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Und wieder blühte und duftete der Flieder um Lanassas Landhaus im gartenreichen Villenviertel der Magara ...
Und wieder weilte um die Stunde der von Nachtigallensang erfüllten Tagesneige die schöne, stolze Frau auf dem flachen Dach ihres Hauses und sah die Schatten sinken und den goldstrotzenden Tempel Eschmuns auf der Bosra, der aus der Ferne herübergrüßte, rot erglühen im letzten Strahl der scheidenden Sonne. Wieder trat sie an die Brüstung, auf jene Seite der Plattform, die gegen Sonnenuntergang blickte: da erstrahlte der Abendhimmel im bunten Glanz des Regenbogens, fast bis zur Scheitelhöhe hinauf, an der Kimmung aber zeichneten tiefblau gegen das helle Farbenspiel die fernen Höhenzüge des Atlasgebirges sich ab. Und abermals breitete sie die Arme aus, wie um diese Ferne an ihre Brust zu ziehen, und dachte an des wunderbar erstarkten Numiderreiches königliche Hochburg Cirta, die Stätte ihrer Jugend, die jenseits dieser Berge lag...
Aber da gruben sich Kummerfalten in ihre Züge, die Arme sanken nieder, und hinter der von schwarzen Flechten umrahmten Stirn spannen und woben heißblütige Gedanken, wie um den nagenden Wurm der Sorgen einzuspinnen in ein behutsames Gewirk leidenschaftlicher Ränke.
Zu früh war ihr erhabener Vater dahingegangen, Masinissa, der König von Numidien, der kühne und weise, rastlos schaffende Begründer und Ausgestalter des Reiches, allzufrüh für das Heil von Kart-Chadast und die ehrgeizigen Pläne der schönen Frau. Warum hatten die Götter dem unverwüstlich scheinenden Riesen, dem noch vor kurzem so rüstigen Neunzigjährigen, nicht auch noch Frist bis zum vollen Hundert vergönnt?
Solange er am Leben gewesen, konnte Lanassa beruhigt sein: vergeblich wartete Rom auf Hilfstruppen und Lebensmittellieferungen von numidischer Seite, geheime Zusicherungen hatten sie dessen vergewissert. Ohne die Unterstützung Numidiens aber bezwangen die Legionen Kart-Chadast niemals, das stand schon jetzt felsenfest: beide Vorstöße, der von der Ochsenzunge und der von der Landenge von Gara her, konnten als kläglich gescheitert gelten, ein Teil der an der Ochsenzunge ankernden römischen Flotte war den kartchadischen Pech- und Schwefelbooten zum Opfer gefallen, das angedrohte Strafgericht gegen die Stadt in ein mühseliges Futterbeschaffen und Brandschatzen im libyschen Hinterland ausgelaufen. Jetzt hätte der Tag nicht mehr fern sein können, wo der beiderseitige Vorteil das numidische und punische Volk einander in die Arme führen mußte.
Heiß ersehnter Tag für Lanassa! ... Denn von diesem Tage an wäre die unbezwingbare Seefeste die Hauptstadt eines großen, wohlausgerüsteten Reiches mit unerschöpflichen Hilfsquellen gewesen, Masinissa als König von Kart-Chadast ein mehr als ebenbürtiger Gegner Roms und der letzte Schofet der Republik, Hasdrubal, der Sohn Chimalkarts, als Masinissas Enkel aller Voraussicht nach dessen natürlicher Nachfolger auf dem Thron.
Dann, ja, dann – hätte Masinissa allenfalls sterben dürfen! Dann wäre der richtige Zeitpunkt für ihn gekommen gewesen, sein langes, segensreiches Leben zu beschließen. Statt dessen hatte er sich knapp vor Reifen der Ernte, die Doppelkrone fast schon auf dem Haupt, aus allen Verbindlichkeiten gezogen und sein Lebenswerk unvollendet zurückgelassen!
Beinahe nahm seine Tochter es ihm übel, daß er gestorben war.
Alles so vortrefflich ausgedacht, eingeleitet und zum Teil schon durchgeführt, schien nun wieder in Frage gestellt. Mehr noch: der Tod des Königs konnte in der allgemeinen Kriegslage wie in den Parteiverhältnissen von Kart-Chadast einen völligen Umschwung nach sich ziehen, die Stellung Hasdrubals an der Spitze des Gemeinwesens gefährden und die bisher so wirksam verteidigte Stadt, die einem einheitlichen römisch-numidischen Zusammenwirken auf die Dauer nicht gewachsen wäre, mit völliger Einkreisung und Aushungerung bedrohen, was ihren unvermeidlichen Untergang zur Folge haben mußte.
Hier galt es gängeln und einrenken, soweit als irgend möglich, tückischem Gegenspiel geschickt zuvorkommen, ins Trockene bringen, was zu retten war!
Lanassa beugte sich über das Geländer und spähte über die befiederten Wedel der Palmen die ländliche Straße entlang, die zwischen niedrigen Gartenmauern aus der Richtung der Stadt gegen das Haus führte. Ihr war es nicht gegeben, die Hände in den Schoß zu legen. Gespannt ersehnte sie die Gelegenheit tätigen Eingreifens. Den Anlaß dafür zu schaffen, hatte sie das Ihrige getan. Würden die eingeleiteten Schritte ans Ziel führen? Sie wartete ... und wartete ...
Da sah sie rotgefärbte Straußenfedern nicken, über den vier Ecken eines seidenen Traghimmels. Sklaven in der einheitlichen Tracht eines edlen oder doch reichen Hauses nahten mit einer Sänfte.
»Geleite die Herrin unter höchsten Ehren sogleich zu mir!« befahl sie ihrer Äthioperin und nahm, sich auf kostbare Kissen niederlassend, die Kithara zur Hand.
Es sollte niemand auf die Vermutung kommen, sie hätte bereits ungeduldig gewartet.
*
Eine schlanke Frauengestalt, vornehm gekleidet, aber tief verschleiert, näherte sich.
Scheinbar überrascht hatte Lanassa sich erhoben. Sie eilte ihr entgegen, schlug mit einer behutsamen Bewegung, wie man ein verhülltes Heiligtum aufdeckt, den Schleier zurück und schloß die ihr bis dahin unbekannt Gewesene in die Arme.
»So gewinnt der Name Nanai, längst innig geliebt, für mich doch endlich auch die Wesenhaftigkeit der schönen jungen Frau, die ihn trägt. Willkommen tausendmal! Und Dank auch, daß du meinem Rufe folgtest! Würden wir beide nicht zu viel verlieren, wenn wir dauernd aneinander vorübergingen?«
Mit unnachahmlicher Anmut geleitete sie die Befangene, beinahe Verängstigte zu dem mit wundervollen Geweben überbreiteten Lager und nötigte sie, unter den hochgewölbten Oleanderbäumen Platz zu nehmen, die Wolken süßer Wohlgerüche in die kühler werdende Abendluft ausströmten. Aufmerksam und gelassen ruhte ihr Blick auf der über und über Errötenden.
»Daß sie schön sein müsse, die holde Sünderin, die mein Sohn so leidenschaftlich liebt, das wußte ich wohl. Aber solche Schönheit für möglich zu halten, eh' ich sie leibhaft geschaut, dazu reichte meine Einbildung nicht aus!«
Neckisch und heiter, dabei voll liebenden Feuers, schmeichelte eine so auszeichnende Begrüßung sich wie zärtliche Musik ins Ohr. Aber verwirrt und betreten fragte sich Nanai, wie dies alles zu erklären sei? Der rauhe Mißton, mit dem Hasdrubal damals sie schnöde zurückgewiesen, als sie sich an Stelle der sehnsüchtig erwarteten Ellot in dem für diese bereiteten Liebesnest eingefunden hatte, schnitt ihr noch heute grausam durchs Herz. Die süße Weise, die jetzt von Lanassas Lippen klang, stand hiezu in allzu auffallendem Gegensatz, um ihr nicht Rätsel aufzugeben.
»Ich sehnte mich längst danach,« fuhr die königliche Frau fort, »die Mutter meines Enkelkinds von Angesicht zu sehn. Im Grunde müßte ich ihr böse sein, mahnte sie mich doch, indem sie mich zur Großmutter machte, ans Altern. Aber seit ich meinen Blick in ihre strahlenden Augen senkte, kann ich ihr nichts mehr nachtragen. Was bleibt mir übrig, als sie zu lieben?«
Schon die überraschend und gänzlich unvermutet eingetroffene Einladung Lanassas, sie im Landhaus von Magara zu besuchen, hatte Nanai in Verwunderung, in Bestürzung versetzt. Nach der am Tage von Aschtarits Opferfest erfahrenen unerhörten Demütigung wieder heimgekehrt aus dem Elternhaus in die liebeleeren Räume von Bagas Palast, war sie im Laufe des Winters eines Knäbleins genesen, das dem Numider wie aus dem Gesicht geschnitten schien. Seither wurde sie die Angst, unliebsames Aufsehen zu erregen, nicht mehr los. Baga selbst bemerkte zwar die verräterrische Ähnlichkeit nicht oder gab sich wenigstens den Anschein, sie nicht zu bemerken. Dafür aber fanden sich andere Leute genug, die die Sache eigentlich nichts anging, und die doch, sei es aus Einfältigkeit, sei es aus Bosheit, gelegentlich Äußerungen taten, die Nanais Herzschlag stocken machten. Nun erstarrte ihr förmlich das Blut in den Adern, als Lanassa von dem Neugeborenen ganz offen und unumwunden als von ihrem Enkelkind sprach.
Ach, sie hätte gewiß nichts dagegen einzuwenden gehabt, hätte der Numider dies Kind als das seine anerkannt, ihre Scheidung von Baga betrieben und sie zum Weib genommen. Aber gerade er hatte sie zurückgestoßen! Ihren liebend dargebrachten Leib schimpflich verschmäht! Er liebte sie nicht mehr! Weniger als das! Mit unverhohlenem Abscheu hatte er sich von ihr gewendet! Wußte denn seine Mutter nichts davon, daß es längst zu Ende sei zwischen ihm und ihr? Warum empfand sie plötzlich das Bedürfnis, sich ihr zu nähern?
»Es ist lange her, daß der Königs-Schofet mich seiner Freundschaft würdigte,« sagte sie zurückhaltend.
Lanassa stutzte. Aber war es nicht ohne weiteres zu begreifen, daß die junge Frau, die unter dem Stadtklatsch zu leiden hatte, die Würde der Wohlanständigkeit gewahrt zu sehen wünschte? Lanassa wenigstens legte ihre Bemerkung in diesem Sinne aus. Der vollzogene Bruch war ihr verborgen geblieben, die Späher, die sie unterhielt, hatten ihr nichts davon berichtet. Sie wußte nur, wie jeder, dem daran gelegen war, es wissen konnte, daß Nanai am Opferfeste Aschtarits im Haus der goldnen Pfauen gewesen sei. Hierdurch war sie auf die Beziehungen, die zwischen ihrem Sohne und Nanai bestehen mußten, überhaupt erst aufmerksam geworden. Und daß diese Beziehungen durch die Geburt des Kindes, von dessen Ähnlichkeit mit dem Numider auch ihr berichtet worden, nur eine Vertiefung erfahren haben konnten, galt ihr für ausgemacht. Gerade auf diesen verhängnisvollen Irrtum bauten ihre Pläne sich auf.
»Ein Weib, das einmal liebte, hört nie auf zu lieben,« sagte sie mit einem nachsichtigen Lächeln, welches die Zusicherung enthielt, daß jeder Schein, den die junge Frau etwa aufrecht erhalten wissen wollte, von ihrer Seite unbedingt gewahrt bleiben würde.
Worauf Nanai mit einem Seufzer entgegnete: »Bei den Männern ist es anders. Sind sie unser erst überdrüssig geworden, so ist alles Vorausgegangene vergessen und ausgelöscht, alle Hingabe, Aufopferung und Selbstentäußerung von unserer Seite.«
Kein Unbefangener hätte daran gezweifelt, daß diese Worte nur auf Nanais schmerzliche Erfahrungen mit Hasdrubal zielen konnten. Aber so blind und taub machen vorgefaßte Meinungen, daß selbst eine so scharfsinnige Frau wie Lanassa daraus im Gegenteile eine Anspielung auf das Erkalten von Nanais Beziehungen zu Baga, ihrem Gatten, und somit gleichzeitig ein verhülltes Bekenntnis ihrer Liebe zu Hasdrubal herauszuhören glaubte.
Freudig ergriff sie beide Hände der »holden kleinen Sünderin«, wie sie sie vorhin genannt, und drückte sie innig gegen ihre Brust: »So sind wir treue Bundesgenossen, denn beiden liegt uns das Wohl desselben Mannes näher als irgend etwas sonst am Herzen!«
Und sie fing an, von den Gefahren zu sprechen, von denen ihr Sohn, der Königs-Schofet bedroht sei. Der sterbende Numiderkönig hatte Scipio Aemilianus, den ehrenhaftesten aller Römer, mit dessen Großvater er schon befreundet gewesen, zum Ordner seines Nachlasses eingesetzt. Durch ihn waren von den drei ehelichen Söhnen Masinissas der Älteste, Micipsa, mit der inneren Würde eines Königs, Mastanabal, der Jüngste, mit der Rechtspflege, Gulussa aber, der Mittlere, mit der Führung des Heeres und der Entscheidung über Krieg oder Frieden betraut worden. Selbstverständlich hatte durch dieses nach dem schlauen römischen Grundsatz »Teilen und Beherrschen« durchgeführte Zerlegen der Einheitsgewalt – verschiedenen unehelichen Söhnen waren außerdem auch noch Teilfürstentümer zugefallen – für alle drei Könige die Unabhängigkeit, deren Masinissa sich erfreut, eine bedenkliche Erschütterung erfahren, wie denn Gulussa, auf den es für Kart-Chadast derzeit vor allem ankam, mit seinen Reiterscharen wirklich auch schon zu den Römern gestoßen war. Daß diese Ereignisse das Ansehen der numidischen Partei und vor allem Hasdrubals aufs empfindlichste beeinträchtigen müßten, liege auf der Hand, meinte Lanassa.
Nanai ahnte nun bereits, daß sie nicht hierher gebeten worden sei, um sich Schönheiten sagen zu lassen. Die eitle Hoffnung, die sie ganz leise und insgeheim genährt, als könne diese Unterredung ihr etwas wie Sühne bringen für die ihr von dem einst Heißgeliebten zugefügte Schmach, fiel ins Nichts zusammen. Ihre aufkeimende Erbitterung verbergend, neigte sie aufhorchend das Haupt.
»Des Königs-Schofeten Glück oder Leid,« fuhr Lanassa fort, »ist das deine, ich weiß es, wie es das meine ist. Du bist nun in der beneidenswerten Lage, ihm die wertvollsten Dienste leisten zu können. Bagas Ohr, der in der Ratsversammlung wie vor dem Volkshaufen aufreizend zu reden weiß, steht dir offen. Mit Ellot, des Widders Töchterlein, verbindet dich Freundschaft. Durch sie kannst du ihren Gatten Gisgon, kannst du den Boëtharchen beeinflussen, den sie den Widder nennen, dessen Gattin Allisat und dadurch mittelbar wieder viele andere. All die Genannten werden in dem Augenblick, wo es ruchbar wird, daß mein Bruder Gulussa nicht ebenso untätig dem Kampfe zusieht, wie mein Vater Masinissa es tat, die numidische Partei und besonders Hasdrubal, den Neffen Gulussas, verdächtigen, als trügen sie Schuld daran. Und sie werden sich nicht damit begnügen, die angeblich verfehlte Politik zu brandmarken, die bisher gemacht worden sei. Sie werden weitergehen, werden Hasdrubal des Verrates bezichtigen, ihn zu stürzen versuchen, ihm vielleicht sogar nach dem Leben trachten.«
»Wie gerne würde ich dazu beitragen, dies zu verhüten!« sagte Nanai, einen gezwungenen und angestrengten Zug um die Mundwinkel.
»Du kannst es leicht.«
»Und wie?«
»Indem du einem jeden, der es hören will, es sagst und hundertmal aufs neue wiederholst, du hättest von zuverlässiger Seite gehört und wüßtest es genau und setztest deine Seele dafür ein: Hasdrubal, der Numider, sei barkidisch bis in die Fingerspitzen und hielte es für tief unter seiner Würde, mit König Gulussa in Verhandlungen zu treten, oder dessen Abfall von den Römern durch irgendwelche Zugeständnisse auf Kosten der Unabhängigkeit der Stadt zu erkaufen.«
Innerlichst aufgereizt über die Zumutung, sich zum Anwalt eines Mannes zu machen, der sie tödlich beleidigt hatte, wußte Nanai dennoch ihre wahre Gesinnung zu verbergen. Scheinbar gewonnen, erklärte sie ihre Bereitwilligkeit. Auf weitere Eröffnungen gespannt, die ihr eine Handhabe bieten könnten, ihren Durst nach Rache zu löschen, fügte sie jedoch, sich unschuldig stellend, die Frage hinzu, ob es denn nicht überflüssig sei, das Selbstverständliche herumzutragen? Und ob Hasdrubal im Bewußtsein seiner Makellosigkeit einem ungerechten Verdacht, der etwa gegen ihn aufstünde, nicht am wirksamsten selbst entgegentreten würde?
»Was nennst du Makellosigkeit?« fragte Lanassa dagegen. »Und was einen ungerechten Verdacht? Kennst du die Überlieferungen der barkidischen Verbohrtheit nicht? Politische Klugheit war seit je in ihren Augen ein Makel, gesinnungstüchtig sein, bedeutet ihr, das Unerreichbare anstreben, und wer nicht blindwütig mit dem Kopf gegen die Wand rennt, den verdächtigt sie. Ein politisch vernageltes Volk nannte mein Bruder Gulussa einmal die Punier, Unwirklichkeitsmenschen nannte er sie, mit denen er seine Suppe nicht auf demselben Herd kochen wolle, wenn er den Pfannstiel nicht selbst in der Hand behalten könne. Und wenn ich unsre barkidisch Gesinnten betrachte, so muß ich gestehen, er hat recht! Darum müssen diese in dem Glauben bestärkt und erhalten werden, Hasdrubal sei mit Haut und Haar einer der Ihrigen und denke ebensowenig wie sie selbst an ein vernünftiges Paktieren.«
»Der Königs-Schofet aber –?« fragte Nanai mit verhaltenem Atem.
»Er ist ein treuer Sohn der Stadt, aber frei von den Vorurteilen völkischer Engherzigkeit. Seine eigene Zukunft steht auf dem Spiel. Er verdient ein besseres Schicksal, als ein Anschluß an die kurzsichtige kartchadische Straßendemagogie es gewährleisten würde. Mit Gesinnung allein läßt sich keine erfolgreiche Politik machen, und nach wie vor stehen wir vor der Entscheidung, ob wir nicht lieber numidisch werden wollen als römisch.«
»Hasdrubal ist weitblickend genug, um zu wissen, was nottut,« bemerkte Nanai lauernd. »Auch in seinen Adern fließt numidisches Blut.«
»Schon sind vertrauliche Unterhandlungen eingeleitet. Das Einhorn ist für sich allein dem Adler nicht gewachsen. Zeigt es sich dem Löwen gefügig, so wird es ihn auf seine Seite ziehen. Darum bleibt meinem Sohne Hasdrubal, will er sich selbst und die Stadt vor dem sichern Fall bewahren, nichts übrig, als Gulussa wirklich den Pfannstiel in die Hand zu geben. Als Mitregent wird er dem punischen Volk immerhin wenigstens soviel an Unabhängigkeit zu sichern in der Lage sein, als es nicht den Pflichten widerstreitet, die jede Bundesgenossenschaft auferlegt. Das Mögliche erreichen, selbst wenn es nur durch Nachgiebigkeit erreichbar wäre, ist immer noch besser als das Scheitern am Unmöglichen.«
Nanai hatte begriffen, daß sie ausersehen sei, durch falsche Vorspiegelungen die Machenschaften des Numiders zu decken. Ein verräterischer Funke glühte in ihrem Auge auf, Zorn und Empörung, dazu ein geheimes Frohlocken, rasch vorüberhuschend, nur einen Atemzug lang. Aber Lanassa bemerkte es und erschrak. Sollte sie ihr Vertrauen einer Unwürdigen geschenkt haben? Wie unvorsichtig war sie gewesen! Blitzartig durchzuckte sie ein Gefühl der Reue, rückhaltloser Farbe bekannt zu haben, als es ursprünglich in ihrer Absicht gelegen.
Aber schon hatte die junge Frau sich bemeistert und machte treuherzige Kinderaugen, wie sie sie einst besessen, ehe sie Schloß Chammonslust betreten hatte. Falsch und anschmiegsam wie ein Kätzchen überhäufte sie die überlistete Ränkespinnerin mit ehrerbietigen Zärtlichkeiten.
»Ich bin so stolz und glücklich! Werde ich doch mithelfen dürfen, dem Königs-Schofeten das Schicksal zu bereiten, das er verdient!«
*
Still und einsam lodern in der Untergrotte des Eschmun-Tempels Milkarts heilige Flammen. Ein bedrängtes jugendliches Weib steht vor dem Altar, nährt sie mit getrockneten Zweigen der Myrte und Balsamstaude und streut duftendes Harz und ägyptischen Weihrauch hinein, daß sie zischend aufzüngeln und wohlriechende weiße Dämpfe zum hohen Gewölbe emporsenden.
Unruhe und Beklommenheit ist über die liebreizende, noch fast mädchenhaft zarte Ellot gekommen, seit sie sich Mutter glaubt, denn das Kind, das sie unter dem Herzen trüge, wäre ohne Liebe empfangen. Ihr Gatte, der sie mit männlich-zärtlichen Gefühlen umwirbt, würde nicht zögern, seine eigenen Hände, wenn es not täte, unter ihren Fuß zu breiten, damit sie wie auf weichen Teppichen schreite und sich an keinem Stein wund stoße. Und dennoch muß sie in seinen Armen an einen andern denken. Darum empfände sie es, wenn es sich bestätigte, daß sie wirklich gesegneten Leibes wäre, als einen Frevel an der Natur, als ein ihrem Manne und dem werdenden Leben zugefügtes Unrecht. Und sie betet zu dem Gott des lodernden Feuers, daß er die Flamme der Sehnsucht nach jenem andern in ihr ersticke und dafür entfache in ihrem Herzen die heiligen Flammen der Liebe zu Gisgon, ihrem Gatten, der es verdienen würde, wiedergeliebt zu werden, um seiner selbst und der schonenden Hochherzigkeit willen, mit der er ihr begegnet.
Alles, was Ellot ihm bisher hat geben können, war dem freien, freudigen Bild der Flamme nicht vergleichbar, die wärmend und nährend auf der Herdstatt des Hauses und ewigkeitkündend auf Altären lodert. Es bestand in nichts anderem als in demütiger Erfüllung seiner Wünsche, in Treue gegen ihr eigenes inneres Gebot und in fraulicher Sorge. Diese Sorge näherte sich wohl noch am meisten der Gattenliebe und enthielt einen vielleicht entwicklungsfähigen Keim von Neigung. Sie konnte sich bis zur Herzensnot steigern, wenn sie Gisgon bedroht wußte, und das war nicht selten der Fall. Immer wieder hatte er die kühnsten Wagnisse zu bestehen, ihretwegen, durch ihre unschuldige Schuld. Denn Hasdrubal, der Numider, dessen ohnmächtige Leidenschaft sie knirschend umlauert, stellt ihrem Gatten nach, indem er ihn auszeichnet, trachtet ihm planmäßig nach dem Leben, indem er seine unerschrockene Heldenhaftigkeit dazu ausnützt, ihn tückisch in die Fallstricke der Gefahr zu locken.
Wo immer ein trotziges Unternehmen um Erfolg oder Tod würfelte, unzählige Male seit jenem Ausfall aus dem Fischertor gegen die Ochsenzunge, hat Gisgon in vorderster Reihe gestanden. Sein Ehrgeiz, seine Beherztheit, sein Stolz hindern ihn daran, jemals einen Auftrag zurückzuweisen, der den Einsatz des Lebens fordert. Er weiß sich im Dienste Kart-Chadasts und des punischen Volkes und gibt sich hin, nicht weil, sondern trotzdem der Königs-Schofet es befohlen. Die erste Gelegenheit, sich selbst einzusetzen, damals, als er mit Todesverachtung das bereits vom Feind überschwemmte Libyen durchquerte, um Himilko Phameas, dem Hipparchen, eine wichtige Botschaft zu überbringen, hatte ihm die Augen geöffnet, wohin er gehöre. Seit er sich vollkommen darüber klar ist, steht er um so unentwegter zu seinem Volk, je öfter er für dieses zu sterben bereit gewesen.
Darum steigt noch ein anderes, ein nicht minder inbrünstiges Gebet aus Ellots Herzen zu dem Gotte des heiligen Feuers auf: daß sein Fluch die unheiligen Flammen der Begierde züchtige, mit denen des Königs-Schofeten Blicke und Gelüste sie zu verzehren drohen, sooft sein Weg sich zufällig, manchmal vielleicht auch nicht unbeabsichtigt, mit dem ihren kreuzt. Denn schon das Bewußtsein, begehrt zu werden, empfindet ihre Lauterkeit um so mehr als schändend, je fremder ihr eigenes Begehren war und ist, außer jenem fast überirdischen, das eine der Wirklichkeit, wohl sogar dem Leben längst entrückte Lichtgestalt zum Gegenstand einer ihr selbst unergründbaren Art von Andacht für ihre verborgensten Gedanken macht.
Wie nun aber Ellot, ihr Bittopfer darbringend, dem Feuer neuerdings eine Handvoll duftender Zweige und Spezereien übergibt, kommt unvorsichtigerweise ihr lose um den Arm gefaltetes Gewand den züngelnden Flammen zu nahe und beginnt zu glimmen. In ihre Gedanken verloren, bemerkt sie es nicht sogleich, erst durch einen brenzlichen Geruch darauf aufmerksam geworden, weicht sie erschrocken vom Altar zurück und entfacht durch die jähe Bewegung den Funken erst recht zur Flamme. Aufschreiend wendet sie sich zur Flucht und wäre schon im nächsten Augenblick, in eine lebende Fackel verwandelt, dem entsetzlichsten Tode verfallen gewesen, hätte nicht eine aus dem Dunkel plötzlich aufgetauchte Gestalt sie mit ausgebreitetem Mantel umfangen und an sich gepreßt. Zitternd lag sie an der Brust eines Mannes und wagte sich nicht zu regen. Er hielt sie fest in seinen Armen, sein härener Mantel umhüllte sie beide, die gefahrdrohenden Flammen unter der engen Umschlingung erstickend.
Erst allmählich und vorsichtig fühlte Ellot ihre Bande sich lockern. Sie meinte ihre Rettung einem Feuerhüter, einem der entsagenden Brüder Milkarts zu danken, aber aufblickend aus der Finsternis, mit der sie umfangen gewesen, erkannte sie im flackernden Zwielicht der Altarsflammen mit jähem Schreck, daß es Hanno war, an dessen Brust, in dessen Armen sie gelegen. Da warf sie aufschluchzend beide Hände um seinen Hals, und halb von Sinnen, ihrer selbst nicht mehr mächtig, ungewiß, ob sie träume oder wache, lebe oder schon gestorben sei, stammelten ihre bebenden Lippen jubelnd seinen geliebten Namen ...
So hielten sie einander abermals umfaßt, Arm in Arm und Brust an Brust, Ellot – von einem gefährlicheren Feuer bedroht als dem eben gelöschten, während es bei Hanno ungewiß blieb, was in ihm vorgehe, und er eher überrascht erschien als leidenschaftlich bewegt. Wenigstens machte er bald seine Hände frei, und indem er Ellot an beiden Schultern faßte und von sich fortschob, zwang er sie, in dieser Stellung seinem starren Blick standzuhalten. Wie ein Irrer betrachtete er sie, mit einem gleichsam aus dem Schattenreich auf die Erde zurückkehrenden Ausdruck in den Augen ihr Antlitz durchforschend.
»Du bist Ellot,« sagte er, »ich kenne dich. Hanno liebte dich einst, als Liebe zum Weib ihm das Herz noch höher schlagen oder auch schwer machen konnte. Du warst gut zu ihm damals, kamst oft zu ihm und saßest an seiner Seite, als er noch in Finsternis schmachtete, an die Ruderbank geschmiedet, irregeworden an sich selbst und den Göttern. Du brachtest ihm Trost, er wußte noch, was Fürchten sei und Hoffen, besonders im Hoffen war er stark ... oh, er liebte dich sehr!«
»Und jetzt – liebt er mich nicht mehr?« weinte Ellot auf. »Zürnt er mir, weil ich Gisgons Weib wurde?«
»Gisgons Weib bist du geworden? Daran tatest du wohl!« sagte er mit einem unendlich gütigen Lächeln um die Mundwinkel. »Wie sollte Hanno dir deswegen zürnen? Gisgon ist ein ganzer Mann und eine treue Seele. Er war Hannos bester Freund. Gesegnet sei dein Weg an Gisgons Seite!«
»Oh, wärst du früher heimgekehrt, Hanno!« rief Ellot die Hände ringend. »Wie bangte ich mich um dich! Wie sehnte ich mich nach dir!«
»Nenne mich nicht Hanno!« wehrte er, die Hand hebend, ab. »Ich bin nicht der, den du meinst.«
»Derselbe bist du wie einst, nur abgehärmt, im rauhen Fischermantel. Und doch ein anderer, du hast recht. Was mußt du Entsetzliches erlebt, wieviel gelitten haben! In deinen Augen seh' ich etwas, das mir fremd ist. Etwas Überirdisches, beinahe Verklärtes. Ich würde mich vor dir fürchten, wüßt' ich nicht, daß du es bist, Hanno, den ich im Herzen trug und trage!«
»Du irrst, Ellot!« beharrte er, den Kopf schüttelnd. »Ich bin nicht Hanno, bin es nicht!« Und sich an ihr Ohr neigend, flüsterte er, als vertraute er ihr ein Geheimnis: »Hanno ist gestorben, weißt du es nicht?«
Ein Grauen überlief sie. Sie sah ihn doch vor sich. War es ein Wahnsinniger, mit dem sie sprach?
»Sei wieder, der du warst!« flehte sie ihn an. »Wer wärst du sonst, wenn du nicht Hanno bist?«
»Ich bin der Hauch, der aus seinem Munde ausging, da er starb. Die Flamme bin ich, die ihn beseelte, als er noch lebte. Er sandte mich, nachzusehen, wie es hier stünde in Kart-Chadast, es ließ ihm keine Ruhe, er liebte sein Volk so heiß, wie er dich liebte, Ellot. Und ich sollte helfen, wo zu helfen wäre ... Es wird mir schwer gelingen, denn ich bin ein Fremdling auf dieser Erde,« sagte er mit demütig geneigtem Haupt; »doch will ich gerne tun, was in meinen Kräften steht. Dann kehre ich dahin zurück, wo unser aller Heimat ist, auch die deine, Ellot: zur Sonne, wo es kein Ich und kein Du mehr gibt, keinen rechtmäßigen und keinen geraubten Besitz, keine Gewalttaten und keine getäuschten Hoffnungen, keine Feindschaft unter den Menschen oder Völkern – nichts als das große, unendliche, heilige Feuer, das alle Verwesung läutert, weil es die Reinheit selbst ist.«
Hilflos vor sich hinweinend, barg Ellot das Gesicht in den Händen. Sie begriff nun, daß es in der Tat Hanno nicht war, der zu ihr sprach. Ein vom Geist Besessener war es, dessen Worte sie ängstigten, weil sie zu dunkel und streng waren für ihr irdisch pochendes Herz. Die hochgewölbte Finsternis der Grotte, das still und einsam flackernde Feuer auf dem Altar wurden ihr unheimlich in seiner Nähe wie schreckhafter Spuk, in jedem Winkel schienen Dämonen und Nachtgespenster zu lauern. Sie wankte und tastete nach dem kühlen, feuchten Gemäuer, sich festzuhalten, um nicht zu Boden zu stürzen, und ihrer gepreßten Brust entrang sich ein Stöhnen: »Ach, wie unglücklich bin ich!«
»Komm, ich leite dich ans Licht!« sprach Hanno ihr milde zu. »Komm, Ellot,« wiederholte er, sie an der Hand fassend, »und fürchte dich nicht! Die Zeit geht vorüber, wir alle werden erlöst! Komm, folge mir, Ellot, ich führe dich!«
Und er zog sie mit sich fort, die Treppe der Tempelgrotte empor. Da traten sie in den hellen Tag hinaus, strahlend stand die Sonne am unsagbar reinen, wolkenlosen Himmel.
»Sieh', Ellot,« sagte er, beide Hände zum flammenden Gestirn erhoben, »so sieht die Erfüllung aus: Eschmun und Milkart zur Einheit verschmolzen, das segnende und das sengende Feuer – so löst sich aller Widerspruch. Denn nur unser kleines, geängstigtes Leben kennt die Zwiespältigkeit des Wollens und Mißlingens und das ruhelose Sorgen um den flüchtigen Betrug, den wir Glück, Erfolg oder Sieg nennen. Die ewige Flamme am Himmel weiß nichts davon. Sie ist der Ausgang und das Ende, was dazwischen liegt, ist Schlamm und Staub. Wer zum Lichte strebt, der reinige sich! Die Sonne lehrt ihn, Wunsch und Zweck überwinden. So wird er reif, in ihren Schoß zurückzukehren. So reift er seiner wahren und dauernden Bestimmung entgegen. Laß uns von der Sonne lernen, Ellot, was uns über uns selbst und unser Schicksal emporhebt: lächelnd verbrennen!«
Oh, was forderte er von ihr! Ellot fühlte sich außerstande, ihm zu folgen. Sie sah jetzt nur mehr einen Geistesgestörten in ihm, Scheu und Furcht vor dem unbekannten Gotte, der sich seiner bemächtigt hatte, schüttelten sie, daß es ihr kalt über den Rücken lief. Sie senkte den Kopf und hob abwehrend die Hände.
»Verlange nicht von mir, was über meine Kräfte geht! Deine Lehre ist mir zu hart, die Worte, die der Geist aus dir spricht, versengen mich, wie die heiligen Flammen Milkarts mein Kleid versengten, als ich ihnen zu nahe kam. Ich bin nur ein armes Menschenkind und hänge mit meinem ganzen Herzen an diesem irdischen Leben. Raube mir die Hoffnung nicht, daß es noch stille Freuden für mich in seinem Schoße birgt!«
Er wendete sich ihr zu und stand hoch aufgerichtet wie eine Bildsäule in seinen braunen Mantel gehüllt, regungslos und stumm. Sein seltsam flackerndes Auge ruhte auf ihr, liebevoll, mitleidvoll, mit schmerzlichem Ausdruck, lange ...
Es zerriß ihr das Herz, daß der einst so sehnsüchtig Erwartete nun so zerstört zurückgekommen sei, und doch war es ihr zumut, als wären Fesseln von ihr abgefallen. Der heilige Schauer vor dem vom Geist Besessenen hatte die Liebe ertödet, mit der sie sich gegen ihren eigenen Willen bis dahin an jenen Hanno gebunden gefühlt, dessen jugendliche Lichtgestalt so eindrucksvoll in ihrer Erinnerung lebendig geblieben war. Die schwärmerische Neigung des Weibes welkte dahin unter dem dämonischen Hauch der Verzücktheit, der diesen von allen menschlichen Regungen und Leidenschaften Gereinigten umwitterte. Alles, was sie noch in seiner Nähe empfinden konnte, war Angst und Scheu mit Ehrfurcht gemischt: Und dann auch noch menschliche Teilnahme. Denn sie ahnte das unsagbare Elend des Körpers und der Seele, aus dem eine solche Zerrüttung, eine solche Läuterung geboren sein mußte. Darum fühlte sie Mitleid mit ihm, tiefes, inniges Mitleid – aber von Liebe keine Regung mehr.
So hatte ihre erste Bitte an Milkarts Altar unerwartet rasche Erhörung gefunden, früher, als sie es je für möglich gehalten hätte.
Hanno, der noch immer unbeweglich vor ihr stand und sie mit rätselhaften Blicken zu verzehren schien, näherte sich jetzt und legte die Hand auf ihr schwarzgelocktes Haupt, indem er ihr wie ein Bruder, der von der geliebten Schwester Abschied nimmt, tief ins Auge sah.
»Der Sohn des Lichts ist zu denen gesendet,« sagte er mit demselben irren Ausdruck in den Augen, der sie schon früher erschreckt hatte, »die in der Finsternis verzagen. Du bedarfst meiner nicht, Ellot, jetzt noch nicht. Wenn die Zeit kommt, so rufe mich!«
Er neigte sich zu ihr und küßte sie auf die Stirn, wie damals, bei der Einschiffung der Geiseln im Kothon, der opferwillig und ungebeugt in die Gefangenschaft gehende Hanno das noch halb kindliche Mädchen geküßt hatte. Und dann entfernte er sich langsam, ohne noch einmal umzublicken, die granitene Säulenreihe des Eschmun-Tempels entlang.
Ellot aber machte sich auf den Heimweg. Wie ein schnellfüßiges junges Mädchen lief und sprang sie die Steinstufen und Felspfade der Bosra hinab. Es war ihr eine wahre Erleichterung, sich von dem Zusammensein mit dem früher so oft und heiß Herbeigewünschten erlöst zu wissen.
Und vielleicht hatte nun auch ihre zweite Bitte an Milkarts Altar, der Gott möge die heiligen Flammen der Liebe zu Gisgon, dem Vater ihres Kindes, entfachen, Aussicht erhört zu werden?
Im Gegensatz zu dem unheimlichen Nachtwandler und schwerblütigen Sonnenanbeter, in den Hanno sich verwandelt hatte, erfüllte der Gedanke an die schlichte und klare Männlichkeit ihres Gatten sie mit Beruhigung und Freudigkeit.
*
Ein sengend heißer Tag brach an, mit grau verhangenem Himmel über schluchtenreichen Waldgebirgen und zerklüfteten Felseinöden.
Ein rasender Sturm trieb wirbelnde Sandhosen durch die Steppen, machte die Zedern der Höhen wie Gerten sich biegen und knickte, indem er sich mit verdoppelter Gewalt durch Täler und Klammen zwängte, manche mannsdicke Steineiche, daß sie krachend niederbrach. Aber er führte keine Erfrischung in seinen Schwingen. Mit Heulen und Sausen jagte er die trockene Glut der ungeheuren äthiopischen Wüste über ganz Libyen.
Ein langer Zug Reiter schlängelte sich im Morgengrauen aus einem Talgrund in der Gegend von Nepheris eine felsige Halde hinan. Die Mähnen und Schweife der kleinen, hageren libyschen Rosse flatterten wie Wimpel im Sturm, die Schwerter und Köcher klirrten gegen die Eisenteile der Rüstungen. An der Spitze des aus zehn oder zwölf Rotten bestehenden Geschwaders ritt Himilko Phameas, der Hipparch, begleitet von einem alten Haudegen, der schwarz wie ein Äthiopier, obgleich numidischer Herkunft war. Er hieß Bithyas und hatte aus Lust am Abenteuer auf eigene Faust eine recht ansehnliche Reiterschar in den unabhängigen Teilen Mauritaniens und unter den Wüstenstämmen gesammelt, mit der er freiwillig zu den Kartchadern gestoßen war. Denn er mochte die Römer nicht leiden, hauptsächlich aus dem Grunde, weil sie, wie er behauptete, schlecht zu Pferde säßen.
Die trübe Dämmerung des Morgens war allmählich dem vollen Licht eines übrigens nicht minder trüben Tages gewichen. Die Reiter hatten die bewaldete Kuppe gewonnen und folgten jetzt, durch dichter stehende Stämme vor dem Winde besser geschützt, der Richtung des langgestreckten Höhenrückens. Himilko hielt sein Pferd an und lauschte.
»Horch! Das Brüllen eines Löwen!«
»Sein Magen ist vermutlich leer geblieben, darum nimmt er von der Nacht mit solchem Ingrimm Abschied.«
»Es mag bitter sein, wieder einen ganzen Tag warten zu müssen, wenn einen der Hunger quält.«
Langsam ritten sie weiter.
»Ein ähnliches Gebrüll,« sagte Bithyas, »verbeißt jetzt Manilius zwischen den Zähnen. Die ungeheure Niederlage, die ihm der Widder bei seinem Rückzug durch die Furten des Melianastromes bereitete, ist alles, was er nach Utik-Chah zurückbringt. Aber er wird länger als bloß einen Tag warten müssen, eh' er wiederkommen kann, seinen Hunger zu stillen. Denn er kehrt überhaupt nicht mehr zurück, die neuen Konsuln sind schon gewählt. Ein Überläufer, den meine Leute gestern einbrachten, berichtete ihre Namen: ein Lucius Mancinus wird zur See kommandieren, der geht uns nichts an. Der neue Heerführer heißt Calpurnius Piso. Bestimmt weiß ich nur eines von dem Kerl: daß er sicherlich ein ebenso miserabler Reiter ist wie sein Vorgänger im Amt.«
Über die finsteren Züge Himilkos huschte ein Lächeln, das aber bald wieder dem gewohnten, fast düstern Ernst Platz machte.
»Als Hipparch hab' ich's sozusagen auch mit der Reiterei zu tun,« sagte er. »Aber leider ist es für die Erfolge eines Feldherrn nicht ganz so entscheidend, wie er zu Pferde sitzt, als wie du, mein Bithyas, es annimmst. Sonst müßten freilich deine geschickten Jungen auf ihren kleinen, flinken Gäulen das ganze Römerheer längst ins Meer geworfen haben. Wir wollen den Gegner nicht unterschätzen, Freund. Kehrt Manius Manilius nicht mehr zu uns zurück, so wird eben an seiner Statt Calpurnius Piso kommen. Und auch unter ihm werden wir es hauptsächlich mit Scipio Aemilianus zu tun haben, der sich als der Tüchtigste von allen bewährte, wie er der Rechtlichste, ja, vielleicht der einzig Rechtliche ist. Übrigens nimmst du den Mund etwas voll, wenn du von der allerdings empfindlichen Schlappe der Römer am Melianastrom als von einer ungeheuren Niederlage sprichst.«
»Eine vollständige Niederlage war es!« brauste Bithyas auf. »Ein blutiges Gemetzel unter den in kopfloser Verwirrung am Flußufer sich stauenden Römern, die die Waffen fortwarfen, weil jeder sein Heil nur mehr in der Flucht suchte. Du hast das Schlachtfeld nicht gesehn, Himilko, du warst damals auf einer Streifung begriffen und machtest den Futter-Einholern auf Wiesen und Feldern das Leben sauer. Mich aber sandte der Boëtharch mit meinen Leuten die Toten begraben, weil Scipio ihn hatte darum bitten lassen. Ein scheußliches Geschäft, sag' ich dir, ich tu's nicht wieder, von mir aus sind die Römer nichts andres wert, als daß Hyänen und Aasvögel sie fressen. Aber der Widder hatte es befohlen – Zucht und Gehorsam ist Reiterbrauch. Wir schwitzten uns die Seele aus dem Leib, eh' daß wir die Kerle unter der Erde hatten. Nicht weniger als drei waren darunter mit goldnen Fingerringen, Tribunen also! Die vielen silbernen und eisernen Ringe gar nicht zu zählen. Und das wäre bloß eine Schlappe gewesen? Ich danke! Im Feld sind die Römer bis auf weiteres erledigt, so wie sie vor den Mauern Kart-Chadasts erledigt sind!«
»Wer deinen Glauben teilen könnte!« sagte Himilko Phameas mit einem Seufzer.
Der gedrungene breitschultrige Mann saß in müder, gebeugter Haltung auf seinem Rappen, wie niedergedrückt von schwerer Sorgenlast. Er hatte nichts als ein Achselzucken übrig für die unbekümmerte Ahnungslosigkeit des dunkelfarbigen Freischarenführers an seiner Seite, der wie ein Knabe ins Blaue redete, obgleich sein Haar wie das Himilkos selbst an den Schläfen anfing grau zu werden. Dem war es nur ums Kriegführen an sich zu tun, ums fröhliche Reiterleben und ums Dreinhauen. Vom Spiel der verborgenen Kräfte wußte er so gut wie nichts, ließ sich nichts träumen von der unerschöpflichen Macht Roms, von der zähen Ausdauer, mit der es ein einmal ins Auge gefaßtes Ziel verfolgte, hatte keine Ahnung von den schwierigen Parteiverhältnissen in Kart-Chadast, von den politischen Strömungen und Gegenströmungen, die für den Ausgang dieses unseligen Kampfes mit ins Gewicht fielen. Ein vorübergehender Erfolg an dieser oder jener Stelle, ein dem Feinde gelegentlich aufgezwungener Rückzug, ein für die Römer unglücklich verlaufenes Gefecht genügten ihm schon, den endgültigen Sieg für eine ausgemachte Sache zu halten. Aber die Schönseherei des urteilslosen Draufgängers konnte den tieferen Einblick in die wahre Lage, der dem Hipparchen zu Gebote stand, nicht trüben. Er wußte, daß Kart-Chadast, auf sich allein gestellt, der römischen Weltmacht nicht gewachsen sei.
Darum sagte er noch: »Seit Masinissa tot ist, frage ich mich täglich, warum wir nicht Verhandlungen mit Scipio Aemilianus einleiten. Nach den Teilerfolgen, die wir bisher errungen, ließen sich vielleicht wieder erträgliche Bedingungen erzielen. Aber Hasdrubal, der Boëtharch, heißt nicht umsonst der Widder. Wie alle Barkidischen fragt er nicht, wie dick eine Mauer sei, er rennt gegen sie an. Und was jener andere Hasdrubal, der Königs-Schofet von Kart-Chadast, eigentlich plant, das wissen die Götter. Vielleicht besinnt er sich jetzt darauf, daß er nicht nur Masinissas Enkel, sondern auch König Gulussas Neffe ist. Dann müßte aber wohl jeder Punier, der noch etwas auf sich hält, sich auch seinerseits darauf besinnen, daß Gulussa ein abgefeimter Schurke, dagegen Scipio Aemilianus ein Ehrenmann ist.«
»Ich versteh' von dem allen nichts, ich bin kein Staatsmann, hol's der Geier!« antwortete mit polterndem Gelächter der alte Eisenfresser. »Ich bin Soldat, ich reite dir mit einem Vogel Strauß um die Wette, und jede Lanze, die ich werfe, trifft! Was kümmert mich die hohe Politik? Und sind die Römer wirklich noch unbesiegt, um so besser! Wenn es einmal nichts herumzubalgen gäbe, so wär's mein Tod!«
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Die Reiter hatten eine weite, felsige Gebirgsmulde erreicht, wo zwischen Agaven- und Kakteengestrüpp dem harten Boden wohlbestellte Fruchtfelder abgerungen waren. Eine Anzahl elender Strohhütten drängte sich im Grunde zu einem libyschen Dorf zusammen. Als sie sich diesem näherten, stutzte Himilkos Roß und stemmte sich mit steifen Vorderbeinen dem Weg entgegen. Nicht anders tat des Bithyas Pferd, und auch unter den nachfolgenden Berittenen war Unruhe bemerkbar, ein Aufbäumen und Zurückweichen. Mit Mühe spornte und peitschte der Hipparch sein Tier um die Krümme des Felspfades, Bithyas folgte, da begriffen sie das Zittern und Scheuen der Rosse. Ein Löwe hing festgenagelt an einem Balkenkreuz.
Es war ein mächtiges Ungetüm mit langer, zottiger Mähne, die der Wind zerzauste. Noch schien Leben in ihm, denn manchmal gingen Zuckungen durch den gewaltigen, gelbbraun behaarten Leib, dann wand er sich wie in Krämpfen, die riesigen Tatzen zerrten blutüberströmt an den Nägeln, die sie festhielten, und ein grollendes Röcheln wurde vernehmbar.
Ein Dorfbewohner, der in der Nähe auf dem Feld arbeitete, erzählte, es hätten sich in den nahen Felshöhlen ein paar solcher wilder Katzen eingenistet, die nicht bloß dem Weidevieh nachstellten. Alte, schon halb zahnlose Burschen seien es und darum besonders gefährlich, denn die jungen und kräftigen gingen erfahrungsgemäß nicht auf Menschen. Der Plage abzuhelfen, habe man eine dieser Bestien, die sich in der Fallgrube gefangen, schimpflich ans Marterholz geschlagen, zum abschreckenden Beispiel für die andern.
Es dauerte eine geraume Weile, ehe der ganze lange Zug an dem gekreuzigten Löwen vorüber war, erleichtert wieherten die Pferde jetzt in die Morgenluft. Ein Grinsen lag auf den rohen Gesichtern der Reiter, es waren großenteils Mauretanier oder Wüstensöhne, sie freuten sich über das am Erbfeind vollzogene Gericht. Auch in des Bithyas schwarzglänzender Fratze unter dem breiten, wie aus grellfarbigen Wollentüchern zusammengewundenen Kopfbund, den er statt eines Helmes trug, hatten sich grausam frohlockende Falten eingegraben, vergnügt sah er sich noch ein paarmal nach dem gepeinigten Geschöpf um, das höchstens noch einem unverständigen Pferde Schrecken einflößen konnte. Himilko dagegen hielt das Haupt auf den Kopf seines Rappen gesenkt, er blickte noch finsterer und trauriger als vorhin.
»Das ist die Zukunft Kart-Chadasts,« sagte er. »So wird es enden wie dieser einst so wehrhafte und gefürchtete, jetzt alt und zahnlos gewordene Löwe. Als die Stadt auf Gebot der Römer sämtliche Waffen ablieferte, hat die numidische Partei, der ich angehörte, es nicht gewollt, aber zugelassen. Ich bin also mitschuldig gewesen. Das Vertrauen auf die Zusagen Roms hat uns blind gemacht. Gänzlich ist dieser ungeheure Verlust nicht wieder gutzumachen gewesen. Vor allem versäumten wir damit zu viel Zeit. Gerüstet, wie wir damals waren, hätten wir Masinissa leicht auf unsre Seite gezogen. Die Parteiverhältnisse ließen es nicht zu und unsre Leichtgläubigkeit. Kart-Chadast geht an seinen Parteien zugrunde und an seinem kindlichen Glauben an die Heiligkeit des Worts und der Verträge. Rom wird das punische Volk ans Kreuz schlagen, als abschreckendes Beispiel für alle übrigen Völker der Erde, denen es seinen Fuß noch nicht auf den Nacken gesetzt. Und wer am Folterpfahl vorüberkommt, wird grinsen, wie deine Leute jenen Löwen angrinsten, indem sie sich darüber freuten, daß man sich nicht mehr vor ihm zu fürchten brauche.«
Schweigend ritten sie weiter. Bithyas vertrieb sich die Zeit damit, die beiden Lanzen, die er mit sich führte, gegen entfernte Baumstämme zu schleudern und über Stock und Stein reitend wieder einzuholen. Er fluchte, wenn er einmal fehlte, bei allen ägyptischen, punischen, libyschen, namibischen und griechischen Göttern, mit denen samt und sonders er wahllos auf bestem Fuß stand.
Sie waren aus der Mulde wieder zum Kamm hinangestiegen, das zerklüftete und bewaldete Hochland wurde wilder, ein felsiges Tal gähnte zur Rechten, aus dessen Tiefe scholl das Brausen eines zwischen Klippen schäumenden Gebirgsflusses, der mit dem Sturm um die Wette toste.
Mehr und mehr versank Himilko in Grübeln. Er war im Innersten davon überzeugt, daß mit dem Tode Masinissas das Spiel verloren sei. Nur der große König allein wäre imstande und würdig gewesen, seine gewaltige Faust auf Kart-Chadast zu legen, beherrschend und beschützend zugleich.
Sein Nachfolger König Gulussa – ? Lieber römisch!
Er besann sich. Römisch – ? Der Gedanke schnürte ihm die Brust zusammen. Rom, das war in seinen Augen der Geist der Widerrechtlichkeit und Gewalt, des Betrugs und der Doppelzüngigkeit. Rom war die Entsittlichung, die Verweichlichung und Üppigkeit, das Wohlleben und die Fäulnis!
Er liebte sein Volk, seine Heimat, deren Heiligtümer, Altäre und Grabstätten. Was sollte aus ihnen werden? Dem Untergang geweiht? Verzweifelt suchten seine Gedanken nach irgendeinem Ausweg. Wenn nicht römisch, was sonst? Gulussa? ... Da war er wieder bei König Gulussa angelangt, er drehte sich im Kreise, immer rundum wie ein Maultier, das mit verbundenen Augen im Göpel geht. Und seiner Weisheit Ende blieb der Seufzer: »Armes Kart-Chadast!«
Schon damals, nach jener im Hause Lanassas eingeleiteten, aber ergebnislos verlaufenen Zusammenkunft mit Gulussa, dem krötigen Verächter und Verhöhner punischer Gesittung, ja, der Gesittung überhaupt, erinnerte er sich, durch die nächtliche Magara heimreitend ein ahnungsvolles Klagelied aus den Sternen tönen gehört zu haben, das immer wieder in die gleichen trostlosen Worte ausklang, die er auch jetzt durch keine trostreicheren zu ersetzen wußte: »Armes Kart-Chadast!«
Plötzlich hielt er sein Pferd an. Durch die Bergschlucht getrennt, erblickte er auf der gegenüberliegenden Talwand ein ungefähr ebenso starkes Reitergeschwader wie das seinige, das in der gleichen Richtung vorrückte. Es waren Römer. An ihrer Spitze ein Tribun mit Gefolge.
»Es ist Scipio Aemilianus, ich erkenne ihn mit Bestimmtheit,« sagte Bithyas.
»Man sagt uns zwar nach, wir seien Gastfreunde, noch von Vätern und Großvätern her, aber ich sah ihn nie von Angesicht,« antwortete Himilko. »Der Grund, warum wir uns scheuten, miteinander anzubinden und uns lieber aus dem Wege gingen, war eher der, daß wir einander als Kriegsgegner gleicherweise hochschätzen und achten. So fürchtete jeder, im andern seinen Meister zu finden.«
»Könnt' ich ihm doch an den Leib!« stöhnte Bithyas von Kampfgier fiebernd. »Aber mein bester Bogenschütz überbrückt mir mit keinem Pfeil den Graben!« grollte er, schäumend vor Wut. »Soll doch Tanit den Esel von einem Flurgott, der diese Talschlucht aufriß, mit dem Kopf nach unten an ihre Sichel hängen, bis ihm die Eingeweide bei Mund, Nase und Ohren herausquillen!«
Eine ganze Weile lang zogen die beiden berittenen Scharen, sich immer scharf im Auge behaltend, nebeneinander her, unerreichbar einander und getrennt durch die unzugängliche Schlucht, in der das Wasser tobte, die sich aber allmählich etwas verengte. Da ließ Scipio mit einmal seine Turmen halten.
»Sieh, er reitet allein weiter, nur von einem einzigen Offizier begleitet!« rief Bithyas.
Der Hipparch wendete sein Pferd und hob die Hand, seinen Rotten ebenfalls Halt gebietend.
»Folge mir!« befahl er und setzte mit Bithyas seinen Weg fort, immer die Schlucht entlang und immer in derselben Höhe mit den beiden Feinden am gegenüberliegenden Ufer.
Da kehrte unerwartet der Offizier an Scipios Seite um und trabte zu den stillehaltenden römischen Schwadronen zurück, während der Tribun selbst die frühere Richtung beibehielt. Worauf Himilko den Bithyas ebenfalls zurückkehren hieß, welchem Befehl dieser nach anfänglichem Weigern, ob auch grollend und murrend und beteuernd, den Römern sei es nur darum zu tun, den Hipparchen in einen Hinterhalt zu locken, schließlich doch Folge zu leisten sich gezwungen sah.
Im Schritt und unablässig einander beobachtend, ritten nun die beiden Befehlshaber allein nebeneinander hin, Himilko Phameas, der kartchadische Hipparch, hüben, drüben Scipio Aemilianus, der römische Tribun. Gespannt, was die Absicht des Feindes wäre, und vorsichtig um sich spähend, denn er hielt in der Tat einen Hinterhalt nicht für ausgeschlossen, hatte Phameas sich auf mehr als doppelte Rufweite von seinen Leuten entfernt, als Aemilianus, da die Felsenschlucht sich unversehens sehr verengte, plötzlich knapp bis an deren Rand vorritt und anhielt. Da rückte auch Phameas so nahe wie möglich vor und ließ sein Roß halten.
»Warum sorgst du nicht für dein eignes Heil, Himilko Phameas?« rief Scipio herüber. »Für dein Gemeinwesen ist doch alle Sorge vergeblich!«
Dem Brausen des Sturms in den Kronen der Bäume und dem Tosen des Wassers aus der Tiefe zum Trotz hatte Himilko doch jedes Wort deutlich verstanden. Die hohle Hand an den Mund legend, antwortete er: »Wo ist seit Masinissas Tod Heil für mich zu finden, bei der Lage der Dinge in Kart-Chadast? Und die Römer–? Denen hab' ich viel Schaden zugefügt!«
»Hältst du mich für einen redlichen Bürgen,« rief Scipio zurück, »so bürge ich dir für die Verzeihung der Römer und ihren Dank!«
Unwillkürlich hatte Himilko seinem Pferd die Schenkel gegeben, es bäumte, er riß es vom Abgrund zurück und beruhigte es. Sich zur Besonnenheit zwingend, rief er hinüber: »Ich wüßte niemand, der mehr Glauben verdiente als du, auch der Feind muß es dir zugestehn. Mein einziger Sohn befindet sich als Geisel in euren Händen. Kannst du mich über sein Schicksal beruhigen?«
»Er ist am Leben, nur soviel weiß ich. Aber wenn du der Unsrige wirst, so soll sein Los so glänzend und ehrenvoll sein wie das deine. Auch dafür verbürge ich mich!«
Himilko zögerte. Gewissensbisse und Hoffnungen, hundert Gedanken und Zweifel stürzten in rasendem Wirbel auf ihn ein.
»Ich will es überlegen!« antwortete er schließlich. »Finde ich es möglich, so soll es dir kundgetan sein. Lebe wohl, Scipio Aemilianus!«
»Sei gegrüßt, Himilko Phameas!«
Sie schieden voneinander und ritten beide zurück. Bithyas brannte vor Ungeduld, zu erfahren, was sich ereignet hätte.
»Wir haben einen kurzen Waffenstillstand abgeschlossen,« antwortete Himilko finster abweisend. »Für heute können wir in unsre Unterkünfte einrücken.«
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