen Hände freudig ergreifen und die durch das Beispiel Kart-Chadasts überwältigten Herzen aller Völker der Erde unter dem Eindruck einer solchen Demut und Versöhnlichkeit sich gerührt zur Begründung eines dauernden Weltfriedens aneinanderschließen würden.

Die langen Reihen der Legionen entlangschreitend und die hochgehobenen Feldzeichen erblickend, schlugen die meisten Mitglieder der Gesandtschaft beschämt den Blick zu Boden. Die Mannschaften verharrten in Schweigen. Das hohe Alter einzelner dieser Gestalten, die gebeugte Würde aller, der Gedanke an die Wandelbarkeit des Schicksals flößte ihnen Scheu ein. In manchem gemeinen Soldaten regte sich das Mitleid. Und Abimäus, der Befehlshaber des Triarier-Manipels der Sabinischen Legion, sagte zu seinem jungen Freunde Valerius: »So möchte ich meinen Vater nicht sich erniedrigen sehen!«

Paam-Eljon aber senkte sein Haupt nicht. Aufrecht schritt er dahin, das Auge gegen Himmel erhoben. Vor Menschen gab es für ihn keine Erniedrigung; der Gottheit beugte er sich immer in Ehrfurcht. Ihr allein brachte er seine und seines Volkes Selbstentäußerung dar, um das heilige Feuer der Menschenliebe anzufachen, das nahe daran gewesen war, zu verlöschen ...

Vor dem Stufenbau der Konsuln angelangt, warf er sich in den Staub und hob den Ölzweig hoch, den er in der Hand trug. Alle seine Begleiter folgten seinem Beispiel. Wie sie so mit verhülltem Haupte regungslos am Boden lagen, glichen ihre weißen Gestalten einer Ansammlung von Sandhaufen unter der grellen afrikanischen Sonne. Und es sah aus, als sprosse Gestrüpp des Ölbaums aus den niedrigen Hügelwellen, denn jeder hielt in der Rechten seinen Zweig mit dem silbergrauen Laub empor.

Lucius Marcius Censorinus hob eine Augenbraue hoch, wie er immer zu tun pflegte, wenn Spottlust ihn anwandelte. Er war nicht gesonnen, die Demütigung abzukürzen, der die Feinde – denn das waren und blieben sie für ihn – sich unterzogen. Eine atembeklemmende Stille brütete über den um den Thron versammelten hohen Offizieren wie über den in Reih' und Glied stehenden Truppen. Fast jeder hatte das Gefühl, daß es eine Forderung der Menschlichkeit gewesen wäre, den Unterworfenen durch ein entgegenkommendes Wort ihre Sendung zu erleichtern.

»Der Patrizier da oben scheint noch nicht zu wissen, daß ein Krieg mit der Waffenstreckung zu Ende ist,« sagte Haterius, der Zenturio, zu seinem Kameraden Geminus.

Und der Legionssoldat Petronius wendete sich an seine Nebenmänner: »Macht man das bei euch immer so? Ich bin ein einfacher Mann und habe nichts für die Karthager übrig, aber an ihrer Stelle – ich weiß nicht, wozu ich fähig wäre!«

Manius Manilius, um dessen schmale Lippen ein wollüstiges Lächeln spielte, flüsterte seinem Mitkonsul zu: »So weit hätten wir sie! Ich darf dich wohl ersuchen, Censorinus, auch diesmal statt meiner das Wort zu ergreifen und diesen Sandhaufen mundgerecht zu machen, was noch zu sagen ist. Du weißt, ich stehe meinen Mann lieber im Felde als auf der Rednerbühne.«

Censorinus, der die altphoinikische Form, Unterwerfung und Frieden anzubieten, mit knechtischer Kriecherei verwechselte, antwortete halb belustigt, halb angewidert: »Sie werden uns noch die Füße ablecken! Laß' eine Schranke ziehen, uns dies Hundevolk vom Leib zu halten!«

Manilius erteilte einem der Liktoren seine Befehle. Ein Seil wurde gespannt, das ein allzu nahes Herantreten an die Bühne verhinderte.

Der Liktor aber kehrte, nachdem es geschehen war, nicht, wie es seine Pflicht gewesen wäre, auf die Estrade zurück. Man sah, wie er sich, ohne dazu beauftragt zu sein, den noch immer in schutzflehender Stellung Verharrenden näherte. Flüsternd an jeden einzelnen herantretend, forderte er sie auf sich zu erheben, ermahnte sie guten Mutes zu sein, und ließ durchblicken, daß allzu weitgehende Unterwürfigkeit den Siegern gegenüber sich schlecht lohne. Er wußte, es grenzte an Wahnsinn, was er da tat, aber er war jung, kühn, ehrliebend, er konnte nicht anders. Mochte man ihn strafen oder gar des Amtes entsetzen, die Behandlung, die man den Gesandten zuteil werden ließ, empörte sein Blut, er brachte es nicht über sich, sie länger mit anzusehen.

Als er endlich an die Seite der Konsuln zurückkehrte, übersah er stolz erhobenen Hauptes die vernichtenden Blicke, die ihn trafen. Ein tröstliches Gefühl, die Ehre Roms gewahrt zu haben, ließ ihn allen späteren Folgen seines Tuns gelassen entgegensehen. Im Augenblick fand ohnedies niemand Zeit, sich mit ihm eingehender zu beschäftigen.

Die Gesandten hatten sich wirklich vom Boden erhoben. Sie traten an den durch das Seil abgegrenzten Vorplatz heran. Daß nur ein Liktor es gewesen, der sie zugelassen, und keiner der Konsuln sie aufstehen geheißen, erfüllte sie mit schlimmen Erwartungen. Von Zweifeln und Befürchtungen zerwühlt, richteten sie ihre Blicke zum Hochsitz der Sieger empor.

Und alles lauschte.

*

Censorinus war vorgetreten.

Eine geraume Weile schwieg er still, indem er seinen Blick mehr überlegen als finster auf der kleinen Schar von Unglücklichen ruhen ließ. So betrachtete er sie lange von oben herab, wie um ihre sorgenvollen Erwartungen recht auf die Folter zu spannen.

Endlich ergriff er das Wort und sagte: »Karthager! Euer Gehorsam und eure Bereitwilligkeit in Hinsicht auf Stellung von Geiseln und Auslieferung der Waffen verdient unser Lob – obgleich dazu ja leider ein so außerordentlicher Aufwand an kostspieligen militärischen Vorbereitungen von unsrer Seite nötig geworden ist, daß ich in der endlichen Erfüllung dieser unsrer berechtigten Wünsche nur ein erzwungenes Nachgeben, keine bei euch aufgedämmerte Einsicht erblicken kann. Aber wie immer! Was unabänderlich ist, wird am besten rasch ausgesprochen. Unterzieht euch nun auch mit mannhafter Entschlossenheit dem Letzten, was wir noch von euch zu fordern haben. Der Senat hat euch Unabhängigkeit gewährleistet, eure Götter, Gesetze und selbständige Verwaltung, euer Gebiet und euren Besitz – Karthago selbst aber muß fallen ...«

Ein Aufschrei des Entsetzens ging durch die Reihen der Gesandten. Wie zu Stein erstarrt, glurten sie halb bewußtlos zu ihrem Feinde empor.

Da sprang Manius Manilius mit wutverzerrtem Gesicht von seinem Sitze auf und schrie, gebieterisch die Hand ausstreckend: »Es muß fallen, der Senat befiehlt es! Ihr habt mir sofort die Stadt abzutreten! Ich werde sie dem Erdboden gleichmachen!«

Unter allgemeiner Bewegung, die durch die versammelten Offiziere ging, nahm er hierauf seinen früheren Platz wieder ein. Censorinus indessen fuhr fort: »... Karthago also, dies der unabänderliche Beschluß Roms, muß fallen! Euch selbst gewährt der Senat seiner Zusage gemäß und in jener Milde und Schonung, die wir auch dem unverbesserlichen Feinde gegenüber zu üben gewohnt sind, ungehinderten Abzug mit aller beweglichen Habe und die Freiheit, euch auf jeder andern Stelle eures Gebiets anzusiedeln, wo immer es euch beliebt. Nur muß diese Stelle mindestens achtzig Stadien vom Meere entfernt sein. Denn das Meer ist nach göttlichem und menschlichem Recht Gemeingut aller Völker. Darum haben wir beschlossen, euren gegenwärtigen Wohnsitz zu zerstören.«

Verzweifelt brachen die Kartchader in Ausrufe der Wut und Entrüstung aus. Sie warfen die Hände gen Himmel. Sie riefen die Götter der Römer zu Zeugen auf, daß sie betrogen seien. Sie schalten die Politik der Feinde hinterhältig und unredlich. Sie nahmen sich kein Blatt vor den Mund, beschuldigten sie der Verlogenheit, Arglist und Heimtücke und hielten ihnen in leidenschaftlichen Worten die Widersprüche vor, die zwischen den früheren Versprechungen und den neuen Forderungen klafften.

Außer sich vor Zorn und Erbitterung schrien sie durcheinander:

»Erst macht ihr uns mit gleisnerischen Worten vertrauensselig, dann wollt ihr uns ans Messer liefern?«

»Schämt euch einer solchen Niedertracht!«

»Bewiesen wir unsre Friedfertigkeit nicht durch freiwillige Entwaffnung?«

»Und durch die Stellung von Geiseln? Unsre wehrhaftesten Jünglinge gaben wir in eure Hände, wir Toren!«

»Welche Feigheit, uns so übers Ohr zu hauen!«

»Ich trat im Volk immer für Nachgiebigkeit ein,« rief der Schiffsreeder Malchas; »die Zunge möcht' ich mir abbeißen, daß ich je ein Wort für Erhaltung des Friedens sprach!«

Matho, der von Lilybaion mit ihnen herübergesegelt war, sagte: »Erlaubt, ihr Herrn! Ich hielt euch für Krieger, nicht für Wortverdreher!«

Und Blanno Tigillas rief: »Immer hieß es, den Punkt, den einen Punkt hätten wir noch zu erfüllen! Und dieser Punkt betraf doch die Auslieferung der Waffen? Sie ist vollzogen! Was wollt ihr mehr?«

»Du hörst doch, was sie mehr wollen!« antwortete Malchas. »Das Meer wollen sie für sich allein!«

Mago, der Bruttier, in sich zusammengesunken, als hätte der Blitz ihn getroffen, bäumte sich jetzt empor. Hochaufgerichtet stand er da, knirschend vor Grimm, die ausgebreiteten Hände krallten sich krampfhaft.

»Schufte seid ihr!« brüllte er plötzlich wie von Wahnsinn befallen auf. »Fälscher und Schwindler, wie sie die Sonne noch nicht gesehn! Um Diebsbeute zu machen, verleumdet ihr uns vor der Welt als Ruhestörer, klagt unser friedliebendes Volk, das nichts verlangt, als in seiner Arbeitsamkeit nicht behindert zu werden, der Vertragsbrüche an und behandelt selbst die Zusicherungen, die uns der Senat schriftlich gegeben, als einen nichtigen Wisch, der seinen Wert verlor, sobald er seine Aufgabe erfüllt hat, uns Sand in die Augen zu streuen! Pest und Schande! Welch schmählicher Betrug, wie kein Schurke ihn abgefeimter je ersann! Und dabei spielt ihr euch noch als die Tugendwächter auf und nehmt euch das Recht heraus, über andere zu Gericht zu sitzen? Heuchlervolk, dem alles für Wahrheit gilt, was seinem Eigennutzen frommt! Schmach über euch! Die Stärkeren seid ihr jetzt freilich, aber daß ihr es wißt: durch List und rohe Gewalt, nicht mit dem Willen der Götter!«

Wie ein Rasender warf er sich zu Boden, zerriß seine Kleider und schlug sich mit Fäusten vor Kopf und Brust. Und viele folgten seinem Beispiel, stürzten wie gebrochen nieder und benetzten mit ihren Tränen den Staub der Straße.

Censorinus hatte auf die gegen ihn geschleuderten Anwürfe mit keiner Silbe geantwortet. Ohne die leiseste Bewegung hielt er ihren Ausbrüchen stand, das Antlitz wie aus Stein, die rechte Augenbraue fast bis zu den Haarwurzeln hochgezogen. Indem er ihnen jetzt den Rücken kehrte, begab er sich zu seinem Sitze zurück und nahm den Platz an der Seite seines Amtsgenossen wieder ein.

Als der erste Sturm der Wut und Verzweiflung sich gelegt hatte, war eine Zeitlang nichts mehr zu hören als ein leises Wimmern, Schluchzen und Klagen der Gedemütigten, und allmählich trat tiefes Stillschweigen ein. Wie auf einer Stätte der Vernichtung lagen oder saßen einzelne von den Unglücklichen auf dem Boden rings umher, während andere, die ihrer Würde bewußt blieben, mit gesenktem Haupte dastanden und zu überlegen schienen. Indessen saßen die beiden Konsuln kühl und stumm auf ihrem Throne und ließen ihr Auge finster und unbewegt auf den Vorgängen zu ihren Füßen ruhen, dem Mitleid unzugänglich, das sich in vielen der Umstehenden regte. Insbesondere die Tribunen und Offiziere auf den Stufen und viele von den gemeinen Soldaten, die aus der Nähe zusahen, machten kein Hehl aus ihrer Ergriffenheit. Sie empfanden, was hier vor sich ging, als des römischen Volkes unwürdig, und mancher, der im Kampf gegen die Kartchader und bei Erstürmung ihrer Mauern sein Leben einzusetzen bereit gewesen wäre, fühlte sich beschämt, einen unbesiegten Feind durch Doppelzüngigkeit mit der Vernichtung bedroht zu sehen.

Und da nun, nach gebändigtem Zorne, das Bewußtsein ihres Unglücks die Männer von Kart-Chadast wie eine neue Welle überflutete und viele abermals in Tränen ausbrachen, ihre Weiber und Kinder beklagten, zu ihrer Vaterstadt wie zu einem sterbenden Kinde sprachen und diejenigen, welche dem Priesterstande angehörten, den Göttern ihre Unschuld beteuerten, wenn sie ihre Tempel und Heiligtümer verlieren müßten, da feuchtete sich auch manchem Krieger das Auge. Ja, in der gemeinen Mannschaft, unter der die Kunde des Geschehenen flüsternd von Mund zu Mund gegangen war, erhob sich ein Gemurmel des Unwillens und der Entrüstung. Vergeblich rückte Manilius unruhig auf seinem Sitze hin und her und schleuderte gegen die Soldaten drohende Blicke, die strenge Untersuchung und Bestrafung zu verheißen schienen, wenn eine Bewegung, die ihn nichts anderes als Meuterei dünkte, noch weiter anwachsen sollte. Indessen ließen die Regungen des Herzens sich nicht unterdrücken, keiner verbarg seine Gefühle, die in den Gedemütigten keine Feinde mehr, nur Unglückliche zu erblicken vermochten.

»Wie oft wurde gegen uns Soldaten der Vorwurf der Barbarei erhoben,« sagte Geminus, der Unteroffizier, zu seinem Nebenmann, »wenn etwa bei Eroberung einer Stadt einer von uns grausamer wütete, als es unbedingt nötig gewesen wäre! Und im Kampfgewühl, vielleicht von Weibern und Kindern aus dem Hinterhalt heimtückisch beschossen, läßt man sich doch leicht zu irgendeiner unsinnigen Tat hinreißen, die, wo nicht entschuldbar, doch zu begreifen ist. Unendlich barbarischer und grausamer aber dünkt es mich, wenn politische Führer kalten Blutes ganze Völker, Männer, Weiber und Kinder dem Elend und der Vernichtung preisgeben, wie es hier geschehen soll. Das sind die wahren Barbaren und Rohlinge, nicht der einfache Soldat, der in der Hitze des blutigen Ringens befürchten muß, von jedem, den er nicht niedermacht, im nächsten Augenblick selbst niedergemacht zu werden!«

»Ja, die Barbaren und Rohlinge im vornehmen Staatskleid, die sich zu Richtern über die Völker aufwerfen,« antwortete der Zenturio, der an seiner Seite stand, »die vergießen sicherlich mehr unschuldiges Blut, und auf eine minder ehrliche Weise. Denn sie tragen nicht ihre eigene Haut zu Markte und erwürgen die Menschen, oft die Zukunft ganzer Geschlechter, mit Lügen und Kniffen! Gäb' es nur Soldaten in der Welt, so ging's wenigstens ehrlich darin zu ...«

Und seine Gedanken im stillen weiterspinnend, fügte er nach einer kleinen Weile noch bei: »Glaub' es mir, mein Geminus, die Völker würden leichter in Frieden miteinander leben, ließen sie sich nicht immer wieder dazu betören, den Ehrgeiz und die Gewinnsucht einer Handvoll Oligarchen für eine Demokratie zu halten!«

*

Als nun auch das neuerliche Wehklagen der Kartchader sich erschöpft hatte, traten sie endlich auf einen engen Kreis zusammen und berieten, was zu tun wäre.

Sie waren sich klar darüber, daß es ihnen an einem Heere, sowohl an Söldnern wie an eigenen Leuten, fehle. Daß durch ihre Nachgiebigkeit der Feind dreihundert ihrer besten Söhne und sämtliche Waffen und Hilfsmittel in seine Gewalt gebracht hätte. Daß er mit einer Flotte von fünfzig Penteren und einer Truppenmacht von gegen hunderttausend Mann, Fußvolk, Reiterei und allem erdenklichen Kriegsgerät, das die erfolgte Ablieferung ins Unerschöpfliche verstärkte, auf ihrem Grund und Boden, kaum ein paar Wegstunden von der Stadt entfernt stehe. Und daß außerdem auch noch Masinissa sie vom Binnenlande her bedrohe. Sie sahen ein, daß an Verteidigung und Widerstand nicht zu denken sei. Es blieb keine Hilfe außer dem Versuch, die Herzen der Feinde durch Bitten und Vorstellungen zu rühren.

Auf Paam-Eljons Vorschlag einigten sie sich schließlich dahin, den Blanno Tigillas, der zu den Besonnensten gehörte und für einen guten Redner galt, zum Anwalt ihrer Sache zu wählen. Er trat an das Seil heran, das Manilius vor dem Stufenbau hatte ziehen lassen, und ersuchte im Namen der Gesandtschaft sprechen zu dürfen.

»Mit Worten zu streiten, ihr Römer,« begann er nach erteilter Erlaubnis, »stünde uns übel an im Unglück. Ich spreche nicht von Recht und Gerechtigkeit, ich rede von unsrer Erniedrigung und wende mich an euer Mitleid. Erinnert euch des Alters und der Vergangenheit Kart-Chadasts! Seit unvordenklichen Zeiten ist es ein mächtiger Hafen gewesen und schloß schon im Jahre der Gründung eurer Stadt einen Handelsvertrag mit eurem Ahnherrn, als die erste, die Bündnisse und ein friedfertiges Einvernehmen mit Rom suchte. Später, da es ganz Libyen und den größten Teil der Meere beherrschte, wollte es das Schicksal, daß es eure Unzufriedenheit erregte, nicht indem es seine eigne Herrschaft auszubreiten versuchte, sondern indem es der Ausbreitung der eurigen im Wege stand. Viele Menschenalter hindurch habt ihr mit uns um die Vorherrschaft gerungen, und wir haben sie euch schließlich überlassen, im Vertrauen auf die Eide, die damals geschworen wurden. Denn die Bündnisse, die eure Väter und Ahnen mit den unsrigen schlossen, als Scipio an eurer Spitze stand, gewährleisteten uns die Freiheit unsres Handels und Wandels und die immerwährende Freundschaft des römischen Volkes unter der einen Bedingung, zu der wir uns bereitwillig verpflichteten: daß wir nämlich auf kriegerischen Lorbeer ein für allemal verzichten und unser Ziel für alle Zukunft in der friedlichen Arbeit und in den Segnungen der Kultur erblicken sollten. Hierauf einzugehen ist uns nicht schwergefallen, das punische Blut ist nicht kriegerisch, wir sind ein friedliebendes Volk von Handwerkern und Handelsleuten. Wir haben gehalten, was wir versprachen, oder könnt ihr uns eine Tatsache bezeichnen, wodurch wir die damals beschworenen Verträge verletzt hätten? Haben wir seither wieder Kriegsschiffe gebaut? Wo sind sie? Haben wir die beneideten Elefanten, die wir euren Vorvätern auslieferten, durch andere ersetzt? Die ungeheuren, in die Mauern Kart-Chadasts eingebauten Ställe, die in der Vorzeit der Aufnahme dieser wehrhaften Tiere dienten, stehen leer. Oder sind wir unsern übernommenen Verpflichtungen nicht getreulich nachgekommen? Zehn lange Lustren hindurch haben wir an der Kriegsschuld abzutragen gehabt, zu der uns die von unsern Ahnen abgeschlossenen Verträge verpflichteten, und pünktlich traf alljährlich unsre Gesandtschaft in Rom ein, den vereinbarten Tribut zu überbringen, den wir fünfzig Jahre lang aus dem Schweiße unsrer Arbeit entrichteten. Und nun, nachdem wir im Vorjahr endlich die letzte Teilzahlung bis auf den Sesterz genau geleistet und uns dadurch den endgültigen Frieden und die wirkliche Freiheit verdient und gewonnen zu haben glaubten, wollt ihr uns, ihr Römer, die ihr euch die politische Gewissenhaftigkeit und ehrbare Gerechtigkeit als auszeichnenden Vorzug vor aller Welt zuschreibt, erst recht den Fuß auf den Nacken setzen? Welche Übertretung von Verträgen könntet denn ihr, gegen die es uns nicht einfiel, auch nur die Hand zu erheben, uns zur Last legen, daß ihr ganz unvermittelt den Krieg gegen uns beschlossen und ohne alle Ankündigung eröffnet habt?«

Einen Augenblick hielt Tigillas inne. Auf viele von den Umstehenden hatten die Worte des hochgewachsenen, ernsten Mannes mit dem mächtigen, nur leicht bereiften Vollbart sichtlich Eindruck gemacht. Er merkte es. Mancher von den hohen römischen Offizieren gab ihm durch teilnehmende Blicke oder gar leises Neigen des Hauptes seine Zustimmung zu erkennen. Er schöpfte Ermutigung daraus, in seiner Rede fortzufahren.

»Oh, zürnt mir nicht, ihr Römer,« sagte er, sich eindringlich an die Konsuln wendend, »daß ich weitschweifiger werde, als es mir selbst lieb ist. Das Unglück weiß seine Worte nicht mit Bedacht zu setzen, es denkt nicht an rednerische Kunststücke, es klagt und spricht aus, was ihm auf dem Herzen brennt. Betrachtet es nicht als Ruhmredigkeit, wenn ich der beherrschenden Stellung erwähnte, die Kart-Chadast einst in der Welt einnahm; wenn ich euch daran erinnerte, wie das Volk, dem ihr nun euren Willen aufzwingen könnt, wenn es euch beliebt, einst ein gleichberechtigter Gegner, ja ein gefürchteter Mitbewerber um die Vormachtstellung in der Welt gewesen ist! Ich spreche hievon nur aus dem Grunde, damit unser Schicksal euch an den jähen Wechsel mahne, dem das Glück der Sterblichen unterliegen kann, und euch jene Mäßigung ans Herz lege, an der es noch kein Mächtiger jemals fehlen ließ, ohne es später bitter zu bereuen. Denn die Götter, vor denen die Lose der Menschen wie Blätter im Winde hinwehen, haben Mißbrauch von Macht und Gewalt noch niemals ungestraft geduldet.«

»Überlasse es ruhig uns selbst, uns mit unsern Göttern auseinanderzusetzen!« unterbrach ihn Censorinus mit einem Anflug von Gereiztheit. Und ungeduldig fügte er die Frage hinzu: »Hast du sonst noch etwas vorzubringen?«

»Ich sprach von den alten Verträgen, gegen die wir uns in keiner Weise vergangen haben,« fuhr Blanno Tigillas fort, »und möchte mit eurer Erlaubnis nun noch die Frage aufwerfen, ob wir uns denn jetzt nicht minder bereitwillig als damals gezeigt haben, jedem Wink Roms zu gehorchen? Ihr habt nach von uns begangenen Fehlern, die ich nicht leugne, Unterwerfung von uns gefordert. Unsre Gesandten haben dem Senat in Rom die unbedingte Deditio feierlich ausgesprochen. Ihr fordertet Geiseln, wir übergaben euch dreihundert unsrer edelsten Jünglinge. Nun verlangtet ihr noch die Auslieferung der Waffen, eine Forderung, die niemals selbst eine erstürmte Stadt freiwillig erfüllt hat. Wir aber erfüllten sie, um euch den letzten, unbestreitbaren Beweis unsrer Friedensliebe zu geben. Kart-Chadast ist wehrlos und besitzt nichts mehr als seine leeren Festungsmauern. Wir trugen kein Bedenken, auch diesen ungewöhnlichsten eurer Wünsche zu erfüllen, und vertrauten dabei auf Manneswort und Röhmerehre. Denn euer Senat hatte uns geschrieben und ihr selbst, erhabene Konsuln, als ihr noch in Lilybaion standet, unseren Gesandten mündlich erklärt: wenn wir die Geiseln stellen, sollte Kart-Chadast unabhängig bleiben. Wohl war beigesetzt, wir hätten auch noch eurer sonstigen Befehle gewärtig zu sein. Aber wäre es nicht eine heimtückische Verdrehung von Worten, wenn ihr damals, als ihr die Stellung der Geiseln verlangtet, unter den weiteren Befehlen, die ihr zugleich mit Zusicherung unsrer Unabhängigkeit in Aussicht stelltet, nicht nur die Auslieferung, der Waffen, sondern auch die Zerstörung der Stadt gemeint hättet? Welches Kart-Chadast soll eurer Zusage gemäß in Zukunft frei und, unabhängig, ungestört in seinem Besitz und selbständig in Ausübung seiner Rechte und seines Handels bleiben, wenn ihr das einzige Kart-Chadast, welches es gibt, zerstört haben werdet?«

Tigillas merkte an der Bewegung der umstehenden Römer, insbesondere der Tribunen und sonstigen hohen Offiziere, vor allem aber auch aus den noch finsterer gewordenen Mienen der Konsuln selbst, daß keiner der Zuhörer sich der zwingenden Gewalt seiner Folgerungen zu entziehen vermochte. Er erschrak hierüber mehr, als daß er sich gefreut hätte, denn er wußte, daß niemand hartnäckiger und unerbittlicher ist als der durch Gründe völlig überführte und Beschämte. Es handelte sich aber nicht darum, sein Herz zu erleichtern, er wollte die Konsuln, auf die jetzt alles ankam, zur Milde stimmen! Rasch besann er sich und lenkte ein.

»Verzeiht, ihr Konsuln,« sagte er fortfahrend, »wenn ich in meiner Not und Sorge Worte stammle, die, wie ich selbst fühle, viel zu unzulänglich sind, als daß sie euch überzeugen könnten. Ich weiß, daß ich unrecht tue, das Gewicht von Gründen und Vorstellungen in eine Wagschale zu werfen, deren Steigen oder Sinken nur von eurer Weisheit und Einsicht gelenkt wird. Das einzige, was ich zu tun das Recht habe, ist, mich zum letzten Zufluchtsmittel der Unglücklichen zu wenden, zum Wehklagen und zum Bitten. Ein so reiches Maß von Demütigung und Verzweiflung, wie es Kart-Chadast zuteil geworden, bietet Anlaß genug zum Flehen. So flehen wir euch denn um Schonung an für die altehrwürdige, unter dem Schutz der Götter und nach der Weisung heiliger Orakel erbaute Stadt! Für ihren Ruhm, der einst die ganze Erde erfüllte! Für ihre Tempel und heiligen Haine, darin unsre freien, in keine Menschengestalt gebannten Götter wohnen, die nichts gegen euch verbrochen haben. Lasset diesen, die mächtig genug wären, uns aus unserm Elend zu erheben, hätten wir nicht unwissentlich uns gegen sie vergangen, ihre Feierlichkeiten, Umzüge und Feste und den Grabstätten ihre Totenopfer, denn die Toten schaden euch nichts mehr! Und fühlt ihr auch noch etwas für uns Lebende, wie ihr aussagt, indem ihr uns aus Mitleid und Schonung gestatten wollt, mit aller beweglichen Habe die Stadt zu räumen, so schont auch des Herdes der Bürger! Schont der öffentlichen Plätze, des Marktplatzes sowie der Rats- und Gerichtshallen! Schont all der übrigen Stätten und vertrauten Orte, die dem Menschen lieb und teuer sind, solange er lebt. Wollt ihr es uns aber als einen Trost darstellen, daß es uns gestattet werden soll, uns achtzig Stadien, das sind fünf Wegstunden, vom Meere entfernt neue Wohnstätten zu gründen und unserm Erwerb nachzugehen, so können wir nur erwidern, daß es für eine Bevölkerung, die vom Meere lebt und deren größter Teil entweder auf der See oder durch die See seinen Unterhalt verdient, eine Unmöglichkeit ist, nicht zugrunde zu gehen, wenn sie plötzlich ins Innere des Landes verpflanzt wird. Ihr Römer strebt doch sonst bei allen euren Handlungen nach dem Ruhme der Tugend und Frömmigkeit. Ihr rühmt eure Mäßigung im Glück und haltet sie allen vor, die jemals in eure Gewalt fielen. Nun, so flehen wir euch bei Zeus und den andern Göttern, die Stätten in eurer Stadt besitzen, an: Gebt euren Ruf nicht zum ersten Male in unserm Falle preis! Befleckt euren Ruhm nicht durch eine Tat, die beispiellos wäre in der Geschichte der Menschheit! Denn noch nie ist eine Stadt zerstört worden, die sich als besiegt bekannte, ohne es zum Kampf kommen zu lassen; die ihre Waffen und die besten ihrer Söhne auslieferte, um den Frieden zu sichern. Erinnert euch, wie schwankend das Glück sein kann, und denkt daran, daß in eurer eigenen Stadt ein Tempel der Nemesis, der Göttin der Vergeltung, heilig ist!«

»Und wenn schon ihr selbst, ihr Konsuln,« schloß er seine Rede, »nicht bevollmächtigt sein solltet, uns den Besitz unsrer Stadt zuzusichern, so erlaubt uns wenigstens, noch einmal Gesandte an den Senat zu senden und diesen um Schonung anzuflehen. Solange auch für uns die Qual dauern wird, die mit der Ungewißheit des Erfolges verbunden ist, so wäre es für euch doch nur ein kurzer Aufschub. Und nach Ablauf der Frist bliebe es euch ebenso unbenommen wie jetzt, zu tun was euch gutdünkt. Dafür würde euch aber das Lob der Ehrfurcht vor den Göttern und der Milde gegen die Menschen zuteil werden.«

*

Schon während Tigillas sprach, hatten die Konsuln durch Verharren in düsterer Verschlossenheit und gelegentlich durch abweisende Bewegungen genugsam zu erkennen gegeben, daß sie nicht gesonnen seien, von den aufgestellten Forderungen abzuweichen. Nachdem er geendet, ergriff Censorinus noch einmal das Wort und sagte:

»Wozu soll ich wiederholen, was der Senat befohlen hat? Genug, er hat befohlen, und sein Befehl muß ausgeführt werden! Wir dulden keinen Aufschub und keine Verzögerung, und es würde nur eines Wortes bedürfen, den Vollzug mit Gewalt zu erzwingen, betrachteten wir euch als unsre Feinde. Wir haben aber nicht nur unsern berechtigten Vorteil, sondern weit mehr noch euer eigenes Wohl im Auge, indem wir auf unserm ausgesprochenen Willen beharren. Damit ihr dies recht erkennt, will ich mich's nicht verdrießen lassen, euch sogar die Gründe, die uns bestimmen, bekannt zu geben, obgleich niemand mich dazu nötigen könnte, dies zu tun, täte ich es nicht aus freiem Willen.

»Ihr erachtet den Befehl des Senats, euch ins Innere des Landes zurückzuziehen, als eine drückende, ja kaum erfüllbare Forderung. Aber gerade das Meer ist es, was euch, so oft ihr euch an die Herrschaft, die ihr ehemals darüber ausgeübt habt, erinnern würdet, immer wieder zum Unrechttun reizen und dadurch euer Unglück herbeiführen müßte. Es hat euch einst dazu veranlaßt, eure Hände nach Sizilien, später nach Iberien, noch später nach Sardinien auszustrecken, wo ihr doch nichts zu suchen hattet. In den Kriegen, die wir deshalb notgedrungen und gegen unsern Willen auf uns nehmen mußten, um euch in die Grenzen Libyens zurückzuweisen, habt ihr manchen unsrer stolzesten Dreiruderer in eben diesem Meer versenkt und viele unsrer tapfersten Söhne darin ersäuft. Das Meer, indem es günstige Gelegenheit zu raschen Handlungen darbietet, reizt jedes Volk, das sich nicht selbst zu beherrschen weiß, immer wieder dazu, weiter und weiter auszugreifen, und gereicht seinen Anwohnern dadurch nicht selten zum Verderben. Weit sicherer, ihr Karthager, als auf den Planken der Schiffe ist das Leben auf dem Lande, das zu bebauen keine Gefahr bringt. Und wenn auch vielleicht der Ertrag des Landbaus geringer ist als der nicht selten wucherische Gewinn der Handelsleute, so ist er dafür nicht den steten Schwankungen unterworfen, die Handelsgeschäfte mit sich bringen.

»Werft einen Blick,« fuhr er fort, »auf das Innere Libyens, wo viele Städte des Binnenlandes ungefährdet in leidlichem Wohlstand leben! Wählt euch von ihnen zur Nachbarin, welche ihr wollt, und entschädigt euch durch den reizvollen Anblick fruchtbarer Gefilde und den sicheren Ertrag des Ackerbodens für den Ausblick auf das unwirtliche Meer, der euch doch nur dauernd kränken würde, wenn ihr an die Menge von Schiffen zurückdächtet, die ihr einst besaßt, und an die Siegesbeute, die ihr so oft mit Stolz in euren Hafen einführtet, um eure Speicher und Zeughäuser damit zu füllen.«

Den Ohren der Kartchader klangen seine Worte wie Hohn. Aber es blieb ihnen nichts übrig, als sie schweigend mitanzuhören.

»Was sollen in eurer Stadt,« fuhr Censorinus fort, »die Gebäude zur Aufnahme von Soldaten, Pferden und Elefanten, da ihr doch beteuert, friedliebend zu sein? Was die ausgedehnten Vorratsräume und Lagerhäuser, die sich allein in euren ungeheuren, auf nichts weniger als auf Friedfertigkeit hindeutenden Festungsmauern befinden? Würden diese, wenn die Stadt bestehen bliebe, nicht ständig den Wunsch in euch wecken, wieder davon Gebrauch zu machen, sobald es möglich wäre? Es ist ja dem Menschen so natürlich, daß er bei der Erinnerung an ehemaliges Glück dessen Wiederkehr erhofft. Das wirksamste Heilmittel im Unglück ist Vergessen der Vergangenheit, und ihr werdet seiner nie teilhaftig werden, solange ihr den Gegenstand eurer Wünsche vor Augen habt.

»Freilich – trachtet ihr noch jetzt nach der Vorherrschaft auf dem Meere und wollt ihr nur den rechten Zeitpunkt abwarten, sie uns wieder streitig zu machen, dann allerdings braucht ihr diese Stadt mit ihren Häfen, Schiffswerften und lagermäßig gebauten Mauern. Ist aber eure Unterwerfung nicht leeres Gerede und euer Wille nicht hinterhältig – wohlan, so beweist es durch die Tat, indem ihr euch landeinwärts in das euch unbestrittene Libyen zurückzieht und das Meer verlaßt, das ihr uns abgetreten habt!

»Heuchelt auch kein leeres Mitleid,« sprach er, die rechte Augenbraue wieder hochziehend, weiter, »mit euren Tempeln, Hausaltären, Marktplätzen und Grabmälern! Die letzteren sollen unverrückt stehenblieben, und es soll euch unbenommen sein, Totenopfer zu bringen und die heiligen Stätten zu besuchen, so oft es euch beliebt. Alles übrige aber werden wir zerstören! Oder opfert ihr etwa den Schiffswerften? Verlangen eure Zeughäuser, Speicher und Festungsmauern Totenopfer? Und steht es euch nicht frei, in euren neuen Ansiedlungen Hausaltäre, Kultstätten und Marktplätze zu errichten, soviel ihr wollt?

»Aber die Handwerker, die vom Meere leben, wendet ihr ein, die Kaufleute und Fischer, die Schiffsmannschaften, Reeder und Verfertiger so mancher Ausfuhrware –? Die Antwort lautet: Es wird ihnen in den Feldfrüchten, die ihr dem Boden abgewinnt, eine neue Tauschware zuwachsen, wir hindern sie nicht, ihr Gewerbe fortzusetzen, sie werden immer noch näher zum Meere haben als Rom, das hundert Stadien davon entfernt liegt, während die Entfernung von der Küste, in der wir euch gestatten, euch anzusiedeln, nicht mehr als nur achtzig Stadien beträgt.«

Leicht hätten die Kartchader erwidern können, daß ein Unterschied bestehe zwischen einer natürlich gewachsenen und einer künstlich gewollten Stadt, und daß unmöglich von der Gewährleistung ihres Besitzes hätte gesprochen werden dürfen, wenn man sie ihres wertvollsten Besitzes, der unzähligen städtischen Gebäude, Wohnungen und sonstigen Anlagen berauben wollte. Aber nun stand es ja fest, daß alles für sie verloren war. Keiner von ihnen fand mehr die Kraft, oder hätte es nicht für völlig zwecklos gehalten, noch Einwände zu erheben.

»Was wollt ihr also außerdem noch,« schloß Censorinus seine Ausführungen, »wenn wir euch schon die freie Wahl der Gegend und völlige Unabhängigkeit gewähren, wie wir es feierlich zugesagt? Denn diesen Sinn hatte unsere frühere Erklärung, Karthago solle unabhängig bleiben, wenn es unsern Befehlen Folge leiste – wobei wir unter Karthago selbstverständlich nicht die leblosen Mauern und Wohnstätten, Zeughäuser, Schiffswerften und Häfen verstanden, denen an Unabhängigkeit wenig gelegen sein dürfte, sondern euch selbst, die Einwohner der Stadt und das ganze Staatswesen, mit dem wir für alle Zukunft in Eintracht zu leben wünschen.«

Nach diesen Worten schwieg Censorinus still. Da aber die Kartchader in ihrer völligen Gebrochenheit kein Wort entgegneten, so fügte er noch hinzu: »Was ich, um euch über eure Zukunft zu beruhigen und von den guten Absichten Roms zu überzeugen, vorzubringen hatte, das ist nun gesagt. Im übrigen muß der Befehl des Senats vollzogen werden, und zwar sofort. Rom hat gesprochen! ... Geht hin und meldet dem Hohen Rat die Botschaft! Trotz manches unbedachten, ja beleidigend herausfordernden Wortes, das von eurer Seite fiel, soll euch kein Haar gekrümmt werden. Als Gesandte steht ihr unter meinem besonderen Schutz. Denn Rom ehrt die Gebote der Götter, wie es seit je ein Hort der Menschlichkeit und eine Hüterin des Friedens gewesen ist.«

Damit erhob er sich und verließ an der Seite seines Mitkonsuls Manius Manilius unter mächtig einsetzendem Geschmetter der Trompeten den Zeltaufbau, die teppichbelegten Treppenstufen in der Richtung gegen das Feldlager herabsteigend. Liktoren, die Rutenbündel mit dem Beil im Arm tragend, schritten ihnen voraus. Der glänzende Stab hoher Offiziere bildete das Gefolge.

Wie vernichtet, mit gesenkten Häuptern standen die Männer von Kart-Chadast in kleinen Gruppen beisammen, schweigend, oder mit gedämpfter Stimme spärliche Worte der Ratlosigkeit miteinander wechselnd. Ein Herold, der an sie herantrat, erbot sich, sie unter seinem Schutz bis an die Vorpostenkette zu geleiten.

Willenlos und nur mit halbem Bewußtsein folgten sie ihm, Traumwandlern vergleichbar.

*

Während die Empore nach Abgang der Konsuln sich allmählich leerte, war ein Jüngling von kaum über fünfunddreißig, der doch schon den Rang eines Tribunen bekleidete, aber gänzlich prunklose, feldmäßige Rüstung trug, in lebhafter Erregung an eine unbeachtete Gestalt herangetreten, die sich die ganze Zeit her bescheiden im Hintergrund gehalten hatte, den Vorgängen mit Aufmerksamkeit folgend. Es war ein schmächtiger, hagerer Mann, in schlichte heidelbeerblaue Gewänder, nicht viel besser, als sie die Sklaven zu tragen pflegten, gekleidet, wohl gegen sechzig Jahre alt, mit auffallend kleinem, glattgeschorenem, schon silbergrauem Kopf, aus dem ein Paar lebhafte, kluge Augen blickten.

Mit beiden Händen seine Rechte ergreifend, drückte der junge Tribun sie in überquellender Freude an sein Herz und rief: »Willkommen, willkommen, mein Polybios! Tausend Dank, daß du meiner Einladung folgtest! Wann bist du gelandet?«

»Eben rechtzeitig, um noch Zeuge des Schauspiels zu sein, das sich soeben hier abspielte ... Du zitterst vor Erregung, mein Aemilianus,« sagte er, seine Hände festhaltend. »Deine Hochherzigkeit, dein vielfach bewährter Edelmut liefern mir die Erklärung dafür.«

»Du ahnst nicht, o Polybios,« versetzte Scipio Aemilianus, »wie schwer mir ums Herz ist, und wie glücklich ich bin, dich an meiner Seite zu wissen! Mehr als je bedarf ich in dem Zwiespalt, der durch mein Inneres klafft, des väterlichen Freundes und Beraters. Was denkst du über dies ganze afrikanische Unternehmen?«

Polybios, als Grieche, und da nur seine Eigenschaft als achaiischer Geisel ihn nach Rom und ins Haus der Scipionen geführt hatte, wo er erst der Lehrer des Aemilianus gewesen und später sein Freund geworden war, hielt es mit der Schicklichkeit nicht für vereinbar, in einer römischen Staatsangelegenheit und einem hohen römischen Offizier gegenüber mit seiner Meinung sogleich offen hervorzutreten. Er überlegte, und während sie Seite an Seite die Stufen hinabstiegen, sagte er, mit Vorsicht etwas weiter ausbiegend: »Man nahm in Rom mit Recht stets große Rücksicht darauf, daß der anscheinend gerechte Beginn eines Krieges sowohl den Sieg entscheidender als auch ein Mißlingen minder gefährlich macht – während das Gegenteil der Fall ist, wenn ein solches Unternehmen in der Meinung der Auswärtigen als ungerecht und leichtfertig vom Zaun gebrochen erscheint. In dieser Hinsicht muß ich die Römer wie immer bewundern. Es ist ihnen auch diesmal geglückt, den geeignetsten Zeitpunkt für den Krieg gegen Karthago zu wählen und einen anständigen Vorwand dafür zu finden – wenigstens in den Augen der Welt.«

»Ich verstehe dich, mein Freund,« antwortete Scipio Aemilianus, »und achte das Feingefühl, mit dem du deine Worte zu setzen weißt. Unsere Meinungen stimmen also überein, wie es, den Göttern sei Dank, so oft der Fall ist. Und wenn du von einem Krieg gegen Karthago sprichst, so darf ich annehmen, daß du ebensowenig wie ich nur die Spazierfahrt unsrer Flotte von Lilybaion nach Utica und die tragische Komödie darunter verstehst, die heute vor unsern Augen in Szene ging. Ich fürchte, Manius Manilius wird noch andere Fähigkeiten zu erweisen haben, als daß er hassen kann. Wie ich ihn kenne, wird er diesen Beweis schuldig bleiben. Dies ist der Grund meiner schwersten Sorgen. Oder meinst du, daß die Karthager der unerhörten Forderung des Senates wirklich Folge leisten werden?«

Die in Reih' und Glied stehenden Legionen waren inzwischen, durch Hornrufe und Sammelzeichen in Bewegung gesetzt, abteilungsweise aus ihren Stellungen geschwenkt. Sie marschierten nun, Staub aufwirbelnd, der Erschöpfung nahe und doch im Geschwindschritt wie ein müdes Pferd, das die Nähe des Stalles wittert, in die verschiedenen Lagerbezirke von Castra Cornelia zurück. Am Tor der Umwallung angelangt, wurden die beiden Freunde durch einrückende Truppen eine Zeitlang aufgehalten. Und Polybios, der in seiner besonnenen Art immer eine kleine Weile verstreichen zu lassen pflegte, ehe er eine Meinung aussprach, antwortete erst jetzt auf die Frage des Scipionen.

»Wie die Karthager es anfangen sollten, eine große, blühende Stadt einfach im Stich zu lassen, um mit ihren gesamten Habseligkeiten an irgendeine Stelle zu flüchten, wo Wohnhäuser, Tempel, Plätze und Straßen noch gar nicht vorhanden sind – das kann ich mir in die lebendige Wirklichkeit übersetzt aufrichtig gestanden kaum vorstellen. Und ich muß immer an ein gefährliches Jagdabenteuer denken, das du als ganz junger Mensch, fast noch Knabe, in einem der überhegten Wildparke Makedoniens bestandest, wo dein Vater Aemilius Paullus nach Beendigung des Krieges dir gestattete, deiner Jagdleidenschaft freien Lauf zu lassen. Du erinnerst dich wohl dessen noch?«

»Hei, das war ein Leben!« rief Scipio lachend. »Ich habe in jenen königlichen Wildparken, die der makedonische Hof so weidgerecht zu pflegen wußte, mehr als ein gefährliches Jagdabenteuer bestanden! Wie sollte ich mich gerade jenes bestimmten erinnern, auf das du anspielst?«

»Nun, so will ich deinem Gedächtnis nachhelfen. Ein mächtiger Eber war im Begriffe, vor dir die Flucht zu ergreifen. Er trug nicht das geringste Verlangen, mit dem mächtigeren Gegner anzubinden. Als du ihm aber das Messer ins Blatt gerannt hattest, wendete er sich plötzlich wie rasend gegen dich. Sein Mut und seine Kräfte hatten sich verhundertfacht. Es gab ein Ringen auf Leben und Tod. Nur mit knapper Not gingst du als Sieger daraus hervor, an vielen Stellen des Körpers mit Blut überströmt ...«

So sprach Polybios. Und während sie ihren Weg innerhalb des Feldlagers fortsetzten, fügte er ernst und mit Bedeutung hinzu: »Dies die Antwort auf deine Frage, mein Aemilianus, ob ich den Krieg durch die tödlichen Bedingungen für beendet halte, mit denen Rom das beispiellose Entgegenkommen der Karthager beantwortet.«

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