Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIV.

In dem felsig-hügeligen Gelände, das sich von der Magara bis ans Vorgebirge von Kart-Chadast erstreckte, besaß der Weinhändler Nampon ausgedehnte Obst- und Weingärten. Ein Winzerhäuschen duckte sich in den Schatten alter Feigenbäume, dort verkroch er sich mit feinem halbwüchsigen Jungen vor dem Kriegslärm. Die Schenke unter den Terbinthen und die anstoßenden Kellereien hatte er im Stich gelassen, die Nachbarschaft des Tors von Magara wurde ihm unheimlich.

Gegen dieses Tor hatte wenige Wochen nach dem Opferfest der erste scharfe Sturmangriff der Römer unter Manius Manilius von der Landenge her eingesetzt. Er war gescheitert, einem zweiten aber konnte besserer Erfolg beschieden sein, wenn das Unglück es wollte. Es ließ sich schwer voraussehn, wie der Hase laufen würde, und Nampon fühlte kein Bedürfnis, es abzuwarten. Darum hatte er sich seines Weingarthauses erinnert, das ein gut Stück weiter seewärts lag, mehrere Stadien vom bedrohten Tor entfernt. Wie die Sache derzeit stand, zog er den Aufenthalt in ländlicher Umgebung entschieden vor.

Er schlief noch, obgleich die Morgensonne längst durch die Ritzen des Fensterladens lugte, als sein Söhnchen, ein schlanker, frischer Knabe, der sich schon im Morgengrauen vom Lager fortgestohlen hatte, um im Freien umherzustreifen, die Tür aufriß und hereinstürmte.

»Komm' mit mir, Vater, es ist ein Wunder geschehen! Der alte Ölbaum auf der Höhe trägt so merkwürdige Früchte!«

»Was soll ein Ölbaum für Früchte tragen?« antwortete Nampon, sich den Schlaf aus den Augen reibend. »Es werden eben Oliven fein, hast du noch keine Oliven gesehn?«

Er erhob sich dennoch und machte sich zurecht.

»Es sind bestimmt keine Oliven,« beteuerte der Knabe, seinen Bogen von der Wand langend. Und indem er aufgeregt eine Anzahl Pfeile zusammensuchte und seinen Köcher damit füllte, wiederholte er: »Ein Wunder ist geschehen, Vater, du wirst deinen Augen nicht trauen! Es sind so große Früchte, daß man sie einzeln wird herunterschießen müssen!«

Nampon besaß keine Waffe außer dem Blasrohr, womit er Stare und Drosseln, die er gebraten höher schätzte als singend, aus den Zweigen zu holen pflegte. Er nahm es für alle Fälle zu sich und ließ sich kopfschüttelnd von dem stürmischen Jungen, der vor Ungeduld und Eifer zitterte, in die Morgenkühle hinausziehen und den steinigen Pfad zwischen den Obstpflanzungen bergan geleiten.

»Nun nimm einmal Vernunft an, Baldamar,« sagte er, während sie Hand in Hand ihren Weg verfolgten, »und erkläre mir genau, was du eigentlich gesehen hast. Keine Hirngespinste, wenn ich bitten darf! Die Zeit der Wunder ist vorbei, so etwas gibt es heutzutage nicht mehr, verlaß dich darauf!«

»Dann gäb' es auch keine Götter mehr, und daß es die gibt, des bin ich gewiß. Erst heute im Morgengrauen, als ich meine Sprenkel auslegte, grüßte mich Ischtar vom noch halb nächtlichen Himmel, funkelnd wie eine Verheißung. Und über dem Meere ward's rot vor Glut, Eschmun stieg zu uns herauf, in seinem feurigen Wagen. Im Winde, den er vor sich hersandte, schaukelten die seltsamen Früchte auf dem großen Baum. Da wußte ich, daß die Götter uns nicht verlassen werden, mir war, als riefen sie auch mich zu den Waffen. Darf ich nicht mitkämpfen auf den Basteien, Vater?«

»Du bist noch zu jung, Baldamar, um deinen Mann zu stellen, sei dankbar, daß ich dich in Sicherheit brachte! Nur dein Tat – Tat – Tat ...«

Er stockte. In seiner Erregung versagte ihm die Zunge, das Wort wollte sich ihm nicht fügen, aber schließlich bezwang er's doch und wiederholte: »Nur dein eigener Tatendrang ist's, der dich irreführt und dir einredet, die Götter riefen dich. In Wahrheit sieht es viel eher danach aus, als hätten die Götter sich für immer von uns gewendet.«

»Das haben sie nicht, glaub' es mir, Vater.! Ich fühl' es mit derselben Gewißheit, mit der ich spüre, daß du mich jetzt an der Hand führst. Sie stehn auf unsrer Seite, ich weiß es! Es ist ihr Wille, daß wir uns wehren sollen, sie werden die Römer zuschanden schlagen!«

»Hättest du doch recht!« seufzte der Vater, leise ergriffen von der Glut des Halbwüchsigen. »Wie gern würd' ich mit dir daran glauben! Aber wiederum täuschen dich Wunsch und Hoffnung. Wie zu zart an Körper für den Waffendienst, so bist du zu unreif an Erfahrung, die Sprache der Wirklichkeit zu deuten. Ich fürchte, die Götter schlafen und der große Betrug, den die Römer an uns verübten, bleibt ungerächt. Ihre Kriegsmittel sind unerschöpflich, die unsrigen dagegen knapp zugemessen. Wie lang ist es her, so jubelte Kart-Chadast, der Anschlag aus der Richtung der Ochsenzunge sei vereitelt, weil Himilko Phameas die zur Zufuhr von Bauholz ausgesandten Barkschiffe und Mannschaften vernichtet habe. Kaum ein einziges Mal hat Tanit seitdem ihr Antlitz erneut, und schon wußte Censorinus das benötigte Holz sich von irgendeiner andern Stelle zu beschaffen, die Belagerungsmaschinen schreiten ihrer Vollendung entgegen, die Sturmböcke donnern vielleicht schon in dieser Stunde gegen den schwachen Mauerwinkel am Fischertor. Nicht anders wird es am Tor von Magara kommen, ich seh's voraus. Wehe, wenn die Katze in die Burg der Mäuse bricht! Aber selbst wenn unsre Mauern standhielten – wie lange noch wird die römische Flotte zu schwach sein, uns die Lebensmittelzufuhr von der See her zu unterbinden? Langsam und bedächtig schreitet Rom dahin auf seinem Siegeszug über die Erde, aber sein Schritt ist stetig und ehern. Es überstürzt nichts, vielleicht wird noch manche Welle den Mekertastrom hinuntergleiten, eh' daß die römische Flotte ausgebaut oder durch Schiffe von Bundesgenossen ergänzt ist. Und doch kommt der Tag, wo sie stark genug sein wird, die undurchbrechbare Seesperre über uns zu verhängen. Mit oder ohne Willen der Götter wird dann der Hunger unser grimmigster Feind sein und uns schließlich den Fuß auf den Nacken setzen.«

»Das Meer ist nicht Eigentum der Römer, es gibt noch seefahrende Völker genug, die nicht unter Roms Botmäßigkeit seufzen. Sie werden sich das Recht nicht bestreiten lassen, unsern Hafen anzulaufen.«

»Du redest wie ein unerfahrener Knabe. Wisse, daß Macht mit Ehrfurcht vor den Göttern selten beisammen wohnt. Oder meinst du, Rom hätte die Rechte der Völker je anders geachtet als bloß mit dem Mu – Mu – Mu ...«

Er trocknete sich den Schweiß von der Stim und schloß: »Als bloß mit dem Mund?«

»So mögen sie uns absperren,« rief Baldamar voll Überzeugung. »Dennoch werden wir darum nicht hungern!«

Der Vater blieb stehn und bog bestürzt die Zweige eines Feigenbaumes herab. Die Früchte waren angenagt und ausgesogen, er konnte sich's nicht erklären und kraute ratlos das Haar. Es mußte hier ein Schädling gehaust haben, den er nicht kannte. Er stand vor einem Rätsel.

»Die ganze Ernte ist zerstört!« sagte er bekümmert. Und da er an anderen Bäumen dieselbe Verwüstung wahrnahm, geriet er in Zorn.

»Sieh, Baldamar, wie du ins Blaue redest! Ist dies das Wunder der Götter, von dem du faselst? Wenn sie uns so beistehn, dann brauchen wir die Seesperre nicht abzuwarten, um zu hungern!«

Aber die Zuversicht des Knaben war nicht zu erschüttern. Er schätzte den Schaden gering ein, im Verhältnis zu dem zauberhaften Ertrage, mit dem der alte Ölbaum gesegnet sei. Nur tausend Schritte noch, so würde der Vater sich selbst davon überzeugen.

Und ungeduldig zog er ihn mit sich fort und stürmte weiter.

*

Als sie die Höhe erreicht hatten und endlich vor dem riesigen Wunderbaum haltmachten, da blieben freilich auch dem Nampon Augen und Mund offen stehn vor freudigem Schreck.

Es war, als ob große Stücke Rauchfleisch an den mächtig ausgebreiteten Zweigen hingen, wohl an die hundert oder mehr graubraune Keulen wie geselchte Hammelschinken. Die Morgenluft bewegte sie hin und her, daß sie lustig im Winde baumelten. Ein Märchen schien Wirklichkeit geworden, die fröhliche Aufschneiderei von den Lotophagen, denen die Nahrung von selbst in den Mund wächst, sich zu bewahrheiten.

Den Kopf schüttelnd bestaunte Nampon das auch ihm unerklärliche Ereignis. Entschlossen setzte er schließlich sein Blasrohr an den Mund, zielte auf eine der geheimnisvollen Früchte und pustete los. Da spreiteten sich dämonische Flügel, getroffen flatterte irgendein seltsames Tier von der Größe einer Katze aus den Zweigen und stürzte herab. Unter krampfhaften Versuchen, sich wieder zu erheben, krabbelte und fauchte es zu den Füßen des Schützen am Boden.

»Es ist ein Flu – Flu – Flughund!« rief Nampon entsetzt.

»Nie sah ich bei uns solch ein Tier!«

»Ich wüßte mich auch nicht zu erinnern, daß jemals eines sich in Stadtnähe gezeigt hätte. In Libyen kommen sie gelegentlich wohl vor, die militärischen Bewegungen im Hinterlande mögen sie an die Küste verscheucht haben. Gelingt es nicht, sie auszurotten, so ist unser Obst und Gemüse glatt verloren!«

Enttäuscht und ernüchtert sah Baldamar die Wahnbilder seiner Glaubensseligkeit zusammenbrechen. Was er für nährende Gaben der Götter gehalten, war nun nichts weiter als ein Schwarm von Schädlingen, welche die Früchte zerstörten und die der Stadt notwendigen Vorräte auffraßen! Sollten die Herzen geprüft werden, ob sie mit genügender Kraft an das Vorhandensein überirdischer Hilfsbereitschaft glaubten? Tränen drohten den Knaben zu überwältigen.

Nampon, im Grunde gutherzig und von seinem Einzigen fast mehr als billig eingenommen, vermied es, ihn noch tiefer zu beugen. Er verzichtete auf Vorwürfe und wohlfeilen Spott, es tat ihm selbst leid, die Begeisterungsflammen eines einfältig jugendlichen Gemüts so grausam mit dem eisigen Wasserstrahl der Wirklichkeit abgeschreckt zu sehen. Ohne viel Worte traf er seine Anordnungen. Und nachdem sie sich beide mit Prügeln bewaffnet, fingen sie an, der eine mit dem Blasrohr, der andre mit Pfeil und Bogen, dem gefährlichen Gegner an den Leib zu rücken. An je einer Hinterpfote kopfabwärts aufgehängt, schienen die Flughunde von ihrer verderblichen nächtlichen Arbeit auszuruhen. Stück für Stück holten sie nun die keiner Gefahr gewärtigen Tiere, die in ihre Flughaut wie in einen weiten Mantel völlig eingewickelt waren, eins nach dem andern aus dem breiten Geäst ihres Schlafbaumes herunter und machten ihnen ohne Gnade den Garaus.

Es war kein leichtes, einer so großen Zahl Herr zu werden. Die von reichlichem Weingenuß ohnedies genugsam gerötete Nase und Wangen Nampons nahmen unter den Strahlen der höher steigenden Sonne und in der Hitze des Gemetzels eine ins Bläuliche schimmernde Kupferfärbung an, aber er war entschlossen, ganze Arbeit zu verrichten.

Immer wieder belebte er seinen und seines Söhnchens Haß und Eifer aufs neue, indem er nicht müde wurde, nach dem Hörensagen oder Berichten von Augenzeugen den ungeheuren Schaden auszumalen, den ein solcher Schwarm Flatterhunde in einem Obstgarten anrichten könne. Indessen beteiligte Baldamar, während sein Vater mit wahrer Wollust auf die herabgestürzten Tiere einhieb, sich nur mit innerm Widerstreben an der Massenhinrichtung. Der Boden ringsum rötete sich mit Blut. Grauen schüttelte ihn.

»Hier darf es keine Schonung geben,« sagte Nampon. »Wie im kartchadischen Einhornliede heißt es hier: Ich oder du! Es ist Krieg jetzt, und Krieg wird und muß sein, solang es Flederhunde gibt, die in anderer Leute Gärten einbrechen, um sie kahl zu fressen!«

Baldamar dachte schaudernd an die ihm noch unbekannten Greuel einer Schlacht, wo es ähnlich zugehn mochte wie hier, unter dem alten Ölbaum. Aber er sagte sich, wenn die Götter einen solchen Einbruch beutelustiger Flughunde in die still gehegten Gärten zuließen, so würde eben nichts übrigbleiben, als sich an den Anblick von Blut zu gewöhnen.

Schließlich waren fast alle Tiere erschlagen, ihre Gewohnheit, sich tagsüber auf einem einzigen großen Baume schwarmweise niederzulassen und auszuschlafen, wurde ihnen verhängnisvoll. Nur drei Flughunde blieben noch übrig, das Gekreisch ihrer Genossen, das Zurückschnellen der Äste hatte sie aufgescheucht. Hoch über dem Baume prahlten sie mit ihrer Kunst des Fliegens, zogen weite Kreise, oft ruhig schwebend wie Bussarde, aber mit so mächtig klafternden Flughäuten, daß man eher an große Aasgeier hätte denken mögen.

»Was gilt's, ich hole sie nieder!« rief Baldamar; legte einen Pfeil auf und zielte.

»Ein purpurstreifiges Gewand, wie es die vornehmsten Jungen tragen, soll dein sein, wenn es dir gelingt!« sprudelte Nampon begeistert hervor.

Der Pfeil schwirrte, getroffen fiel mit dumpfem Schlag ein Körper zu Boden. Den Bogen aus Eibenholz mit dem Fuß gegen die Erde stemmend, zog Baldamar mit beiden Händen die Sehne an.

»Was andres, Vater, was andres! Mein Herz steht nicht nach einem purpurstreifigen Kleide!«

Abermals schwirrte der Pfeil, und abermals taumelte ein Flughund aus den Lüften. Wieder stemmte Baldamar den Bogen gegen die Erde und spannte die Sehne.

»Prachtjunge!« rief Nampon entzückt. »Nun noch den letzten, dann wünsche dir, was du magst, es ist dir gewährt!«

»Bei der Seele Tanits, Vater?«

»Bei der Seele Tanits!«

Zum drittenmal schwirrte der Pfeil, der dritte und letzte Flederhund klatschte, durch den Kopf geschossen, zu Boden.

»So wünsche ich mir, daß du mich ausrüstest wie einen Mann und auf die Mauer sendest am Tor von Magara, als Kämpfer für unsre Götter und Altäre!«

»Baldamar!« schrie Nampon bestürzt auf und raufte sich das Haar, rasend vor Verzweiflung über seinen unbedachten Schwur.

*

Eine einzige Fackel schwelte auf dem Fischmarkt, unzureichend in dieser sternlosen Nacht.

Vor einem der armseligsten Fischerhäuser hielten Reiter, schwangen sich von den Pferden, traten ein. Ein Sklave hielt die Lampe hoch. Blanno Tigillas hatte sich erhoben, schwerfällig schleppte er sich ein paar Schritte den Ankömmlingen entgegen. Seine Verbeugung war so tief, wie die Krücke, ohne die er sich nicht hätte aufrecht halten können, es nur immer zuließ.

»Dein Vorschlag gefällt mir,« sagte der Königs-Schofet, ihm die Hände entgegenstreckend. »Wenn du mich in die Einzelheiten des Planes einweihen willst, werde ich dir's danken.«

Gebietend hob er die Rechte, das Gefolge von Offizieren und Soldaten verließ das Gemach. Nur der Hipparch Melekpalas war zurückgeblieben und ein vornehm aussehender junger Krieger, dem Tigillas zur persönlichen Dienstleistung zugeteilt.

»Ich freue mich, dich wieder hergestellt zu sehen, Jophischat! Den Göttern Dank, die den Stoß fehlleiteten! Baal Wahballat, dein ehrwürdiger Vater, machte sich Sorgen. Es wird mir eine besondre Genugtuung gewähren, ihm Gutes von dir zu berichten.«

Das war es, was die noch immer anwachsende Volkstümlichkeit des Numiders begründete: seine ungezwungen leutselige Art gegen jedermann. Daß er wiedererkannte, wen er auch nur ein einziges mal gesehen hatte. Daß er Anteil an den Geschicken jedes einzelnen zu nehmen schien, mit dem er in Berührung trat. Auch mit dem Niedrigsten verkehrte er in ähnlicher Weise, aber selbstverständlich wußte er ganz gut, warum er so besonders auszeichnende und bezaubernde Worte gerade an den Sohn Wahballats richtete, eines der vornehmsten und als Oberpriester der Tanit einflußreichsten Männer von Kart-Chadast.

Hingerissen von so viel Güte stammelte Jophischat einige Worte des Dankes. Von diesem Augenblick an blieb er dem Königs-Schofeten ergeben mit Leib und Seele. Später sollte er seine Anhänglichkeit sogar mit seinem Herzblut besiegeln – ohne freilich das Unheil vom Haupte Hasdrubals dadurch abwenden zu können.

Über den Tisch gebeugt, der mit Papieren bedeckt war, legte Tigillas seine Absichten dar und erläuterte sie an Karten und Rissen. In beiden vorausgegangenen Nächten hatte er im Schutz der Dunkelheit die Mauerteile notdürftig wiederherstellen lassen, die tagsüber unter der Wucht der Sturmböcke zusammengebrochen waren. Aber was half's? Wie immer, so kam auch hier das Niederreißen rascher vom Fleck als das Aufbauen. An jedem neuen Morgen war trotz angestrengtester Nachtarbeit die Mauer doch wieder ein gut Stück niedriger und zeigte Breschen, ganz abgesehn davon, daß, der noch frische Mörtel nicht widerstandsfähig war und manchmal ein einziger geschickter Stoß genügte, die Scheinherrlichkeit zusammenrasseln zu machen.

Darum hatte Tigillas sich entschlossen, einen Ausfall zu wagen. Die beiden riesigen, von je sechstausend Mann bedienten Sturmböcke arbeiteten unter langgestreckten, aus festem Balkenwerk gezimmerten Schutzdächern. Die wollte er mit Fackeln in Brand stecken lassen.

» ... Und wenn die ausfallende Mannschaft abgeschnitten, eine Rückkehr ihr unmöglich gemacht wird?« gab Hasdrubal zu bedenken.

Durch dicke Rohrfederstriche bezeichnete Tigillas bestimmte Stellen am Vorwalle.

»Hier brauche ich noch achthundert Mann Schwerbewaffnete, welche die Aufnahmsstellung am Ausfalltore halten.«

»Eine Atempause am Tor von Magara gibt mir die Möglichkeit, dir die Achthundert für diese eine Nacht zur Verfügung zu stellen.«

Melekpalas malte ein paar Schriftzeichen auf ein Blatt, drückte ein Wachssiegel bei und reichte es zum Türspalt hinaus. Noch hatte er nicht wieder am Tische Platz genommen, als man schon einen Meldereiter über den Fischplatz davontraben hörte. Den Kopf in die Hand gestützt, verharrte Hasdrubal in Versunkenheit, sorgfältig und unter angestrengtem Nachdenken die Zeichnungen und Pläne überprüfend.

»Wie aber, wenn die Römer im Gegenstoß mit Übermacht durch die Bresche dringen und den Fischmarkt zum Schlachtfeld wählen?«

»Nur erwünscht! Die Wege, auf denen meine Mannschaften sich von den Wehrgängen in die zum Fischmarkt führenden Seitengassen verteilen, sind aufs genaueste vorgesehen. Strahlenförmig erfolgt von hier aus die Ausnützung des Hinterhalts. Die sämtlichen Häuser, die den geräumigen Platz einschließen, mit Ausnahme des kleinsten und nichtigsten, in dem wir uns eben befinden, sind von oben bis unten angefüllt mit Waffen, wie sie auch der Waffenunkundige zu gebrauchen weiß. Hier hab' ich es nicht not, meine Soldaten zu verschwenden. Greise, Weiber und Kinder werden die eingedrungenen Römer mit Feldsteinen und brennenden Pechkränzen begrüßen, das aus den Fenstern herabgegossene siedende Wasser und Öl wird ihnen ein Verweilen nicht eben begehrenswert erscheinen lassen. Censorinus müßte – was er bestimmt nicht ist – ein Hannibal an Feldherrnblick sein, sollte er nach Abschluß eines solchen Unternehmens nicht einigermaßen einem Fuchse gleichen, der gern manchen Fetzen Pelz im Schlageisen zurückläßt, nur um sein nacktes Leben zu retten.«

Der Numider nickte zustimmend. Die Erklärungen schienen ihn zu befriedigen. In der eingetretenen Stille hörte man ein fernes Krachen und Donnern in regelmäßigen Abständen. Es klang, als schwänge ein Schmied von übermenschlichem Wuchs, mit dem Haupte die Wolken berührend, einen ungeheuren Hammer und ließe ihn von Zeit zu Zeit auf einen nicht minder ungeheuren Amboß niedersausen. Das waren die Stöße der beiden Sturmböcke, die gegen die Stadtmauer wüteten und sich diesmal auch des Nachts keine Ruhe gönnten.

»Sie arbeiten daran, unsern Leuten ein bequemes Ausfallstor zu bereiten,« lächelte Melekpalas lauschend.

Der Königs-Schofet stand auf, sich zu verabschieden: »Milkarts Segen mit dir!«

Er zögerte. Melekpalas und Jophischat verstanden. Offenbar wünschte er mit dem Kommandanten noch ein Wort unter vier Augen zu wechseln. Unauffällig waren die beiden Begleitoffiziere verschwunden.

»Die ehrenvollste Aufgabe bei dem beabsichtigten Ausfalle wird ohne Zweifel der Vorhut zufallen, die den Fackelträgern den Weg zu bahnen hat?«

»Die ehrenvollste und die gefährlichste.«

»Wen hast du zum Führer ausersehen, Blanno Tigillas?«

»Ich hätte Jophischat gewählt, wäre mir sein Leben nicht zu wertvoll.«

»Ich wünsche, daß Gisgon, der Sohn Magos, des Libyers, damit betraut werde.«

Tigillas stutzte.

»Herr – soll ich mich einen leichtsinnigen Verschwender schelten lassen? Die Aufgabe fordert Kühnheit und Mut, sonst aber nichts weiter. Gisgon gehört zu den größten Hoffnungen der Stadt. Als Eidam deines Namensvetters, des Boëtharchen, ist er wichtigsten Verwendungen vorbehalten, wie sie übrigens auch seinen Fähigkeiten entsprechen würden. Der Führer der Vorhut aber muß den Würfel liegen lassen, wie er fällt. Es ist mehr als zweifelhaft, ob er den Äthusenkranz je mit dem Kranz des Siegers wird vertauschen können!«

»Willst du mir Lehren geben?« brauste der Numider auf. »Wenn ich Gisgon zum Führer bestimme, so weiß ich auch, warum ich's tue. Für einen Posten von so entscheidender Wichtigkeit ist mir der Erprobteste gerade gut genug! Ich habe befohlen, Blanno Tigillas wird gehorchen!«

»Und Hasdrubal, der Sohn Chimalkarts, die Verantwortung für Gisgons Leben tragen!«

»Spare deine Worte!«

*

Gegen Abend war Scipio Aemilianus, der Tribun – mit seiner Truppe zur Verstärkung der römischen Streitkräfte an der sogenannten Ochsenzunge befohlen – am Orte seiner Bestimmung eingetroffen. Im Lager des Konsuls Lucius Marcius Censorinus fehlte es an Platz, auch außerhalb desselben fand er Unterstände nur ungenügend vorbereitet. Er sah sich genötigt, seine marschmüden Leute im Freien abkochen und lagern zu lassen.

Vor einer Hütte aus Schilf und Binsen saß er jetzt, nah' am Wasser, mit einigen seiner Offiziere bis tief in die Nacht hinein im Gespräch.

Die Hitze war groß, die Luft stockte. Die selbst bei Tage fast unübersehbare Fläche des Sees von Tunes glich in der sternenlosen Finsternis einem ungeheuren schwarzen Abgrund ohne Grenzen.

Düsterer Unmut erfüllte das Herz des edlen jungen Mannes. Sowohl vonseiten des Aemilius Paullus, seines leiblichen Vaters, wie auch vonseiten des Scipionengeschlechts, dem er durch Adoption angehörte, mit dem Erbgut einer glänzenden militärischen Begabung ausgestattet, war er doch auf Schritt und Tritt gezwungen, Befehlen zu gehorchen, die er für unzulänglich, für verfehlt, wo nicht gar für widersinnig hielt. Die Pfuschereien der beiden kommandierenden Konsuln, die aus politischem Strebertum die Rolle von Heerführern spielten, wozu sie aller Voraussetzungen ermangelten, brachten ihn manchmal zur Verzweiflung. Und so wenig er für seine Person den Verführungen des Ehrgeizes zugänglich war, verging kaum ein Tag, wo er nicht insgeheim bedauert hätte, daß Roms Gesetze es ihm unmöglich machten, das Heft des Schwertes selbst in seine starke Faust zu nehmen. Denn noch fehlten ihm mehrere Jahre auf das zur Erreichung der Konsulatswürde vorgeschriebene Mindestalter.

Wie der Ankerplatz der römischen Flotte und der von da aus vorgeschobene Belagerungspark, die beide unter Befehl des Censorinus standen, so befand auch der angrenzende Abschnitt, den nur die Verlegenheit zum Lager hatte wählen können, sich im toten Winkel am Gestade des schlafenden Binnensees. Die frischeren Lüfte des Meeres wehten nicht bis hier herüber, ihr Flügelschlag brach sich an der Stadt, deren hohe Festungsmauern dazwischen aufragten. Das machte den Aufenthalt in dieser Gegend zuzeiten recht ungesund, immer aber unerquicklich. Müdigkeit und Unlust steckten den um ihren verehrten jugendlichen Führer versammelten Offizieren ebenso wie ihm selbst in allen Gliedern Und nachdem manche abfällige Bemerkung über die hier beliebte laienhafte Kriegführung gefallen war, erlahmte schließlich der Gedankenaustausch der Legionsgenossen. Das tausendstimmige Quaken, das aus der dunklen Wasserfläche stieg, machte sich jetzt lauter vernehmbar.

»Die Sturmböcke sind endlich zur Ruhe gekommen,« sagte Scipio Aemilianus, in der Richtung gegen die Festungswälle von Kart-Chadast in die Nacht hinauslauschend. »Hohngelächter der Unken verdrängt die so bitter ernst gemeinten Geräusche menschlicher Bosheit. Das Siebengestirn, könnte man's sehen, müßte steil stehen; nach meiner Schätzung nähern wir uns der dritten Nachtwache. Und noch immer harre ich vergeblich einer Verständigung, was wir eigentlich hier sollen, und warum wir mit unsern Kohorten in Gewaltmärschen an die Mittagsseite der Stadt geworfen wurden. Vielleicht klärt die neue Sonne uns darüber auf. Die wenigen Stunden, die uns noch von ihr trennen, laßt uns schlafen, liebe Freunde.«

»Einen gesunden Schlaf nach so anstrengenden Märschen hätten unsre braven Mannschaften freilich verdient,« antwortete Abimäus, der Primus pilus des Triarier-Manipels. »Aber was ist das für ein Lagerplatz, hier auf den Erdaufschüttungen, durch die Censorinus die Ochsenzunge verbreitern ließ! Der mit Feuchtigkeit durchsetzte Boden brütet giftige Dünste aus, die Mückenplage läßt keinen Menschen, und wär' er noch so müde, ein Auge schließen. Ich hab' es oft beobachtet, daß eine Reihe der heißesten Schlachttage hintereinander eine Truppe nicht so zermürbt wie eine einzige schlaflos durchgequälte Nacht. Es ist mir ein Rätsel,« wendete er sich in einem Tone, der fast einer Herausforderung glich, an den Zenturionen Haterius, »es ist mir ein Rätsel, wie ein Feldherr, der die Legionen zum Sieg und nicht in die Lazarette führen will, sich einen Sumpf zum Stützpunkt wählen konnte!«

»Das Rätsel kann ich dir leicht lösen. Censorinus bildete sich ein, in zwei Tagen mit Karthago fertig zu sein, das ist alles!« antwortete der Zenturio mit zornigem Auflachen.

»Du meinst, er sei nicht darauf gefaßt gewesen, längere Zeit hier lagern zu müssen?«

»Alles andere hätte er sich eher träumen lassen!«

Haterius, der nicht eigentlich unter Scipios Befehl stand, sondern ihm erst seit einigen Stunden vom Römerlager aus als Verbindungsoffizier zugeteilt war, hatte das Unternehmen an der Ochsenzunge von Anbeginn an mitgemacht. Er erzählte, wie ursprünglich die Losung dahin gelautet hätte, eine entwaffnete Stadt zu nehmen, sei ein Kinderspiel. Wie man infolgedessen ohne alle Vorbereitung einfach Sturmleitern angelegt und die Mauern zu ersteigen versucht hätte. Tausende seien auf diese Weise in den Tod gehetzt worden, ehe Censorinus einsehen gelernt, daß Unterschätzung des Gegners sich von je als Vorstufe des Mißerfolges erwiesen habe.

»Und er wird außerdem noch manches sonst zu lernen haben,« sagte er. »Der am punischen Volk verübte Betrug bleibt nicht ungerochen, die Götter sind gerecht! Die schändliche Demütigung einer durch falsche Vorspiegelungen wehrlos gemachten Stadt wird noch viel Blut fordern, Blut, Blut und abermals Blut!«

Nein! Haterius fühlte sich nicht getroffen, wenn Abimäus durchblicken ließ, er halte den Konsul für einen Stümper. Im Gegenteil! Haterius hielt ihn selbst für nichts andres und für einen ausgemachten Schurken obendrein. Er sah keinen Anlaß, warum er sich hätte ein Blatt vor den Mund nehmen sollen, Recht mußte Recht bleiben!

»Ich bin nur ein einfacher Soldat, der sich aus dem Mannschaftsstande hinaufgedient hat. Aber ich hab' Ehr' im Leibe, wie es sich für einen alten Legionär gehört, und ich sage: der Krieg ist eine schlimme Sache, jeder Krieg, aber er muß sein. Was aber nicht sein müßte und nicht sein dürfte, wenn das ehrbare Rom von einst nicht im Sterben läge, das ist ein mit unlauteren Mitteln erschlichener Sieg! Denn alle Greuel der Schlacht verblassen gegen die Schufterei, die offenem Männerkampfe abgefeimte Schliche entgegensetzt!«

Abimäus ergriff warm des Zenturios Hände und drückte sie an seine Brust, gleichsam stumme Abbitte leistend.

Valerius, ein dem Abimäus zur Dienstleistung zugeteilter jüngerer Offizier, machte auf einen Feuerschein in der Ferne aufmerksam, der plötzlich ein Stück der kartchadischen Stadtmauer samt einem hoch darüberragenden Wehrturm in zauberhafter Beleuchtung aus dem tiefen Schwarz der Nacht grell heraushob.

»Was ist das für eine Erscheinung?«

Hornrufe, Trompetenstöße aus dem angrenzenden Lager durchschnitten die Luft. Der Feuerschein wuchs an. Rotglühend stieg, einer Wüstenspiegelung vergleichbar, der ganze Stadtteil ums Fischertor mit Basteien und Türmen aus der Finsternis.

Rauchschwaden zogen darüber hin, und Hähne mit roten Kämmen liefen in langer Reihe am Boden entlang. Sich drängend, sich balgend, einander überspringend, mit den Köpfen nickend, ausflatternd und sich ein Stück weiter gegen die Ochsenzunge wieder niederlassend, so hasteten die unzähligen gelbroten Vögel mit feurig gezackten Schöpfen in züngelnder Kette von der Stadt gegen den See, über den ganzen Belagerungspark hin, gefräßig verzehrend, was sich ihnen in den Weg stellte, und überall rote Glut und sprühende Funkengarben zurücklassend.

Kühl und karg hatte Aemilianus seine Befehle gegeben.

Zur Bereitschaft rufend, schmetterten jetzt auch aus nächster Nähe die Hörner. In wenigen Minuten standen die vom Tagesmarsch ermüdeten Kohorten abermals in Reih und Glied.

Inmitten seines waffenklirrenden Stabes ritt Scipio langsam und bedächtig in die Nacht hinaus, immer die Richtung gegen die entfernten Lichterscheinungen einhaltend. Seine Aufklärer umschwärmten ihn auf scharftrabenden Rossen, die kühnsten und hurtigsten waren ihm immer weit voraus. Von Zeit zu Zeit hielt er sein Pferd an und stand stille in der Dunkelheit. Geduldig und besonnen wartete er die Meldungen seiner Reiter ab und ließ sich über die gemachten Beobachtungen aufs genaueste unterrichten, eh' er seinen Weg fortsetzte.

Denn Geduld und Besonnenheit, von Jugend auf in unzähligen gefährlichen Jagdabenteuern geübt, gehörten zu den nicht unwichtigsten seiner Feldherrntugenden.

»Der Krieg,« pflegte er zu sagen, »fordert kühne Entschlüsse. Vor ihrer Ausführung aber müssen sie aufgehört haben, eine Kühnheit zu sein.«

*

Die Schirmdächer der beiden langen hölzernen Stollen, unter denen sonst die Sturmböcke der Römer arbeiteten, standen in Hellen Flammen.

Durch die klaffenden Mauerbreschen hatten die Kartchader unter dem Schutz der Nacht einen Ausfall gewagt. Gisgon, der Sohn Magos, des Libyers, befehligte ihn.

Seine Anordnungen bewährten sich. Nur jeder zweite Mann trug Waffen, die Ausrüstung der übrigen bestand in brennenden Pechfackeln, die sie unter großen irdenen Kochtöpfen verborgen hielten. So bemerkte niemand ihre Annäherung. Die römischen Wachtposten, teils in ungenügender Zahl ausgestellt, teils lässig im Dienst, waren bald überwältigt und geknebelt oder niedergemacht. Die allzu große Vertrauensseligkeit des Konsuls, der die Widerstandskraft der Belagerten noch immer unterschätzte, rächte sich. Sie hatte den Geist der Truppe geschwächt, ihre Mannszucht untergraben, die Unlust zu Anstrengungen und die Neigung zum Schlendrian gefördert.

Gisgons Leuten dagegen, denen es um Haus und Herd ging, fehlte es so wenig an Opfermut wie an Entschlossenheit. Aufs sorgfältigste über den Zweck des Unternehmens belehrt und in ihren Obliegenheiten unterwiesen, spürten sie die feste, zielbewußte Hand und vertrauten sich gern ihrer Führung. Kein einziger versagte oder handelte auf eigene Faust, so groß die Versuchung manchmal sein mochte. Alle hielten sie sich in bewundernswerter Selbstzucht streng an die eingeschärften Weisungen.

So konnte es geschehen, daß erst auf das verabredete Zeichen, einen mächtigen Posaunenstoß, sämtliche Fackeln auf einmal aus den zerschellenden Töpfen fuhren und an hundert Stellen zugleich Feuer in die Anlagen der Feinde geworfen wurde. Im Nu waren Schirmdächer und Belagerungsmaschinen in Brand gesteckt, hochauf loderten die Flammen und fraßen weiter. Es dauerte nicht lange, so wurden auch die benachbarten Unterstandshütten der Mannschaft, die großenteils mit Binsen gedeckt waren, davon ergriffen. Wie von Himmelsblitzen entzündet, schien plötzlich das ganze Lager zu brennen.

Damit hatte der Ausfall seine Aufgabe erfüllt und zwar, ohne bis dahin erhebliche Opfer an Menschenleben gefordert zu haben. Nun galt es, um größere Verluste zu vermeiden, sich so rasch wie möglich aus dem Handel zu ziehen. Die Römer, von ihren Offizieren in unberührten Lagerabschnitten gesammelt und im Sturmschritt herangeführt, drohten durch Übermacht die nur zur Hälfte bewaffneten Kartchader zu erdrücken. Gisgon ließ zum Rückzug blasen.

Es bestand für seine Leute die Gefahr, abgeschnitten, umzingelt und aufgerieben zu werden. Ihr Entweichen zu decken, bemächtigte er sich mit einer Anzahl der Beherztesten und Bestbewaffneten einer mit Tamariskengestrüpp überwucherten Dünenstelle und faßte Fuß auf ihr. Der Bodenbewegung angepaßt, geschützt durch eine Umwallung vorgestemmter Schilde, so baute sich hockend, kniend, stehend, der langrund gestreckte Block von Menschenleibern zu einer lebenden Festung auf, aus der sich ein Hagel von Pfeilen und Wurfspießen auf die den Abziehenden nachdrängenden Römer entlud. Diese kamen zum Stehen und ließen von der Verfolgung ab, der Großteil des kartchadischen Heerhaufens fand Zeit, sich in Sicherheit zu bringen.

Mit um so größerer Erbitterung jedoch wendete der Feind sich jetzt gegen die auf beherrschender Höhe Ausharrenden. Kaum zweihundert todesmutige Streiter mochten es sein, die sich auf dem Tamariskenhügel um Gisgon scharten, aber sie standen wie eine Mauer und schlugen die Angriffe der mit jeder Minute anwachsenden Überzahl blutig zurück.

Inzwischen verglomm der Feuerschein. Das Licht des rasch aufdämmernden Tages machte ihm die Herrschaft streitig, in Asche und verkohltem Holz erstarb das Lodern. Die Römer hatten sich zurückgezogen, sie schienen Vorbereitungen zu einem entscheidenden Stoß zu treffen. Gern hätte Gisgon die Gefechtspause benützt, sich vom Feind zu lösen, doch belehrte ihn ein prüfender Rundblick unter dem ersten schrägen Strahl der Sonne, daß Epibaten von den Römerschiffen her sich in seinen Rücken geschlichen hatten. Deckung suchend nisteten sie in den gewaltigen Mauertrümmern, die gleich Schutthalden eines Felsensturzes seine Rückzugslinie durch die große Bresche unwegsam machten. Die Stellung auf dem Tamariskenhügel glich jetzt einer rings umbrandeten Insel, mehrere Stadien vom gesicherten Festland entfernt, auch der kühnste Schwimmer konnte kaum hoffen, es je wieder zu erreichen.

»Wir haben die Sonne zum letztenmal aufgehen sehn,« sagte eine Stimme an Gisgons Seite. »Noch ehe sie zu unsern Häupten steht, wird sie für uns erloschen sein.«

»Möge sie um so heller den durch uns Geretteten scheinen und der Stadt, für die wir sterben!«

Der Gewaffnete, der zu ihm gesprochen, war ein Mann in reifem Alter, der ihm bekannt vorkam, ohne daß er sich doch erinnern konnte, wo er schon vorher mit ihm zusammengetroffen wäre. Sorgend, er möchte Kleinmut in die Reihen der Seinen tragen, fügte er hinzu: »Zagst du, so tu's wenigstens nicht laut. Guter Mut ist halbes Leben!«

»Für mich zag' ich nicht, das magst du mir glauben! Ich sah die Sonne oft genug über dem Meer aufsteigen, ich weiß längst, daß sie es nur zu dem Zwecke tut, um auf der andern Seite wieder unterzugehn. Ich sehne mich nicht übermäßig danach, diesem Schauspiel noch länger beizuwohnen. Aber du, mein Gisgon, tust mir leid und Ellot, deine süße kleine Frau. Euch lodern noch die Flammen der Jugend, der Liebe, des Lebens – tausendmal heiliger als das sengende Feuer auf Milkarts verruchtem Altar. Warum machtest du dich nicht zum Fürsprecher des Friedens, wie Ithobaal es dir riet? Wär's nicht besser gewesen, in Freundschaft mit Censorinus zu leben, statt als sein Feind zu sterben?«

Gisgon besann sich. Er wußte nun, daß er es mit Bostar zu tun hatte, dem Spötter und Zweifler, dem er wiederholt in Ithobaals Gesellschaft begegnet war. Immer hatte die Art dieses Mannes seine Gefühle verletzt, er empfand sie wie Flugbrand, der hoffnungsvolle Saaten vergiftet.

»Ich wundre mich nur,« sagte er, »dich unter den Helden zu finden, die meinem Rufe folgend nicht zögerten, diesen gefährlichen Posten zu beziehen.«

»Warum sollte ich nicht bereit sein, zur Abwechslung einmal auch den Opfertod mit euch zu sterben?« antwortete Bostar. »Es gibt mancherlei Beweggründe, die einen zum Helden machen können. Ich wurde es aus Langerweile, und weil die Vernunft jetzt aus der Mode gekommen ist. Du bedauerst mich? Ich seh' dir's an. Vielleicht bin ich bedauernswert, denn sicherlich bin ich der einzige unter euch, der sich nicht selbst betrügt.«

»So wäre die lautere Flamme, die in unseren Herzen lodert, und die noch heiliger ist als Jugend, Liebe und Leben, nichts als Selbstbetrug?«

»Was wäre sie sonst? Bringst du nicht freudig dein Leben dar, in der Hoffnung, den Untergang Kart-Chadasts dadurch zu verhüten? Als ob Begeisterung jemals hingereicht hätte, das Unmögliche möglich zu machen! Und hältst du dich nicht für ein Werkzeug in der Hand der Götter, von denen du annimmst, sie zerbrächen sich die Köpfe darüber, wie sie der Gerechtigkeit in der Welt zum Siege verhelfen könnten? Als ob die Gerechtigkeit der Götter nicht von je darin bestanden hätte, den Stärkeren über den Schwächeren triumphieren zu lassen! Verblendeter Held, der du bist! Ein Werkzeug nicht in der Hand der Götter – nein, nur in den Händen eines Gewaltherrschers, der dir nach dem Leben trachtet, um sich desto leichter deiner jugendlichen Gattin zu bemächtigen.«

»Von wem sprichst du?« brauste Gisgon auf, ihn mit zornigem Griff am Handgelenk packend.

»Von wem sonst als von Hasdrubal, dem Numider, der dich mit deinem Ehrgeiz für dies halsbrecherische Abenteuer köderte. Oder redete er dir etwa nicht ein, er wüßte niemand, dem er die Führung eines so wichtigen Unternehmens lieber anvertrauen würde als gerade dir?«

»Das sagte er allerdings.«

»Und du gingst ihm blindlings auf den Leim, bildest dir ein, für Kart-Chadast zu sterben und opferst dich in Wahrheit nur den Lüsten eines Wüstlings, den kein Mittel zu schlecht dünkt, seine Begierde an deinem jungen Weib zu büßen!«

»Behalte deinen Geifer bei dir, pesthauchende Lästerzunge!« knirschte Gisgon in ohnmächtiger Wut.

Er preßte die Hand ans Ohr, er wollte kein Wort mehr hören und wendete sich zornglühend ab, als wär' er entschlossen, die häßlichen Einflüsterungen mit Verachtung von sich zu weisen. Doch wußte von dieser stolzen Geste sein Inneres nichts. Denn es klang darin Ellots empörte Anklage auf, mit der sie ihm die Nachstellungen des Numiders eingestanden. Er sah sie vor sich, wie sie in Angst und mädchenhafter Scham sich in seine Arme geflüchtet hatte. Dennoch war Hasdrubal ihm bis dahin das Oberhaupt des bedrohten Staates geblieben. Nun fraß das eingeflößte Gift sich weiter und kroch ihm bis ans Herz. Und sein Opfertod schien ihm kein Heldentod mehr, sondern eine Torheit.

Noch niemals war es ihm eindringlicher geworden, wie alles, was als Ziel für uns in Betracht kommt, erhaben oder gering, verklärt oder wertlos nur durch unsre Einbildung erscheint. So kann es geschehen, daß ferne Wolken, die sich zu strahlenden Burgen und Märchenschlössern aufzubauen schienen, mit dem Scheiden der Sonne plötzlich zu grauen Nebelfetzen verblassen...

*

Die Hitze fing bereits an drückend zu werden, würziger Duft stieg auf von den Tamarisken.

Gisgon hatte die noch vorhandenen Pfeile und Lanzen nachzählen lassen, ihre Zahl war beängstigend zusammengeschmolzen. Die von den Römern früher geschleuderten Wurfspieße als Gegengruß zu verwenden, erkannte er als untunlich. Absichtlich stellten sie, um dies zu verhindern, die Spitzen aus so weichem Eisen her, daß sie nach dem ersten Gebrauch unbrauchbar wurden.

»Geschosse sparen! Nur wo es kein Fehlen geben kann, darf das kostbare Kriegsgerät geopfert werden!« So lautete die Losung, die er ausgab.

Endlich sah er den Feind anrücken. Nicht hastig und regellos wie vorhin, nein, langsam, in geschlossener Masse, zur althergebrachten Schlachtreihe geordnet.

Die Veliten voraus, mit leichten Wurfspießen und dem kleinen Rundschild versehen, Wolfsfellmützen auf dem Kopf. Hierauf hintereinander die Hastaten und Principes mit befederten Helmen, vor der Brust die eherne Platte, den sogenannten »Herzbewahrer«, das zum Stoß wie zum schweren Hieb gleich geeignete iberische Schwert an der rechten Hüfte und den wohl sechs Ellen langen Speer in der Faust, dessen Widerhaken so fürchterliche Wunden verursachen konnten. Zum Schluß die Triarier in blitzenden Panzerhemden, mit purpurroter Helmzier und hohen, schmalen, ehern bebuckelten Schilden. Es hatte den Anschein, daß diesem Wald von Lanzen, der den Beschluß bildete, nichts würde widerstehen können, was dem Vorausgegangenen allenfalls noch standgehalten hätte.

Ein unbändiger Lebenswille, durch die Sorge um Ellot aufgepeitscht, jagte bei diesem Anblick einen Wirbel von Gedanken und Plänen, die sich um Rettung drehten, durch Gisgons Hirn. Bei der Knappheit der Pfeile und Wurfspieße hätte es an Wahnsinn gegrenzt, dem regelrechten Angriff einer kriegsmäßig vollgerüsteten Legion die Stirn zu bieten. Was also blieb übrig? Er entschied sich für ein äußerstes Wagen und gab Befehl zurückzugehn und sich stadtwärts gegen die große Mauerbresche durchzuschlagen. Denn immerhin schien ihm der Kampf gegen die im Trümmerfeld Deckung suchenden Epibaten noch aussichtsreicher als ein Anbinden mit der neu eintretenden Kampfgruppe.

Mit geschwungenem Schwert stürmte er den Seinen voraus den Tamariskenhügel hinab. Schilde krachten aneinander, bald war man handgemein. Die Epibaten wichen. Sie zogen sich vor dem verzweifelten Anprall bis in den Schutz des Trümmerfelds zurück. Hier aber hielten sie stand, nun ging es Mann gegen Mann, von Deckung zu Deckung. Immerhin rückte man vor, langsam die Schutthalde aufwärts. Nur allzu langsam!

Gisgon blickte um. Der eherne Schritt der bis auf die Zähne bewaffneten Legionen näherte sich bedrohlich vom Rücken her. Bald würde man sich zwischen zwei Feuern befinden.

Plötzlich Kriegsgeschrei von der Stadt her. Ein erneuter Ausfall der Kartchader aus der Mauerbresche! Behende kletterten die Wackeren über das Steingetrümmer. Sie brachten Entsatz, sie brachten Hilfe!

Ein blutroter Wimpel flatterte ihnen voran, am Feldzeichen des kartchadischen Einhorns befestigt. Jauchzend, als ging's zum Tanz, behauptete der Bannerträger die Führung. Gisgon erkannte, als er näherkam, daß es Dubar war, der Sohn des Muttines. Das Schwert in seiner Faust blitzte und verrichtete blutige Arbeit. Es war bewundernswert anzusehen, mit welcher Kühnheit der Jüngling, obgleich durch keinen Schild geschützt, da er das Feldzeichen trug, sich auf den Feind warf.

Und Gisgon vernahm, während sein erleichtertes Herz höherschlug und der nahen Rettung entgegenjubelte, wie jetzt aus jugendlichen Kehlen die getragene Weise des kartchadischen Kampfliedes herüberscholl, das eigentlich ein Seeschlachtlied war, aber auch zu Lande gesungen wurde, wenn die Wogen der vaterländischen Begeisterung hochgingen:

»Einhorn, Einhorn, stoße zu!
Fluten, öffnet euren Schlund!
Heute gilt's: ich oder du,
Hungrig ist der Meeresgrund ...«

Nun waren es die Epibaten, die sich zwischen zwei Feuern befanden. Ein einziger Weg der Rettung blieb ihnen noch: seitwärts auszuweichen und Hals über Kopf die Flucht zu ergreifen. Wem es nicht glückte, der wurde niedergemacht.

Noch ehe die geschlossene Streitmacht der Römer völlig herangerückt und die Feindseligkeiten aufzunehmen in der Lage gewesen war, hatten die beiden kartchadischen Kampfgruppen Gisgon und Dubar einander die Hand gereicht. Gemeinsam zogen sie sich nun in größter Hast hinter die schützenden Wälle zurück.

Bald waren sie jenseits des an einen Gebirgssattel erinnernden Hohlwegs der großen Bresche verschwunden und hatten sich, als die Römer nachrückten, hinter den nächstgelegenen Häuserzeilen der Stadt verloren. Es blieb zweifelhaft, ob sie nicht verhindern konnten, oder nicht verhindern wollten, daß die fast an ihre Fersen gehefteten Kohorten hinter ihnen drein die Trümmer des niedergelegten Mauerabschnitts überstiegen und durch die erwähnte große Bresche gegen den Fischmarkt vordrangen.

Die Römer natürlich, die gern an ihre Unwiderstehlichkeit glaubten, nahmen ohne weiteres an, der Feind sei zersprengt und am Ende seiner Kraft. Und da sie, ohne den geringsten Widerstand zu finden, in Kart-Chadast einmarschierten, waren sie geneigt, sich bereits als Sieger zu betrachten.

*

»Ein menschenleerer Platz! Anscheinend verzichten sie auf weiteren Widerstand!«

Ein Legionär mitten im behutsam vordringenden Stoßtrupp sagte es zu seinem Nebenmann. Und frohlockend fügte er hinzu: »Ich denke, Karthago ist unser?«

»Wie ich dir immer sagte: dies ist gar kein richtiger Krieg! Denn in einem richtigen Krieg muß man es mit einem ernsthaften Gegner zu tun haben, diese Feiglinge aber haben sich ohne weiteres entwaffnen lassen. Wie sollten sie uns da noch einen nennenswerten Widerstand entgegensetzen können?«

»Ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn es bald zu Ende ginge. Meinst du nicht, Apollinarius, daß ich dann Urlaub nehmen könnte? In Dodona lebt mir noch die alte Mutter, sie würde mich gern noch einmal wiedersehen.«

»Du bist mir auch ein rarer Soldat!« schmähte Apollinarius. »Weichlich wie alle Epeiroten, ein richtiges Muttersöhnchen! Ging's nach mir, wir hätten keine Bundesgenossen in die Legionen aufgenommen. Ein römischer Soldat von altem Schrot und Korn fragt nach keinem Urlaub. Er wünscht sich nichts, sobald ein Rummel erledigt ist, als daß es bald an irgendeiner anderen Stelle wieder losgehn möchte. Aber halt! Was ist das?« unterbrach er sich. »Mir scheint, die Hunde haben uns in eine Falle gelockt!«

Aus einer der in den Fischmarkt mündenden Seitengassen war mit eingelegten Speerschäften eine dichtgescharte kartchadische Hundertschaft vorgebrochen und hatte die Römer, ihnen in die Flanke fallend, an die gegenüberliegende Häuserreihe abgedrängt. Zu gleicher Zeit schwirrten unzählige Pfeile durch die Luft. In den Nacken, die Seite, die Brust getroffen, sank mancher aufstöhnend ins Knie.

Die Pfeile kamen von oben, man konnte sich ihrer kaum erwehren. Wie Heuschreckenschwärme schienen sie vom Himmel her einzufallen, zugleich mit einem dichten, tödlichen Hagel von Kieseln und Feldsteinen, die in ungeheuren Mengen auf die Eingedrungenen niederprasselten. Und mitten im Schrecken und der angerichteten Verwirrung erhob sich wahnsinniges Schmerzgeschrei. Wer einer Hauswand zu nahe gekommen war, hatte einen Schwall siedenden Öls abbekommen und brach brüllend zusammen, oder raufte sich mit einem brennenden Pechkranz herum, der irgendwo am Körper klebte und den Betroffenen je heftiger er dagegen zappelte, nur desto sicherer in eine lebende Fackel verwandelte.

Das Entsetzen steigerte sich von Augenblick zu Augenblick. Aus allen Seitengassen rückten jetzt wohlgerüstete Gewalthaufen mit Bogen, Speeren und Schwertern strahlenförmig gegen die Mitte des Fischmarkts los. Dabei dauerte der Pfeil- und Steinhagel aus den Häusern, das Herabschütten brennenden Pechs und verbrühender Flüssigkeiten aus den Fenstern ungeschwächt fort. Aus jeder Himmelsrichtung sahen die verzweifelnden Legionen sich bedroht, dazu von der Luft her ununterbrochenen Angriffen ausgesetzt, gegen die man wehrlos blieb. In kürzester Zeit jeder Widerstandskraft beraubt, wie gehetztes Wild zwischen dem blutgetränkten Platz und den blutbespritzten Hauswänden hin und her gejagt, kohortenweise fast völlig aufgerieben, durchwegs aber zersprengt und in zerrüttete Trümmer aufgelöst, so wälzte sich schließlich, was noch übrig war, in geängstigtem Gedränge, sich stauend und einander gegenseitig niedertretend, nach der Stelle zurück, durch die man unbedachterweise sich hatte verleiten lassen, diesen unheilschwangeren Boden zu betreten.

Inzwischen war Scipio Aemilianus, noch im Morgengrauen zu den Truppen des Censorinus stoßend und von diesem angewiesen, sich den gegen Kart-Chadast vordringenden Legionen anzuschließen, vor der großen Mauerbresche eingetroffen, die vom Römerlager her den Zugang zum Fischmarkt vermittelte.

Er machte Halt, sonderte seine Leute in Halbhundertschaften und verteilte sie nach einem bestimmten Plane über die anstoßenden Mauerkrönungen und Wehrgänge, ihnen aufs strengste untersagend, ihren Fuß in die Stadt selbst zu setzen. Censorinus, der inmitten seines Stabes in eigener Person angeritten kam, fand ihn in Begleitung des Abimäus, Haterius und anderer Offiziere auf der stadtwärts abschüssigen Schutthalde stehend und die Vorgänge auf dem Fischmarkt aufmerksam beobachtend.

»Vorwärts, mein Aemilianus, die Unsrigen sind in Not!«

»Das seh' ich, mein Lucius Marcius, es war Wahnsinn, sie da hineinzujagen.«

»Ich befahl dir, ihnen zu folgen, um ihnen Hilfe zu bringen!«

»Hätte ich deinem Befehl gehorcht, so wären wir zugleich mit ihnen verloren,« antwortete im Tone vollster Überzeugtheit der jugendliche Tribun. »Um wenigstens noch die spärlichen Überreste der zwecklos Hingeopferten zu retten, gilt es den Fliehenden eine Aufnahmsstellung zu bereiten, die den Feind am Nachdrängen hindert. Sonst kehrt überhaupt keiner mehr lebend zurück aus diesem unsinnigen Abenteuer.«

Der Konsul erbleichte. Bebend vor Zorn fauchte der hagere Mann: »Der Plan war gut ausgedacht! Du bist es, der seine Durchführung vereitelt!«

»Im Gegenteil, mein Konsul, ich mache gut, was noch gutzumachen ist!«

»Du hast die Eingeschlossenen im Stich gelassen!«

»Ich verhindere, daß sie bis auf den letzten Mann aufgerieben werden.«

»Ich befehle dir aber ...«

Scipio hob Einhalt gebietend die Hand und sagte kalt: »Ich werde mich vor dem Kriegsrat zu rechtfertigen wissen.«

Wutschnaubend wendete Censorinus sein Roß. Er ritt ins Lager zurück und begab sich ins Feldherrnzelt. Noch während das blutige Gemetzel auf dem Fischmarkt fortdauerte, diktierte er seinem Schreiber eine Anklageschrift gegen den Tribunen Publius Cornelius Scipio Aemilianus in die Feder, der die angeblich beinahe schon vollzogene Eroberung Karthagos durch seine Widersetzlichkeit vereitelt habe.

Aber das Schriftstück erblickte nie das Licht der Öffentlichkeit.

Nur dem Umstand, daß Scipio die fliehenden Römer aufnahm und den verfolgenden Kartchadern an der Mauerbresche einen Riegel vorschob, war es zu danken, daß es überhaupt noch Überlebende gab und wenigstens das Schlimmste für die Römer vermieden werden konnte. Denn die Legionen des Censorinus waren durch das unbedachte Wagnis so zermürbt und die Siegeszuversicht der Kartchader dank dem errungenen Erfolg so groß, daß sie voraussichtlich das ganze römische Lager an der Ochsenzunge überflutet und hinweggefegt haben würden, hätte Scipio ihnen nicht seine unverbrauchten Kohorten in den Weg zu stellen vermocht.

So wenigstens lautete nach diesem blutigen Tage das Urteil eines jeden Sachverständigen.

Darum zog Censorinus es vor, über seinen Auftritt mit Scipio Aemilianus Gras wachsen zu lassen. Er begnügte sich damit, nach Ergänzung und Neuordnung der eigenen Truppen den ihm unliebsamen Tribunen seinem Mitkonsul Manius Manilius zurückzusenden, indem er gleichzeitig darauf hinwies, daß es hoch an der Zeit sei, die zahlreichen größeren und kleineren Städte des libyschen Hinterlandes zu Paaren zu treiben, die durchwegs noch kartchadisch gesinnt waren und den Nachschub an Lebens- und Futtermitteln für die römischen Heere auf alle erdenkliche Weise zu erschweren wußten. Manilius aber befand sich an der Landenge von Gara vorderhand selbst zu sehr im Gedränge, als daß er an ein Unternehmen gegen das Hinterland hätte denken können. Eine Verstärkung durch Scipio und die Seinen war ihm hochwillkommen.

Übrigens hatte Censorinus später, als er längst aufgehört hatte, Konsul zu sein, und die punische Hafenfestung noch immer unbezwungen war, alle Ursache, den Göttern dafür zu danken, daß er vorsichtig genug gewesen war, seine Klage gegen Scipio nicht anhängig zu machen. Es wäre hinterher eine zu arge Bloßstellung gewesen, hätte ein solcher Streitfall die Öffentlichkeit darüber aufgeklärt, daß der damalige Konsul Lucius Marcius Censorinus schon im Jahre 605 nach Gründung der Stadt den Fall von Karthago für unmittelbar bevorstehend gehalten habe.

*


 << zurück weiter >>