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Wohin am frühen Morgen?«
»Auf die Bosra. Kommst du mit?«
»Mich hungert, ich fühle mich entkräftet,« antwortete Mänon, der ehemalige Staatsschreiber.
Hasdrubal, der Widder, hatte ihn entlassen, kurzerhand an die Luft gesetzt. Er könne so verknöcherte Aktenstäuber und Formenfexen nicht brauchen, hatte er ihm glatt ins Gesicht gesagt. So war Mänon gerade in dieser bösen Zeit erwerbslos geworden.
»Hier hast du die Hälfte meines Brotes,« sagte Malchas. »Die andre soll mir für den Tag genügen.«
»Vergelt' es dir Eschmun! Meinst du denn, daß es einen ganzen Tag dauern wird?«
»Eine Seeschlacht entscheidet sich nicht im Handumdrehn.«
»Ich weiß nicht, ob ich den Anblick ertrage. Es wird eine Folter sein, einen ganzen Tag lang das Auf und Ab des Glücksspiels zu beobachten, immer mit zugeschnürter Kehle, von banger Sorge gepeinigt: Wird es gelingen? Ist alles verloren?«
»Baal Wahballat hat geopfert und die Zeichen befragt,« sagte Malchas. »Tanit segnet den Tag.«
»So meinst du, daß wir hoffen dürfen?«
»Denke nur: fünfzig teils fünf-, teils dreirudrige Schlachtschiffe, hurtige Segler, daß jeder Seeräuber seine Freude daran hätte. Und eine Unzahl kleinerer Fahrzeuge außerdem, die werden die schwerfälligen römischen Kolosse in die Waden beißen wie giftige Köter einen Elefanten. Auf dem Wasser, behaupt' ich, sind wir Punier noch immer obenauf.«
»Es stärkt das Herz, dir zuzuhören,« sagte Mänon, wieder von Hoffnung belebt. »In mein Bett verkriechen kann ich mich schließlich auch nicht ... Ich komme mit!«
Auf dem Marktplatz herrschte ein Getriebe, als ob es da noch etwas zu kaufen gegeben hätte. Es waren aber nur Vorübergehende, die ihn überquerten, niemand hielt sich dort auf, alles Volk hastete in der Richtung gegen die Bosra. Wahre Ströme von Menschen bewegten sich die drei engen Gäßchen hinauf, die zum Burghügel anstiegen. In der Fischerzeile drängten sich die Leute aus der Hafengegend, im Obstgäßchen die Umwohner des Marktes. Im Schmiedegäßchen kam es gar zu Stauungen, weil fast die gesamte Bevölkerung der nördlichen Stadtviertel auf diesem Wege die Höhe zu gewinnen suchte. Und selbst aus der Magara war alles, was Beine hatte, herbeigeeilt, um ebenfalls dem Schauspiel der bevorstehenden Seeschlacht beizuwohnen und Zeuge des erhofften Sieges zu sein.
»Bist du schon an der Arbeit?« rief der Seiler Elym in Hiroms unterirdische Werkstatt hinab.
Der Schmied, der die Stufen heraufgestiegen kam, antwortete: »Heut' wird Feierabend gemacht, noch bevor Eschmuns Gestirn über den Zweihornberg steigt.«
Die beiden Freunde warfen sich gleichsam in den Strom, der schmal, aber vor Erregung brausend sich zwischen den sechsstöckigen Häuserzeilen bergan wälzte.
»Wann soll die Flotte in See stechen?« fragte Hirom.
»Um Sonnenaufgang, heißt es.«
»Hoffentlich erreichen wir bis dahin irgendeinen Aussichtspunkt.«
Seite an Seite und Schritt für Schritt ging's langsam genug vorwärts im Menschengewühl, das oftmals gänzlich stockte.
»Erdrückt mir die Alten nicht!« schrie plötzlich Elym auf, seine Arme ausbreitend, um ein greises Ehepaar im Gedränge zu schirmen, das sich kreischend aneinanderklammerte und Gefahr lief, halb zerquetscht zu werden.
Er zwängte sich knapp hinter die krumm verhutzelten Leutchen und zog den Hirom nach, der deckte sie jetzt mit seinem breiten Rücken. So nahmen sie die Geängstigten in ihre Obhut und schoben sie vorsichtig vor sich her.
»Daß ihr auch überall dabei sein müßt, wenn ihr schon kaum mehr krauchen könnt!« grollte Elym ungehalten.
»Wir haben doch mitgeholfen, die Wasserstraße bauen, ich und mein Weib!« gab der mühselige Alte zurück.
»Da will man halt auch vom Erfolg etwas mitgenießen!« ergänzte die runzlige Eheliebste.
»Aber wenn es nach mir gegangen wäre,« fuhr der Alte fort, »so hätte man nicht schon vor drei Tagen herausfahren und den Römern verraten dürfen, daß wir eine neue Flotte haben. Oder – man hätte gleich damals dreinschlagen müssen, solange die römischen Penteren noch abgetakelt am Strand lagen. So hätte wenigstens mein Herr es gehalten, wenn er noch am Leben wäre!«
»Wer war denn dein Herr?« fragte Hirom.
Der Alte zögerte. Eingekeilt inmitten der erregten Masse, hielt er es für ratsamer, den Namen zu verschweigen.
»Oh, es war ein guter Herr,« sagte er, »ein gewaltiger Herr! Ein Mann, wie es keinen zweiten mehr gibt! Was der allein für Liebschaften hatte!«
»Schweig!« stieß das Weiblein ihn an.
»Der packte zu, wo es galt, sei's Weib, sei's Feind! Der hätte die Römerschiffe gleich am ersten Tag in Brand gesteckt, eh' daß sie sich noch eines Überfalls versehen konnten. Denn der fackelte nicht lange, was der haben wollte, nahm er – genau so, wie er's mit seinen Liebsten machte.«
»Schweig!« wiederholte ärgerlich das alte Weiblein.
»Und ich schweige nicht,« beharrte hartnäckig der Alte, »und rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist, und wiederhole es jedem, der es hören will: Es war ein Fehler, daß man nicht schon beim ersten Ausfahren der Flotte die Gelegenheit beim Schopf packte!«
Elym und Hirom sahen einander an und nickten sich zu. Ganz dasselbe hatten sie selbst auch schon gedacht. Als die neue Flotte vor drei Tagen zum erstenmal in See stach, hätte sie sich leicht des ganzen römischen Schiffslagers bemächtigen können, wäre sie sofort zum Angriff übergegangen.
Denn die Römer, die durch das plötzliche und gänzlich unvorhergesehene Auftauchen einer kartchadischen Flotte völlig verblüfft waren, hatten keinerlei Anstalten zu ihrer Abwehr vorbereitet. Ihre Schiffe lagen großenteils auf den Strand herausgezogen und waren von Schiffsleuten und Ruderknechten entblößt, weil man alle Hände und Arme dazu verwendete, den Dammbau gegen das Choma so rasch wie möglich fertigzustellen. Aber der punische Admiral, ein Hamilkar, mit dem Beinamen des Samniten, der sich bei Nepheris, also bloß im Landkrieg, irgendeinmal sollte ausgezeichnet haben, kreuzte nur müßig umher und führte allerlei Schwenkungen aus, rein als sei schon etwas damit geleistet, wenn man die Römer verhöhnte und herausforderte, indem man ihnen gleichsam zurief: »Seht, wir haben eine Flotte! Seht, wir haben eine neue Mündung ins Meer, euer Dammbau ist zwecklos gewesen!«
Wer trug Schuld an einem so törichten Beginnen? Mißtraute dieser Hamilkar seinen Hals über Kopf fertiggestellten Schiffen? Wollte er erst ihre Seetüchtigkeit erproben? Sich selbst und die Mannschaften erst einüben? Oder war es der Boëtharch gewesen, der eine so protzige Prahlerei für nützlich hielt? Fast hätte es diesem Manne ähnlich gesehn, Schneidigkeit stand ihm höher als Umsicht, nicht umsonst hieß er der Sturmbock oder Widder.
Niemand wußte Sicheres darüber. Aber indem man die Flotte zwecklos hatte ausfahren und unverrichteterdinge in den Hafen wieder einlaufen lassen, um erst noch weitere drei Tage zu warten, hatte man den Römern einen großen Dienst erwiesen. Sie gewannen Zeit, ihre Schiffe instand zu setzen, und waren nun auf einen Angriff vorbereitet. Das lag auch für einen Uneingeweihten auf der flachen Hand.
Aus diesem Grunde geschah es, daß Elym und Hirom einander jetzt verständnisvoll anblickten. Der alte Mann, den sie nicht kannten, und der den Namen seines von ihm so warm gepriesenen Herrn nicht verraten wollte, hatte ihnen aus der Seele gesprochen.
*
Denselben Frühmorgen wollte Gisgon, nachdem er seine Rüstung angelegt, sich unbemerkt aus dem Hause stehlen.
Dem Stabe des Flottenführers, eben jenes Hamilkar, zugeteilt, war er dazu ausersehen, die Schiffsmannschaften des Hauptgeschwaders zu befehligen. Insbesondere wäre ihm bei einer Landung an der Ochsenzunge, die für den Fall eines Sieges über die feindliche Flotte geplant war, die Aufgabe zugefallen, einen Vorstoß gegen das römische Lager von der Südseite her zu unternehmen. Vom Norden sollte Blanno Tigillas ihn durch einen gleichzeitigen Ausfall aus dem Fischertor unterstützen.
Niemand konnte ahnen, was dieser Schlachttag bringen würde, und am liebsten hätte er Ellot über die Gefahren, die ihm selbst drohen mochten, hinweggetäuscht. Denn seit Aufgang des Mondes war eine ungewohnte und verdächtige Unruhe bemerkbar gewesen im Hause. Gisgon machte sich Sorgen, die ganze Nacht hatte er kein Auge schließen können. Er hörte Allisats und Belschamees heimlich flüsternde Stimmen. Die Äthiopierin Terilla lief treppauf, treppab. Lange konnte er sich nicht zu dem Entschlusse aufraffen, zu fragen. Endlich tat er's doch und erfuhr, Ellot liege in den Wehen. Da verkroch er sich und schloß sich ein. Er, der Furchtlose, der unzähligemal dem Feind das Weiße im Auge gezeigt, hatte Angst.
Auch jetzt im Morgengrauen, da er sich bereit machte, fand er nicht den Mut, sich Gewißheit zu verschaffen. Noch war die Erinnerung in ihm lebendig, wie er sich schon einmal um Ellot beunruhigt hatte. Er fürchtete sein Gemüt mit neuen Qualen zu belasten. Er war Soldat, an diesem Tag der großen Entscheidung mußten seine Gedanken restlos der gemeinsamen Sache gehören. Außerdem konnte auch ihr, dem geliebten jungen Weibe, die schmerzliche Erregung, in die der Abschied von dem in die Schlacht ziehenden Gatten sie versetzen mußte, bei ihrem Zustand nur schädlich sein. Die Unruhe im Haus war allmählich einer lautlosen Stille gewichen. Vielleicht stärkte Ellot sich jetzt durch erquickenden Schlummer. Hätte er sie aufstören sollen, um sie aus süßen Träumen in die Wirklichkeit zurückzureißen und an die harten Notwendigkeiten des Krieges zu erinnern?
Darum beabsichtigte er, sich ohne Abschied davonzuschleichen. Es brauchte ihr nicht besonders aufzufallen, oft tagelang war er dienstlich abwesend, und ihr von den bevorstehenden Ereignissen zu sprechen, hatte er vermieden. Als er aber behutsam ins Freie treten wollte, kam eine Sklavin ihm nachgeeilt, die Herrin verlange nach ihm und wünsche ihn noch zu sehen, eh' er scheide.
Belschamee empfing ihn und geleitete ihn ins halbverdunkelte Zimmer. Da lag Ellot im Bett, und an ihre Brust geschmiegt ein dunkelbehaartes Köpfchen ... schlafend ... mit langen Wimpern an den geschlossenen Lidern, die frisch und zart wie Blütenblätter einer Heckenrose waren. Erstaunt neigte Gisgon sich nieder und lauschte. Da hörte er kleine Atemzüge stetig und ruhig durch das niedliche Näslein streichen, und ein Schauer, aus Bestürzung, Jubel und Andacht vor dem Walten der Götter zusammengesetzt, durchrieselte ihn. Keines Wortes mächtig, berührte er mit seinen Lippen Ellots Stirn.
Sie lächelte und flüsterte: »In Liebe empfangen ...«
Sonst sprachen sie nichts miteinander. Mit inniger Bewegtheit ruhte Blick in Blick, und ihr Schweigen war beredt.
Endlich sagte Ellot: »Geh' jetzt, wohin deine Sendung dich ruft. Wir begleiten dich auf deinen Wegen, der Knabe und ich ... auf allen deinen Wegen. Tanit sei mit dir!«
Einen Augenblick lang hielt Gisgon noch beide Hände über seines Weibes und Kindes Haupt. Dann enteilte er und stürmte aus dem Haus. Mit der überschäumenden Fröhlichkeit eines Jünglings lief und sprang er mehr, als daß er gegangen wäre, den steilen Weg gegen den Hafen hinunter.
Und sein Herz war voll Kampfbegierde und Siegeszuversicht ...
*
Inzwischen hatte die Bosra fast das Aussehn eines Ameisenhaufens angenommen. So viele Menschen auf einmal waren noch nie im Bereich der alten Burgmauer versammelt gewesen.
Diese zum Teil halb verfallene uralte Mauer sollte noch aus der Zeit der sagenhaften Königin Dido herrühren und jenes Gebiet in sich einschließen, das die aus Tyros herübergekommenen Phoiniker durch eine List den Libyern abgewonnen. Diese hatten ihnen nämlich so viel Land zum Wohnen versprochen, als die Haut eines Rindes umfasse. Und als nun die Phoiniker die Haut in einen fortlaufenden, sehr schmalen Riemen zerschnitten und jene beim Wort nahmen, indem sie damit die ganze Hochfläche des unweit der Küste aus dem Boden steigenden Hügels umspannten, ließen die Libyer es lachend geschehen, denn sie hatten sich bei dem Spaß gut unterhalten.
Die alte Mauer lief ein gut Stück oberhalb der auf halber Höhe des Burghügels hinführenden Straße entlang, am obern Rande der hier meist steil abfallenden Felsen, und die Hochfläche, die sie umgürtete, war selbst wieder ein welliges Gebiet von verschiedener Höhenlage. Den nördlichsten und vielleicht tiefstgelegenen Platz nahm der Tempel Tanits ein. Eine ziemlich jäh sich senkende Mulde trennte ihn von den auf der andern Seite ansteigenden Gärten, in deren Mitte der kleine Schofetenpalast lag, vom Volksmund das Haus der goldnen Pfauen genannt. Noch höher erreichte man den Platz der Dido, wo auf der Stelle der ehemaligen alten Zitadelle und mit teilweiser Benützung ihrer Mauerreste der überaus stattliche Regierungspalast mit seinen Nebengebäuden sich erhob. Und vom Platz der Dido aufwärts und immer noch höher ansteigend, gelangte man in den uralten Ölbaumhain, der Eschmun heilig war. Aus diesem erst baute sich endlich die fast hundertstufige Freitreppe empor, über der, auf der weitaus erhabensten Stelle des Burghügels, der mächtige und prächtige Tempel Eschmuns ins Blau des Himmels ragte.
Auf all den hochgelegenen Punkten nun, soweit sich von ihnen ein Blick auf den Kriegshafen Kothon auftat, drängten sich an diesem Morgen die Menschen. Besonders der Felsenvorsprung am Platz der Dido, der Saum des heiligen Olivenhains, die steinerne Freitreppe, die zum Eschmuns-Tempel führte, und die Plattform der ungeheuren künstlichen Felsenstaffel, aus der dieser Tempel selbst sich erhob, waren gesuchte und bevorzugte Aussichtswarten. Aber auch auf den tiefer gelegenen Abhängen lagerten bunte Menschenscharen, und selbst der Wall der ursprünglichen Besiedlung, eben jene alte, angeblich der Linie der zerschnittenen Rindshaut folgende Mauer, diente, soweit sie überhaupt noch bestand und nicht von Straßen und Wegen durchbrochen wurde, vielen Neugierigen zum Aufenthalt, die keinen bequemeren Platz mehr hatten erobern können.
Noch harrte man gespannt dem Kommenden entgegen, da stieg Eschmuns Gestirn über dem Zweihornberg auf und tauchte Land und Golf in Wärme und Licht. Und eine Bewegung ging durch die Menge, denn kaum daß die Sonne sich vom Gebirge gelöst, glitt Schiff um Schiff mit geschwellten Segeln ins Meer hinaus, Schwänen gleich, die vom Land abstoßend ihre Flügel blähen und sich treiben lassen. Kleine flinke Fahrzeuge, wie Duckenten anzusehen, schwammen pfeilschnell dazwischen hin in fröhlichem Gewimmel, während immer neue Penteren und Trieren sich durch die jüngst fertiggestellte Wasserstraße des Kothon zwängten. Sie fingen Wind und Sonne in ihre Segel ein, griffen mächtig aus mit ihren langen Ruderbeinen und ließen die blutroten Wimpel flattern. Am äußeren Rand ihrer Borde aber funkelten und blitzten die aufgehängten Schilde der Schiffssoldaten in langen Reihen und dahinter die stachligen Wälder senkrecht aufgestemmter Lanzen mit stählernen Spitzen.
Schon segelte ein ganzes Geschwader auf hoher See, schwenkte gegen die Ochsenzunge und nahm Aufstellung zu einem Seetreffen, streng geordnet in Reih und Glied wie Soldaten, die die Schlachtreihe formen. Jetzt waren auch die bunt, meist rot bemalten Einhörner deutlich wahrnehmbar, die vom Bug der Schiffe drohend ihre Stoßwaffe vorstreckten, wie Stiere, die mit trotzig gesenktem Kopf einen Angriff erwarten. Und plötzlich stieg Gesang auf von den Schiffen. Tausendstimmig klang durch die Morgenstille eine altvertraute Weise zur Höhe der Bosra empor, in wechselnden Rhythmen, bald leicht beschwingt, kühn und aufreizend, bald hehr, feierlich und getragen.
»Einhorn, Einhorn, stoße zu!
Fluten, öffnet euren Schlund!
Heute gilt's: ich oder du!
Hungrig ist der Meeresgrund.«
Da fiel alles versammelte Volk begeistert mit ein in die abwechselnd feurige, dann wieder fromme und hymnenartig schwebende Weise, die sie alle von Kind auf kannten.
»Punische Götter helft! Die ihr Leben und Licht
Gönnt allen Sterblichen, so die Gesetze ehren!
Morden und Beute machen wollen wir nicht,
Nur um das Unsrige, das wir euch danken, uns wehren.
Friedliche Götter, segnet den ehrlichen Krieg!
Schirmt Altäre und Gräber! Verleiht uns Sieg!
Einhorn, Einhorn, rot wie Blut,
Rote Flagge auf dem Mast!
Kämpft in gottesfürchtiger Glut
Um des Friedens heiliges Gut,
Morgenrot für Kart-Chadast!«
Unter freudigem Winken und Schwenken von Tüchern sangen sie hingerissen vom Augenblick und wie aus einer gemeinsamen Eingebung heraus das alte, ehrwürdige punische Schlachtlied, das von den Vätern überliefert war. Schon zur Zeit, da Agathokles die Stadt mit dem Untergang bedrohte, war es gesungen worden und vorher und nachher, sooft Angriffe eines übermächtigen Feindes sie in äußerste Not versetzt hatten. Und unzählige Male hatte dieses Lied den Mut zur Abwehr gehoben, den Beistand der Götter herbeigerufen und die Bedränger zuschanden werden lassen – in der siebenhundertjährigen Geschichte von Kart-Chadast.
Darum sangen sie es auch jetzt, von Andacht erfüllt und Tränen in den Augen. Und einem jeden schlug das Herz höher, indem er dabei der einst alle Meere beherrschenden Macht Kart-Chadasts sich erinnerte, einer Macht, die es nie mißbraucht, immer nur dazu ausgenützt hatte, den Verkehr unter den Menschen zu fördern, Gesittung zu verbreiten und allen Völkern die Segnungen des Friedens zugänglich zu machen. Und mancher, der das weihevolle Lied mitsang, gab sich dabei im stillen der Hoffnung hin, daß diese wohltätige Macht allem bösen Willen und allen lügnerischen Machenschaften der Feinde zum Trotz mit dem heutigen Tage in altem Glanze wieder auferstehen würde.
*
»Auf welchem Schiffe befindet sich dein Mann?« fragte Hirom, der Schmied, seine Tochter.
Sie hatten sich mitten unter dem Volk auf einer der obersten Stufen jener steinernen Freitreppe niedergelassen, die vom Ölbaumhain zum Tempel Eschmuns emporführte.
»Ich weiß es nicht,« antwortete Channa. »Wo immer er sei, er steht in Aschtarits Schutz.«
Sie hob ihr Kindlein hoch und hielt es wie beschwörend gegen das Meer. Sie wußte ja, daß Dubar, der da unten irgendwo im Gewühl der Schiffe kämpfte, es nicht sehen konnte. Und doch vermochte sie aus ihren bangen Gefühlen die tröstliche Vorstellung nicht völlig zu bannen, als könnte sie ihn aus der Ferne segnen und stärken, indem sie ihm sein Kind zeigte.
Lärm und fernes Geschrei drang ununterbrochen von der See herauf. Seit vielen Stunden tobte die Schlacht. Mit Absicht hatte Hamilkar, der Samnit, in den vorhergegangenen Tagen die feindliche Flotte, solange sie noch an der Ochsenzunge festsaß, nicht angegriffen, er fürchtete zu große Verluste an Mannschaft, da er vom Lager her und zugleich seitlich von dem bereits weit vorgeschobenen Damm aus hätte beschossen werden können. Auf offener See wollte er den Römern begegnen und hatte es erreicht, sie waren am frühen Morgen von ihrem Ankerplatz ausgelaufen, um den Kampf aufzunehmen.
Auf beiden Seiten beseelte Ruderknechte, Steuermänner und eingeschiffte Soldaten der gleiche Mut. Bei den Puniern, weil ihre letzte Hoffnung auf dieser Schlacht beruhte, bei den Römern, weil ihr vollständiger Sieg davon abzuhängen schien. Auf beiden Seiten herrschte die gleiche Erbitterung. Krachend stießen die Fahrzeuge aneinander, auf beiden Seiten setzte es fürchterliche Rammstöße, hüben und drüben wurden Schiffe leck und sanken. Und auf beiden Seiten kam es vor, daß Epibaten, die sich in blindem Eifer vorschnell an Bord eines bereits gerammten feindlichen Fahrzeugs gestürzt hatten, mit diesem in den Wellen untergingen, ehe sie sich vom Kampfe hatten lösen und wieder auf ihr eigenes Schiff zurückziehen können.
Knapp hinter der Stelle, wo Hirom und Channa saßen, stand mit zerwühltem Haar Jarbas auf der Plattform. Mit gierigen Augen schien er die Vorgänge förmlich zu fressen, die sich da unten im Golf abspielten. Und in gewohnter Leidenschaft begleitete er die auf ihrem Höhepunkt befindliche Seeschlacht mit aufreizenden Rufen, wie man etwa Hunde oder Hähne gegeneinander hetzt: »Zugestoßen! ... Hussa, hussa! ... Feste drauf und angepackt!«
Paam-Eljon, der Oberpriester Eschmuns, der eben vorüberkam, hielt hinter ihm still und mahnte: »Vergeßt nicht, Kinder, daß es ein Kampf der Notwehr ist, zum Schutz unsrer Tempel, Altäre und Gräber geführt! Kein willkürlich vom Zaun gebrochener, nein, ein uns gewaltsam aufgedrungener heiliger Kampf!«
Er streckte die erhobenen Hände gegen das Meer aus und verharrte eine Zeitlang wie segnend in dieser Stellung.
»Ich will beten und opfern,« sagte er endlich. »Begleitet die heilige Handlung mit frommen Gedanken.«
Und würdig dahinschreitend, verschwand er hinter den goldenen Toren des Tempelvorhofes.
Channa hatte ihr Kind neben sich auf die Stufe gesetzt. In ihrem Schoße lagen Zweige vom Granatapfelbaum, die sie mitgebracht. In Andacht versunken fuhr sie fort, Siegeskränze daraus zu winden.
Die Mittagshitze war drückend, fast wie im Sommer. Händler gingen umher, die Datteln feilboten, aber das Stück kostete zwei silberne Roßpalmen. Nur die wenigsten konnten ihr Gelüste befriedigen, mancher blickte mit ungestillter Sehnsucht den leckeren Früchten nach. Einige schmähten über den Wucher, der da getrieben werde, andere nahmen die Verkäufer in Schutz und behaupteten, sie kämen selbst kaum auf ihre Kosten. Noch andere warfen die Frage auf, wer denn eigentlich den ungerechten Gewinn einheimse? Man riet darüber hin und her, aber niemand konnte Sicheres darüber aussagen, und niemand wollte der Gewinner sein.
»Zerbrecht euch nicht die Köpfe,« sagte Hirom. »Binnen kurzem muß sich alles wenden!«
Das Wort verbreitete Trost, und viele malten sich schon im stillen aus, wie sie sich an ihren Lieblingsgerichten satt essen würden, wenn die Land- und Seesperre einmal gebrochen wäre.
Aber bald erinnerte sie das fortdauernde Geschrei vom Meeresbusen herauf wieder an die noch unsichere Gegenwart. War man der Erlösung wirklich nahe? Unentschieden schwankte die Schlacht. Bald schien die Wagschale auf die eine, bald auf die andre Seite sich zu neigen. Und schon wenige Augenblicke später war das Bild wieder völlig verändert, die Aussichten in ihr Gegenteil verkehrt.
Höher und höher stieg Eschmuns Gestirn, längst hatte es die Steile des Himmels überschritten, aber niemand wich von seinem Posten.
Ein wahres Fieber der Ungeduld und Spannung hatte diese geängstigten, durch Entbehrungen geschwächten, vom Hunger gequälten Menschen ergriffen. So harrten sie, die einen fluchend und den Göttern Saumseligkeit und Ungerechtigkeit vorwerfend, die andern zu ihnen betend und ihnen eindringlich vorstellend, wie ein Sieg der Römer sie ihrer Heiligtümer berauben würde, mit brennender Unruhe einer endlichen Entscheidung entgegen.
*
»Sieh, Muttines!« rief der Gerber Juba, der sich auf dem Felsenvorsprung am Platz der Dido gelagert hatte: »Ist das auch ein Menschenschiff, was dort daherschwimmt, oder ist es ein Fahrzeug der Götter?«
»Beim Grab meiner Eltern, dergleichen hab' ich nie gesehn!« antwortete Muttines, starr vor Entsetzen. »Das Ding hat ja eins, zwei, drei – sieben Ruderreihen übereinander!«
Der Koloß kam aus der Richtung von Utik-Chah gleichsam geflogen, denn die bauschenden Segel an den drei Masten glichen Schwingen von bisher unerhörter Größe. Wie die wimmelnden Beine eines Tausendfüßlers griffen die unzähligen Ruder aus. Mit vorgestrecktem Schnabel dräute am Bug der Riesenkopf eines goldnen Adlers. Offenbar hatten die Römer diese Heptere, ein Schiff von noch nicht dagewesenen Ausmaßen, eigens bauen lassen, um den Feinden Schreck einzujagen. Und vermutlich hatten sie es jetzt in aller Eile aus Utik-Chah herbefohlen, damit es durch sein körperhaftes und eindrucksvolles Übergewicht die Seeschlacht zu ihren Gunsten entscheiden helfe.
»So etwas Stattliches brachtest du nie zuwege, Muttines,« krittelte Nampon, der auch in der Nähe auf dem Boden kauerte. »Jetzt können wir einpacken, denk' ich. Gehn wir heim, die Schlacht ist entschieden!«
Aber Muttines hatte inzwischen seine Fassung wiedergewonnen.
»Meinst du, weil du selbst eine dicke Walze bist, auf den Leibesumfang käm' es an bei einem Schiff? Noch ein zehnmal stattlicheres mach' ich mich anheischig zu bauen, wenn mir einer das Geld dazu gibt. Aber warten wir ruhig ab, wie dieser See-Elefant sich bewähren wird. Es ist keiner so groß, dem nicht ein Knabe ein Loch in den Kopf werfen könnte!«
Diesmal hätte Muttines beinahe den Ruhm eines Sehers erlangt. Denn kaum hatte der überstolze römische Siebenruderer sich dem Schlachtbereich genähert, so war er von flinken Duckenten umringt. Der goldne Adlerkopf langte, so grimmig er dreinblickte, mit seinem scharfen Schnabel nicht zu dem Kleingeflügel hinunter, die Duckenten liefen ihm unter die Ruderreihen, nun waren sie auch gegen Pfeile und Speere geschützt. Und die wackere Bemannung der kleinen libyschen Schiffe begann ihm die Ruder abzuhauen, zerstörte sein Steuer, bearbeitete sein Hinterteil mit Axthieben und befestigte brennende Pechkränze in den entstandenen Löchern.
Fast gleichzeitig hatte sich auch ein punischer Fünfruderer auf das plumpe Untier gestürzt. Schon im rasenden Anfahren überschüttete er die Mannschaft, die mit Abwehr des unterirdischen Angriffes und Löschen des Feuers beschäftigt war, mit einem Geschoßhagel. Und unmittelbar darauf versetzte er mit seinem blutroten Einhorn dem römischen Adler einen Rammstoß in die Flanke, daß gleich die ganze Schiffswand auseinanderklaffte. In voller Kopflosigkeit sprangen die feindlichen Soldaten und Ruderknechte ins Meer und suchten schwimmend ein anderes Römerschiff zu erreichen. Der Riesenadler aber legte sich zur Seite und schluckte Wasser, während sein Hinterteil qualmend aufloderte. Und es dauerte nicht lange, so versank er gurgelnd und zischend in die Tiefe, nichts als Rauch und Trümmer und trübe Wasserwirbel zurücklassend.
Ein Jubelgeschrei, das nicht enden wollte, stieg von den kartchadischen Schiffen auf. Und von der Bosra schallte das jauchzende Echo der Freude und des Frohlockens aus tausend und abertausend Kehlen zurück.
Muttines strahlte. Wie besessen schlug er vor Vergnügen mit Armen und Beinen um sich, lärmte und schwenkte ein Kleidungsstück als Flagge durch die Luft. Er bildete sich ein, sein Dubar müsse sich auf der Pentere mit dem blutroten Einhorn befunden haben, und behauptete sogar, er hätte einen Bogenschützen an Bord deutlich wahrgenommen, der kein anderer gewesen sein könne als eben sein Dubar.
Und endlich, nachdem er sich beruhigt und seinen Platz wieder eingenommen hatte, konnte er sich die Genugtuung nicht versagen, sich's ausdrücklich bestätigen zu lassen, was für ein guter Prophet er gewesen sei.
»Jetzt gesteht einmal,« wendete er sich an seine Freunde: »Sah ich das Schicksal des See-Elefanten richtig voraus oder nicht? Ja, groß sein allein tut's nicht, sonst erliefe die Kuh einen Hasen, der Vogel Strauß sänge schöner als die Nachtigall, und ein Mahlstein gälte mehr als ein Edelstein. Hab' ich recht – wie? Oder weiß mir einer etwas Stichhältiges dagegen einzuwenden?«
Nein, niemand wußte etwas Stichhältiges dagegen einzuwenden, alle fanden, daß er recht hätte. Das freute ihn, und er gab sich endlich zufrieden.
*
An Bord des punischen Admiralschiffes fand eine Beratung statt.
Der Abend war angebrochen. Die neue kartchadische Flotte hatte sich glänzend gehalten und manchen Vorteil über den Feind errungen. Aber von einem vollen Sieg zur See konnte, wenn man sich keiner Selbsttäuschung hingeben wollte, keine Rede sein.
Man hatte weniger Schiffe verloren als die Römer und war besonders an kleinen Fahrzeugen, die sich so gut bewährt hatten, überlegen. Aber einzelne Penteren und Trieren meldeten Mangel an Geschossen, andere fühlten sich nicht mehr ganz seetüchtig. Ein steifer Wind aus Nordost stand gegen das Land. Die Wellen gingen ungewöhnlich hoch. Hamilkar, der Samnit, trug Bedenken, die Nacht auf dem Meer zu verbringen. Unzähligemal hatte er im Landkrieg eine kämpfende Truppe, wenn es finster zu werden anfing, vom Feind gelöst und ins Lager zurückgezogen, um sie am nächsten Tag neu gestärkt und mit ergänzten Waffen wieder heraus und zum Sieg zu führen. Dasselbe wollte er auch hier tun und, die Entscheidung auf morgen verschiebend, noch vor Einbruch der Nacht in den Kothon einlaufen.
Gisgon, der darauf brannte, auf der Ochsenzunge jene ihm zugedachte Tätigkeit zu entfalten, die ihm unter dem Schutze der Dunkelheit besonders aussichtsreich schien, gab zu bedenken, daß das Einlaufen der Schiffe in die enge Wasserstraße, die zum Kothon führte, mit großen Gefahren verbunden sei, wenn die Römer die Verfolgung aufnahmen und nachdrängten. Er schlug vor, den Neumond auszunützen und in der Nacht die römische Flotte unbemerkt zu umsegeln. Gelänge es, und daran sei nicht zu zweifeln, wenn man nur den Bogen weit genug spanne, so könne man die flache Sandbank am Eingang zum tunesischen See anlaufen, dort Truppen landen und so vom Süden her den Römern in den Rücken kommen, während Blanno Tigillas, durch Feuerzeichen verständigt, vom Fischertor her ihre Stirnseite angreifen würde.
Niemand zweifelte daran, daß ein solcher Schlag, wenn er glückte, für die Römer vernichtend gewesen wäre. Aber eben dieses Glücken hing von Umständen ab. Insbesondre fürchtete Hamilkar für die ihm anvertraute Flotte. Bemerkten die Römer den nächtlichen Umgehungsversuch und suchten ihn zu vereiteln, so konnten die Schiffe in der Finsternis leicht in Verwirrung geraten und einander selbst Schaden zufügen. Jedenfalls aber würden sie am nächsten Morgen an der Ochsenzunge einen römischen Angriff zu gewärtigen haben. Dann waren sie von der Stadt und ihrem Hafen abgeschnitten und mit ihren erschöpften Hilfsmitteln, ihrer übermüdeten Bemannung den größten Gefahren ausgesetzt.
Gegen solche Überlegungen ließ sich schwer aufkommen. Wie bei jedem Wagnis war ein Mißlingen möglich, und der Kriegsrat in seiner Mehrheit hielt Vorsicht für ratsamer als Tollkühnheit. So fiel die Entscheidung im Sinne des Kommandanten, und schmetternde Trompeten gaben, als Eschmuns Gestirn hinter die Höhen des Atlasgebirges tauchte, das Zeichen zum Abbrechen der Schlacht und zur Rückkehr in den Hafen.
Nun gelang es aber naturgemäß den flinken Duckenten am leichtesten, sich vom Feind zu lösen. Und als die schwerfälligeren Einhörner sich der zum Kothon führenden Wasserstraße näherten, fanden sie die Mündung von dichtgestautem Kleinzeug verschoppt. Die Römer waren knapp hinter ihnen drein, die ganze Flotte. Schiff um Schiff lief Gefahr, von hinten gerammt zu werden. Hamilkar verlor den Kopf und wußte sich keinen Rat. Gisgon, der an seiner Seite an Bord der Admirals-Pentere stand, schlug vor, den südlich der Hafeneinfahrt gelegenen langgestreckten Außenkai, den man das Choma nannte, als Rückendeckung zu benützen.
Dankbar griff der Oberbefehlshaber den Einfall auf. Abermals erklangen die Trompeten, eine Schwenkung und Drehung anbefehlend. Die Schiffe legten sich am Choma vor Anker, eine lange Reihe drohend vorgestreckter Einhörner starrte dem Feind entgegen.
Dennoch wagten die Römer sich heran. Der Wind war ihren Angriffen gegen die festliegenden punischen Schiffe günstig, er steigerte die Wucht ihrer Stöße, wenn sie mit vollen Segeln und Einsetzen aller Ruder anfuhren, um den Feind zu rammen. Wenn sie aber dann wendeten und den Rückzug antraten, waren sie jedesmal im Nachteil, denn nun bekamen sie selbst Stöße in die Flanken, die meist empfindlicher waren, als die dem Gegner beigebrachten.
Zudem hatte Gisgon einen Teil der Mannschaften auf dem Choma gelandet, das man zu Beginn des Krieges mit einer gemauerten Brustwehr umsäumt hatte, um ein Festsetzen des Feindes auf diesem dem Handelshafen vorgelagerten Kai zu verhindern. Er ließ von da aus, durch die Brustwehr gedeckt, die Römerschiffe, die beim Umwenden durch den entgegenstehenden Wind nur langsam vom Fleck kamen, jedesmal mit einem Hagel von Pfeilen überschütten, der den feindlichen Mannschaften schweren Schaden zufügte.
So schien der Tag für die kartchadische Flotte, wenn er ihr auch keinen vollen Sieg geschenkt hatte, im ganzen doch günstiger ausgehen zu wollen als für die römische. Nicht mit Unrecht glaubte Gisgon auf ein baldiges Erlahmen der Angriffe, oder doch auf ein erfolgreiches Durchhalten in der bezogenen Verteidigungsstellung bis zum Einbruch der Nacht hoffen zu dürfen.
Aber was man am meisten hofft, geht am ersten fehl. Und bald sollte die Überzeugung in ihm sich festsetzen, daß die Zerstörung Kart-Chadasts im Rate der Götter beschlossen und durch keinerlei menschliche Anstrengungen mehr aufzuhalten sei.
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Unglückseligerweise befanden sich bei der feindlichen Flotte fünf Schiffe der pamphylischen Griechenstadt Side, die als Bundesgenossin Roms den Krieg mitmachte.
Die Sideten, die als besonders geschickte Seeleute bekannt waren, bewährten sich auch diesmal. Ihnen hatte Scipio Aemilianus es zu danken, daß die Schlacht schließlich doch mit einer Niederlage für die Kartchader endete und ihre mit so viel Hingabe und Aufopferung erbaute Flotte noch in letzter Stunde fast vollständig vernichtet wurde.
Gisgon hatte vom Choma aus beobachtet, wie die fünf sidetischen Schiffe, die durch ihre Wimpel kenntlich waren, sich ein gut Stück vom Land entfernt in eine Reihe stellten und Anker warfen. Sie fuhren nun mit ungeheurer Ruderkraft und vom Winde getrieben gegen die am Choma aufgereihten punischen Schiffe an, wußten durch eine geschickte Schwenkung im letzten Augenblick dem Bug des Feindes auszuweichen, und zogen sich, nachdem sie ihm einen seitlichen Stoß beigebracht, ohne umzuwenden wieder zurück, um bald danach mit rauschendem Ruderschlage abermals vorzustoßen und abermals rücklings in die hohe See zurückzukehren. Ihre Finte bestand darin, daß sie sich durch Aufwinden des am Hinterteil befestigten Ankertaues rückwärts bewegen konnten wie die Krebse, ohne eine Wendung auszuführen und dem Gegner ihre Flanke preisgeben zu müssen. So standen sie immer mit dem eisernen Vordersteven gegen den Feind gerichtet und blieben fast unangreifbar.
Die Römerschiffe waren gelehrige Schüler. Rasch begriffen sie, wie es die Sideten meinten, und machten es ebenso.
Und nun setzte es Stoß auf Stoß gegen die punischen Schiffe, denen es, da sie ihrer Bewegungsfreiheit beraubt waren, nur selten gelang, dem Angreifer das Einhorn wirksam entgegenzustrecken. Mit jedem wuchtigen Anprall wurden sie gegen die Quadern des Chomas geschleudert, während der Feind so wenig zu fassen war wie ein Sturmbock, der gegen eine Mauer wütet. Krachend barsten die Schiffswände, die Planken splitterten. Ein stolzer Fünf- und Dreiruderer nach dem andern neigte sich zur Seite, schluckte Wasser und sank. Die Mannschaften suchten sich auf das Choma zu retten, aber die Wogen gingen höher und höher, sie brachen sich mit dumpfem Dröhnen an den Steinmauern des Kais, ihr weißer Gischt trieb sein Spiel mit verzweifelten Schwimmern und wehrlosen Leichen.
Erst die einbrechende Dunkelheit machte dem Hinmorden der Schiffe und Menschen ein Ende. Gisgon hatte beinahe müßig dem Unheil zusehen müssen. Ein Beschießen der Feinde vom Choma aus war fast wirkungslos geworden, da sie keine Breitseite und kein Achterdeck mehr sehen ließen.
Mit blutendem Herzen und aufs bitterste enttäuscht fuhr er auf einem der letzten übriggebliebenen Fahrzeuge, die im Schutze der Nacht noch den Eingang zum Hafen fanden, in den Kothon zurück. Der Anblick, der sich ihm dort darbot, war ein trostloser. Nur wenige Schiffe, auch diese meist seebeschädigt, waren heimgekehrt. Unter lautloser Stille der Mannschaften verkrochen sie sich wie todwunde Tiere, die einen Schlupfwinkel aufsuchen, in die Schiffshäuser, armselige Trümmer der im Kampf so wacker bewährten stolzen Flotte, auf die am Morgen, ja, noch vor wenigen Stunden ganz Kart-Chadast seine letzte Hoffnung gesetzt hatte.
Langsam und traurig wandelte Gisgon heimwärts durch die dunklen Straßen, die von Jammer und Wehgeschrei erfüllt waren.
Rasend vor Verzweiflung hatte das Volk von der Bosra aus die Zerstörung der Schiffe mitangesehn, und als sie endlich daran glauben mußten, daß wirklich alles verloren sei, stoben sie wie Wahnsinnige auseinander. Die wenigsten kehrten in ihre Häuser zurück. Die einen liefen in die Tempel und erhoben klagend ihre Stimme zu den Göttern, die andern warfen sich irgendwo auf ihrem Weg zu Boden und blieben dort liegen, indem sie ihr Haar rauften, Gesicht und Brust wund kratzten und ihrem Schmerz durch Stöhnen und Schreien Luft machten. Die ganze Stadt widerhallte von Weinen und Ausbrüchen der Mutlosigkeit.
Von Mitleid bewegt, beobachtete Gisgon dieses zwecklose Wüten. Und während er zwischen all dem Unglück und Elend hindurchschritt, mußte er sich sagen, daß es eine Grenze dessen gebe, was der Mensch noch zu ertragen imstande sei. Und er richtete den Blick zum Himmel empor, der finster und fast sternlos über ihm stand. Die wortlose Frage schwebte ihm auf den Lippen, warum gerade beim punischen Volk diese Grenze überschritten und Unerträglicheres über es verhängt worden sei als über irgendein anderes Volk der Erde.
Aber der Himmel gab keine Antwort, und die wenigen Sterne, die sichtbar waren, loderten und flackerten in unruhigem Glanze wie ferne, unerreichbar weit entfernte stumme Flammen.
Erst da er sein Heim erreicht und betreten hatte, erleichterte sich sein Herz. Es war ihm jetzt zumut, als sei ein neuer und ganz naher Stern ihm aufgegangen, ein Stern des Trostes und des Friedens. Denn Ellot, die eben das Kindlein an ihrer Brust säugte, streckte ihm, von dem Vorgefallenen bereits unterrichtet, liebend die Hand entgegen.
»Tanit sei Dank, daß du kamst! Nun mag geschehn, was da will – wir wollen es ertragen, wir beide, solange nur du bei uns bleibst!«
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