Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV.

Im leichten Arbeitskittel stand Hirom, der Schmied, an seinem Amboß. Drei junge Leute, fast nackt, halfen ihm: der erste zog am Gestänge des Blasebalgs, der zweite hob eben mittels einer Zange das Eisen aus der Glut. Der dritte, noch Knabe, schürte den Ofen, reichte zu, oder packte sonst an, wo's eben nottat.

Ein zweirädriger Karren, mit einem Esel bespannt, kam langsam das enge Schmiedegäßchen heraufgeholpert, vor dem offnen Eingang der Werkstatt haltmachend, die einer berußten Höhle glich. Sie lag halb unter der Erde in einem der großen Miethäuser, die sich hier aneinanderreihten, man mußte von der Gasse ein paar Stufen hinabsteigen, um sie zu betreten.

»Das Eisen aus Turdetanien!« rief eine Stimme ins gewölbte Gelaß herein.

Das Hämmern setzte aus.

»Hoho! Ist das Schiff aus Gades eingetroffen?«

»Es war höchste Zeit. Einen Tag später, und wir hätten unsre Ladung vielleicht ganz wo anders löschen müssen als im Hafen von Kart-Chadast.«

Den Hammer an einen felsharten, aus der Erde wachsenden Block lehnend, auf dem der Amboß befestigt war, befahl Hirom seinen jungen Leuten, beim Abladen und Hereinschaffen des Eisens behilflich zu sein. Von der Decke hing eine riesige Wage herab, mit wagenradgroßen eisernen Schalen. Hier wurden die Stäbe und Stangen, die frisch aus einer der besten iberischen Schmelzhütten kamen, gewogen und verzeichnet. Und so oft ein Stapel erledigt war, bauten ihn die Gesellen ab, indem sie das Eisen in den hintersten, kellerartigen Winkel der Werkstatt schleppten, wo es in eine tiefe modrige Erdgrube geworfen wurde. Inzwischen wuchs unter der Wage schon ein neuer Stapel heran, weil aus dem Karren von der Straße her immer wieder Nachschub kam.

Als die Sache in Gang war, merkte Hirom erst, daß er eigentlich etwas hatte fragen wollen, und trug es jetzt nach.

»Was willst du damit sagen, Schoom, daß ihr eure Ladung beinahe in einem andern Hafen hättet löschen müssen?«

Der Händler hatte die Steigung herauf tüchtig mit angetaucht. In Schweiß geraten, verschnaufte er jetzt auf einer fußschemelartigen Bank, die er sich so weit wie möglich vom Ofen abgerückt hatte.

»Ich will damit sagen, daß wir leicht unterwegs hätten steckenbleiben können. Gerade noch rechtzeitig sind wir durchgekommen.«

»Steht Windstille bevor?«

»Windstille? Im Gegenteil! Es liegt was in der Luft. Ich wittre hohen Seegang. Gefährliche Wogen seh' ich kommen. Haushohe Wogen!«

»Du weißt ja die Witterung vorherzusagen wie ein Laubfrosch. So wird der Baal der Lüfte Gewitterstürme entfesseln?«

»Das will ich meinen! Gewaltige Stürme! Über ganz Libyen ballen sich die Wolken,« sagte Schoom beziehungsreich.

»In unserm Gäßchen herrscht immer dasselbe Wetter, man sieht fast keinen Himmel. Übrigens – was muß das für ein Schiffsmeister sein, der sich vor ein paar Wolken fürchtet! Oder hattet ihr zu schwere Fracht geladen?«

»Ich meine es nur gleichnisweise ... Ein ganzes Geschwader von Schiffen war am Horizont sichtbar.«

»Der Geist Belijar malt manchmal Trugbilder in die Luft. Es macht ihm Spaß, die Wüstenwanderer und Schiffer zu necken.«

»Er muß ein gebürtiger Kartchader sein. Die malen sich auch gern Trugbilder in die Luft.«

»So meinst du, daß es ein wirkliches Geschwader war?«

»Wenn dein Amboß dort und dein Ofen und das Feuer darin keine Augentäuschungen sind, so will ich darauf schwören, daß es wirklich und wahrhaftig ein richtiges Geschwader war.«

»Und du sahst es mit eigenen Augen?«

»Jawohl! Von Bord unsres Schiffes aus! Mit diesen meinen eigenen Augen! Es war eine große Flotte, Kriegs- und Lastschiffe, eine schwere Menge! Sie hatten guten Wind und näherten sich dem Schönen Vorgebirge, vermutlich um den Hafen von Utik-Chah anzulaufen.«

Hirom horchte auf.

»Es werden doch keine römischen Penteren gewesen sein?« fragte er beunruhigt.

»Es waren viele Penteren und auch viele Trieren darunter,« sagte Schoom. »Vielleicht war es – die kartchadische Flotte?«

»Willst du dich über uns lustig machen? Wir sind wahrlich elend genug daran! ... Du glaubst also im Ernst, daß es römische Kriegsschiffe waren?«

»Was geht es mich an? Ich bin in Gades zu Haus. Meine Eltern waren iberische Punier. Mein Weib stammt aus dem römischen Hispanien. Ich kümmere mich um nichts als um meine Geschäfte. Ich weiß nur so viel, daß es Penteren und Trieren waren. Und solchen Dingern weiche ich gern aus. Mir nichts, dir nichts, schießen sie dir einen schwer verdaulichen Brocken in den Schiffsbauch. Ich danke! Eisen vermag viel, aber auf dem Wasser schwimmen ist nicht eben seine Sache. Darum sag' ich: Ein Glück, daß wir noch durchrutschten.«

Der Schmied stand mit gegrätschten Beinen in der Mitte seiner Werkstatt. Eine blinde Wut hatte sich des ungeschlachten Mannes bemächtigt. Den vom Boden aufgenommenen Hammer in der Faust, schwang er ihn unter wildem Augenrollen sinnlos durch die Luft.

»Jawohl, ein Glück! Jetzt hab' ich Vorrat! Jetzt halt' ich durch! Eschmuns Fluch, von mir aus sollen sie kommen! ...«

Er warf den Hammer hin. »Schüttet mir brav Erde darüber!« rief er in den dunkeln Winkel der Werkstatt hinein.

*

Mit Achselzucken und Kopfschütteln sah Schoom von seiner Sitzbank aus dem Treiben der Gesellen zu, wie sie die Barren in die Grube warfen.

»Nur fleißig eingraben, daß es die Diebe nicht finden!« spottete er. »Mit Gold macht man's auch so, warum nicht mit Eisen? Zwar gibt es Leute, die behaupten, Eisen roste in der Erde, aber was verstehen die? Der Schmied Hirom zu Kart-Chadast weiß es besser.«

Hirom schwieg. Er hatte sich auf den Block des Ambosses niedergelassen. Die Sticheleien des Händlers scheinbar überhörend, suchte er sein Geld zusammen.

»Meine andern Kunden lachen, wenn ich ihnen davon erzähle,« fuhr Schoom zu hecheln fort. »Sie meinen, der Hirom müsse einen Sparren zu viel haben. Darauf erwidere ich gewöhnlich, mir bleibe sich's gleich, ob einer einen Sparren zu viel oder zu wenig hätte; wenn nur alle so gute Zahler wären wie der Hirom zu Kart-Chadast, so könnt' ich's schon zufrieden sein. Nun, hab' ich etwa nicht recht? Ich kümmere mich um nichts als um mein Geschäft. Von dem Augenblick ab, wo ich die kartchadischen Roß-Palmen in meinem Beutel klimpern höre, ist das Eisen nicht mehr mein. Was geht's mich an, wenn der Käufer es verderben läßt?«

»Das geht freilich keinen Menschen etwas an. Übrigens bleibt es eine offene Frage, ob es wirklich verdirbt. Vielleicht hab' ich auch meine guten Gründe, warum ich's eingraben lasse.«

»Wird schon so sein, ich muß dir's glauben. Nur denk' ich mir manchmal: wenn es vernünftige Gründe dafür gäbe, warum würde der Hirom mir immer ausweichen, so oft ich danach frage?«

Sich von seinem Sitz erhebend, pflanzte der Schmied sich vor ihm auf und zählte ihm bedächtig die silbernen Roß-Palmen in die Hand. Das Geschäft war bereinigt.

»Heute bin ich mal in der rechten Laune,« sagte er aufgeräumt. »So will ich dir's erzählen, du könntest sonst vor Neugier noch platzen. Also höre. Der Rost frißt alles Schlechte und Schwächliche aus dem Eisen heraus, verstehst du? Was übrig bleibt, gibt erst den guten Stahl. Der kriegt dann eine Faser, verläßlicher als Korkeichenkernholz und biegsam dabei wie Weidenruten. Das ist der Grund, warum ich das Eisen eingraben lasse, eh' daß ich's verarbeite. So – nun weißt du's, und wenn du magst, kannst du's weitererzählen.«

Gespannt hatte Schoom die Worte des Schmiedes eingesogen, die ihm unerwartet ein Licht aufsteckten. Es schmeichelte ihm, daß er ins Vertrauen gezogen wurde, und, plötzlich sehr achtungsvoll geworden, sagte er in einer ungewohnten Anwandlung von guter Lebensart: »Das ist ein wertvolles Kunstgeheimnis, dünkt mich, das du mir da verrätst. Das will ich lieber doch nicht weitererzählen, die Römer könnten dir's abgucken. Ich bin nicht römisch gesinnt und nicht kartchadisch, ich bin ein Geschäftsmann aus Gades. Aber wenn mir einer was anvertraut, so weiß ich, was Verschwiegenheit ist. Auf mich kann man sich verlassen.«

»Mit dem Abgucken und Nachmachen,« meinte lachend der Schmied, »ist's nicht so gefährlich. Ich hab' schon noch ein paar andere Pfiffe auf Lager, die gehören auch dazu, und alle binde ich dir doch nicht auf die Nase. Da müßte zum Beispiel einer wissen, woher man am besten das Wasser nimmt, um das glühende Eisen zu löschen, und wie oft und wann man es löschen soll. Dann müßte er wissen, an welchem Tag und zu welcher Stunde das Wasser geschöpft sein will. Ferner, welche Worte man beim Schöpfen zu sprechen hat, was man zum Wasser noch hinzutun muß, damit es härtet, ohne spröde zu machen, und noch vieles sonst! Nicht zum wenigsten kommt es auch aufs Feuer an. Das macht mir nun schon ganz gewiß kein Römer nicht nach. Denn ich lasse mir täglich mein Feuer aus der Untergrotte des Eschmun-Tempels holen. Das ist kein gewöhnliches Feuer, verstehst du? Das ist das heilige Feuer Milkarts, das schon in Tyros brannte und von Ewigkeiten her gehütet wird. Dem wohnen ganz besondere Kräfte inne, das kannst du mir aufs Wort glauben! Ein Stahl, der in diesem Feuer geglüht ist, macht auch den Arm stählern und den Willen und den Mut!«

Mit aufgerissenen Augen und Ohren staunte Schoom ihn an. Was dieser Hirom nicht alles wußte! Und selbst wenn er noch mehr von seinen Geheimnissen verraten hätte – das nie verlöschende Feuer Milkarts aus der finstern Gruft unter dem Tempel Eschmuns, das stand an andern Orten nicht zur Verfügung. Das konnte kein Auswärtiger ihm nachmachen! In der Hinsicht mußten auch die geschicktesten Schmiede hinter Hirom zurückbleiben, das begriff sich ohne weiteres.

»Und willst du endlich noch erfahren, warum ich dir, gerade dir, dies alles erzähle?« schloß Hirom, dem angesichts der Bewunderung Schooms der Kamm immer höher schwoll. »Nicht etwa, damit du es verschweigst – da käme ich bei dir an den Unrechten, denn du bist nicht nur ebenso neugierig, sondern auch ebenso schwatzhaft wie alle Händler; sondern im Gegenteil, damit du es weitererzählst und soviel wie möglich verbreitest.«

»Auch bei den Römern?« fragte Schoom halb gekränkt und doch auch schon wieder halb versöhnt durch die erteilte Erlaubnis. Denn als Kaufmann hatte er seine Handwerksgriffe so gut wie der Schmied die seinigen; und dazu gehörte, daß er gern einen Stoff zum Plaudern mitbrachte, wenn er seine Kunden besuchte.

»Auch bei den Römern! Gerade bei den Römern! Und wenn sie dich auf der Heimfahrt abfangen, so mach' nur ja kein Geheimnis daraus, daß es einen ganz vortrefflichen Stahl bei uns gibt. Erzähl' ihnen davon, soviel du weißt, und sag' ihnen ruhig, kaum irgendwo auf der Welt, nicht einmal in Iberien, geschweige in italischen Werkstätten, würden auch nur annähernd so schmeidige und schneidige Klingen erzeugt wie in Kart-Chadast. Hirom, der Schmied, ließe die Herrn Konsuln schön grüßen, und wenn sie sich von der Güte unsrer Waffen vielleicht selbst überzeugen wollten, so möchten sie nur anrücken, wir seien jederzeit bereit, sie zu empfangen!«

*

Während Schoom sich zum Gehen anschickte, drang plötzlich wüster Lärm in die Werkstatt. Im Schmiedegäßchen hatte Gezeter und Geschrei sich erhoben. An den Luken, die dem gewölbten Raum Licht zuführten, sah man Beine vorübergeistern, das Menschengedränge verfinsterte den Eingang.

Dem Händler bangte um Esel und Karren, obgleich er zum Glück den Fuhrmann schon früher beauftragt hatte, beides nach dem Hafen zurückzubringen. In Hast sich verabschiedend, tauchte er in die Menge. Er mußte gegen den Strom schwimmen, weil er über den Marktplatz den Handelshafen erreichen wollte, wo sein Schiff ankerte, während das Volk sich in umgekehrter Richtung, vom Marktplatz aufwärts bewegte. Offenbar strebte es zur Bosra hinan, aber wer konnte aus dem Geschrei klug werden? Entfesselte Leidenschaft tobte.

Dem Hirom, der mit seinen Gehilfen feierte, weil die verdunkelte Werkstatt Arbeit unmöglich machte, ahnte nichts Gutes. Seine Hoffnung, den Schwall in Kürze verebben zu sehen, blieb unerfüllt. Nun wußte er's: um eine der alltäglichen Pöbelausschreitungen, an denen die Müßiggänger und Lungerer der Stadt sich gern vergnügten, handelte sich's hier nicht. Diesmal ging's um eine ernsthafte Sache!

Noch immer zunehmend steigerte der Lärm sich zu einer wahren Katzenmusik. Vorüberkommende Reiter wirkten unverkennbar aufreizend auf die Menge, Nachteulen im Tageslicht, von kreischenden Vogelschwärmen umspottet. Viel sah man von ihnen nicht aus dem tiefliegenden Gelaß; nur was ab und zu eine zufällige Lücke freigab. Jetzt einen halben Pferdekopf, jetzt Helm und Lanze eines begleitenden Fußsoldaten, jetzt gar ein Stück von der Gestalt eines Berittenen, ob auch nur für den Bruchteil eines Augenblicks. Was bedeutete das? Hirom meinte eine Toga wahrgenommen zu haben, eine Toga mit Purpurstreifen!

Ein Mann stürzte die Treppenstufen herunter: »Hirom! Wo ist Hirom?«

Seine Stimme krächzte, sie klang wie ausgeschrien.

»Komm mit, Hirom! Gerade du darfst nicht fehlen! Alle Gutgesinnten müssen mittun! Nur die Masse macht Eindruck!«

Jarbas war's, der leidenschaftliche Umtriebler, Wortführer der Volkspartei. Das zerwühlte Haar, die verzerrten Züge deuteten auf schlimmen Stand der vaterländischen Sache. Den Schmied nur gleich so anpackend, wollte er ihn ohne weiteres mit sich fortziehen.

»Gemach, gemach, Strudelkopf! Erst möcht' ich doch wissen, was eigentlich los ist?«

»Die Gesandten sind zurückgekehrt! Dieselben, die die Jünglinge nach Lilybaion brachten. Matho an der Spitze, der Verräter! Weißt du, wo er landete? Nicht im Kothon! In den Hafen von Utik-Chah sind die fünf Penteren eingelaufen, die der Hohe Rat ihm anvertraute! Dort ankern sie inmitten einer großen römischen Flotte. Die letzten Kriegsschiffe, die wir besaßen! Wir werden sie nie wiedersehen!«

»Soll ihn Milkarts Feuer sengen! So ist es wahr, daß die Römer in Utik-Chah sind?«

»Nur ihre Schiffe. Sie selbst stehen noch ein paar Stadien näher. Auf der angeschwemmten Landzunge, viertelwegs von Utik-Chah zu uns, haben sie ein großes Heer an Land gesetzt und ein Lager bezogen. An der Stelle, die sie Castra Cornelia nennen, derselben, von der Scipio, der Afrikaner, vor fünfzig Jahren die Stadt bedrohte. Der Wächter des Eschmun-Tempels sah letzte Nacht von der Bosra aus den Schein ihrer Feuer. Was nützt es uns jetzt, daß wir dreihundert unsrer besten jungen Leute auslieferten? Sagte ich's nicht voraus, daß die Staatskunst der libyschen Grundherren uns noch auf den Hund bringen wird? Aber nicht genug an dem, was sie schon preisgaben! Sie werden den Römern neue Zugeständnisse machen, und jetzt erst recht, wenn nicht wir sie daran hindern! Nur die einmütige Auflehnung des Volks kann uns noch retten! Nur das Aufgebot der Straße den Bruch mit einer Politik ewiger Nachgiebigkeit erzwingen!«

»Auskennen tu' ich mich noch lange nicht,« sagte Hirom, seinen Arbeitskittel gegen ein anständigeres Kleidungsstück vertauschend; »aber wenn es heißt, mit der Nachgiebigkeit Schluß zu machen, so bin ich dabei.«

Als sie auf die Gasse traten, floß der Strom der Menschen schon spärlicher. Der Kern, um den sich das größte Geschrei sammelte, bewegte sich bereits weiter vorne die gewundene Straße gegen die Bosra hinauf. Aus einem der oberen Fenster des Hauses, in welchem nicht nur die Werkstatt, sondern auch die Wohnung des Schmiedes sich befand, erscholl eine Stimme, die ihn anrief. Channa, mit der goldenen Haarkrone, sah aus dem Fenster und fragte: »Was geht eigentlich vor, da unten, Vater? Wie kommen Römer in die Stadt?«

»Waren es wirklich Römer?«

»Ich sah sie doch mit eigenen Augen! Es müssen hochgestellte Männer gewesen sein, aber Krieger waren es nicht.«

Er wußte nichts zu antworten, aber ein starker Trupp Hafenleute, die eben zu ihm und Jarbas stoßend haltmachten, überhoben ihn dessen.

Ein Fischer, der Dajag hieß – Channa kannte ihn – rief hinauf: »Der Matho brachte sich gleich ein paar Freunde mit.«

»Römische Unterhändler sollen es sein,« gab ein mit Teer beschmierter Kerl Auskunft.

»Glaubst du noch an Verhandeln, Sadraf?« fragte einer seiner Genossen.

»Mumpitz! Wozu sollten sie? Jetzt können sie fordern!«

»Was meinst du, daß sie fordern?«

»Abermals zweihundert Talente jährlich, weitere fünfzig Jahre lang! Vielleicht auch das Doppelte für verdoppelte Zeit.«

»Bagatelle!« scherzte Dajag. »Fällt ihnen nicht ein! Ich will dir verraten, Channa, was die Römer auf der Bosra zu suchen haben. Sie helfen dem Hohen Rat, einen neuen Schofeten wählen. Marcus Porcius Cato, ließ ich mir sagen, sei dazu ausersehen.«

Gelb vor Wut ballte Jarbas die Faust in der Luft: »Wehrlos! Wehrlos! Und darum rechtlos! Hasdrubal! Sturmwidder! Hilf uns!«

Ein Hafenarbeiter vom Wuchs eines Riesen, von der ganzen Stadt – nach einer uralten philistäischen Sagengestalt – mit dem Spitznamen Goliath benannt, reckte spaßhaft schmachtend die Arme zu Channa hinauf: »Laß mich in deine Kammer ein, schönes Mädchen! Gutem Vernehmen nach lautet die neue Forderung der Römer auf Auslieferung aller reinen Jungfrauen von Kart-Chadast. Ich will gern dafür sorgen, daß du nicht ausgeliefert wirst!«

Ins brüllende Gelächter schrie ein Matrose: »Innerhalb dreier Tage mach' ich mich anheischig, sämtliche Jungfrauen von Kart-Chadast gegen die Auslieferung zu versichern!«

Die unflätige Prahlerei forderte den Ehrgeiz des Hafens heraus. Die Zoten überboten sich. Das Schmiedegäßchen widerhallte vom Ton der Matrosenkneipen. Mehr noch das Verschwinden Channas vom Fenster als die scharfe Mahnung des Jarbas, lieber an die Not des Vaterlandes zu denken, setzte dem edlen Wettstreit endlich ein Ziel. Man war doch ausgezogen, um auf der Bosra Radau zu schlagen! Die Pflicht duldete keinen Aufschub.

Einer stimmte das Lied an: »Einhorn, Einhorn, stoße zu!« und brüllend zogen sie weiter.

*

Etwas unbehaglich in solcher Verbrüderung, hielt Hirom sich an Jarbas und war froh, als er eine Gruppe Handwerksbürger einholte, in der sich unter anderen Bekannten auch der lange hagere Seiler Elym und der Gerber Juba befanden. Da jener sein Geschäft am Marktplatz, wo die Nachrichtenquelle reichlicher floß als im Schmiedegäßchen, dieser das seinige in Magara betrieb, so zeigten sich beide verhältnismäßig gut unterrichtet.

Besonders Juba. Er hatte die Römer, deren Erscheinen in der Stadt so viel Aufregung verursachte, als einer der ersten zu Gesicht bekommen, als sie eben zum äußern Stadttor einritten und noch kein Menschenschwarm sie umringte. Denn die Straße von Utik-Chah führte durch den mächtigen dreifachen Mauerkranz und die nur locker besiedelte Vorstadt Magara, ehe sie die belanglos gewordene ältere Umwallung der Innenstadt erreichte. Überdies lag knapp am Äußeren Tor unter uralten Terebinthen eine Schenke, wo die kleine Schar nach dem Ritt durch die Landschaft sich erfrischt und Juba durch Zufall sogar Gelegenheit gefunden hatte, mit einem der Pferdeknechte, die sie begleiteten, ein paar Worte zu wechseln.

Davon erzählte er jetzt dem Schmied auf dessen Fragen, indem er hinzufügte: »Unter jenen hohen Bäumen, wo sie warteten, bis der Befehlshaber des Tores ihnen das erbetene Schutzgeleit stellte, sah ich sie denn auch beisammen, Matho, den Führer der Gesandtschaft nach Lilybaion, und die beiden vornehmen Römer. Niemand hätte ihn als Kartchader erkannt, so dick war die Freundschaft. Er kam mit ihnen aus Castra Cornelia herüber und soll sich freiwillig erboten haben, sie vor den Hohen Rat zu geleiten und ihnen ihre Forderungen durchsetzen zu helfen.«

»Auf dem Markt wurde behauptet,« sagte Elym, »Matho hätte Vollmacht gehabt, in Lilybaion nicht nur neuerdings die Unterwerfung auszusprechen, sondern auch die Erfüllung jedes weiteren Wunsches der Römer von vornherein zuzusagen. Was werden sie wünschen?«

»Kein Mensch kann es wissen. Aber wohl oder übel werden wir ja sagen müssen. Für eine Vereinigung mit Numidien ist es zu spät. Wenn der Hohe Rat Einsicht hat, so fügt er sich und verlangt dafür günstige Handelsverträge.«

»Das ist meine Meinung nicht,« stellte Elym fest. »Als friedlich Unterworfene würden wir nur völkisch verwässert und aufgesogen. Wir müssen uns im Gegenteil abschließen und wieder reine Kartchader werden!«

»Was nützt es mich, Kartchader zu sein, wenn ich meine Ware nicht an den Mann bringe? Die Römer führen Krieg auf der ganzen Welt. Können wir schon selbst keinen mit ihnen führen, so sollen sie uns wenigstens Bestellungen auf Lederzeug zuwenden .... Und auf andern Bedarf,« fügte er sich besinnend hinzu, »selbstverständlich auch! Wie etwa auf Schiffstaue, Eisen- und Stahlzeug und sonstiges mehr.«

Der hagere Seiler blieb stehen und sah von oben auf ihn hinunter. Dann setzte er schweigend seinen Weg fort.

Hirom aber sagte, langsam die steile Straße hinansteigend: »Es gibt ein Herdfeuer, an dem man sich sein Hammelfleisch kocht. Und es gibt ein heiliges Feuer, das Feuer Milkarts, oben auf der Bosra. Manche behaupten, beide seien im Grunde ein und dasselbe, nämlich Feuer. Meinetwegen! Um so mehr aber unterscheiden sich voneinander die Menschen. Für die einen ist das Feuer da oben ein so gemeines Feuer wie das unten. Für die andern wieder das unten so heilig wie das Feuer Milkarts auf der Höhe der Bosra.«

Elym meckerte vergnügt vor sich hin und rieb sich die Hände. Juba aber sagte: »Soll sich einer auskennen! Was der für verworrenes Zeug schwatzt!«

»Und wer weiß, wer die beiden Römer sind?« fragte Hirom, auf einen andern Gegenstand überspringend.

»Den einen vergaß ich, der andre, ließ ich mir sagen, und zwar der, auf den's ankommt, der sei ein Scipione aus dem altberühmten Cornelischen Geschlecht, Cornelius Scipio Nasica, wenn ich mich recht erinnere.«

»Das wäre dann wohl derselbe,« sagte Elym auflebend, »der im Senat regelmäßig dem Cato widersprach, so oft dieser die Zerstörung unsrer Stadt beantragte?«

»Ganz recht! So wurde behauptet. Es ist derselbe.«

Da brach für Hirom gleichsam die Sonne aus Wolken. Ein Strahl der Hoffnung! Vielleicht gab's doch noch Männer auf der Welt, die Recht über Gewalt setzten?

Der Friede des Abends verführte zum Glauben. Der Hügelvorsprung, in halber Höhe etwa unter dem Eschmuntempel, gewährte herrlichen Ausblick. Das Licht des Tages stand im Rücken. Goldig durchglüht breitete sich in weiter Runde die Schönheit der Heimat, von den felsigen Kuppen des Zweihorn-Berges jenseits der blauen Bucht, bis hinüber zu den Klippen, die dem Hügelgelände des Mekerta-Stromes entragten, und zum Vorgebirge von Kart-Chadast, an dessen steilem Abfall gegen das Meer mächtige Wogen mit weißen Mähnen hinanbrandeten. Und dazwischen das vielfach abgestufte liebliche Grün der Fruchtbarkeit und des Fleißes...

Unweit von diesem Punkte lag, seitlich und oberhalb des prunk- und prachtvollen Heiligtums der Tanit, der Regierungspalast. Auf dem weiten, freien, gepflasterten Plan davor, Platz der Dido genannt, harrte Kopf an Kopf eine dichtgedrängte Menschenmenge den Entscheidungen entgegen, die hinter seinen Mauern fallen sollten. Geschrei, Gejohle und [gellende] Pfiffe stiegen von Zeit zu Zeit aus der gärenden Masse auf.

Wer hätte sich in diesen Stunden den Freuden des Schauens, den Reizen landschaftlicher Schönheit hingeben können? Das Bangen, die Ungeduld, die ohnmächtige Wut des Volkes zogen jedes vaterländisch fühlende Herz in den Bann der Unruhe und allgemeinen Spannung.

Und auch Hirom und Elim tauchten unter in der gewitterschwülen Stimmung der Leidenschaften, die irgendwie nach Entladung drängten.

*

Im Schofeten-Zimmer des Regierungspalastes hatte inzwischen Mago, der Bruttier, umgeben von den Ältesten des Rates, die von Matho eingeführten römischen Gesandten, Publius Cornelius Scipio Nasica und seinen Begleiter Gnaeus Cornelius Hispanus, feierlich empfangen und begrüßt.

Der alte Mann, der das Latinische wie die eigene Muttersprache beherrschte, hielt sich nur mit Hilfe eines Sklaven aufrecht, der ihn stützte. Seine Worte aber waren männlich, würdevoll und bestimmt. Nach Prüfung der Beglaubigungsschreiben durch die anwesenden Beamten und Austausch der üblichen Höflichkeiten ersuchte er die Römer, bis zu weiterer Verständigung von seiner Seite in den ihnen angewiesenen Gemächern zu verweilen und ihrer Bequemlichkeit zu pflegen. Den Verwalter des Hauses mit der Obsorge für ihr Wohl betrauend und den Befehlshaber der Ehrenwache für ihre Sicherheit haftbar machend, beurlaubte er sich hierauf von den Gästen, um sich mit den übrigen Würdenträgern in die rasch zusammenberufene und seiner bereits harrende Versammlung des Hohen Rates zu begeben.

Ein dumpfes Gemurmel empfing ihn, als er, von Alter und Sorgen gebeugt, den geräumigen, mit kostbarstem Zedernholz der Atlasgebirge getäfelten Sitzungssaal betrat, an dessen Pracht sich zu erfreuen sein fast erloschenes Augenlicht, nicht zum wenigsten auch der atembeklemmende Ernst der Stunde ihn hinderte. Noch ehe er, von Mänon, einem Beamten der Staatskanzlei, geführt, den Hochsitz auf der Empore erreichte, erhob sich auf der Seite der Regierungsgegner ungestümes Lärmen und Trampeln.

Die Sitzgestelle, aus Holz und Eisen gefügt, wurden polternd hin und her bewegt, und Bomilkar, der Sohn irgendeines Gisgon, zur Zeit der Volkspartei römisch, nach erfolgter Verbannung der numidischen Parteigänger numidisch, derzeit barkidisch gesinnt, machte seiner Entrüstung Luft, indem er ununterbrochen Schmährufe gegen Mago, die Römlinge und die Römer selbst in den Saal schleuderte. Gesinnungsgenossen arbeiteten ihm dabei leidenschaftlich in die Hände, während Maharbal, derzeit der klarste Kopf der Volkspartei, kühl, blaß, fast nur aus hautüberzogenen Knochen bestehend, inmitten seiner Getreuen aufgepflanzt, dem Treiben mehr zusah als daran teilnahm. Nur hie und da steuerte er ein scharf geschliffenes höhnendes Wort mit bei, sich im übrigen damit begnügend, der Mitte und Gegenseite des Hauses durch verächtliches Ansturen seine Geringschätzung auszudrücken.

Aber niemand ließ es sich einfallen, weder seine noch Bomilkars oder seiner übrigen Genossen Herausforderung anzunehmen. Sowohl die römische Partei wie der numidische Flügel verharrten in Schweigen. Die Landung eines wohlausgerüsteten römischen Heeres von nahe an hunderttausend Mann knapp vor den Toren der Stadt hatte auf beide gleich niederschmetternd gewirkt. Aber noch klammerten viele sich an verschleierte Hoffnungen. Die Entsendung eines als friedliebend, gerecht und versöhnlich geltenden Mannes wie Scipio Nasica schien immerhin etwas wie eine Verheißung in sich zu bergen. Ein jeder brannte danach zu erfahren, worin dieses Legaten Auftrag bestände. Und jeder, überzeugt, daß das Strohfeuer der Gegner am raschesten verflackern würde, wenn man es sich selbst überließ, hütete sich, ihm durch irgendein unbedachtes Wort oder auch nur eine aufreizende Miene neue Nahrung zuzuführen.

Als nun Matho, der Verantwortliche für die Geiselverbringung nach Sizilien, der Aufforderung des Bruttiers folgend, den erwarteten Bericht, unbekümmert um das anhaltende Geschrei, wirklich zu erstatten begann, sänftigten sich denn auch bald die hochgehenden Wogen. Nach Tatsachen lechzten ja die Lärmschlager nicht minder ungeduldig wie die andern. Des unfruchtbaren Geschreis selbst müde, stellten sie es ein, nachdem sie ihrer grundsätzlichen Ablehnung aller Einsichten oder Vorschläge, die etwa von den Gegnern ausgehen würden, genügend Ausdruck gegeben zu haben glaubten. Alles begab sich auf seine Plätze. Man lauschte.

*

Nicht ohne anfängliche Beklemmung trat der sonst so gewandte und selbstsichere Matho an die schwierige Aufgabe heran, der Versammlung das bittere Kraut mundgerecht zu machen, das er ihr vorzusetzen sich bemüßigt sah. Erst nach und nach sprach er sich frei und gewann jene gewohnte Herrschaft über sich und die Hörer zurück, die ihn zum erfolgreichen Redner machte.

Er erzählte von seiner Fahrt nach Sizilien, von der Übergabe der dreihundert Jünglinge in den Gewahrsam der römischen Konsuln. Er berichtete, wie diese die Erfüllung der gestellten Forderung zwar lobend anerkannt, im übrigen aber sich äußerst zurückhaltend gezeigt, ja in Dunkel gehüllt hätten. Und er gestand ein, daß nichts anderes aus ihnen herauszulocken gewesen sei als die Erklärung, was noch weiter zur Beendigung des Krieges erforderlich wäre, würden die Kartchader in Utik-Chah erfahren.

»Zur Beendigung des Krieges, sagten sie?« rief Himilko Phameas von der numidischen Seite her dazwischen.

»Führen wir denn Krieg?« fragte Blanno Tigillas.

Und Maharbal antwortete ätzend: »Nicht wir gegen Rom, aber Rom gegen uns.«

»Zum Kriegführen gehören ihrer zwei!« beharrte Tigillas, ein ernster, besonnener, selbstsicherer Mann mit einem nur erst leicht bereiften Bart von seltener Mächtigkeit, der aus vollster Überzeugung die Deditio befürwortet hatte.

»Bequemer ist's immer, wenn nur einer ihn führt,« spottete Bomilkar. »Aber bequemer nur für den einen, nicht für den andern!«

»Seid besonnen, Freunde! Laßt den kartchadischen Geschäftsträger den Bericht über seine Sendung fortsetzen!« mahnte Mago, der Bruttier, die toten Augen ins Leere gerichtet.

Sein fast kahler Kopf mit dem schütteren weißen Ziegenbart drohte beständig vornüber aufs Pult zu sinken. Nur der Wille hielt diesen gebrochenen Mann aufrecht. Aber es war ein strenger Wille, noch in den Schlachten Hannibals gestählt und von der Liebe zu seinem Volk befeuert. So saß dieser Mago, eine wandelnde Leiche, aus der der Geist, Milde mit Kraft paarend, plötzlich überraschend hervorbrechen konnte, auf der Empore, erhob wie beschwörend die Hand gegen die Zwischenrufer und sagte eindringlich: »Das Vaterland ist in Gefahr!«

Maharbal rief: »Laßt den Matho von der Freundschaft Roms erzählen, die er uns so oft in Aussicht stellte!«

»Statt ohne greifbares Ergebnis aus Lilybaion heimzukehren,« fuhr Matho fort, »hielt ich es zu Nutz und Frommen der Stadt für geraten, –«

»... die Penteren den Römern auszuliefern!« riefen Stimmen aus der Volkspartei.

»... mich mit den mir anvertrauten Penteren der römischen Flotte anzuschließen und zugleich mit dieser in See zu stechen. Ich gab mich der Hoffnung hin, daß das Wehen der kartchadischen Flagge inmitten der römischen, daß mein unbefangener Verkehr mit angesehenen Römern an Bord des Admiralschiffes, daß endlich die Zuversicht und das Zutrauen auf eine friedliche Lösung, die ich durch Ankern meiner Schiffe im Hafen von Utik-Chah an den Tag legte, die Konsuln mehr als Worte von der Freundschaft und dem guten Willen überzeugen würden, die das punische Volk gegen Rom hegt. Und ich täuschte mich hierin nicht...«

Ein brüllendes Gelächter, absichtlich übertrieben und in die Länge gezogen, antwortete ihm von der linken Seite.

»Und ich täuschte mich hierin nicht,« fuhr er fort. »Denn kaum in Castra Cornelia an Land gegangen, sah ich mich ins Zelt des Lucius Marcius Censorinus berufen, jenes Konsuls, der, obzwar der jüngere von beiden und Befehlshaber zur See, nicht des Landheeres, wegen seiner größeren Beredsamkeit und staatsmännischen Fähigkeiten doch für den eigentlichen Vertreter des Senats gilt. Er gab dem Wunsche eines friedlichen Einvernehmens in anscheinend aufrichtig gemeinten Worten Ausdruck...«

»Anscheinend ist gut gesagt,« warf Hasdrubal, der Numider, dazwischen.

Und Himilko Phameas bemerkte: »Friedliches Einvernehmen heißt auf römisch gesprochen: eiserne Spangen um die Handgelenke!«

»Wartet nur, es kommt schon noch!« rief einer von den Barkidischen.

»Die beiden Konsuln,« sagte Matho, »können nicht alles aus eigenem entscheiden. Im Wesentlichsten sind sie an ein die Weisungen des Senats enthaltendes Schreiben gebunden, das zu entsiegeln ihnen erst das Betreten afrikanischen Bodens gestattete.«

»Mithin war es zwecklos, daß du dich bei ihnen lieb Kind machtest,« höhnte Bomilkar.

»Es bleibt die Art der Ausführung, es bleiben noch genügend Einzelheiten ihrem Ermessen überlassen... Lucius Marcius Censorinus eröffnete mir also, daß noch ein Punkt zu erfüllen sei, ehe er eine Abordnung des Hohen Rates empfangen und ihr die endgültige Entscheidung des Senats mitteilen könne. Diesen einen Punkt noch zuzugestehen, halte ich für ratsam, ja, unerläßlich. Ihn dem Volk gegenüber zu vertreten, wird nicht ganz leicht sein. In diesem Saale aber, dessen bin ich gewiß, entscheiden Einsicht und Klugheit, nicht die Urtriebe der Straße. Ich bitte den Hohen Rat zu bedenken, daß wir keinen Krieg führen wollen noch können, sondern ein Verhältnis der Bundesgenossenschaft mit Rom anstreben ...«

Schon bei Erwähnung einer zu erfüllenden neuen Bedingung war lautlose Stille im Saale eingetreten. Nun, da Matho innehielt und Farbe zu bekennen offenbar zögerte, bemächtigte sich ungeheure Erregung des Hauses. Die Mitte, von der Rom-Partei eingenommen, verharrte in bangem Schweigen, förmlich zitternd vor Eröffnungen, die ihrer Schönseherei ein Ende bereiten, ihre Weissagungen als sinnlos erweisen, ihre politische Stellung für immer erschüttern konnten. Die beiden Flügel aber, der völkische und der numidische, forderten vor Ungeduld fiebernd Aufklärung. Sie sprangen von ihren Sitzen und umringten die Rednerbühne, Matho mit Fragen bestürmend, einzelne sogar ihn mit geballter Faust bedrohend, wenn er sie noch länger auf die Folter spanne.

»Welches ist die Forderung? Sprich aus, worum es sich handelt! Nenn' uns den Punkt, den er meint! Was verlangt er? Wie lautet die Bedingung? Was wollen sie noch von uns? Den Punkt! Den Punkt!«

»Den Punkt! Den Punkt! Den Punkt!« brüllten ihrer dreißig oder vierzig von den Allerschärfsten einstimmig und ununterbrochen mit voller Kraft ihrer Kehlen.

Kein Teilnehmer der Versammlung wäre nachträglich festzustellen imstande gewesen, wie lange das Getümmel andauerte, so sehr hatte hitzige Selbstvergessenheit alle Maße des Gewohnten erschüttert. Und die Leidenschaft arbeitete wie immer so auch hier an der Zerstörung ihrer eigenen Ziele. Denn indem sie den Redner, der, ein Fels in der Brandung, seine Fassung keinen Augenblick verlor, durch Geschrei zum Weiterreden zwingen wollten, hinderten sie ihn gerade hierdurch, ohne es selbst zu merken, geraume Zeit daran, in seiner Rede fortzufahren.

Niemandem aber war eine solche Verzögerung willkommener als gerade ihm.

*

Matho, der nicht nur an äußerer Erscheinung und Tracht einem Römer glich, sondern auch römische Bildung genossen und in Rom gelebt hatte, beherrschte die römischen Volksrednern abgelernte Kunst, auf den Seelen der Zuhörer wie auf einem Saiteninstrument zu spielen.

Dem nicht ohne bewußte Berechnung hervorgerufenen Wirbel des Zweifels, der Ungewißheit, des Schwankens zwischen Furcht und Hoffnung mußte eine gewisse Entspannung der Gemüter folgen. Und erst der allmählich eingetretenen Bereitwilligkeit, sich aufs Schlimmste gefaßt zu machen, wagte er die volle Wahrheit zuzumuten.

»Ich betone nochmals,« sagte er nach endlich wiederhergestellter Ruhe, »daß der Senat ein dauerndes Freundschaftsbündnis zwischen dem römischen und punischen Volk in Aussicht nimmt. Unter dieser Voraussetzung wird der im ersten Augenblick vielleicht Mißtrauen erweckende Gedankengang des Konsuls verständlicher. Er fragte mich: Wenn es euch Ernst ist mit dem Frieden, was habt ihr dann noch Waffen nötig? Und als ich erwiderte: Um ein würdiger Bundesgenosse Roms zu sein, da antwortete er: Ihr seid ein Handelsvolk. Wozu das Geld, das ihr in Geschäften nutzbar machen könnt, auf Rüstungen verschwenden? Überlaßt es getrost unsern Legionen, euch gegen äußere Feinde zu verteidigen. Hierauf wußte ich nicht mehr viel zu entgegnen und fragte nur, ob dies der Punkt sei, den wir noch zu erfüllen hätten? Dies ist der Punkt, um den es sich noch handelt, antwortete er; wollt ihr, daß wir eure Friedensliebe für ehrlich halten – wohlan, so übergebt uns eure Waffen, Rüstungen, Geschosse und Wurfmaschinen, sei es daß sie Staatsgut oder Eigentum des einzelnen sind... Ich erklärte mich bereit, die Wünsche Roms im Hohen Rate zu vertreten. Hier stehe ich.«

Ein eisiges Schweigen lag über der Versammlung. Jeder fühlte sich betäubt, wie auf den Kopf geschlagen. Ein jeder wälzte in seinen Gedanken nur die eigene Ratlosigkeit. Sogar die leidenschaftlichsten Parteigänger begriffen in diesem Augenblick die Zwecklosigkeit jenes gegenseitigen Vorwerfens und Beschuldigens, mit dem man sonst, aufgetauchte Schwierigkeiten noch steigernd, seine Verlegenheit zu bemänteln liebte.

In die eingetretene Stille hallte vom Dido-Platz das Geschrei und Gejohle des versammelten Volkes herauf, das, von Hetzern angekohlt, die Geduld verlor und Miene machte, den Regierungspalast zu stürmen.

»Das Volk soll entscheiden!« rief Maharbal.

»Das Volk soll entscheiden! Das Volk soll entscheiden!« brüllten Bomilkar und seine Parteigänger. »Öffnen wir dem Volk die Tore! Die Bürger von Kart-Chadast haben das Wort! Bei ihnen liegt die Entscheidung!«

Und Maharbal überschrie sie alle: »Ich beantrage Volksabstimmung!«

Er sowohl wie seine Genossen hatten nur mehr den einzigen Gedanken, die Verantwortung von sich abzulenken. Der Waffenablieferung zuzustimmen, scheuten sie sich begreiflicherweise. Nicht minder aber schreckten sie davor zurück, die Folgen einer Absage an Rom auf ihre Schultern zu nehmen. Ein konsularisches Heer von rund hunderttausend Mann in Castra Cornelia machte sogar einen Bomilkar stutzig.

Einige sprangen empor und eilten gegen die Treppenhalle, die Tore zu öffnen. Da riß der Bruttier sich auf und donnerte ein gebieterisches »Halt!« in den Saal. Die bannende Kraft, die plötzlich von ihm ausging und sein hinfälliges Aussehen Lügen strafte, hatte etwas so Geisterhaftes und Übermenschliches, daß unwillkürlich alles verstummend stillestand und den Atem anhielt.

Und nun erklärte er mit einer Klarheit und Festigkeit, die noch vor wenigen Augenblicken niemand ihm zugetraut hätte, eine Volksabstimmung werde er unter keinen Umständen zugeben, geschweige einleiten lassen. Die Verfassung sehe eine solche nur im Falle einer Nichtübereinstimmung zwischen Rat und Schofeten vor. In der in Verhandlung stehenden Frage jedoch hoffe er Einmütigkeit zu erzielen.

»Der Hohe Rat hätte beschließen können!,« fuhr er fort, »den Krieg mit Masinissa zu unterlassen. Dies ist nicht geschehen. Er hätte nach verlorenem Kriege beschließen können, den Römern zu trotzen, mit Anspannung äußerster Kraft ein neues Heer und Flotte zu rüsten und die Stellung der Geiseln nach Lilybaion zu verweigern. Auch dies ist nicht geschehen. Waren es Fehler, so binden sie doch. Jeder Entschluß ist der Nachfahr früherer Entschlüsse. Heute, angesichts des vor unsern Toren lagernden Heeres, können wir nur beschließen, was wir müssen, nicht was wir möchten. Den eingeschlagenen Weg der Versöhnlichkeit weiter zu verfolgen, ist Gebot der Klugheit, weil es Notwendigkeit ist. Ich glaube nach wie vor, daß dieser Weg zum Ziele führen wird. Die Feindschaft mit Rom übersteigt unsre Kräfte. Aller Mittel entblößt, müssen wir uns damit begnügen, seine Freundschaft zu erkaufen. Wir erstehen sie um einen wohlfeilen Preis, indem wir die in unsern Zeughäusern rostenden Waffen dafür geben, deren Gebrauch uns ohnedies untersagt ist.«

Seine Worte stärkten der Regierungspartei das Herz. Sie fingen an wieder daran zu glauben, daß die Hintansetzung ihrer völkischen Gefühle zugunsten eines guten Einvernehmens mit Rom doch nicht barer Wahnsinn gewesen sei. Paam-Eljon, der Hohepriester, gab seiner Zuversicht auf eine künftige Gemeinschaft aller Menschen Ausdruck, die insgesamt Kinder derselben Sonne und Erde seien. Die Welt, unter Roms gerechter Führung geeint, schien ihm die Blüte der Gesittung zu versprechen. Dann dienten Waffen höchstens noch der Abwehr zerstörungslüsterner Barbarei. Und aus Schwertern werde man Hämmer und Sicheln schmieden.

»Es ragt auf der Höhe der Bosra,« sagte er, »ins leuchtende Blau Eschmuns strahlender Tempel, Sinnbild ewigen Lichts und befruchtender Wärme, die den Himmel erfüllen, die Erde grünen und blühen, die Herzen der Menschen schlagen machen. Was bedeuten alle Mißhelligkeiten, Ängste, Sorgen, Kämpfe und Streite – verglichen mit ihrer segnenden Macht, die Siegerin bleiben wird in jenem höheren Sinne, den keine irdische Palme je erreicht! Laßt uns glauben an diesen Sieg und unsre Herzen der Liebe öffnen! Kein Haß mehr, keine Feindseligkeit, keine Gegenwehr! Wir vertrauen dem gegebenen Worte Roms, weil wir der Zukunft der Menschheit vertrauen. Nicht den Konsuln liefern wir die Kampf- und Kriegsgeräte in die Hände, nein, den Göttern, unter deren Führung wir stehen wie alle gesitteten Völker. Faßt Mut, Freunde, und sprecht, vorbildlich für alle Welt, hoffnungsfreudig im Namen des punischen Volks: Hier sind unsre Waffen, nehmt sie hin!«

Hierauf erbat sich Hasdrubal, der Sohn Chimalkarts, das Wort und sagte: »Ich sprach jüngst einen Numider von hoher Herkunft...«

Bomilkar unterbrach ihn, indem er schrie: »Gibst du selbst zu, daß du zettelst?«

»Ich sprach jüngst einen Numider...«

Die Barkidischen fuhren fort zu lärmen. Sie bezichtigten ihn geheimer Umtriebe, schalten ihn Hochverräter, verlangten eine Untersuchung.

Maharbal, den der Zeitpunkt übel gewählt dünkte, gebot mit kühlem Hohn Einhalt: »Stört ihn nicht, ich bin gespannt, was für weltbewegende Gedanken sein Numider ihm auf die Nase gebunden haben wird!«

»Ich sprach jüngst einen Numider von hoher Herkunft,« begann Hasdrubal neuerdings, »der behauptete, wir seien Unwirklichkeitsmenschen. Ein politisch vernageltes Volk, das nichts anderes verdiene als vom Erdboden zu verschwinden. An dieses Wort mußte ich denken, als ich den Ausführungen des hochehrwürdigen Baals Paam-Eljon lauschte. Es liegt mir ferne, halb noch Jüngling, der hohen Weisheit des Alters, die sich in ihm verkörpert, entgegenzutreten. Ich spreche nur als Angehöriger der Wehrmacht. Und als solcher frage ich den erhabenen Hohenpriester: Wie denkt er sich nach Auslieferung aller Waffen unsere nähere Zukunft, wenn die fernere, von der er sprach, am Ende noch eine Zeitlang auf sich warten ließe? Sollen wir äußeren – und vielleicht auch inneren – Feinden schutzlos preisgegeben sein?«

»Mein Vertrauen ruht auf der Überzeugung,« antwortete Paam-Eljon, »daß es keine Feinde mehr geben wird. Es ruht auf der Heiligkeit der Verträge und auf der Frömmigkeit der Römer, die sich immer ihrer Mäßigung im Glück und ihrer Gottesfurcht rühmten.«

Nun erhob sich nach flüsternder Rücksprache mit seinen Gesinnungsgenossen Maharbal und sagte kurz und trocken: »Unsere Partei hat gegen die Verurteilung Hasdrubals, des Widders, gekämpft. Vergeblich. Sie hat die Deditio nicht gebilligt und dem Antrag auf Stellung der Geiseln widersprochen. Ebenso vergeblich, beides. Wir tragen keine Schuld an der gegenwärtigen Lage, die wahrhaft verzweifelt ist. Wir müssen die Mittel und Wege, aus ihr herauszufinden, den Regierenden überlassen. Die barkidische Partei wird sich deshalb vor Einleitung der Abstimmung aus dem Saale entfernen.«

»Dieselbe Erklärung,« sagte Himilko Phameas, auf der andern Seite des Hauses sich erhebend, »habe ich namens der numidischen Partei abzugeben. Ich füge nur hinzu, daß wir Wert darauf legen würden, vorher noch den römischen Legaten selbst seine Meinung äußern zu hören und gegebenenfalls um Aufhellung dieses oder jenes Zweifels ersuchen zu können.«

Ein solcher Wunsch wurde allgemein für billig erachtet und beschlossen, ihm zu entsprechen. Jeder war aufs äußerste gespannt, den Römer zu Gesicht zu bekommen und zu erfahren, was er vorzubringen hätte.

*

Mago, der Bruttier, hatte Befehl gegeben, den Führer der Gesandschaft in den Saal zu bitten.

Als dieser bald danach eintrat, stellte er ihn der Versammlung vor, in kurzen Worten der ruhmreichen Vergangenheit der Scipionen, des Cornelischen Geschlechts und des Stammes Nasica gedenkend. Mit verschlossener Miene, von Kopf zu Füßen in die übergeschlagene purpurverbrämte Toga gehüllt, stand der Römer, ein wohlbeleibtes Rätsel, am Fuß der Empore und neigte fast unmerklich das Haupt zum Gruß. Himilko Phameas nahm das Wort.

»Es ist bekannt,« sagte er, »und kann auch für die Römer keinem Zweifel unterliegen, daß der unglückliche Krieg gegen Numidien, der den Anlaß oder Vorwand für die gegen uns eingeleiteten Feindseligkeiten bildet, nicht vom gesamten punischen Volk gebilligt, sondern vom damaligen Schofeten Hasdrubal, den man den Sturmbock nennt, gegen den Willen vieler durchgesetzt und auch von ihm als Boëtharchen bis zur völligen Niederlage geführt wurde. Dieser Mann, zum Zeichen einer unzweideutigen Absage an die Kriegspolitik geächtet und zum Tode verurteilt, steht mit mehr als zwanzigtausend Mann gesammelter Freischaren nicht weit von der Stadt im mittägigen Libyen. Wenn nun der Senat, wie die Botschaft Mathos es kundtut, unsre völlige Entwaffnung fordert, so erhebt sich die Frage: Wie sollen wir uns gegen eine von dieser Seite drohende Gefahr verteidigen? Oder nehmen die Konsuln an, daß wir in der Lage wären, Verträge abzuschließen und Zusagen zu machen auch im Namen eines von uns zum Tode verurteilten Empörers, dem wir nach Erfüllung der römischen Forderungen wehrlos preisgegeben wären?«

»Auf diese Frage,« versetzte Scipio Nasica, »bin ich ermächtigt Antwort zu geben, und sie lautet kurz und bündig: Hasdrubal, den Widder, zu entwaffnen, wird Sache des konsularischen Heeres sein. Ich füge hinzu, daß damit mein Auftrag erschöpft ist. Im übrigen besteht meine Sendung lediglich darin, die Rüstkammern von Kart-Chadast zu überprüfen und die Waffen in Empfang zu nehmen, falls die Entscheidung des Hohen Rates in diesem Sinne fällt. Sollte aber das Gegenteil der Fall sein, so wäre mein Amt in diesem Augenblicke erloschen.«

Damit ließ er das über die Schulter geschlagene Ende der Toga herabgleiten, grüßte mit weitausgreifender Bewegung der Hand die Versammlung und verließ würdigen Schrittes den Saal.

Minutenlanges bedrücktes Schweigen blieb zurück. Immer ungestümer, immer drohender scholl vom Platz herauf das Geschrei des Volkes.

Endlich sagte Mago, der Bruttier: »Wir schreiten zur Abstimmung.«

Da erhoben sich Maharbal, Bomilkar und die Ihrigen und folgten dem Beispiel des römischen Legaten, indem sie sich stumm entfernten, und gleichzeitig verließen auf der andern Seite Himilko Phameas, Hasdrubal, der Numider, und die übrigen Anhänger der numidischen Partei den Saal. Nur die Regierungspartei war zurückgeblieben.

»Der Antrag des hochehrwürdigen Baals Paam-Eljon auf Übergabe sämtlicher Waffen an die Römer ist einstimmig angenommen,« verkündete der Bruttier.

Und sich an den obersten Staatsschreiber wendend, befahl er: »Der diensthabende Hipparch ist beauftragt, den Platz der Dido sofort räumen zu lassen. Jede Ruhestörung in der Stadt wird unnachsichtlich mit Waffengewalt unterdrückt!«

Damit erklärte er die Versammlung für geschlossen und wurde, anzusehen wie ein Sterbender, den man ins Siechenhaus bringt, von seinen Leuten aus dem Saal geführt.

*


 << zurück weiter >>