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Beiderseits der Straße vor Castra Cornelia hatten, in zwei Treffen geteilt, seit frühem Morgen die römischen Legionen Aufstellung genommen. Die Mauerzinnen von Utik-Chah, die aus der Nähe herübergrüßten, zitterten unter der Hitze des wachsenden Tages. Unerbittlich sendete die Sonne ihre Strahlen aufs grüne wellige Land hernieder, das auf der einen Seite vom blauen Meer, auf der andern in weitausgreifendem Bogen von den Ausläufern des fernen, dunkelbewaldeten Atlasgebirges umfaßt wurde.
Unmittelbar vor dem Tore, durch das die Heerstraße in die von Erdwällen geschützten Feldlagerbezirke mündete, die man unter dem Namen Castra Cornelia zusammenfaßte, war ein aus Balken gezimmerter festlicher Stufenbau errichtet. Mit rotem Zeug ausgeschlagen, mit Laub- und Reisiggewinden bekränzt und von bunten Wimpeln umflattert, nahm er sich in dieser kriegerischen Umgebung heiter und prangend genug aus. Ein Doppelthron erhob sich auf seiner Plattform, die ein Purpurzelt überwölbte. Niemand wußte völlig Zuverlässiges über den Zweck solcher Vorbereitungen. Aber von Mund zu Mund lief das Gerücht um, daß diese geschmückte Ehrenbühne den Konsuln dazu dienen sollte, von erhöhter Stelle aus eine Musterung über die vom gedemütigten Feind auszuliefernden Waffen abzuhalten. So erzählte es unter den in Reih' und Glied stehenden Mannschaften einer dem andern.
Schon seit längerer Zeit hatten sie von der Gegend her, wo jenseits des teils hügelig begrünten, teils klippigen Vorgeländes des Mekerta-Stromes die Hauptstadt des punischen Volkes liegen mußte, eine ungeheure Staubwolke sich heranwälzen sehen. Eine Weile schien sie stillezustehen wie träg hinkriechender Rauch über der in allen Farben prangenden sonnbeschienenen Landschaft. Dann war sie wieder in Bewegung geraten und näherte sich zusehends.
Mystes, ein Grieche aus Dodona, der durch seine Aufnahme in die Legion Bürgerrecht erlangt hatte und sich seither Petronius nannte, beugte sich vor und sagte erregt: »Sie können von unsern Aufstellungen kaum mehr ein paar Stadien entfernt sein.«
Er stand in der Nähe des noch unbenützten Aufbaues mit dem Purpurzelt, das er nicht genug bestaunen konnte, in der vordersten Reihe. Ursprünglich Handwerker von Beruf und einfältigen Gemüts, erblickte er im römischen Volk, das sein Heimatland Epeiros grausam gezüchtigt und schließlich verschlungen hatte, etwas halbgottartig Überlegenes. Daß er nun zu ihm gehörte und sich dunkel irgendwie als Sieger fühlen durfte, machte ihn stolz und unerbittlich.
»Die widerspenstigen Punier werden diesen Tag nicht zu den Glückstagen zählen!« sagte er, sich aufspielend, zu seinem Nebenmann.
»Wir sind gewohnt, unsern Willen durchzusetzen,« antwortete dieser, der Römer von Geburt war.
»Glaubst du, Apollinarius, daß der Krieg zu Ende sein wird, wenn sie ihre Waffen ausgeliefert haben?«
»Vielleicht war er zu Ende, bevor er begann.«
»Wie meinst du das?«
»Wenn es wahr ist, daß sie die Waffen ausliefern, dann haben wir es mit feigen Memmen zu tun. Von Krieg kann nur die Rede sein, wo Männer einander gegenüberstehen.«
Ein langgezogener Trompetenstoß fuhr dem Petronius in die Glieder. Durch die Reihen der harrenden Legionen ging eine Bewegung. Zusammengefaßte Bereitschaft ordnete die Reihen strenger.
Plötzlich saß, wie dem Boden entstiegen, die hagere Gestalt des Konsuls Lucius Marcius Censorinus, der die Flotte befehligte, auf dem Thronsessel unter dem Purpurzelt.
Niemand hatte ihn kommen sehen. Aber jetzt, wo er da war und das von dicht zusammengezogenen Brauen überschattete Auge kalt und undurchdringlich wie das einer Sphinx über die unabsehbaren Scharen von Gewaffneten schweifen ließ, die zu seinen Füßen bereitstanden, zog er aller Blicke auf sich. Man beachtete es kaum, daß auch der andere Konsul, Manius Manilius, der über das Fußvolk und die Reiterei gebot, neben ihm Platz genommen hatte. Man sah nur ihn, nur ihn allein, so sehr drängte der von ihm ausgehende geheimnisvolle Bann seinen Amtsgenossen in den Hintergrund. Und das ganze glänzende Gefolge, das unter dem Baldachin versammelt war, die Liktoren, die Legaten und Tribunen des Heeres, die waffenblitzende Schar höherer Truppenoffiziere, die den Thron umringten – alle schienen nur um seinetwillen allein vorhanden. Geradezu königliche Gewalt und Hoheit strahlte von ihm aus, als er nun, selbst im gold-silberstrotzenden Waffenschmuck, stolz und würdevoll die Hand hob.
Abermals ertönte ein Hornruf.
*
Aus der Staubwolke, die knapp vor den Heersäulen haltgemacht hatte, lösten sich allmählich Gestalten los und wurden deutlicher sichtbar. Reiter waren es, die sich näherten, zwei Römer, von einem fremdartigen, anscheinend hohen Offizier begleitet.
»Ein Punier! Ein Punier!« ging es flüsternd durch die Reihen. Noch keiner, nicht einmal altgediente Veteranen, hatten jemals einen punischen Offizier gesehen.
Aber alsbald wendete die allgemeine Aufmerksamkeit sich wieder den beiden Römern zu. Der und jener hatte sie erkannt, wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde, daß es Publius Scipio Nasica und sein Amtshelfer sei, die beiden Gesandten, die mit der Besichtigung der feindlichen Rüstkammern und Übernahme der Waffen beauftragt gewesen waren, und brausender Jubel erhob sich. Gewohnt, ihre Erfolge sonst nicht so mühelos einzuheimsen, überließen die Legionen sich um so williger einem wohlfeilen Siegestaumel.
»Für die Mannszucht eine bedenkliche Sache!« sagte ein inmitten seines Triarier-Manipels zu Pferde haltender Unterbefehlshaber, indem er sich an seinen ebenfalls berittenen Meldeoffizier wendete, der an seiner Seite hielt.
»Leichter Gewinn, großer Betrug – sagt ein Sprichwort,« antwortete der junge Mann. »Aber ich bin schon dahintergekommen, daß die Sprichwörter mit ihrem tugendhaften Sinn selten recht behalten. Die Zeit steht auf dem Kopf! Hättest du es für möglich gehalten, Abimäus, daß gerade Scipio Nasica dem Senat das bezwungene Karthago zu Füßen legen würde?«
»Du meinst, er sei damit sich selbst untreu geworden? Hierin kann ich mit dir nicht übereinstimmen. Er hatte meinen vollen Beifall, wenn er dem zerstörungslüsternen Cato immer wieder entgegenhielt, dieses Rom, wo ein Lustknabe höher im Preis steht als ein Bauerngut, benötige Karthago als drohende Gewitterwolke am Horizont. Auch ich bin der Meinung, ein gänzlich ungetrübter und gefahrloser Himmel würde unser zu Ausschweifungen neigendes Volk bald im Sumpf der Laster versinken sehen. Aber im Gegensatz zu dir, mein Valerius, erblicke ich in der Rolle, die Nasica jetzt spielt, keinen Widerspruch mit den von ihm früher verfochtenen Grundsätzen. Gerade dadurch, daß Karthago den Senat durch unbedingte und vollständige Deditio versöhnt, erhält es sich am Leben, wird zu neuer Blüte gelangen und seine Nebenbuhlerin Rom zur Tüchtigkeit anspornen, indem es sie zu friedlichem Wettbewerb zwingt.«
»Ich fürchte, hochedler Abimäus, du denkst mit den Gedanken einer absterbenden Zeit.«
Jäh wendete der Truppenführer sein Haupt herum und sah seinem jungen Gehilfen, der sein Liebling war, betroffen ins Auge.
»Sollte die Zeit wirklich schon im Sterben liegen, wo Ritterlichkeit dem Feinde gegenüber, Mäßigung im Glück und Ehrfurcht vor den Göttern in Rom noch für Tugenden galten?«
»Die altrömischen Tugenden in Ehren – aber sehen wir es nicht täglich, daß nichts so sicher zum Ziele führt wie rücksichtslose Gewalt?«
»Du hältst es doch nicht für möglich, Valerius, daß man insgeheim beabsichtigt, das Vertrauen demütig sich Unterwerfender zuschanden werden zu lassen?«
»Ich denke nur an die Größe Roms. Wer die Welt beherrschen will ...«
Er hielt inne. Der verfallene Ausdruck in den Zügen seines Vorgesetzten, den er verehrte, ließ ihn den Satz nicht vollenden.
»Ich wäre glücklich, wenn ich unrecht hätte,« lenkte er ein.
»Ich bin in Ehren grau geworden,« sagte Abimäus bekümmert, »und manchmal frage ich mich selbst, ob ich in die neue Zeit noch passe. Wer die Welt beherrschen will, muß die Meere beherrschen, und Karthago würde bei freiem Spiel der Kräfte Rom bald überflügelt haben. Vielleicht denken die Imperatoren, die sich in den Mantel der Demokratie hüllen, wirklich daran, rohe Gewalt vor Recht zu setzen? Vielleicht haben sie es, geblendet durch den Gedanken an die Weltherrschaft, längst verlernt, vor Niedertracht und Hundsfötterei zurückzuschrecken? Wir sind Soldaten,« schloß er mit einem Seufzer, »am besten, wir denken nur an unsere Pflicht.«
»Hoch! Hoch! Vivat! Vivat hoch!« brüllte der Epeirote Petronius im Chor mit achtzigtausend Kriegerkehlen.
Von begeisterten Zurufen des Beifalls und Segens umjubelt, waren Scipio Nasica und Gnaeus Cornelius, Triumphatoren vergleichbar, die sich der Volksmenge zeigen, mit ausgestreckter Rechten nach rechts und links grüßend, die breite Gasse zwischen den Legionen entlang geritten, während der Punier finster und gedemütigt etwas zurückblieb und ihnen in abgemessener Entfernung folgte, den Blick auf den Kopf seines Pferdes gesenkt.
So näherten sie sich dem Throngerüst, stiegen von den Pferden und bezeigten den Konsuln ihre Ehrerbietung, was Manius Manilius durch gnädiges Neigen des Hauptes erwiderte, während Censorinus starr vor sich hinsah.
»Er scheint ungehalten?« flüsterte ein auf den Stufen des Zeltes stehender Offizier dem Tribunen an seiner Seite zu.
Und der Tribun antwortete mit vielsagendem Lächeln ebenso leise: »Der Jubel, der Scipio Nasica empfing, stand nicht auf der Festordnung.«
*
Scipio Nasica, den Hochsitz hinansteigend und einige Stufen unter dem Thron haltmachend, nahm das Wort und sagte: »Eurem Befehl gehorsam, ihr Konsuln, zu denen ich hier spreche, als redete ich zum Senat und dem römischen Volke selbst, habe ich in Gemeinschaft mit Gnaeus Cornelius, der den Beinamen Hispanus führt, in Karthago das gesamte Kriegsgerät und Gewaffen, das die reumütige Stadt zu übergeben versprach, besichtigt, abgezählt und aufs gewissenhafteste aufzeichnen lassen. Hiebei unterstützte mich in wertvoller Weise der hier anwesende Oberverantwortliche für das gesamte karthagische Waffenwesen, Hasdrubal, mit dem Beinamen des Numiders, aus dem edlen Geschlechte Chimalkarts, mütterlicherseits ein Enkel unseres Bundesgenossen, des mächtigen Königs Masinissa von Numidien. Ihn eurer Gewogenheit empfehlend, ersuche ich ihn, das Verzeichnis der Ablieferung, für deren Vollständigkeit er im Namen des punischen Volkes die Gewähr übernimmt, in meine Hände zu legen und damit die bereits früher von Karthago ausgesprochene und vom Senat huldreich angenommene Deditio durch Erfüllung der letzten aufgestellten Forderung auch äußerlich zu einer unzweideutig vollzogenen Tatsache werden zu lassen.«
Hasdrubal, bleich, mit zu Boden gesenktem Blick, übergab ihm eine Rolle, die Scipio Nasica in Empfang nahm, indem er zu sprechen fortfuhr: »Wollt euch hieraus, ihr Konsuln, überzeugen, daß in den Besitz und die Verwahrung des römischen Volkes mit diesem Augenblicke übergehen: Zweihunderttausend vollständige Waffenrüstungen als da sind: Panzer, Helme, Schienen, Schilde, Schwerter und zugehörige Gehänge. Die doppelte Zahl an Bogen, Lanzen, Speeren und Wurfspießen, und die vierfache an Pfeilen, wie sie bei den punischen Schützen und der leichten libyschen Reiterei in Gebrauch stehen. Endlich gegen zweitausend Katapulten, teils zum Werfen von Geschossen, teils zum Schleudern der Steine, genau gezählt eintausendneunhundertunddreiundachtzig solcher zum Teil sehr gewaltiger Kriegsmaschinen. Ich fand sie entweder auf den Festungszinnen der Stadt aufgestellt oder in den ausgedehnten Gewölben verwahrt, die sich im Innern der ungeheuren Stadtmauern befinden und einst als Ställe für die Kriegselefanten dienten. Dort harrten sie dem Augenblick entgegen, wo ein Angriff auf die Umwallung es nötig machen würde, sie in Verwendung zu nehmen. Nie wieder wird ein solcher Augenblick eintreten! Niemals mehr wird eines Römers Leben durch diese mörderischen Ungetüme gefährdet sein, die einen der wichtigsten Bestandteile des Kriegsgeräts ausmachen.«
Mit diesen Worten überreichte er die Rolle, die er in der Hand hielt, einem der Liktoren, der sie feierlich in die Hände des Manius Manilius, als des älteren der beiden Konsuln, legte.
Scipio Nasica aber schloß: »Wollet damit, ihr hohen Herren, unsre Aufgabe als getreulich erfüllt betrachten! Und nun bitte ich euch, Befehl zu erteilen, daß die Wagen, die außerhalb der Truppenaufstellung eurer Weisung harren, vor euren Augen vorüberziehen. So wird es vor allem Kriegsvolk offenbar werden, welch eine gewaltige Macht die Festung Karthago noch bis vor wenigen Stunden gewesen ist. Und um so leuchtender wird euer Ruhm erstrahlen, da es eurer Umsicht gelang, sie durch euer bloßes Erscheinen auf afrikanischem Boden zu entwaffnen. Laßt mich den Wunsch und die Hoffnung hinzufügen, daß diese Stunde ein Zeitalter dauernder Freundschaft zwischen den beiden Völkern einleiten möge!«
Manius Manilius hatte inzwischen die Rolle, welche die Verzeichnisse enthielt, in die Hände des Censorinus gelegt, der jetzt einige kühle, knappe Worte des Dankes sowohl an Scipio Nasica und Gnaeus Cornelius wie auch an Hasdrubal richtete. Hierauf, sich in seinem Thronsessel zurücklehnend, befahl er trocken: »Man bringe die Kriegsbeute ein!«
Ein drittes Mal schmetterte der Hornruf.
Und nun wurden die in Reih' und Glied aufgestellten Legionen Zeuge eines Schauspiels, so unerhört und einzig, wie die Welt es noch nicht erlebt. Denn vor ihren Augen sahen sie die kampflose Entwaffnung eines edlen, einst mächtigen und bis dahin wehrhaften Volkes sich abspielen.
*
Der ungeheure Troß hatte sich in Bewegung gesetzt. Von kartchadischen Offizieren geleitet und von libyschen Fuhrknechten gelenkt, begannen ungezählte Wagen, Karren und Tragtiere an ihnen vorüberzuziehen. Mit Rüstungsstücken aller Art beladen, strömte endlos der Zug dahin. Da sah man ganze Berge von Panzern und Schilden, von Speeren, Bogen und in Bündeln verpackten Pfeilen übereinandergeschichtet, dazwischen wieder Schwerfuhrwerke mit Katapulten und Schleudermaschinen verschiedenster Bauart und Verwendung, Lasten, unter denen der Boden zitterte. Und so bewegte die vielhundertgliedrige Schlange sich langsam und schwerfällig am Hochsitz der Konsuln vorbei und wälzte sich durchs Tor des umwallten Lagers in die zur Aufnahme der kartchadischen Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbereiteten Höfe.
Unbewegt sahen von dem festlich geschmückten und bewimpelten Stufenbau die beiden Marmorbilder der römischen Konsuln, unter dem purpurnen Thronhimmel sitzend, die ungeheure Beute einbringen, die dem Feinde zu entreißen ihr bloßes Machtwort genügt hatte. Ihnen zunächst unter dem glänzenden Gefolge stand auf der einen Seite die hohe, wohlgenährte und edle Gestalt Scipio Nasicas, in weißer, purpurverbrämter Toga, des beinahe einzigen Nichtsoldaten in der Versammlung; eine Erscheinung, die in jeder Hinsicht für ein Musterbild des guten, vornehmen alten Römertums gelten konnte. Auf der andern Seite, in seiner fremdländischen, an ägyptische oder syrische Götterbilder erinnernden Waffentracht, der noch höher gewachsene, athletische, von Jugendkraft strotzende, aber finster in sich verschlossene Hasdrubal, der die Stunden zählte, wann endlich diese Marter für ihn zu Ende gehen würde, und sich auch keine Mühe gab, seinen Unmut zu verbergen. So standen sie, die Verkörperung des gegensätzlichen Geistes zweier augenfällig unterschiedener, seit Jahrhunderten in bitterster Feindschaft lebender Völker einander gegenüber, und jedem, der sie sah, blieb die Wahl, ob er versöhnte oder unüberbrückbare Gegensätze in ihnen erblicken wollte.
Valerius, der junge Offizier des Triarier-Manipels, der keinen Blick von den Vorgängen auf der Estrade und insbesondere von Hasdrubal gewendet hatte, schwenkte jetzt merklich von seiner früher geäußerten Zustimmung zu einer rücksichtslosen Gewaltanwendung gegen Karthago ab, und zwar, bei einem Jüngling verzeihlich, aus unbewußten Antrieben des Gefühls. Denn aus dem bloßen Anblick hatte er etwas wie eine warme Neigung zu dem gedemütigten und doch irgendwie scheueinflößenden Punier gefaßt. Ihm zuliebe schien er nunmehr ein gütliches Einvernehmen zwischen Rom und Karthago nicht mehr für aussichtslos zu halten und wünschte in der durch Scipio Nasica vollzogenen Auslieferung der Waffen den ersten Schritt zu einem ehrlichen Ausgleich der Gegensätze erblicken zu dürfen.
Als er sich aber in diesem Sinne seinem Vorgesetzten gegenüber äußerte, zeigte es sich, daß auch in Abimäus eine Schwenkung sich vollzogen hatte, jedoch in entgegengesetzter Richtung. Denn hatte er noch eben vorhin seiner Zuversicht Ausdruck gegeben, Karthago mit Willen und zum Nutzen Roms einem neuen friedlichen Erstarken und Blühen entgegengehen zu sehen, so war ihm jetzt alle Hoffnung einer dauernden Lösung und eines unblutigen Ausgangs entsunken. Das Vorüberziehen der beutebeladenen Wagen machte ihm, je länger es andauerte, einen um so tiefer erschütternden Eindruck, er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß kein Volk, wenn es nicht ein Volk von verkommenen Weichlingen war, jemals, auch nicht in Hunderten und Hunderten von Jahren, es würde vergessen und vergeben können, daß ihm in seiner Not und Hilflosigkeit eine so demütigende Selbstentmannung aufgezwungen worden war.
»Waffen wachsen nach,« sagte er, »aber der Haß, der hier gesät ist, wird alles keimende Gute ersticken.«
Valerius stutzte. »Sollten die Waffen wirklich nachwachsen,« meinte er lachend, »dann müßte man sie freilich abermals beschneiden ...« Und seine halb und halb aufgegebene Stellung von früher rasch wieder beziehend, fügte er aufflammend hinzu: »Mehr noch! Dann bliebe wirklich nichts übrig, als dieses Volk vom Erdboden zu vertilgen!«
»Die größte Kurzsichtigkeit im Staats- wie im bürgerlichen Leben,« sagte Abimäus, »ist Mißbrauch der Macht. Denn jedes Kind weiß, daß morgen der Schwächere sein kann, der gestern der Stärkere war.«
»Daraus würde eigentlich nur folgen, daß man den Feind unter keinen Umständen mit Schonung behandeln, sondern ganze Arbeit verrichten soll – bis zum Weißbluten.«
»Es gibt kein Übel außer die Schuld » Nullum malum praeter culpam.«.«
»Oh, wenn die schönen alten Sprichwörter recht behielten, mein hochedler Abimäus! Aber ich sagte es schon: Wir Jüngeren kommen mehr und mehr dahinter, daß sie für unser Zeitalter nicht mehr recht passen wollen ...«
*
Höher und höher stieg die Sonne. Noch immer standen die Legionen in Reih' und Glied. Blitze zuckten aus Wehr und Waffen. Die ehernen Helme und Panzer glühten.
Immer drückender wurde die Hitze, immer unerträglicher der aufgewirbelte Staub. Und dampfend, keuchend, klirrend, noch immer ohne Ende, ergoß der Strom der Fuhrwerke und Tragtiere sich ohne auszusetzen dahin. Unverändert dauerte das Getriebe fort, immer sich erneuernd und doch immer sich gleichbleibend und immer dasselbe: das Ächzen und Knarren der Räder, das verzweifelte Hufgestampfe der schweißbedeckten Zugtiere, die rohen Zurufe und Geißelhiebe der libyschen Fuhrknechte, das Donnern und Rasseln der rollenden Frachtwagen, entlang der die Straße einfassenden Mauern von waffenstarrenden Menschenleibern, am Prunkzelt der Konsuln vorbei, in der Richtung gegen das Feldlager abströmend.
»Wie lange sollen wir hier noch die Zuschauer machen?« sagte unmutig der römische Zenturio Haterius zu seinem Nebenmann. »Nun dauert die Komödie schon Stunden und Stunden – es ist rein, um in den Boden zu wachsen!«
Ungeduldig trat er von einem Fuß auf den andern, nahm den Helm ab, sich den Schweiß von der Stirn zu trocknen, und setzte ihn wieder auf.
»Die verfluchte afrikanische Sonne! Wie Feuer brennt sie einem aufs Dach! Die beiden Ölgötzen da drüben haben sich wohlweislich ihren Thron mit einem Himmel überdachen lassen. Gerade die sollten am meisten schwitzen! Sie wissen wenigstens, warum sie es tun.«
»Die Konsuln hätten sich meines Erachtens auf Scipio Nasica verlassen können,« antwortete Geminus, ebenfalls Unteroffizier, unter Haterius in der gleichen Kohorte dienend. »Dieser Scipio kommt doch geraden Wegs aus Karthago und überreichte ihnen vorhin selbst das Verzeichnis der auszuliefernden Waffen, das der hohe punische Offizier in seine Hände gelegt hatte. Er ist dafür verantwortlich, daß es auch stimmt. Wozu lassen sie noch stundenlang all das alte Eisen an sich vorbeischleppen? Auf diese Weise können sie doch die Richtigkeit der Ablieferung nicht überprüfen?«
»Selbverständlich können sie das nicht, es wäre auch überflüssig, die Fuhrwerke sammeln sich ohnedies im großen Wagenpark. Erst beim Abladen, und das wird eine Arbeit von Tagen sein, läßt sich nachzählen, wieviel von ihrem verrosteten Krempel die Karthager abgeliefert haben ... Sieh mal,« unterbrach er sich, »jetzt rückt erst das allerschwerste Geschütz an!«
Ein niedriggebauter, von acht schweren Pferden gezogener Streitwagen, auf dem ein klobiges Riesenungetüm von Steinwerfer schwankte, kam eben an der Stelle vorüber, an der sie standen. Die Räder stöhnten und bogen sich fast unter dem Gewicht der aus Eichenbalken und Eisen zusammengesetzten Maschine. Der Boden bebte.
»Von dem möcht' ich auch keinen Brocken an den Kopf bekommen, wenn ich gerade auf einer Sturmleiter stehe,« sagte Geminus.
»Dagegen bist du gesichert, der tut dir nichts mehr!« antwortete der Zenturio lachend. »Überhaupt brauchen wir jetzt keine Sturmleitern mehr, um Karthago zu erobern.«
»Sieh, wie Censorinus auf seinem Throne den Mund verzieht!« machte Geminus den Freund aufmerksam. »Bisher war sein Gesicht wie aus Stein. Aber ein so stämmiges Frauenzimmer wie diese Balliste begrüßt sogar er mit einem süßen Lächeln ... Und das ist wohl auch der Grund,« besann er sich, »warum er uns hier braten läßt und selbst in der Hitze ausharrt: er badet sich förmlich in seinem Machtgefühl und in der Erniedrigung des Feindes.«
»Ob ihm dies Bad Kühlung bringt? Ich, an seiner Stelle, zöge den nahen Strand vor. Aber ich glaube gar nicht, daß ihm ein so wohlfeiler Triumph in Wahrheit Genugtuung gewährt. Ihm ist das Schicksal Karthagos vermutlich so gleichgültig wie dir und mir. Diese hohen Herren denken immer nur an eins: an den Pöbel in Rom. Stell' dir vor, was für einen Eindruck es machen wird, wenn seine Freunde auf dem Forum es ausposaunen, wie er sich die Waffen des Erbfeindes in höchsteigener Person zu Füßen legen ließ! Und überall wird es heißen, daß er es gewesen sei, der dem Senatus populusque Romanus die zweitmächtigste Stadt des Erdenrunds, die gefürchtete Hafenfestung Karthago, als schmackhaft zubereitetes Schaugericht auf die Festtafel gesetzt habe.«
»Du kannst recht haben, Komödianten sind sie alle, und die ganze hohe Politik, die sie machen, letzten Endes nichts als Wählerfang. Müßten wir nicht als Aufputz mit dabeistehn, so wär's mir schließlich einerlei. Im übrigen ist mein Standpunkt der: Krieg gegen Karthago – meinetwegen, wenn's ein ehrlicher Krieg ist; dazu sind wir da. Aber nur zusehen, wie man einem Feinde, der sich ohnedies ergeben hat, die Waffen abnimmt, das wächst mir zum Halse heraus. Von den anderthalbhundert Denaren Sold kann unsereins nicht fett werden, wenn nicht auch das Gefühl mit dabei ist, daß man Ehr' im Leibe hat.«
»Jawohl, Ehr' im Leibe!« antwortete bitter der Zenturio. »Wir, die wir aus dem Mannschaftsstande hervorgegangen sind, wir wissen noch etwas davon und haben uns oft damit begnügt, Knochen abzunagen, statt Fleisch zu essen, nur weil wir stolz darauf waren, in der Legion zu dienen. Aber merk' dir, was ich dir sage: Die Armee wird bald nichts mehr sein als eine große Bande von Henkersknechten, die an nichts denken, als sich zu bereichern. Und warum? Erstens, weil die oben dasselbe tun und das Beispiel ansteckend wirkt. Und zweitens, weil die Führer keine eigentlichen Soldaten, sondern nichts als Politiker sind. Aus dem Büchel lernen sie sich rasch ein bißchen Kriegskunst an, aber die Gesinnung, Freund, die Gesinnung fehlt! Denn die Politik ist eine abgefeimte Sauerei, auf Lügen aufgebaut. Ein wahres Soldatenherz würde sich eher im Leibe umdrehen als eine solche Feigheit zu begehen, wie diese Entwaffnung Karthagos es ist. Und was werden die Herren patrizischen Oligarchen mit all ihren Ränken schließlich erreichen? Die Weltherrschaft, meinetwegen –«
»Nun, das wäre immerhin etwas, das nicht ganz zu verachten ist,« meinte Geminus.
»Ich tausche mit ihnen nicht, lieber bleib' ich Zenturio, vorausgesetzt, daß es einen anständigen Krieg gibt. Denn was haben die hohen Herrn davon, daß die Welt scheinheilig vor ihnen auf dem Bauch liegt und ihnen die Füße leckt? Insgeheim flüstert ihnen doch eine Stimme in ihrem eignen Innern die Wahrheit zu: daß sie nur durch Schurkerei an ihr Ziel gelangten wie unredliche Händler, die sich gemein machen, um einen Gewinn zu erschleichen ...«
»Aber nun scheint endlich doch die Posse aus zu sein,« unterbrach er sich. »Nach der heißesten Schlacht hab' ich mich auf das Einrücken und Abkochen nicht so gefreut wie heute!«
*
Der Zug der Wagen ging wirklich zu Ende. Nur ein paar Nachzügler folgten noch, dann wurde es still.
Um den Hochsitz der Konsuln machte Bewegung sich bemerkbar, doch sah man keine Anstalten treffen, die auf ein Abbrechen des Aufenthalts deuteten. Vergeblich wartete Haterius auf Erfüllung seiner Hoffnungen. Kein Befehl zum Einrücken ins Feldlager erfolgte. Noch schien irgend etwas Weiteres in der Luft zu schweben, wobei man offenbar auf die Anwesenheit der Legionen Wert legte. Senkrecht brannte die Sonne nieder. Eine Ungeduld, die an Verzweiflung grenzte, wühlte mit kribbliger Ruhelosigkeit durch die Massen. Da und dort kam es vor, daß plötzlich ein Mann zu Boden stürzte, vom Hitzschlag getroffen, und fortgetragen werden mußte wie ein in der Schlacht Gefallener ...
Dann sagte wohl Abimäus: »Unter Soldatentod stelle ich mir was andres vor.«
Oder Apollinarius bemerkte zu seinem epeirotischen Nebenmann: »Hätten die Afrikaner nur halb soviel Schneid wie ihre Sonne, so gäb's hier was Lustigeres als eine Parade.«
Hasdrubal, der Numider, hatte sich nach Beendigung der Waffeneinlieferung von den Konsuln beurlaubt und begab sich in Gesellschaft des Tribunen, der den römischen Troß befehligte und dem Zeugwesen vorstand, nach dem Fuhrhof des Feldlagers, um Anordnungen bezüglich des Abladens zu treffen. Scipio Nasica aber wendete sich noch einmal an die Konsuln. Von der Bedeutung des Augenblicks ergriffen, sagte er mit feierlichem Ernst: »Die Waffen Karthagos sind abgeliefert! Eine Abordnung der unterworfenen Stadt harrt der Erlaubnis, sich die Bestätigung des getreulich vollzogenen Befehls von euch zu erbitten. Sie hofft gleichzeitig, ihr wollet das punische Volk der Gewogenheit des Senats und der Freundschaft Roms versichern und ihm Schutz gegen den die entwaffnete Stadt bedrohenden Aufrührer Hasdrubal, den man den Widder nennt, wie auch gegen etwaige andere Feinde anbieten. Es würde den großen und edlen Überlieferungen unsrer Väter widersprechen, die Vertrauensvollen zu enttäuschen, die Erniedrigten nicht aus dem Staube zu erheben, die Reumütigen nicht in Gnaden aufzunehmen.«
Mit zusammengezogenen Brauen erhob Censorinus kalt abwehrend die Hand.
»Ich muß dich ersuchen, Publius Scipio Cornelius Nasica, es unsrer eigenen Einsicht zu überlassen, was den Überlieferungen unsrer Väter entspricht. Dein Auftrag ist mit Ablieferung der Waffen beendet. Ihn zu überschreiten, würde dir übel anstehen. Ist dir doch unbekannt, was der Senat in geheimer Sitzung über Karthago beschlossen hat, das geheiligte Verträge brach, indem es Masinissa, den Bundesgenossen Roms, zum Krieg herausforderte. Ein versiegeltes Schreiben, das wir, mein Mitkonsul Manius Manilius und ich selbst, erst nach Betreten des afrikanischen Bodens zu eröffnen befugt waren, enthält diesen Senatsbeschluß. Seinen Inhalt den Karthagern bekanntzugeben, sind wir bereit, ihre Abordnung zu empfangen.«
Unter den um den Thron versammelten hohen Offizieren rief diese Erklärung nicht geringes Aufsehen hervor. Sie fragten sich, was die geheime Botschaft des Senats enthalten könne? Es blieb ihnen unerfindlich, welche weitere Maßregelung der unglücklichen Stadt sich etwa noch ersinnen ließe, nachdem man sie nun schon wehrlos gemacht hatte. Flüsternd ihre Meinungen austauschend, gelangten sie überwiegend zu dem Ergebnis, es könne sich wohl um nichts weiter als um eine väterliche Strafpredigt handeln, verbunden allenfalls mit wohlgemeinten Ermahnungen, den Pfad der Tugend in Hinkunft nicht mehr zu verlassen.
Dennoch blieb eine gewisse Beunruhigung bestehen. Und nachdem der Älteste der Tribunen die feldmäßige Fanfare hatte blasen lassen, mit der man unter Kriegführenden zur Entsendung von Unterhändlern aufzufordern pflegte, spähten alle mit ungeduldiger Spannung dem Herannahen der angekündigten Abordnung entgegen.
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