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XV.

Dreimal hatte das Antlitz Tanits sich erneut, seit der Knabe Baldamar seinem Vater die Erlaubnis abgelistet, wie ein Erwachsener gegen die Römer kämpfen zu dürfen.

Als er in jugendlicher Begeisterung auszog, seinen Mann auf den Mauerwällen am Tor von Magara zu stehen, waren die Ölfrüchte auf dem großen Baum, von dem er gemeinschaftlich mit Nampon die schädlichen Flughunde heruntergeholt hatte, noch grün und unscheinbar gewesen. Jetzt, da sie reifgewordenen kleinen Pflaumen glichen, die mit ihrem betauten Blau das silbrige Blattwerk fast verdrängten, kehrte Baldamar, einen Siegerkranz aus Granatapfellaub im Haar, zu seinem Vater zurück. Dem Nampon aber sollte es versagt bleiben, sich über die Heimkehr seines Sprößlings zu freuen.

Mit geschlossenen Augen lag Baldamar auf einer Bahre und bewegte sich nicht. Das Laub des Kranzes beschattete eine blutige Stirn, das Antlitz mit dem zarten knabenhaften Kinn und der überschlanke hagere Hals waren gelblich-bleich und durchscheinend wie Wachs.

Die Olivenernte hatte eben begonnen. Mittels langer Stangen wurden die reifen Früchte von den Zweigen geschlagen. Während die Mägde sie in Körbe sammelten, erstiegen einige Knechte den Baum, der zu hoch war, als daß man vom Erdboden aus selbst mit dem längsten Stecken in die Krone hätte langen können, und Nampon, obgleich ungelenk, aufgeschwemmt und zu Schlagfluß neigend, wollte doch hinter seinen Leuten nicht zurückbleiben. So schwer es ihm fiel, hatte auch er den alten Ölbaum erklettert und stand hoch oben in den breitausladenden Ästen, als Soldaten mit der Leiche des Knaben sich näherten.

Daß es ein Toter sei, der auf der Bahre lag, und daß es Baldamar selbst, sein geliebtes Kind sei, das konnte er aus der Höhe nicht mit Bestimmtheit erkennen, aber eine fürchterliche Ahnung sagte es ihm.

Während er, schweren Kummer im Herzen, unter vielem Ächzen und Stöhnen wieder herunterstieg, überhäufte er sich selbst mit bitteren Vorwürfen. Warum hatte er nicht lieber der letzten drei Flatterhunde geschont, statt einen so hohen Preis auf ihre Vertilgung zu setzen? Und wie unbesonnen war es gewesen, ein blindlings gegebenes Versprechen mit einem Schwur auf Tanit zu bekräftigen! Er, als reifer Mann, hätte sich nicht mit gebundenen Händen unter den Willen eines urteilslosen Jungen beugen lassen dürfen, wo er doch besser wußte als dieser, wie unerbittlich das Vaterland gerade von seinen treuesten, ihm in schwärmerischer Glut ergebenen Söhnen den allerhärtesten Zoll einfordert.

Der Gerber Juba aus Magara, der dem kleinen Trauerzug zum Führer gedient hatte, stand innerlich teilnahmslos, aber fleißig bemüht, Miene und Haltung eines Leidtragenden anzunehmen, abseits und sah mehr neugierig als ergriffen den Schmerzensausbrüchen Nampons an der Leiche seines Einzigen zu.

Wie oft hatte er in der Schenke unter den Terebinthen mit dem Weinwirt beisammengesessen, die politische Lage mit ihm besprechend! Was ihnen beiden damals gleichsam als Vorspiel einer Auflehnung ganz Afrikas gegen Rom das Wünschenswerteste gedeucht: ein Zusammenstehen aller patriotischen Kreise der Stadt unter Führung der numidischen Partei, das verwirklichte, wie er meinte, der gegenwärtige Zustand, welcher ihm die glücklichsten Aussichten für den Ausgang des Krieges zu eröffnen schien. Daß Nampon dabei so hart mitgenommen worden, blieb bedauerlich, konnte aber die Grundsatztreue eines Mannes, der recht erhebliche geschäftliche Vorteile aus der Lage zog, nicht erschüttern. Nein! Juba dachte abgeklärt genug, um unbewegt durch das Leid des andern sich zu sagen, für diesen oder jenen gehe es eben ohne persönliche Opfer nicht ab, das sei nun einmal so im Kriege, und dem Vaterland zulieb müsse man das Unvermeidliche mannhaft zu tragen wissen.

»Mach' ein Ende, Nampon!« mahnte er. »Wir wollen ihm den Scheiterhaufen schichten. Was die Augen nicht mehr sehen, beschwert das Herz nicht mehr.«

»Keinen Scheiterhaufen!« schrie Nampon zornig auf. »Mich ekeln Milkarts Flammen!«

Die Anrede Jubas hatte ihn wiederbelebt. Er lud die Anwesenden ein, mit ihm ins Winzerhaus zu kommen. Nur zwei Soldaten blieben als Ehrenwache an der Leiche zurück. Nicht weit von der Höhe, auf der der alte Ölbaum ragte, befand sich in zerklüftetem Gebiet die Totenstadt, wo hinter einem vorgewälzten Stein die Aschenurnen von Nampons Gattin, Eltern und andern Angehörigen im Dunkel einer aus dem Fels gehauenen Grabkammer sich reihten. Dort sollte auch Baldamar ruhen, Baldamar selbst, wie er im Lehen gewesen, nicht bloß seine Asche.

Nampons Entschluß stand fest, die Leiche nicht zu verbrennen, sondern in einem Amphorensarge beizusetzen, wie es von alters her üblich gewesen in Kart-Chadast. Ohne daß er recht gewußt hätte, weshalb, entsprach dies besser seinen Gefühlen.

Schon die umfassenderen Vorkehrungen, die es erforderte, gewährten ihm einigen Trost.

*

Auf dem Wege nach dem Winzerhaus erkundigte er sich bei Bogud, dem libyschen Reiterführer, der das Ehren- und Totengeleit befehligte, um die näheren Umstände von Baldamars Heldentod.

Da sich bald herausstellte, daß er seit seines Söhnchens Abgang in die vorderste Kampfreihe nichts Verläßliches mehr über dessen Geschick erfahren hatte, hielt Bogud es für nötig, auch auf die früheren militärischen Abenteuer zurückzugreifen, die er Baldamar an seiner Seite hatte bestehen sehen. Er war ein einfacher älterer Mann, aus dem Stande der Unteroffiziere hervorgegangen, aber durch mehrere silberne Fingerringe (die auf besondere Verdienste in früheren Feldzügen deuteten) zu Offiziersrang emporgehoben. Ungewandt im Reden, erzählte er langsam und schwerfällig, er konnte sich nicht genugtun, den tapferen Knaben zu preisen, den er wie einen eigenen Sohn geliebt hatte, und von dem er jetzt wie von einem jungen Gotte schwärmte.

Zuerst hatte Baldamar sich auf den Zinnen als Bogenschütze hervorgetan. Das war vor etwa drei Monden gewesen, damals, als Manilius in leichtfertiger Unterschätzung des Gegners den Fehler beging, einen verzweifelten Sturm gegen die dreifache Stadtumwallung am Tor von Magara anzuordnen, die für so gut wie uneinnehmbar galt. Das Unternehmen fiel beinahe auf den Tag – aber eben nur beinahe, und das war der zweite schier unbegreifliche Fehler von römischer Seite – mit dem verunglückten Vorstoß des Censorinus gegen das Fischertor und den Fischmarkt zusammen. Die erste Mauer zu überrennen, war den Legionen zwar gelungen, genau wie dort; doch gab es hier noch eine zweite und schließlich noch eine dritte Mauer, jede dreißig Ellen hoch über der vorgelagerten aufsteigend. Die blutigen Grüße, welche die in die erste Befestigungslinie Eingedrungenen aus der Höhe der noch unbezwungenen Zinnenkrönungen zugesendet bekamen, hatte den meisten von ihnen die Heimkehr für immer verleidet.

»An guten Scharfschützen fehlte es nicht,« sagte der Libyer; »der besten einer aber war Baldamar!«

Und er erzählte, wie der prächtige Junge scherzweise von Flederhunden gesprochen hätte, die er herunterholen müsse, weil sie in die stillen Gärten des punischen Volkes eingedrungen seien und die Ernte bedrohten. Worauf Nampon kleinlaut bemerkte, eines vereinzelten Schwarmes Flederhunde könne man wohl Herr werden; kämen sie aber in Überzahl, so bliebe alle Mühe und alle gebrachten Opfer schließlich doch vergeblich.

»Komm vorwärts, Bogud!« ermunterte Juba, der Gerber. »Am Tor von Magara sind die Unsrigen längst von der Verteidigung zum Angriff übergegangen.«

»Ich erzähle von Baldamar und alles der Reihe nach,« versetzte der Libyer unbeirrt. Und umständlich kam er auf den nächsten Fall zu sprechen, wo der wackere Knabe sich ausgezeichnet, ja, fast als ein listenreicher Odysseus bewährt hätte. Denn diesmal sei es nicht so sehr auf Geübtheit im Gebrauch der Waffen als auf Umsicht und Klugheit angekommen.

Wiederum etliche Wochen später war es gewesen, beim Ausfall gegen das geschützte Lager, das Manilius auf der Landenge von Gara fast im Schatten der Stadtmauer hatte anlegen lassen. In jener Nacht kam Baldamar auf den glücklichen Einfall, eine Anzahl blutjunger Leute um sich zu sammeln, die nicht mit Waffen, sondern jeder nur mit einem langen, hohen, aufrecht getragenen Brett versehen waren. In der Dunkelheit gewährte dies einen so seltsamen und rätselhaften Anblick, daß schon dadurch allein Bestürzung und Verwirrung unter den Feinden entstand. Die Bretter aber sollten, abgesehen davon, daß sie einen Schild ersetzten, hauptsächlich dazu dienen, über den mit Verpfählungen versehenen Graben des Römerlagers geworfen zu werden. Und nach Boguds Überzeugung wäre der Anschlag auch geglückt und das ganze römische Nest glatt ausgehoben worden, hätte nicht Scipio Aemilianus die Lage für die Römer eben noch gerettet und die Kartchader, indem er ihnen mit einigen Reiterschwadronen in die Flanke brach, vorzeitig zum Rückzug genötigt.

»Man hört viel von diesem Scipio,« sagte Juba. »Hätten sie den nicht, so wären sie längst wieder dort, woher sie gekommen.«

»Der Konsul Censorinus soll ohnedies schon nach Rom zurückgekehrt sein?« antwortete der Libyer.

»So wird allseits bestätigt. Die Wahlversammlungen, die jeden Spätherbst in Rom abgehalten werden, dienten seiner Abreise zum Vorwand. Die Wahrheit ist, daß er sich als Löwe ebenso zahnlos erwiesen hat wie vorher als Fuchs hart und tückisch. Seit der Hundsstern aufgegangen, wütete in seinem Lager am See von Tunes die Seuche. Dem Sumpffieber zu entfliehen, sah er sich schließlich gezwungen, es abzubrechen und Schiffe wie Truppen ans offene Meer, auf die entgegengesetzte Seite der Ochsenzunge zu werfen.«

Nampon, in seiner ländlichen Einsamkeit über die Ereignisse der letzten Zeit so gut wie ununterrichtet, war mit wachsender Spannung dem Gespräch gefolgt.

»Von dorther,« warf er jetzt ein, »konnte Censorinus doch den schwachen Winkel am Fischertor nicht mehr bedrohen?«

Befriedigt, den gebeugten Freund für einen Augenblick von seinen Gedanken abgelenkt zu haben, wendete der Gerber sich ihm zu. Ein pfiffiges Lächeln löste die gezwungenen Beileidsfalten in seinem sonst recht verschlagenen Gesicht, das entfernt dem eines Igels glich.

»Um ein Bedrohen der Stadt war es ihm längst nicht mehr zu tun, verstehst du? Seine Leute starben ihm hin wie die Mücken. Gesunde Meeresluft ist alles, was die ruhmreichen und angeblich so unüberwindlichen Heeressäulen Roms in Afrika derzeit noch suchen.«

Ein Schimmer von Trost fiel in Nampons umdüsterte Seele. Vielleicht war das Leben seines Söhnchens nicht zwecklos hingeopfert? Aber Juba hatte nur von Censorinus gesprochen, dessen Angriff von der Mittagsseite her ins Werk gesetzt worden, während Baldamar doch gegen Sonnenuntergang gestanden hatte. Vielleicht war man nur auf dem mittägigen Kriegsschauplatz zufällig vom Glück begünstigt gewesen?

Bogud indessen beruhigte ihn: »Der Manius Manilius ist nicht um ein Haar besser dran! Laß mich nur zu Ende kommen, dann urteile selbst.«

Das war Balsam auf Nampons Herzenswunde. Die Ungeduld, endlich Genaueres über seines Kindes Tod zu erfahren, wurde brennend. Doch nahmen, da sie mittlerweile im Winzerhause eingetroffen waren, drängende Pflichten des Augenblicks ihn in Anspruch. Demütig forderte er die Gäste auf einzutreten.

Er ließ Wein aufsetzen und opferte. Dann bat er unter vielen aufrichtigen Dankesworten die Soldaten, die seinen Sohn getragen, und den Gerber Juba, der sie geführt hatte, sich am edlen Lebenstrank zu stärken und dabei des Gefallenen zu gedenken. Auch die Knechte und Mägde gingen nicht leer aus, doch hetzte er sie dazwischen weidlich treppauf, treppab, die hundert Zurüstungen zu treffen, die eine Leichenfeier erforderte.

Weiße Trauerkleider wurden hervorgeholt und angelegt; passende Weihegaben aus Schränken und Behältern zusammengesucht und durch kleine Heiligtümer des Hausaltares ergänzt; aus dem Keller die größten tönernen Henkelkrüge heraufgetragen, ihrer zwei nach Absägen der Hälse aneinandergepaßt, und als sie noch immer nicht ausreichend schienen, eine zarte menschliche Gestalt zu umschließen, in der Mitte noch durch ein aus einer dritten Amphore herausgeschnittenes Teilstück ergänzt und verlängert.

»Verzeiht,« sagte Nampon schließlich, nachdem alles vollbracht war; »ich höre hier nicht viel von der Welt und muß mich auf das verlassen, was andere meinen. Darf ich eine Frage an euch richten?«

Es kam zutage, daß er Schwarzseher und Miesmacher aus Überzeugung gewesen. Jeder Glaube an die Möglichkeit einer Rettung der Stadt hatte ihm gefehlt. Dem vorhin Vernommenen, das über alles Erwarten günstig klang, hätte er nun seine Rechthaberei gerne geopfert, doch wollte er's noch einmal ausdrücklich bestätigt hören: War denn wirklich Aussicht vorhanden, daß Baldamars Blut nicht umsonst vergossen sein würde?

»Nicht nur Aussicht, volle Gewißheit!« lautete die übereinstimmende Antwort aller.

»Er trägt mit Recht den Kranz aus Granatapfellaub!« sagte Bogud.

»Er starb als Sieger für die wiedereroberte Freiheit der Stadt!« rief Juba, den Mund vollnehmend.

»Dann will ich nicht klagen noch murren,« erklärte Nampon erhobenen Hauptes. »Baldamars heißester Wunsch ist erfüllt!«

Es war, als sei plötzlich ein neuer Geist in den kleinen wohlbeleibten rotnasigen Menschen gefahren. Feierlich, mit einer Stimme, die nicht wankte noch stotterte, forderte er die Anwesenden auf, ihn auf die Höhe zurückzubegleiten, wo die Bahre mit dem Toten stehengeblieben war, und ihm bei dessen Beisetzung behilflich zu sein.

»Er gehört jetzt nicht mehr mir allein,« sagte er, »mir einfältigem, ledernem, unscheinbarem Manne. Er gehört dem ganzen punischen Volk, für das er sein Blut verspritzte. Und sein Grab wird eine geweihte Stätte bleiben, solang dieses Volk nicht ehrvergessen sich selbst aufgibt!«

*

Damit zog er los, an der Spitze des kleinen Träubleins von Leidtragenden, das sich aus den Soldaten, dem Freunde und dem Gesinde zusammensetzte.

Im Trauergewande, das Haupt mit Asche bestreut, schritt er denselben Weg dahin, den er im Sommer, in der Morgenfrühe an der Seite seines Söhnchens eingeschlagen, als Baldamar, glühend vor Begeisterung, ihn mit sich fortgezogen hatte, das vermeintliche Wunder des mit so ungewohnten Früchten gesegneten Ölbaumes zu bestaunen.

Er gab sich sichtlich Mühe, durch Ernst und würdige Haltung dem erhabenen Anlaß gerecht zu werden, der ihn diese Straße führte, und doch machte sein Äußeres einen nichts weniger als würdigen Eindruck; denn mit seiner untersetzten, aufgeschwemmten Gestalt und seinem vom Wein gedunsenen Gesichte glich er eher einem ulkigen, als einem ernstzunehmenden Gewächs. Aber der Schmerz, der sich in seinen Zügen ausprägte, gewann gerade dadurch etwas doppelt Überzeugendes. Er wirkte schrill und schneidend inmitten einer halb lächerlichen Umgebung und rief besonders in der rauhen Soldatenbrust Boguds, die durch das eigene Leid um den in erster Jugendblüte Dahingerafften dafür empfänglich war, den Widerhall des Mitleids wach.

Aus freien Stücken fing denn auch der Libyer abermals von jenem Gegenstande zu reden an, der ihnen beiden wärmer am Herzen lag als irgendeiner sonst. Und nun kam er endlich auch auf die letzten Kämpfe zu sprechen, an denen Baldamar beteiligt gewesen, und aus denen er als Held hervorgegangen, aber als toter.

Dem Manilius hatte nach dem früher berichteten Ausfall der Kartchader, den nur Scipios Geistesgegenwart abgewehrt, sein Lager so nahe der Stadtmauer kein ganz behaglicher Aufenthalt mehr gedünkt. Er verlegte es einige Stadien rückwärts, mehr gegen den Eingang der Landenge, und umgab es mit einer regelrechten Mauer, so daß er schließlich eher einem Belagerten glich als einem Belagerer. Auch den Ankerplatz von Gara sah er sich genötigt, in die Lagerbefestigung mit einzubeziehen, um den sehnsüchtig erwarteten Schiffen, die seine knappgewordenen Vorräte wieder auffüllen sollten, ein ungefährdetes Einlaufen zu sichern. Doch gelang ihm dies nicht ganz nach Wunsch.

Seine Verteidigungslinie, weil im Verhältnis zu den verfügbaren Kräften zu sehr in die Länge gezogen, war zu dünn geworden. Und gerade gegen jenen Ankerplatz von Gara hatte ein erneuter nächtlicher Ausfall der Kartchader eingesetzt. Sie durchbrachen die Mauer und bemächtigten sich eines eben eingetroffenen Getreideschiffes. Durch die Kanäle des Brackwassers, die sie besser kannten als die Römer, lotsten sie es in die offene See, von wo es am nächsten Morgen unter dem Jubel der Bevölkerung in den Handelshafen von Kart-Chadast einlief.

»Und hier, mein Nampon, muß ich vor allem deines Sohnes gedenken,« fuhr Bogud in seinem Berichte fort. »Denn in der von mir geführten tapferen Schar, die diesen Handstreich deckte, war er einer der Tapfersten. Fackelreiter, abermals von Scipio Aemilianus uns in die Flanke geworfen, drohten uns von der Stadt abzuschneiden. In den Rückzugsgefechten, die dem Haupttrupp glückliche Heimkehr sicherten, fiel Baldamar kämpfend an meiner Seite. Ich hob ihn auf mein Pferd, wir erreichten das Tor von Magara. Unter den hohen Terebinthen, die dir wohlbekannt sind, ist er in meinen Armen verschieden.«

Gebeugten Hauptes schritt Nampon still fürbaß, in fromme und demütige Besinnlichkeit versunken. Am Tor von Magara hätte er wenigstens den letzten Lebensfunken seines Söhnchens noch können verglimmen sehen. Warum war er dem Haus der Terebinthen entflohen? Hatte er etwa gewähnt, seinem Schicksal entfliehen zu können? ...

Der Gerber Juba fürchtete, es möchte wieder Verzagtheit ihn überkommen. Er ließ es sich angelegen sein, den Wert der errungenen kriegerischen Erfolge ins hellste Licht zu setzen. Er wußte nun schon, daß die Überzeugung, das Opfer sei nicht vergeblich gebracht, der einzige Trost sei, der bei dem Freunde verfing.

»Urteile nun selbst, Nampon, ob wir zu viel behaupteten, wenn wir sagten, dein Junge sei als Sieger gefallen. Oder weißt du mir einen Feldherrn unter den Unsrigen, der mit Manius Manilius die Rolle tauschen möchte?«

»Hing denn vom Eintreffen dieses einzigen Kornschiffes so viel für ihn ab?«

»Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, die Belagerung fortzusetzen, hing davon ab. Denn in des Manilius Lager sitzt der Hunger zu Tisch. Die Zufuhren an Lebensmitteln, die er sich vonseiten Masinissas von Numidien erwartete, bleiben ebenso hartnäckig aus wie die von diesem angeforderten Hilfstruppen. Vergeblich erhebt Rom – das erfuhr ich aus verläßlichster Quelle – freundschaftliche Vorstellungen beim säumigen Bundesgenossen, den es durch eine entschiedenere Sprache doch nicht vor den Kopf zu stoßen wagt. So bleibt Manilius auf Brandschatzungen im libyschen Hinterland angewiesen. Das kostet ihn aber Mannschaften, wertvolle Truppenkörper, einmal hat ihm auch Hasdrubal, der Widder, bei einer solchen Gelegenheit schwere Verluste beigebracht. Die Folge davon ist, daß er an einen Angriff gegen die Stadt überhaupt nicht mehr denken kann. Noch nie sind so hochfahrende Worte, wie die Konsuln bei ihrem Erscheinen in Afrika sie im Mund führten, durch die nachfolgenden Taten so kläglich beschämt worden!«

»Noch nie hat Rom in einem Bundesgenossen sich so verhängnisvoll getäuscht wie in Masinissa,« ergänzte der Libyer. »Was es bisher hier erlebte, ist schlimmer als eine Niederlage. Es ist ein Reinfall, eine Demütigung, eine Schmach!«

Sie hatten die Höhe erreicht und näherten sich dem großen Ölbaum. Da lag regungslos, wie sie ihn vorhin verlassen, der schlanke Knabe im Siegerkranz, das Antlitz dem mächtigen alten Baume zugewendet, wo er seinen ersten blutigen Kampf gegen die Flughunde bestanden und sich dazu entschlossen hatte, auch gegen jene andern Schädlinge, die Kart-Chadast bedrohten, sein Leben einzusetzen. Eine graue Gestalt kauerte an der Seite des Leichnams. Es war einer von den entsagenden Brüdern Milkarts, der sich eingefunden hatte, dem Gefallenen den Segen des Gottes zu überbringen.

Er erhob sich vom Boden und breitete die Arme gegen Nampon aus.

»Sei gepriesen in deinem Fleisch und Blut, dargebracht dem Gott des Sieges!«

Nampon beugte sich. Er war erschüttert, aber nun wirklich felsenfest davon überzeugt, zur endgültigen Rettung der Stadt mehr beigetragen zu haben, als er sich je hätte träumen lassen.

Unter Gebeten und Wechselgesängen wurde Baldamar das ringförmige Mittelstück einer Amphore um den Leib gelegt und von Kopf und Füßen her je der Halbteil eines gleichen Tongefäßes ihm über den schmächtigen Körper gestülpt. Feierlich barg hierauf Nampon die mitgebrachten Weihegaben in den Hohlräumen des irdenen Sarges: Amulette und kleine tönerne Götterbilder, einen silbernen Siegelring, eine Halskette von ägyptischen Skarabäen, kleine Beile mit eingeritzten mystischen Zeichen und Inschriften und eine Anzahl nützlicher Einrichtungsgegenstände aus Holz und Stein in den winzigen Ausmaßen von Kinderspielzeug. Und schließlich wurden die Fugen der Amphoren aneinandergepaßt und sorgfältig verkittet.

Die Soldaten hoben den Sarg. Der kleine Zug setzte sich in Bewegung, in der Richtung gegen die Totenstadt, immer die felsig und höher ansteigende Klippenkette als Ziel vor Augen, die ihren äußersten Vorposten, das Kap von Kart-Chadast, bis ins blaue Meer hinausschob.

Den andern voraus ging der entsagende Bruder. Er erhob seine Stimme und setzte mit einer althergebrachten feierlichen Weise ein, die in streng abgemessener Folge den Schritt der langsam Dahinziehenden begleitete ...

Sengende Glut brannte auf die kahlen, toten Felsen des Gebirges, auf dessen ausgedörrte Halden und den harten, steinigen Weg hernieder. Die Gärten dagegen, die sich mit ihrem üppigen Grün, mit fruchtbeladenen Obstbäumen und traubenstrotzenden Weinstöcken zwischen das verschlackte Ödland drängten, dampften von Fruchtbarkeit.

So schienen Dürre und Segen, Tod und Leben einander gegenseitig zu durchdringen und zu ergänzen, göttlichen Ursprungs beide wie Milkart und Eschmun selbst, und beide eins, geboren aus jenem ewigen Gestirn, das strahlend am wolkenlosen Himmel loderte.

*

Im weitgespannten Bogen um die Felsküste, etwas südwärts jener Gegend, wo des Numiders Landgut Chammonslust liegt, sind Fischerboote im grauen Morgendämmer an der Arbeit, das mit Senkblei beschwerte Netz auszulegen.

»Heut' arbeitet sich's gemächlich, heut' stören uns keine Römer.«

»Jetzt soll nur auch das Rudel sich zeigen wie in letztvergangenen Tagen.«

»Wenn das Glück es will, versorgen wir heute die ganze Stadt mit Thunfischbraten.«

Ächzend stemmen die Ruder sich in geschmolzenes Blei. Das ungeheure Netz, von dem noch Berge auf jedem Boote wuchten, zieht und hemmt. Und während die Fischer einen Arm voll davon nach dem andern versenken, halten die Steuermänner seewärts und wühlen Furchen ins träge Wasser, die speichenförmig auseinanderstreben. Dunkel wie die Blüte der wilden Hyazinthe, die in den Ölgärten duftet, spiegelt die windstille See den noch nächtlichen Wolkenhimmel wider. Aber ein glutroter Streifen am Himmelsrand kündet den nahen Morgen.

»Als die Römerschiffe in Flammen aufgingen, sah's genau so aus. Wär' ich nicht dabei gewesen, wie wir die Brander losließen, ich hätte gemeint, Eschmuns Gestirn hätte sich verirrt und sei zur Abwechslung einmal hinter der äthiopischen Wüste untergegangen statt hinter dem Atlasgebirge.«

Sicharbas, ein uralter Kerl mit einem Gesicht, braun und zerklüftet wie die harte Schale einer Nuß, legt sich vergnügt in die Riemen.

»Das hast du gut gemacht, Dajag! Mir wäre so was nie eingefallen, mein Kopf wird schwach.«

»Um ehrlich zu sein – war's der Königs-Schofet selbst, der auf den Gedanken kam. Meinst du, wir hätten die vielen Schaluppen nur so daranwenden können, wenn der Staatssäckel sie nicht bezahlte?«

Eine Anzahl scharfgebauter, schnellsegelnder Boote mit Reisig und Werg, Schwefel und Pech beladen, hatten sie unter den Mauern hin bis ans scharfe Eck des Hafendammes gezogen. Sobald die Nachtluft steif gegen das Römerlager stand, spannten sie die Segel aus, zündeten an und ließen die Feuer und Funken speienden Fahrzeuge schießen. Fast die ganze römische Flotte, die seeseitig an der Ochsenzunge ankerte, hatten sie auf diese Weise in Brand gesteckt und vernichtet.

Darum ist es, daß sie diesen Morgen so sorglos ausfahren können wie lange nicht. Wieder einmal fühlen sie sich als Fischer und haben Freude an ihrem Handwerk.

Der Netzberg auf der Barke, wo Sicharbas rudert, schmilzt sichtlich zusammen. Im grauen Frühlicht nehmen die Männer ihre Gesichter schon ganz deutlich wahr. Über der östlichen Kimmung baut das Morgenrot abenteuerliche Burgen und Schlösser in die Luft. Und wie jetzt ein kühler Atem den hingebreiteten öligen Spiegel gleichsam in Scherben bricht, zuckt zersplitterter Widerschein purpurn aus dem hyazinthenen Wogengekräusel.

»Deine Augen sind jünger und sehen schärfer als die meinen, Dajag. Was ist's, das dort von Zeit zu Zeit über die Wellen taucht?«

Derart von Sicharbas angerufen, erhebt der Fischmeister sich aufrecht im Boot. Die Hand an der Schläfe, um den Lichtschein von Morgen her abzublenden, späht er übers Wasser in die Ferne.

»Ich sehe nichts.«

»Mehr gegen Mittag!«

»Ein Delphin?«

»Die springen nur in Scharen und lieben die Sonne.«

Dajag ergreift die Steuerpinne und nimmt den Kurs gegen die auffallende Erscheinung. Der letzte Rest des Netzes ist aus seinem Boote ausgeworfen, leichter schießt dieses nun dahin, daß die Leine schnurrend von der Winde haspelt. Das Ziel der Fahrt, der rätselhafte, im Wasser schwimmende Gegenstand, wird von den Wogen, die unter dem scharf einsetzenden Morgenwinde lebendiger auf und nieder tanzen, bald gänzlich verborgen, bald wieder hochgehoben.

»Es ist ein Mensch!« schreit Dajag Plötzlich auf.

»Es ist ein Mensch!« bestätigen Sicharbas und Sadraf und alle andern Insassen des Bootes.

»Soeben reckte er die Arme hoch, er will uns auf sich aufmerksam machen.«

»Der mag den Göttern danken, daß sie die Hyänen der Tiefe mit Blindheit schlugen und dich, Sicharbas, sehend machten!«

»Ist es ein Römer, so dankt er zu früh.«

»Ganz gewiß ist es ein Römer, die Strömung zieht von der Ochsenzunge her.«

Plötzlich ein durchdringender Schrei. Aus der Richtung, wo der Schwimmer mit den Wellen kämpft, gellt er über das Wasser.

»Es ist einer von den Unsrigen! Nur des Puniers Schrei gleicht dem der Möwe, Römer heulen wie die Wölfe.«

Leidenschaftlich greifen die Ruder aus, daß die Ringe von gewundenem Weidenbast, die ihren Stützpunkt bilden, wie getretene Hunde winseln. Unter kräftigen Stößen fliegt das Boot dahin, nähert sich rasch dem Schwimmer und dreht vorsichtig bei, daß er sich steuerbords anklammern kann.

Ihrer zwei Männer haben sich tief vornübergebeugt. Sie fassen an und heben, richten sich langsam auf und treten einen Schritt hinter sich. Vom ersten Strahl der aufgehenden Sonne übergoldet, liegt eine göttlich gebildete, aber erschreckend hagere, fast zum Gerippe abgemagerte nackte Jünglingsgestalt einen Augenblick in ihren sehnigen Armen.

Behutsam lassen sie den zu Tod Erschöpften, am ganzen Leibe Zitternden zu Boden gleiten und betten ihn auf einen Haufen übereinandergeworfener Kleidungsstücke, die der Mannschaft während der schweren Arbeit entbehrlich geworden.

Schweratmend liegt er da und blickt verstört um sich. Bis plötzlich sein Auge die ferne Stadt über dem Meer aufsteigen sieht. Die hartbedrängte und so schmählich betrogene Stadt, mit ihrem Gewirr von Häusern und aus sattem Grün aufleuchtenden weißen Palästen. Die einst seebeherrschende und noch immer so stolz hingelagerte Hochburg des punischen Volks, überragt von der Bosra, überglänzt vom strahlenden Tempel Eschmuns, aus dessen goldenem Gebälk die Morgensonne feurigen Widerschein weckt, als züngelten von der Untergrotte aufwärts Milkarts heilige Flammen bis zum lichten, frei ragenden Giebel hinan ...

Beseligt breitet der Jüngling die Arme weit aus und sinkt im gleichen Augenblick zurück, seiner Sinne nicht mehr mächtig.

Haben brausende Gefühle, die seine Brust zu sprengen drohten, ihn überwältigt? Die vorausgegangenen körperlichen Anstrengungen seine Kräfte gänzlich aufgezehrt? Ist es die ausgestandene Todesangst, ist es die Freude über seine Rettung, was ihn niederwirft? Jedenfalls braucht die Bootsmannschaft sich keinen Zwang aufzuerlegen, offen tauscht sie ihre Meinungen über den Bewußtlosen aus.

Sadraf, überzeugt, man habe es doch mit einem Römer zu tun, welcher von einer der an der Ochsenzunge verbrannten Trieren oder Penteren sich nicht mehr rechtzeitig an Land habe retten können, will den Aufgefischten wieder dem Meer zurückgeben, das mit ihm machen möge, was es wolle. Der Spott der andern Fischer, wenn das Boot mit solcher Beute heimkehre, kümmere ihn, als bloßen Handlanger, weniger; aber kartchadischer Männer überhaupt hält er es für unwürdig, die Retter eines Feindes zu spielen.

Dajag wieder findet es im Gegenteile ehrenvoll, daß sie einen Gefangenen gemacht hätten, und möchte den Jüngling gerade aus dem Grunde, weil auch er ihn für einen Römer hält, im Triumph einbringen und dem Volk die Entscheidung über dessen Schicksal anheimstellen. Anscheinend würde er's für recht und billig halten, den Feinden ihre Schandtaten an diesem einzelnen, den man durch einen glücklichen Zufall in seine Gewalt bekommen hätte, mit Zinsen heimzuzahlen.

Inzwischen wird vom Land her ein Zeichen gegeben, daß der Schwarm der Thunfische sich nähere und das Boot den ihm zugewiesenen Platz einzunehmen habe. Tajag wirft das Steuer herum, sein Kommando »An die Riemen!« schneidet jede weitere Erörterung ab.

Sadraf, in seiner Gehässigkeit daraus erpicht, sich des unerwünschten Fahrgasts vorher noch zu entledigen, dringt auf rasche Entscheidung. Sicharbas aber, der sich bis dahin schweigend verhalten, blickt zornig auf ihn hinüber, die tiefen braunen Furchen in dem mit weißen Bartstoppeln übersäten Gesicht schießen wild durcheinander.

»Ich habe mehr erlebt als du und Dajag zusammengenommen. Ich habe den großen Hannibal noch gekannt und unter ihm gefochten. Und als der erbarmungswürdige junge Mann da seinen Blick vorhin zu Kart-Chadast erhob und die Arme nach der Stadt ausbreitete, da sah ich in seinem Auge einen Funken aufscheinen, den ich schon früher einmal gesehen ... Aber nicht auf einem nächstbesten Herde und in keinem römischen Auge ...!«

Er holte seinen weiten, braunen wollenen Mantel unter der Ruderbank hervor, entfaltete ihn und breitete ihn sorgsam über die wie tot hingelagerte Gestalt des bewußtlos Schlafenden.

»Wer dem ein Haar krümmt,« schloß er, drohende Blicke umhersprühend, »der bekommt es mit mir zu tun, daß ihr es wißt!«

*

Wie eine schlanke, ranke Gerte von riesigen Maßen bog vom Ufer her ein Leiterbaum sich schräg über das Wasser, an seiner Spitze war ein Sitz angebracht, und darauf saß ein Mann, der aus der Höhe den Zug der Thunfische beobachtete. Der gab jetzt vermehrte Zeichen, aus denen sich die Richtung erschließen ließ, in welcher der Schwarm wanderte.

Tajags Boot hatte sich weiter als nützlich vom ausgelegten Netze ablenken lassen, jetzt flog es zurück, während zwei Knechte an der Winde hastig daran arbeiteten, die Netzleine wieder aufzuhaspeln. Sobald die unterseeische Straße genauer ermittelt war, welche die wandernden Fische einhielten, ließ sich auch schon unter den steiler einfallenden Strahlen der Sonne das Gewimmel der stählernen Leiber in der Tiefe wahrnehmen.

Niemand behielt jetzt noch Zeit und Aufmerksamkeit übrig, sich um den Geretteten im Boote zu kümmern.

Tajag ließ die Ruderstangen ausheben und mit dem flachen Brett aufs Wasser klatschen, um die Fische von der offenen See abzuschrecken und ins Netz zu jagen. Nur des Sicharbas Riemenpaar allein blieb noch in Bewegung und trieb das Boot langsam der Grenzlinie des Schwarmes entlang. Stetig wurde dabei das versenkte Netz wieder eingeholt, fortschreitend sammelte und häufte sich seine triefende Last in der Barke. Und allmählich konnte jedes Rudern und Steuern als überflüssig eingestellt werden. Das Boot schob sich von selbst, je mehr die Fläche des ausgeworfenen Netzes sich verengte, landwärts. Langsam näherte es sich dem steinigen Gestade, bis schließlich sein Kiel ins Ufergeschiebe knirschte und die Fischer mit nackten Füßen auf den festgebackenen feuchten Sand sprangen.

Da stehen sie nun gemeinsam mit ihren den andern Booten entstiegenen Genossen – denn alle haben das gleiche getan – in langer Reihe den Strand entlang, oft bis über die Knie im Wasser, hart arbeitend und im Schweiße ihres Angesichtes damit beschäftigt, die ausgiebige Beute, die teils noch in Untiefen und Ufertümpeln, teils bereits auf dem glitschigen Sandboden zappelt, vollends ins Trockene zu bringen.

Immer ihrer zwei Mann packen sie je eins dieser »Seekälber«, wie sie die in der Tat die Größe und das Gewicht eines Kalbes erreichenden Thunfische nennen, am Kopf- und Schwanzende und schleudern es auf die felsigen Klippen des Ufersaums. In verzweifeltem Todeskampf schnellen die Ungetüme, die hart wie aus Erz sind, sich viele Ellen hoch in die Luft, sie hoffen durch einen glücklichen Sprung sich in die salzige Flut zurückzuretten, die ihr Lebensatem ist. Vergebliches Bemühn! Je größere Anstrengungen sie machen, um so leidenschaftlicher arbeiten sie an ihrer eigenen Zerstörung, je höher es ihnen gelingt, sich vom Boden aufzuschnellen, mit um so tödlicherem Gedröhne fallen ihre wuchtigen Körper auf die scharfzackigen Steine zurück.

So martern sie in blindwütigem Ringen sich selbst zu Tode.

Die scharfen Kanten und Zinken der Strandfelsen färben sich blutigrot. Und manchmal, wenn es einem der Fische gelang, nach einer Anzahl glücklicher Sprünge sich dem Wasser wirklich zu nähern, und nur noch ein letztes Aufschnellen ihm Freiheit und Leben vielleicht wiederschenken würde, so steht im nächsten Augenblick auch schon ein Mann an seiner Seite und zieht ihm mit raschem Griff eine haarscharf geschliffene Klinge durch die Kiemengegend, daß ein daumdicker Strahl aufspritzt wie ein Springbrunnen von dunklem libyschen Wein.

Dajag, der Fischmeister, hat inzwischen an einer vereinzelten Tamariske, die sich über die Uferböschung neigt, die amtliche Wage mit den riesigen ehernen Schalen aufhängen lassen. Mittels roher Gewichte, die sich von Steinklumpen nicht wesentlich unterscheiden, beginnt er die Beute abzuwiegen, um jedem Boote den ihm gebührenden Anteil zuzuteilen.

Aber mitten in seinem Geschäft hält er plötzlich inne, schier erschrocken wie über eine Erscheinung. Der hohe, hagere Jüngling, den seine Leute vor dem Ertrinken retteten, und den man noch in den Schlaf der Erschöpfung versunken wähnte, steht unversehens, in des Sicharbas braunen Mantel gehüllt, neben dem ans Land gezogenen Boot und sieht mit düster zusammengezogenen Brauen dem wahnsinnigen Todestanz der Thunfische zu.

Einer nach dem andern von den Fischern wird aufmerksam. Wie eine geisterhafte Gestalt, aus einer andern Welt emporgetaucht, steht der Unbekannte unter ihnen. Niemand sah ihn kommen, nur Dajags Bootsleute allein wissen um ihn.

»Wer ist der sonderbare Mensch? Woher kam er? Was will er? Kennst du ihn? Wer brachte ihn hieher?«

Dajag, rasch sich besinnend, gibt scherzend Auskunft: »Was wollt ihr? Wir haben einen Fang getan, der sich sehen lassen kann. Einen so seltsamen Fisch wie das meine bringt nicht jedes Boot ein!« Und mit einem Auflachen gegen den Jüngling: »Komm heran, vierbeiniges Wassergeschöpf und laß dich wiegen! Die ganze Ausbeute muß abgewogen werden, das ist so Brauch, ich kann dir zulieb keine Ausnahme machen!«

Die Gestalt im braunen Mantel hebt das Haupt und blickt verständnislos auf den Anrufenden hinüber. Ein paar Ruderknechte fassen ihn am Arm und führen ihn vor Dajag wie vor einen Richter.

»Wer bist du, Punier oder Römer?«

Keine Antwort erfolgt. Mehrmals muß die Frage wiederholt werden. Endlich öffnen sich die bleichen Lippen: »Einst war ich ein Mensch!«

Gelächter und spöttische Bemerkungen: »Habt ihr's gehört? Er war ein Mensch. Somit hat er aufgehört, es zu sein?«

»Vermutlich hält er sich für einen Gott!«

»Oder wirklich für ein Wassertier?«

»Ich halte ihn für keines von beiden, sondern für einen ganz gewöhnlichen Römer.«

»Du verstehst was!« braust Sicharbas auf. »Hörtest du ihn nicht reden? So spricht nur ein Punier punisch!«

Ein breiter, stämmiger Geselle mit verwildertem dunklen Bart tritt vor, einer der Klügsten und Findigsten unter den Fischern.

»Bei Tanit, Sicharbas hat recht, es ist ein Punier, ich schwör's, ich kenne dies Gesicht! Denn damals, als sie die Geiseln für die Römer einschifften, da stand ich auf dem Marktplatz in der vordersten Reihe, und da sah ich den da, er war mit dabei, kreuzigen sollt ihr mich, wenn's nicht wahr ist! Ich täusche mich nicht, ich entsinne mich genau, es ist derselbe, den ich damals im Zug der Geiseln sah – nur heruntergekommen ist er seither gewaltig, fast möcht' ich sagen, auf den Hund gekommen. Darum behandelt ihn mit Scheu und Achtung und faßt ihn nicht etwa rauh an, die Römer mögen ihm schon schlimm genug mitgespielt haben!«

»Ist es so, wie der Mann sagt?« fragt Dajag.

Mit einer unwillkürlichen Bewegung der Rechten streicht der Unbekannte das reiche schwarze Haar, das, inzwischen getrocknet., sich zu Locken kräuselt, aus der Stirn: »Es ist so, wie er sagt.«

»Seht ihr's, was ich für ein gutes Gedächtnis habe!« fährt der Mann fort; »und vielleicht hab' ich eine nicht minder gute Nase. Daß der Fremdling da aus einem unsrer ersten Geschlechter stammen muß, ist unschwer zu erraten, sonst wär' er nicht unter den Geiseln gewesen. Man braucht kein Seher zu sein, um es zu wissen. Ich aber weiß mehr, und ich sag' ihm auf den Kopf zu, was er erlebte. Das ringförmige Mal, hier über seinem rechten Fußknöchel – seht ihr's? – verrät es mir. Denn ein solches Mal läßt das eiserne Band zurück, mit dem die Römer Verbrecher und Sklaven an die Ruderbank schmieden. Ich wette, der arme Mensch da war endlos lang in Finsternis begraben – auch seine bleiche Farbe bezeugt es – und schmachtete im Bauch einer Pentere und mußte unfreiwillig schuften, uns die Feinde ins Land zu rudern. Ja, ich halte noch diese weitere Wette: daß er nämlich seine Freiheit unsern Brandern dankt, die die Römerschiffe in Rauch aufgehen ließen.«

»Ist es so, wie der Mann sagt?« wiederholte Dajag.

Und abermals neigt der Unbekannte zustimmend sein Haupt.

Eine Bewegung geht durch die Männer, deren sich immer mehr um Dajag und den Fremden gesammelt haben. Mit Neugierde, aber auch mit einer Art Ehrfurcht bestaunen sie ein so seltsames, ein so trauriges und doch auch wieder so wunderbar gelöstes Schicksal. Fragen und Mutmaßungen werden laut, wer der Fremde sein könne?

»Wie heißest du?« dringen sie in ihn.

Verstört wie ein aus tiefem Schlaf Geweckter blickt der Jüngling um sich.

»Wenn mich nicht alles trügt, so nannte man mich einst den Sohn des Lichts.«

»Seht ihn!« ruft einer: »Sagt' ich's nicht? Er hält sich für einen Gott!«

»Oder mindestens für einen Propheten!«

»Ich dächte eher, er ist ein Narr!«

»Ein Verrückter ist er oder ein Besessener!«

»Man muß sich hüten vor seinem Blick!«

»Man muß ihm Ehrerbietung erweisen!«

»Laßt ihn laufen, was geht er uns an?«

»Wir haben Wichtigeres zu tun, als unsre Zeit mit einem Tollen zu verderben. Meine Fische sind noch immer nicht abgewogen, ich muß fort, ich möchte zu Mittag daheim sein.«

»Ich auch! Ich auch! Walte deines Amtes, Fischmeister, und kümmere dich nicht um Dinge, die dich nichts angehn!«

Unter dem Druck des allgemeinen Begehrens machte Dajag Schluß mit dem Verhör.

»Verzeih', hoher Jüngling, daß einige von uns dich einen Augenblick lang für einen Römer hielten. Wer du auch immer seist, du hast als Geisel für uns alle gelitten. Es war uns vergönnt, dir dafür dein Leben zu retten. Gebrauch' es zur Ehre der Götter und zum Wohl der Stadt!«

Der Fremde dankt mit einer weitausgreifenden Bewegung der Hand und neigt grüßend das Haupt. Langsam schreitet er aus der Versammlung und steigt wie ein Traumwandler die Uferböschung hinan, die grüne Hochfläche von Magara zu gewinnen.

Plötzlich wirft ein Mann, der ihm nachgeeilt ist, sich an seiner Seite zu Boden und hält ihn am Mantelsaum zurück. Erstaunt steht er still und blickt in ein von tiefen Furchen durchpflügtes, uraltes, wettergebräuntes Gesicht.

»Was willst du von mir?«

»Ich bin Sicharbas, ein alter Soldat aus den Tagen des großen Hannibal. Wenn du einen Helfer, einen Diener, einen Sklaven benötigst, so erinnere dich meiner! Soll ich dir den Weg nach der Stadt weisen?«

»Ich kenne ihn genau. Nur meinen eigenen Namen vergaß ich. Vielleicht fällt er mir mit der Zeit noch ein. Oder erinnerst du dich seiner?«

»Du bist Hanno aus dem Geschlecht der Barkiden! Ich wußte es, als du vom Boot aus die Stadt erblicktest und dein Auge aufleuchtete.«

Ein angestrengter Ausdruck, halb erstaunt, halb grüblerisch, hatte sich in des Jünglings abgehärmten Zügen eingenistet.

»Hanno – meinst du? Aus dem Geschlechte der Barkiden – meinst du? Sieh, du kannst recht haben – vorausgesetzt, daß du dich nicht täuschest. Laß es uns abwarten, Freund, mit der Zeit wird es sich weisen. Übermäßig wichtig ist's nicht eben, wie mein Name lautet. Schließlich bleibt jeder er selbst, ob er so oder anders heiße. Den deinen aber will ich im Gedächtnis behalten, Sicharbas, und dich rufen, wenn ich deiner bedarf. Denn in dieser Zeit kann leicht einer des andern bedürfen, nicht wahr? Darum danke ich dir für deinen guten Willen! Von ganzem Herzen danke ich dir dafür! Lebe wohl, Sicharbas, sei mir gegrüßt! Es behüte dich der Herr des Lichts! Er sei mit dir und erhalte dir deinen Verstand! Denn es geschehen Dinge, Sicharbas, Dinge, über die man ihn leicht verlieren könnte!«

Mit segnender Bewegung hob er die Hand über den zu seinen Füßen Kauernden. Ein verlorenes Lächeln umspielte seine Lippen. Das Auge blickte stier wie in weite Ferne. Und so verabschiedete er sich, indem er das Haupt neigte und unendlich demütig, weich und liebevoll mehrere Male hintereinander wiederholte: »Ich danke dir! Von ganzem Herzen danke ich dir!«

Bekümmert blickte Sicharbas ihm nach. Er sah die hohe Gestalt in den ihm wohlbekannten braunen Mantel gehüllt – denn es war sein eigener – die Gärten der Magara entlang wandeln und sich mehr und mehr von ihm entfernen. Eine heiße Welle von Liebe überflutete sein altes Herz und verjüngte es. Er dachte an den großen Feldherrn, dem die Begeisterung seiner Jugend gehört hatte, alle Hoffnungen, alle Träume, die einst die Eingangspforte seines Jünglingsalters bekränzt, lebten wieder auf und rührten ihn an mit leise schmerzenden und doch dankbaren und innigen Gefühlen ...

Das alles, was da in ihm aufstand und drängte, wünschte er jenem hohen Jüngling, diesem armen zerstörten Geiste, der ihm doch voll des göttlichen Ahnens schien, zu Füßen legen zu dürfen.

Noch immer schaute Sicharbas ihm nach, lange – er konnte den Blick nicht von ihm wenden. Umflorten Auges und bangen Herzens sah er die Gestalt kleiner und kleiner werden. Bis sie schließlich in der Richtung gegen die Stadt seinen Blicken entschwand.

*


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