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X.

Das unscheinbare und sogar etwas baufällige Haus, das der Bankmann und Politiker Baga mit Nanai, seiner jugendlichen Gattin, bewohnte, lag im Geschäftsviertel unfern des Handelshafens und war von einem nicht gerade kleinen, aber ungepflegten und vernachlässigten Garten umgeben.

Schon lange trug der Besitzer sich mit dem Gedanken, es von Grund auf umzubauen, oder gegen einen Palast in einer vornehmeren Gegend der Stadt zu vertauschen, es genügte nicht mehr seinen Ansprüchen, die mit dem zunehmenden Wohlstand immer üppiger geworden waren. Indessen hatte die Befürchtung, den Neid der kleinen Leute zu erregen und seiner staatsmännischen Laufbahn damit zu schaden, ihn bisher davon abgehalten, seine Absicht zu verwirklichen. Auch dünkelhafte Hoffnungen, denen er sich hingegeben, trugen Schuld daran, daß er sich noch immer in der alten Umgebung behalf. Denn seit den Tagen der Geiselverschiffung, ja schon früher, seit die Romfreunde ans Ruder gekommen und die Gärungen im Volke für die rechtmäßigen Obrigkeiten bedrohlicher geworden waren, hatte die mit Urteilslosigkeit gepaarte Großmannssucht, die ihn verblendete, ihm seinen würdevollen Einzug ins Haus der goldnen Pfauen als nahe bevorstehend vorgespiegelt.

Nun beherrschte eine aus Enttäuschung geborne Bitterkeit sein Gemüt. Mit der edelsteinfunkelnden Mütze eines Königs-Schofeten geschmückt, thronte der Sohn Chimalkarts selbstherrlich im marmorweißen Hause, die Geier des Neides fraßen an Bagas Leber. Seiner schönen jungen Frau beim Frühmahl gegenübersitzend, erging er sich in leidenschaftlichen Schmähungen gegen die derzeitigen obersten Ämterführer des Reiches. Er schalt Hasdrubal einen nichtigen Streber und Karriere-Macher und deutete an, daß es keine Kunst sei hinaufzukommen, wenn man den traurigen Mut hätte, seine Ellenbogen so dreist zu gebrauchen, wie jener es getan.

Das Gemach, in welchem sie sich befanden, erdröhnte von überlautem Hämmern und Klopfen, das ununterbrochen von außen hereindrang. Es war Nanai, als sausten diese ehernen Hammerschläge auf ihre bloßgelegten Nerven nieder. Die Erwähnung des Namens Hasdrubal, die Schmähungen, mit denen Baga ihn überhäufte, taten ein übriges, ihre Geduld zu erschöpfen.

»Du warst es doch selbst, der seine Wahl befürwortete?« warf sie ein, während sie sich verfärbte.

Er konnte nicht widersprechen, das steigerte nur seinen Unmut. Schon hinter der kühlen Feststellung des Unleugbaren lag Feindseligkeit auf der Lauer, Baga spürte es. Verärgert und gereizt sann er darauf, wie er sie am bittersten kränken könnte.

»Du siehst übernächtig aus,« sagte er, »über deine Jahre gealtert und wie zerstört.«

»Der nächstbeste Hafenarbeiter, der dich wohlwollend auf die Schulter klopft, wird dich dafür entschädigen,« spottete Nanai. »Ich weiß, daß eine Anerkennung von dieser Seite dir mehr am Herzen liegt als das Wohl deiner Frau.«

»Mehr als an den Launen eines Weibes liegt mir allerdings daran, das Volk zu überzeugen, daß ich ihm an vaterländischer Gesinnung nicht nachstehe.«

»Wer könnte Bagas Gesinnung in Frage ziehen!« fuhr sie zu höhnen fort. »Niemand zweifelt daran, daß er jederzeit bereit ist, alles, auch die Nachtruhe seiner Gattin, auf dem Altar seiner Volkstümlichkeit zu opfern. Übrigens täte er besser, statt mich selbst, meine armen Ohren launenhaft zu schelten. Warum sind sie von dem ewigen Gelärme, das Tag und Nacht durch Hof und Garten schallt, noch nicht taub geworden!«

Wie viele andere Wohlhabende und Reiche hatte auch Baga Hofraum und Garten rings um sein Anwesen dem Volke zur Verfügung gestellt, das sich in schier mänadischer Raserei auf die Herstellung von Waffen geworfen hatte. Innerhalb weniger Tage waren alle Tempelvorräume und heiligen Haine, alle öffentlichen Anlagen und Stapelplätze zu Werkstätten umgewandelt worden, wo Männer und Weiber ohne Rast Tag und Nacht daran arbeiteten, das dem Feinde ausgelieferte Rüstzeug durch neues zu ersetzen. In Zeitabschnitten von je acht Stunden lösten die Schichten einander ab. Während die eine auf rasch hervorgezauberten Schmiede- und Zimmerplätzen mit Feuereifer schuftete und die andere in fliegenden Notküchen die Kochkessel für die öffentliche Ausspeisung bediente, benützte die dritte die dienstfreie Zeit, sich durch Schlaf zu stärken, um rechtzeitig wieder zur Stelle zu sein und mit erneuten Kräften für die Ermüdeten einzuspringen. So gab es keinen Augenblick, weder bei Tag noch bei Nacht, in dem die Arbeit aussetzte. Das ganze Volk befand sich in Bewegung und schaffte, ein ungeheures Räderwerk, das tadellos ineinandergriff, einträchtig, ernst und schweigend an der gemeinsamen Sache.

Wenn es den Tatsachen entsprach, was man sich allgemein erzählte, so würden tagtäglich gegen hundert große Schilde, dreihundert Schwerter und fünfhundert Wurfspieße und Lanzen fertiggestellt. Auch Wurfmaschinen und Steinschleudern erstanden neu aus dem Nichts. Die Baumeister lieferten Risse und Pläne, überwachten das Behauen der Balken, das Schmieden der zugehörigen Eisenteile, das Zusammenfügen und Aufstellen der Geschütze auf den Mauerkrönungen. Und neben jedem dieser kunstvollen Ungetüme häuften sich allmählich ganze Berge von Geschossen, die man entweder aus Eisen erzeugte, oder aus den Umgebungen der Stadt zusammenschleppte. Denn jeder Feldstein, jedes Felsentrümmer konnte, von der ungeheuren Höhe der Festungswälle den Stürmenden entgegengeschleudert, zur erfolgreichen Abwehr eines Angriffs beitragen.

Wer immer innerhalb der Mauern ein Stück freien Bodens sein eigen nannte, der hatte es dem allgemeinen Besten gewidmet, jedes Plätzchen war ausgenützt, durch die ganze Stadt donnerte der Lärm der Arbeit. So wenig wie in Bagas Haus ließ sich in irgendeinem anderen an ungestörte Nachtruhe denken. Nanai wußte es. Sie wußte auch, daß es eine Unmöglichkeit für ihren Gatten gewesen wäre, sich von der allgemeinen Opferwilligkeit auszuschließen, und sie besann sich. Wozu die müßige Auseinandersetzung? Sie fühlte, daß sie sich selbst ins Unrecht setzte, wenn sie ihn zu einer Rückgängigmachung der getroffenen Maßnahmen zu bestimmen suchte. Und in Wahrheit lag ihr auch blutwenig daran, in dieser Hinsicht etwas zu erreichen. Mochte er tun oder lassen, was ihn gutdünkte, ihr geheimes Denken und Sinnen bewegte sich in ganz anderer Richtung. Sie lechzte nach einer Genugtuung, die über alles im Wortstreit Erreichbare hinausging.

Denn Bagas unerhörte Anwürfe gegen Hasdrubal wühlten in ihr, seine hämische Bemerkung, sie sehe gealtert aus, tötete den letzten Rest von Rücksicht, zu dem sie sich etwa noch verpflichtet gefühlt hätte. Eine kühne Lust wandelte sie an, sich wenigstens für eine Zeitlang von der Nähe des ungeliebten Mannes zu befreien, eine verzweifelte Begierde, sich unbeaufsichtigt der Leidenschaft hinzugeben, die seit jener Liebesnacht in Chammonslust ihr ganzes Wesen erfüllte.

Je länger dem Numider fern, um so brennender war ihre Sehnsucht geworden, in seine Arme zurückzukehren. Tag für Tag wartete sie auf geheime Botschaft von ihm. Tausendmal sagte ihr ihre Einsicht, daß sie vergebens warte, das arme Herz wollte nicht daran glauben. Und hatte frauliche Zucht sie bis dahin von Entschlüssen zurückgehalten, so entfesselte der Groll gegen den Gatten nunmehr jene merkwürdige Verwegenheit des Weibes, die alles zu wagen bereit ist, wenn es die Liebe gilt.

Als nun Baga ihr Unverständnis für die politischen Notwendigkeiten vorwarf, die seine Stellung als Volksführer mit sich bringe, nahm sie die Gelegenheit wahr, den eingeschlagenen Weg mit einem ihren wahren Zielen entsprechenderen zu vertauschen. Lebhaft fiel sie ihm ins Wort, beteuerte, er hätte recht getan, mehr und mehr komme sie bei ruhiger Überlegung dahinter. Wenn sie eingestanden, daß sie unter dem Lärm leide, so habe sie doch keinen Vorwurf damit beabsichtigt, vielmehr nur eine Anregung geben wollen, die ihr nicht ganz leicht falle; ergebe sich für sie daraus doch die Notwendigkeit einer zeitweisen Loslösung aus der gewohnten Umgebung, ja, einer vorübergehenden Entfernung aus seiner Nähe. Darum hätte sie sich erst nach reiflicher Überlegung und Erwägung aller Umstände dazu entschließen können, mit dem erwähnten Vorschlag hervorzutreten. Zwar werde ihr ein empfindliches Opfer damit auferlegt, doch sei sie aus Gründen, die nicht länger Geheimnis bleiben könnten, bereit, es tapfer auf sich zu nehmen.

»Wenn du nichts dagegen einzuwenden hast,« fuhr sie nach dieser Einleitung fort, bei der sie ihre ganze weibliche Verstellungskunst zu Hilfe gerufen hatte, »so möchte ich nämlich für die Zeit, wo die nächtliche Arbeit andauert, ins Haus meines Vaters übersiedeln, das höher und freier liegt und geräumiger ist als dieses. Gerade hier, inmitten der engeren Gassen, hallt das Geräusch der Arbeit vervielfacht wider. Das ist für meinen gegenwärtigen Zustand nichts weniger als zuträglich. Denn dein Blick hat dich nicht getrogen, ich fühle mich angegriffen, mehr als je bedarf ich der Schonung und ungestörten Nachtruhe.«

Ein rascher, argwöhnischer Blitz aus Bagas Auge zuckte zu ihr hinüber, er wußte nicht recht, wie er sich ihre Worte zu deuten hätte.

»Ich will einen Arzt rufen lassen.«

»Ich bin nicht krank, ich bin schwanger.«

Baga richtete sich auf und starrte sie an.

»Begreifst du nun,« sagte sie mit gezwungenem Lächeln, »die Ursache meiner Häßlichkeit?«

Seine Miene hatte sich verdüstert, er sann vor sich hin und schien zu überlegen. Seit geraumer Zeit hatte sie sich ihm versagt. Mit wachsendem Mißtrauen fragte er: »Wie lange ist es her?«

»Längst hätt' ich dir's eingestehen müssen,« antwortete sie ausweichend.

Er war aufgestanden und ging mit erregten Schritten im Zimmer auf und nieder. Wer käme je einer hinterhältigen Frau auf die Schliche? Zweifel quälten ihn. Machte er sich lächerlich, wenn er jetzt aufbrauste und seine Vaterschaft bestritt? Machte er sich noch lächerlicher, wenn er den Arm um ihren Nacken legte und sie an sich zog?

»Es scheint mir überflüssig, daß du deswegen die Wohnung wechselst,« sagte er endlich. »Ich werde jenen Teil des Gartens, auf den die Fenster deines Schlafzimmers schauen, von Werkstätten räumen lassen.«

Auch Nanai hatte sich erhoben. Mit dem Antlitz einer Sphinx stand sie ihm gegenüber. Wie hätte er sich den Ausdruck verschlossenen Leids zu deuten vermocht, das darüber gebreitet lag? Sie dachte an das aufrichtige, unbekümmert kindliche Wesen jener Nanai, die sie einst gekannt, bevor Betrug und Lüge in ihr Leben getreten waren.

Laut aber sagte sie, wie toll auf dem Weg der Falschheit weitertaumelnd: »Das könnte ich nie und nimmer zugeben, es würde dir beim Volke schaden! Ohnedies nimmst du nicht den Rang im öffentlichen Wesen ein, der deinen staatsmännischen Fähigkeiten, deiner Beredsamkeit, deinem Tatendrang entspricht!«

Welche Musik für Bagas Ohr! Er berauschte sich förmlich daran. Es lüsterte ihn, noch mehr dergleichen zu hören.

»Wer weiß, ist es mir bestimmt, den Gipfel zu erreichen?«

»In der knappen Stunde, die ich diese Nacht die Augen schloß, träumte mir, ich hätte bereits geboren. Und das Kind trug den Kopf eines Löwen. Befrage einen Wahrsager und Traumdeuter, er wird dir das Zeichen aufhellen. Es bedeutet, daß der Vater des Kindes ein Löwe ist, ein Löwe an stolzem Mut und königlicher Kraft.«

Ein Gefühl des Schwindels beraubte Baga fast seiner Sinne. Schon sah er sich im Glanze. Der Numider war sterblich! Es gab eine Zukunft!

»Das träumtest du, Nanai, träumtest es wirklich? Träume sind Offenbarungen der Götter!«

»Ich bin überzeugt, daß mein Traum die Wahrheit kündete.«

»Und du glaubst daran, daß es mir gelingen könnte ...?«

»Ich glaube nicht nur, ich weiß es ganz bestimmt, daß der Vater meines Kindes würdig und berufen ist, den ersten Platz in dieser Stadt einzunehmen!«

Erwärmt, versöhnt, von Nanais Tugend plötzlich felsenfest überzeugt, schloß Baga sie in seine Arme.

Einen Augenblick ruhte das Haupt der lieblichen Sünderin an seiner Brust. Ein bitteres Lächeln über diesen eitlen Gecken, der so leicht zu übertölpeln war, spielte um ihre Lippen.

Aber auch Tränen standen in ihren schönen Augen.

Tränen der Verzweiflung über jene abgefeimten Künste des Weibes, die sie so meisterlich beherrschte. Zu ihrer eigenen Überraschung beherrschte, ohne sie doch je erlernt und geübt zu haben. Tränen der Bestürzung über die bis dahin ungeahnten Abgründe, die sich plötzlich in ihrem eigenen Innern aufgetan hatten, und in die sie schaudernd hinabblickte, wie in den kreißenden Schoß eines jede Selbstbestimmung ausschließenden Schicksals.

*

Auf der Straße, die die Landenge von Gara entlang führte, wanderte leichten und beschwingten Fußes ein Jüngling in der Richtung gegen die Stadt.

Schon mehrmals hatte er Frachtwagen, mit Rindern bespannt, überholt, oder Züge von beladenen Maultieren hinter sich gelassen, die sich dem gleichen Ziele entgegenbewegten wie er. Indessen währte es nicht lang, so sah er abermals etwas vor sich herfahren. Es war ein zweirädriger Karren, auf dem gefällte und entrindete Bäume mit dem dicken Ende ihrer Stämme aufgeladen waren, während die Wipfel auf dem Boden schleiften. Der Wanderer, der in die dadurch aufgewirbelten Staubwolken geriet, beschleunigte seine Schritte. Bald hatte er auch dieses Fuhrwerk eingeholt.

»Nie zuvor sah ich die Straße so belebt,« redete er leutselig den libyschen Fuhrknecht an, der gemächlich neben dem Karren einhertrottete. »Handel und Wandel lagen darnieder, als ich von dannen zog.«

»Tannen, meint Ihr?« antwortete der offenbar schwerhörige Libyer, den Kopf schüttelnd. »Nein, Herr, das sind keine Tannen, das sind Piniolen, jedes Kind müßte es kennen!«

»Gleichgültig, was es sei, ich wundre mich bloß über die lebhafte Bewegung, die hier herrscht. Die Ausfuhr muß sich gehoben haben?«

»Ja, den Göttern sei Dank, der Aufruhr ist behoben, es gibt wieder genug zu verdienen.«

»Du verstehst mich nicht. Ich staune, warum Kart-Chadast so viel Zufuhr braucht!« Und er schrie ihm ins Ohr: »Ist das Holz für den Hafen bestimmt?«

»Das will ich meinen, ein braves Rind!« beteuerte der Fuhrmann treuherzig. Und indem er sein Zugtier mit dem Stachel antrieb, setzte er belehrend hinzu: »Die libyschen Büffel sind immer die besten, aber ein schwarzes Schwanzbuschel müssen sie haben wie meiner, sonst taugen sie wenig,«

Der Wanderer begriff, daß ein Tauber eben nicht der geeignetste sei, ihn über die Ursache des ungewöhnlich regen Wagenverkehrs aufzuklären, der ihm Rätsel aufgab. Wieder kräftiger ausschreitend, ließ er die Holzfuhre bald hinter sich, als ein Anruf vom Rücken her ihn veranlaßte, sich noch einmal umzuwenden.

»Habt Ihr den Schlüssel zum Stadttor?« fragte der Fuhrknecht. Und als jener, über den vermeintlichen Scherz die Achsel zuckend, seinen Weg fortsetzte, rief der andre ihm nach: »Tanit unser Hort!«

»Eschmuns Segen!« gab der Wanderer dankend zurück; denn er dachte, der Fuhrmann habe ihn auf eine beim niedrigen libyschen Volk vielleicht übliche Weise zum Abschied grüßen wollen. Und damit ging er unbekümmert weiter.

Nach einiger Zeit führte der Weg ihn an dem Tempelchen irgendeiner Flurgottheit vorüber, das er kannte. Er erinnerte sich, daß es nur wenige Stadien außerhalb der Stadt lag, er mußte dem Tor von Magara bereits näher sein, als er vermutet hätte. Und wirklich dauerte es nicht lang, so sah er auch schon die hohen Stadtmauern im Frühnebel vor sich aufsteigen. Abermals fand er Anlaß, sich zu wundern: es kam ihm vor, die Zinnen müßten neu instand gesetzt sein. Wenn das Gedächtnis ihn nicht trog, so waren sie früher halb verfallen gewesen. An einem der viereckigen Wehrtürme, die in regelmäßigen Abständen noch hoch über die Bekrönungslinie hinauswuchsen, konnte er Maurer wahrnehmen, die auf Leitern standen und mit Ausbesserungsarbeiten beschäftigt schienen. Während er sie beobachtete und dabei immer zugehend sich der Torbrücke näherte, hörte er Rufe von irgendwoher aus der Höhe, die er unvorsichtigerweise nicht beachtete. Plötzlich stand er wie angewurzelt still. Ein Pfeil war an seinem Kopf vorübergesaust, so nahe, daß er sein Schwirren durch die Luft deutlich hatte wahrnehmen können.

»Die Losung, oder wir schießen!« dröhnte es ihm drohend aus einem Schallrohr entgegen.

Hinter der vordersten und niedrigsten Brustwehr der drei übereinander sich aufbauenden Bollwerke, die beiderseits vorspringend den Zugang zum Tor bewachten, sah er Helme und Panzer aufblitzen. Das Unerhörte, das er bis dahin zu glauben sich nicht hatte entschließen können, ward ihm jählings zur Gewißheit: Die Stadt wurde verteidigt!

Es deuchte ihn heller Wahnsinn.

In Castra Cornelia, von wo er kam, waren nicht nur die Römer, war auch er selbst der Meinung gewesen, daß Kart-Chadast so gut wie erledigt sei. Aus freien Stücken hatte man ihm die ersehnte Freiheit wiedergeschenkt, er glaubte darin ein Anzeichen aufkeimenden Versöhnungswillens erblicken zu dürfen. Aber niemals hätte er sich durch das Drängen jenes Lucius Marcius Censorinus, der im Römerlager den Oberbefehl führte, zu dem Versuche bestimmen lassen, auch in der geliebten Vaterstadt den Willen zur Versöhnlichkeit zu stärken, wäre er nicht selbst davon überzeugt gewesen, daß er seinem Volke damit aufs beste dienen würde. Und nun stand er unerwartet vor bewehrten Wällen! Würde es ihm gelingen, gegen eine solche Verrücktheit mit Erfolg anzukämpfen?

Die Lage, in die er unversehens geraten war, lud nicht dazu ein, in Gedanken zu verweilen. Sie forderte rasche Entschlüsse. Jeden Augenblick konnte ein neuer, besser gezielter Pfeil gegen seine unbewehrte Brust schnellen, wenn es ihm nicht gelang, die Scharfschützen hinter den Mauerbrüstungen davon zu überzeugen, daß sie es mit einem Punier, einem Freunde, einem Bürger der Stadt selbst zu tun hätten, keineswegs mit einem Ausspäher, der sich in feindlicher Absicht näherte.

Die gekrümmten Handflächen an den Mund legend, rief er empor: »Ich bin Gisgon, Magos, des Bruttiers, Enkel! Mitkämpfer einst in der Heiligen Schar! Als Geisel den Römern ausgeliefert! Heimkehrend jetzt aus der Gefangenschaft durch Fügung der Götter!«

Mit aller Kraft der Lungen hatte er die Worte hervorgestoßen. Heftig pochte sein Herz. Bange Augenblicke folgten. War es eine irrige Annahme gewesen, daß der Name des Bruttiers ihm das Tor sofort öffnen würde?

Mit Bestürzung besann er sich: der Fuhrmann vorhin hatte doch etwas von einem Aufruhr verlauten lassen? Was war hinter diesen Mauern vorgegangen, seit keine verläßlicheren Nachrichten an sein Ohr gedrungen, als die sorglose und zuversichtliche Stimmung in Castra Cornelia sie aufkommen ließ? Was für verzweifelte Pläne kochte dieser Unglückskessel von Kart-Chadast? Wirklich und wahrhaftig bewaffneten Widerstand gegen die Befehle Roms? Dann konnte er der inneren Stimme danken, die ihn abgehalten hatte, sich darauf zu berufen, daß er im Einvernehmen mit den Konsuln hier stehe. Dann war es der tollkühnen Unvorsichtigkeit gerade genug gewesen, sich als einen Enkel des Bruttiers zu erkennen zu geben.

Auf alle Fälle bestand kein Zweifel darüber, daß dieser einst allmächtige Name nicht mehr dieselbe magische Wirkung übte wie sonst. Er genügte nicht, das Tor aufzuschließen, soviel ließ sich schon erkennen. Vielleicht machte man sich schon von vornherein verdächtig, wenn man sich auf ihn berief?

Es rührte sich nichts hinter den Brustwehren. Warum ließ man so viel Zeit verstreichen? Wurde erst über seinen Fall beraten? Oder bedeutete man inzwischen vielleicht einer Anzahl Bogenschützen, die an verschiedenen Punkten verteilt standen, auf ein gegebenes Zeichen gleichzeitig gegen seine Brust zu zielen? Jedenfalls war's nicht ungefährlich, sich so unbesonnen als Zielscheibe hinzustellen. Auf solche Weise sein Leben einbüßen, hätte seinem Geschmack wenig entsprochen. Aber fliehen –? Mit einem Pfeil um die Wette laufen? Und allenfalls hinterrücks von einem solchen ereilt werden? Ein Gisgon, derselbe Gisgon, der in jener Schlacht auf dem Blachfeld so ruhmreich gegen Masinissa gefochten, zugrundegehend an einem todbringenden Geschoß, das im Rücken saß? Nie und nimmer!

Dennoch war er bereits so gut wie entschlossen, umzudrehen und fliehend das Weite zu suchen, als er jäh zusammenschrak. Abermals dröhnte wie das Brüllen eines Stieres ein Schallrohr: »Das Losungswort, oder du bist des Todes!«

Mit der gesteigerten Einsicht, die in Augenblicken höchster Not verborgene Zusammenhänge enthüllt, begriff Gisgon plötzlich, was jener Holzfuhrmann gemeint haben konnte, als er ihm die Frage nachsandte, ob er den Schlüssel zum Stadttor besäße. Und kühn noch ein paar Schritte vortretend, als wäre er seiner Sache sicher, rief er das Wort, das er vorhin für eine Grußformel gehalten, aufs Geratewohl zur Höhe der Bastei hinauf: »Tanit unser Hort!«

»Durchgelassen!« ertönte ein soldatischer Befehl. An schweren Ketten rasselte eine Zugbrücke nieder.

Der Zugang zum Tor von Magara war frei. Und damit lag auch der Weg in die Stadt vor ihm offen.

*

Hasdrubal, der Numider, war unermüdlich darauf bedacht, auf Rundgängen, die er durch die Straßen von Kart-Chadast unternahm, mit dem gemeinen Volke in Fühlung zu treten.

Er besichtigte Werkstätten und Arbeitsplätze, die Leute zu gesteigerter Leistung aneifernd. Aber er tat es mit fröhlicher Zuversicht, ohne Kleinkrämerei, wirkte mehr durch Leutseligkeit und Mutterwitz als durch Ermahnungen oder Bemäkelung. Wo Anordnungen sich als notwendig erwiesen, traf er sie, Streitigkeiten schlichtete er, und immer redete er dabei wie ein Freund zu Freunden. Nur Lässigkeit duldete er nicht, und in jedem Zauderer, Zweifler oder gar Unglückskrächzer sah er einen Feind der guten Sache.

Er trug die Tracht eines Offiziers von niedrigem Range und prunkte weder mit den Abzeichen eines Schofeten, noch denen eines Boëtharchen. Wo er unerkannt blieb, gab er sich für einen soldatischen Amtshelfer vom Stabe Hasdrubals aus, der beauftragt sei, den Fortschritt der Arbeiten in Augenschein zu nehmen und jedem einzelnen, der sich verdient machte, im Namen des obersten Staatslenkers Dank auszusprechen. Nur wo er sich genötigt sah, das Gewicht seines Ansehens in die Wagschale zu werfen, um seinem Willen Geltung zu verschaffen, gab er sich zu erkennen.

Übrigens verbreitete sich bald die Kunde, daß er verkleidet umgehe. Hinter jedem Gewaffneten, der unversehens auftauchte, witterte man den Königs-Schofeten in eigener Person und hielt sich in Bereitschaft. Keiner wollte säumig befunden, niemand über einer Nachlässigkeit ertappt werden. Hasdrubals Rechnung stimmte. Durch nichts hätte er die Arbeitslust mehr befeuern, auf keine andre Weise sich selbst mehr Volkstümlichkeit erwerben können als durch das Geheimnis, womit er sein Erscheinen zu umgeben wußte, und durch sein prunkloses Auftreten als einfacher Soldat, der sich als ein Gleichgestellter mitten unter Brüdern bewegte. Schon daß er es verschmähte, sich mit einer Leibwache zu umgeben, öffnete ihm die Herzen und machte eine solche auch wirklich überflüssig. Das allgemeine Vertrauen sicherte ihn vor jedem Anschlag.

Als er eines Tages eine der ansehnlichsten Ledergerbereien in Magara betrat, bei der große und dringliche Lieferungen für den Staat in Auftrag gegeben waren, befand er sich in Begleitung des Hipparchen Melekpalas. Auch dieser hatte die Auszeichnungen seines Ranges abgelegt und konnte, nach Koller und Helm zu urteilen, für einen jener Unterbefehlshaber gelten, die über die Hundertschaften der Reiterei gesetzt waren. Dennoch erkannte der Gerber Juba die beiden Besucher auf den ersten Blick. Er ließ sich's aber nicht merken, sein Handwerkerstolz, sein Selbstbewußtsein als freier kartchadischer Bürger verboten ihm sogar einen Bückling. Seine Begrüßung war nicht gerade unmanierlich, aber lässig, und während er die hohen Gäste durch seine Anlagen geleitete, nahm er die Gelegenheit wahr, manches vorzubringen, das ihm auf dem Herzen lag, und das er nicht so unbefangen hätte berühren können, hätte er sich nicht den Anschein gegeben, als wüßte er nicht, mit wem er eigentlich sprach.

Bei den Erdgruben auf dem freien Flöz, wo die Häute eingeweicht wurden und zur Not eingestellte Leute aus dem Volke, Freigelassene, auch Weiber, damit beschäftigt waren, sie mit nackten Füßen zu treten und schmeidiger zu machen, sagte Juba: »Die Zufuhr läßt noch immer zu wünschen übrig. Schaf-, Lämmer-, Ziegen-, Wieselhäute reichen allenfalls. Das geht für Riemenzeug und feinere Sachen. Für Schilde, Helme, starkes Schuhwerk taugt es nichts. In diesen beiden Gruben sind Rindshäute. Zwölf Gruben müßte ich davon haben, nicht ihrer zwei. Wildhäute sind spärlich, vor allem aber fehlt es an Büffeln. Wo bleiben die numidischen Büffel? Wäre Hasdrubal nicht auf den Kopf gefallen, er hätte längst ein Geheimbündnis mit seinem Großvater abgeschlossen.«

Hasdrubal merkte nicht, daß der verschlagene Gerber das Versteckenspielen, das er selbst trieb, ausgenommen hatte und nun seinerseits ihn an der Nase führte. Die unbekümmerte Redeweise des Mannes belustigte ihn.

»Wie meinst du das?« fragte er gespannt.

»Ich meine,« antwortete Juba, »daß das Einhorn gemeinsame Sache mit dem numidischen Löwen machen muß, wenn es nicht in den Fängen des römischen Adlers enden will. Masinissa ist klug genug, um zu begreifen, daß die Römer auch seine Feinde sind.«

»Weißt du nicht, daß der König von Numidien Roms Bundesgenosse ist?« warf Hasdrubal prüfend ein.

»Vorderhand muß er freilich noch so tun, als wär' er's. Aber nur keine Bange! Ich wette darauf, unter der Hand fände er sich trotzdem bereit, uns mit Lieferungen zu unterstützen. Man müßte ihn nur wissen lassen, daß wir ohne die Zufuhr numidischer Häute keine dreißigtausend Mann ausrüsten können, geschweige das ganze Volk. Gerade Hasdrubals Sache wäre es, dem König ein Licht darüber aufzustecken, wozu ist er selbst ein halber Numider? Melde nur dem Schofeten, was ich sage, ich nehme mir kein Blatt vor den Mund, er soll wissen, wie das arbeitende Volk denkt.«

»Vielleicht ist es überflüssig, es ihm zu melden,« antwortete Hasdrubal, einen einverständlichen Blick mit Melekpalas wechselnd. »Denn im Vertrauen kann ich dir mitteilen, daß die Zufuhren aus Numidien bereits unterwegs sind.«

»Das ließe sich hören. Wenn sie nur auch rechtzeitig eintreffen?«

»Folge meinem Rat, Juba! Laß' neue Gruben graben, wirb Arme und Hände an, so viel du bekommen kannst! Noch ehe die Mondscheibe sich füllt, sollst du so viel Häute haben, daß die Beize rar wird und du jedem eine Roßpalme zahlst, der sein Wasser in deine Bottiche abschlägt!«

Lachend schritt Hasdrubal weiter, und der Gerber, der ihm folgte und schmunzelnd den Gewinn überschlug, den er aus dem Geschäfte ziehen würde, tat sich nicht wenig darauf zugute, ihm so geschickt abgeluchst zu haben, was er längst für bestimmt hatte wissen wollen. Die Leute redeten so viel, wer konnte klug daraus werden? Viele behaupteten, Hasdrubal unterhalte geheime Beziehungen zu seinem Großvater Masinissa, andere bestritten es wieder, niemand wußte Sicheres.

Für Juba stand es jetzt unumstößlich fest, und er gehörte nicht zu den Überpatrioten, die dem Sohne Lanassas einen Vorwurf daraus gemacht hätten. Ganz im Gegenteil! Seit jeher hatte er auf dem Marktplatz und in den Zusammenkünften der Gewerbetreibenden dem Anschluß Kart-Chadasts an Numidien das Wort geredet und nur während der schlimmsten Tage, als die Stadt verloren und jeder Widerstand aussichtslos schien, eine Zeitlang römisch ausgehängt, um sogleich nach dem Umsturz zu seiner früheren Überzeugung zurückzukehren.

In dieser sah er sich nun um so mehr gefestigt, als er nach den ihm gewordenen Andeutungen aus so berufenem Munde den Zusammenschluß ganz Afrikas gegen Rom als bereits vollzogen betrachten zu dürfen glaubte. Nichts konnte ihm erwünschter sein. Er versprach sich unschätzbare geschäftliche Vorteile davon. Und mochten Jarbas, Hirom, Elym und andere Politikaster barkidischer Färbung ihn darob verhöhnen – als Gewerbsmann war er nun einmal der Meinung, daß das Ganze nicht gedeihen könne, wenn der einzelne bei seiner Arbeit nicht reichlich auf seine Rechnung kam.

Während die beiden Offiziere die Besichtigung fortsetzten und der Gerber ihnen mit ebensoviel Eifer wie Stolz die Einrichtungen und Anlagen seines Betriebes erklärte, erinnerte dieser sich unversehens des umlaufenden Gerüchts, wonach mehrere von den südlich gelegenen Hafenplätzen des kartchadischen Gebietes von der Mutterstadt abgefallen und zu den Römern übergegangen sein sollten. Da wurde er wieder bedenklich. Auf einen Zusammenschluß ganz Afrikas gegen Rom deutete es nicht, wenn dieses Gerücht der Wahrheit entsprach. Behutsam fuhr er fort, den scheinbar unerkannten Königs-Schofeten auszuholen.

»Übrigens sind wir schließlich nicht auf Numidien allein angewiesen,« sagte er beiläufig mit Verstellung. »Die Einfuhr auf dem Seeweg ist, wo nicht wohlfeiler, doch verläßlicher. Denn sicher ist es erstunken und erlogen, daß Hadrumet, Leptis und andre unsrer Seehäfen und Bundesstädte dem Beispiel Utik-Chahs gefolgt und römisch geworden seien?«

Sie standen vor den hölzernen Schrägen, wo die aufgehängten Felle gereinigt wurden, ehe sie in die Beizbottiche kamen. Hasdrubal nahm einem der hier beschäftigten Männer das Schabeisen aus der Hand, das die Gestalt einer Mondsichel hatte, und versuchte sich selbst in der Kunst des Reinmachens der Häute, wie er es den Leuten abgeguckt hatte. Die Arbeiter ließen einer nach dem andern von ihrer Tätigkeit ab, traten herzu und umstanden ihn, während sie gespannt und prüfend das Fortschreiten seines Werks beobachteten. Sie sahen, wie er geschickt die Haarseite des Felles glattmachte, es dann umwendete und die noch anhaftenden Fleischteile von der Innenseite schabte, bis es leidlich gereinigt war. Lachend gab er schließlich den Schlichtmond zurück.

»So leicht, wie es aussieht, ist es nicht,« sagte er heiter; »und ich bekenne, daß ich ein Stümper bin. Ihr aber, die ihr Meister in diesem Geschäfte seid,« wendete er sich an die ihn umringenden Arbeiter, »klärt mir einen Zweifel auf, der mich quält. Man kocht eine Speise, indem man Fett und Mehl und was sonst dazu gehört, in den Topf tut. Man schmiedet eine Kette, indem man Glied für Glied aneinander schließt, immer wieder ein neues hinzufügend. Und so scheint alles, was brauchbar ist, dadurch zu entstehen, daß man dazugibt und nicht wegnimmt. Ihr aber beseitigt mit eurem Schabeisen die Haare von der Außenseite des Felles und alles Unreine von der Fleischseite, ihr nehmt nur immer fort und gebt nichts hinzu, und dennoch wollt ihr etwas Nützliches zustande bringen? Wie erklärt ihr mir das?«

Die Leute schwiegen erst verlegen, dann stießen sie einander an und lachten. Endlich nahm sich einer der ältesten von Jubas Gehilfen einen Rand und sagte: »Die Haare müssen weg, Herr, sonst könnte die Gerberbeize nicht in die Poren eindringen. Es würde sein Lebtag kein Leder daraus. Und was die Fleischseite betrifft, so muß gleicherweise alles fort, was Verwesliches noch da ist, sonst gäb's nichts als Fäulnis und Gestank. Das liegt doch auf der Hand?«

»Freilich leuchtet es ein!« sagte Hasdrubal lachend; »es scheint also, daß man auch durch Wegtun das Richtige erreichen kann?«

»So ist es!«

»Und mithin wäre es falsch, wenn einer behaupten wollte, es müsse nur immer hinzugefügt werden, und alles, was abfällt, sei Verlust?«

»Eine solche Behauptung wäre ganz töricht.«

»Auch ich bin derselben Meinung, aber es gibt Toren, die anders denken. Darum seht euch vor, liebe Freunde, und haltet die Antwort bereit, wenn einer an euch herantritt und zu jammern anhebt, Hadrumet und Leptis, Thapsos und Acholla seien abgefallen vom kartchadischen Reiche, und das sei ein großes Unglück. Nein! Im Gegenteil! Fort muß alles, was widerhaarig und faul ist, das bedeutet keinen Verlust, das bedeutet nur Gewinn! Wir weinen ihnen keine Träne nach, den unzuverlässigen halbgriechischen Hafenstädten, die ihre Gesinnung dem Meistbietenden verkaufen. Wir schließen uns nur umso fester zusammen, wir Punier, deren Herz für Volk und Heimat schlägt, und blicken nur um so zuversichtlicher in die Zukunft. Denn was von uns abfiel, hat uns stärker gemacht, nicht schwächer, weil das, was zurückbleibt, und sich entschlossen um unsre Feldzeichen schart, gereinigt ist von allen Verwesungsgerüchen der Vaterlandslosigkeit und käuflichen Berechnung. So steht das wackere Hippo treu zu uns, am weißen Vorgebirge, ein Dorn in der Ferse der Römer, weil es nördlich von Utik-Chah liegt. So blieben fest die unzähligen Dörfer, Flecken und kleinerer Städte des libyschen Binnenlandes, wo uns erprobte Volksgenossen wohnen. So blieb auch Nepheris fest, das stärkste Bollwerk Libyens, und vor seinen Mauern lagert mit starker Streitmacht, bereit, den Römern in den Rücken zu fallen, der Boëtharch, den sie den Widder nennen, und Himilko Phameas, der Befehlshaber über die Reiterei, beides glühende Hasser Roms. Und alle, die wir uns einträchtig die Hände reichen zur Abwehr römischer Tücke und Doppelzüngigkeit, saugen wir mit unsern Poren die kampfbereite Liebe in uns ein. Die Liebe zu unsrer Art und unsern Sitten, unsern Göttern und Altären, unsern Fluren und heiligen Siedelungen. Seht, so gerbt man echtes punisches Leder! Das Schabeisen, das das Unreine entfernte, hat es nur desto zäher gemacht. Laßt den Feind anrücken und ihr sollt sehen, wie haltbar es ist!«

Die in der Gerberei arbeitenden Männer und Weiber, deren sich immer mehr um ihn versammelt hatten, begriffen plötzlich, wer vor ihnen stand. Das Feuer seiner Rede hatte ihnen die Augen geöffnet und sie hingerissen.

»Es lebe Hasdrubal, der Numider!« rief Juba begeistert.

Und alle huldigten ihm.

*

In der kühlen Marmorhalle von Ithobaals Palast ging's lebhaft her. Auch hier wurde emsige Arbeit verrichtet. Ein Kranz blühender Weiblichkeit war plaudernd und scherzend damit beschäftigt, in fördernder Handfertigkeit zu wetteifern, die zarte und kunstvolle Finger heischte.

Täglich fanden die jugendlichen Schönen sich hier zusammen, der Fleiß der Sklavinnen genügte nicht, die Weber mit ausreichenden Mengen von gesponnenem Flachs- und Wollengarn zu versehen, das man zur Herstellung von Bekleidungsstoffen und Manteltuch für die Soldaten benötigte. Es hätte den Frauen und Mädchen der vornehmen Kreise übel angestanden, müßige Zuschauerinnen zu bleiben, wo doch niemand sich seinen Pflichten entzog, sondern hoch und niedrig einen Ehrgeiz darein setzte, das Äußerste an Leistung aus sich herauszuholen, um dem allgemeinen Besten zu dienen.

Ithobaals zweite Tochter, die jüngere Schwester Nanais, nannte diese Zusammenkünfte in ihrer launig-übermütigen Sprache die Senatssitzung oder den Rat der Alten. Denn die gedrechselten Holzstäbe, deren man sich beim Spinnen zu bedienen pflegte, hatten die Gestalt einer zierlichen Herme, die oben in einen geschnitzten Männerkopf endigte. Wenn nun diese Rockenstäbe mit dem gehechelten Flachs oder der spinnfertig gekrempelten Wolle umwickelt waren, so glich der abzuspinnende Flausch einem mächtigen weißen oder grauen Bart, der dem daraus hervorguckenden Gesicht ein um so merkwürdigeres oder drolligeres Aussehen verlieh, je persönlicher oder eigenartiger der Künstler dessen Züge gestaltet hatte.

Die heitere Attar lachte, sooft sie einen Faden aus ihrem Rocken zupfte, um ihn an der Spindel zu befestigen. Sie lachte, wenn der Wirtel sich drehte und der Faden sich aufwickelnd länger und länger wuchs, während sie fortfuhr, den Bart ihres Alten mit wollüstig-grausamen Fingerspitzen zu zerzausen. Sie lachte über den mannigfach verschiedenen Ausdruck der geschnitzten Gesichter an den Rockenstäben der Genossinnen und belustigte sich darüber, wenn diese ihre Greise, für deren jeden sie einen passenden Spitznamen bereithielt, ebenso unehrerbietig behandelten wie sie selbst den ihrigen. Überhaupt war ihr jeder Anlaß zum Lachen willkommen, vielleicht bedurfte sie nicht einmal eines Anlasses. Ernsthaft bleiben fiel ihr schwerer, als Brennesseln anfassen.

Auf Männer, und nicht nur auf sehr junge, machte Attar gerade hierdurch besonderen Eindruck. Ein jeder fühlte sich, wenigstens in der Frühzeit der Bekanntschaft mit ihr, wie von allem Niederdrückenden erlöst durch die Gegenwart eines Wesens, in dessen Innerem eine schier unversiegliche Quelle von Lebensleichtigkeit ihren Ursprung zu haben schien. Mit der Zeit pflegte dann allerdings dieser Eindruck sich abzuschwächen. Wer dauernd in ihrer Nähe weilte, ermüdete nach und nach, und selbst auf Anunit, Nanais und Attars Mutter, die eine stille und feinfühlige Frau war, übte in diesen sorgenvollen Tagen die Art der jüngeren Tochter manchmal eine fast aufreizende Wirkung aus. Indessen ließ sie sich kaum etwas davon merken. Schon von Natur aus zu milder Duldung neigend und derzeit auch in ihrem Gemüte zu schwer bedrückt, um scharfen Tadel unumwunden auszusprechen, hüllte sie ihre Mißbilligung ins Gewand der Nachsicht und sagte höchstens mit wehmutsvollem Lächeln, das von einem leisen Seufzer begleitet war: »Ein erwachsenes Mädchen, das noch mit Nüssen spielt, ist mir immer noch lieber als ein altes Weib, das zum Tanze geht.«

Gisgon, der Enkel des Bruttiers, hatte vor seiner Verschickung nach Lilybaion für Attars Bräutigam gegolten. Die Freudenbotschaft seiner unerwarteten Entlassung aus der Gefangenschaft flog ihm voraus und erreichte den »Rat der Alten«, noch bevor er selbst die Schwelle von Ithobaals Palast überschritt. Heiter wie immer und so unbewegt, als handle sich's um die alltäglichste Sache von der Welt, nahm Attar die Glückwünsche der Gespielinnen entgegen. Die Frömmigkeit, die nach glücklich vom Hals geschaffter Sorge dankerfüllten Herzens zu den Göttern aufblickt, schien ihr fremd.

Durch eine eigentliche Verlobung vor Zeugen war der Bund übrigens noch nicht besiegelt, aber nur äußere Umstände trugen Schuld daran, insbesondre die Säumigkeit von Gisgons Vater, einem nicht leicht zu behandelnden Sonderling.

Er hieß Mago, wie sein eigener Vater, der Bruttier, geheißen hatte, und wurde zum Unterschied von diesem: Mago, der Libyer, genannt. Landwirt mit Leib und Seele, lebte er jahraus, jahrein auf seinem ausgedehnten Gute, das im libyschen Hinterland, in der Gegend von Nepheris lag, und war nur schwer zu bewegen, das Pflaster von Kart-Chadast zu betreten. Auch in diesem Falle hatte er den bereits versprochenen Besuch in der Stadt immer wieder hinausgeschoben und es versäumt, bei Attars Vater Ithobaal rechtzeitig für seinen Sohn zu werben. Da Gisgon inzwischen in die Schar der vornehmen jungen Leute eingereiht worden, die man den Römern als Geiseln stellte, so hatte die Werbung schließlich überhaupt unterbleiben müssen, obgleich die jungen Leute miteinander einig gewesen und Einwendungen von seiten der Sippschaft nicht zu befürchten waren.

Damals hatte Gisgon seinem Vater gezürnt, jetzt war er ihm im stillen dankbar.

Denn zu seiner eigenen Überraschung fand er sich, heimgekehrt und im Begriffe, die abgerissenen Fäden wieder anzuknüpfen, einer neuen Lage gegenüber: Attar gefiel ihm nicht mehr. Ihre ausdauernde Laune, die ihn einst bestrickt, dünkte ihn jetzt unangebracht, sie paßte nicht in die veränderten Verhältnisse, wirkte störend in einer Zeit ausgesprochenster Unsicherheit. Das ewige Gelächter, so sehr es ihm sonst vom Zauber der Charitinnen vergoldet geschienen, kam ihm nun kindisch, wo nicht gar albern vor.

Er fühlte sich betroffen von der Wandelbarkeit seiner Gesinnung, er entsetzte sich ehrlich darüber. Aber beim besten Willen ließ sich nichts daran ändern. Zuviel des Ernsten und Bitteren, Demütigenden und Bedrohlichen hatte er im Römerlager teils mit angesehen, teils an sich selbst erfahren, als daß diese letzten Monate spurlos an ihm hätten vorübergehen können. Es war unter dem Druck seines Erlebens fast etwas wie ein neuer Mensch aus ihm geworden. Jedenfalls verknüpfte ihn mit dem Mädchen, das er einst zu lieben geglaubt, kein zartes Band einer stillen Herzensneigung mehr.

Schon bei einer seiner ersten Besuche in Ithobaals Haus wurde er sich dessen bewußt. Die Begrüßung mit Attar war nicht gerade stürmisch, doch immerhin so warm gewesen, wie unter Menschen, die einander nichts Übles wünschen, ein Wiedersehen nach durchgemachten Fährlichkeiten auszufallen pflegt.

Während er dann, auf den heiteren Ton ihres Kreises gerne eingehend, eine Zeitlang inmitten der arbeitenden jungen Frauen und Mädchen verweilte, empfand er es aber schon mehr und mehr störend, daß Attar nicht zu schweigen wußte. So wenig er zur Trübsal neigte oder Kopfhängerei an andern liebte, so ließ er sich doch die veränderten Umstände besinnlich durch den Kopf gehn, unter denen dies Zusammentreffen stattfand. Er mußte sich erst zurechtfinden, es gab so viel des Neuen, das auf ihn einstürmte: Die vollzogene Umwälzung im Parteiwesen, der Sturz und Tod seines Großvaters, die inzwischen getroffenen politischen Entscheidungen schwerstwiegender Art, die der Stadt drohende Belagerung.

Das alles wühlte Zweifel in ihm auf, die sein Gemüt belasteten. Aber immer wieder fand er sich aus seinen Gedankengängen herausgerissen, immer wieder zwang das Geschwätz Attars ihn aus dem Allgemeineren und Bedeutenderen in eine nahe und enge Alltäglichkeit zurück. Seine Abwendung von der Braut fing damit an, daß die unwillkürliche Bewegtheit und Ergriffenheit seines Innern, die um stilles Verständnis bei ihr warb, eine Enttäuschung nach der andern erlebte.

Vielleicht hätte Gisgon sich verstimmt zurückgezogen und seltener oder nie wieder Ithobaals Palast betreten, aber ein fremder Stern ging ihm dort auf, der unwiderstehliche Anziehungskraft ausübte. Sonach geschah das gerade Gegenteil. Er hielt sich nicht fern, sondern kam immer wieder, schließlich beinahe täglich.

Den Vorwand hierfür gaben Unterredungen ab, die er mit dem Herrn des Hauses führte. Es fiel nicht auf, wenn er aus solchem Anlaß öfter, als die Höflichkeit es forderte, gleichsam im Vorübergehn auch im Frauengemach vorsprach, wo die Wirtel sich drehten und Berge von Flachs und Wolle sich in Zettel und Einschlag für die Webstühle verwandelten. Man fand es natürlich, man fand es selbstverständlich, denn immer noch glaubten die meisten an ein stillschweigendes Fortbestehen der Brautschaft.

Nur einige wenige schärfer Blickende durchschauten, daß Gisgon sich nicht Attars wegen einfand. Am besten aber wußte es Attar selbst. Indessen machte sie sich nichts daraus, es war ihr gleichgültig.

Sie fand, Gisgon sei im Umgang mit den Römern zum Sauertopf geworden. Sie hänselte ihn darob und ließ keinen Zweifel bestehen, daß sie nicht gesonnen sei, einen Bräutigam ernster zu nehmen als irgend sonst etwas in der Welt.

*


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