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Fünf Monate vor Karl VI., nämlich am 31. Mai 1740, war Friedrich Wilhelm I., König von Preußen gestorben, und sein Sohn Friedrich II., ein Fürst in der Blüte der Jahre – der zählte erst acht und zwanzig – und der Kraft, hatte den Thron bestiegen, – unter wie bei weitem günstigeren Verhältnissen als Maria Theresia!
Die Lage beider Staaten war beim Thronwechsel eben so verschieden wie die Charaktere und Höfe der beiden verstorbenen Monarchen. Karl VI. hatte einem Phantom von Repräsentation und einem Phantom von Hoffnung die beste Kraft seines Lebens und seine Autorität geopfert, – Friedrich Wilhelm I. in seiner fast puritanischen Einfachheit, in seiner hausväterlichen Sparsamkeit eine materielle Macht von Belang zusammengebracht. Karl VI. war feingebildet und begünstigte die Künste und Wissenschaften verschwenderisch, Friedrich Wilhelm haßte sie und ging überall auf's Natürliche, Praktisch-Nutzbare unmittelbar los. Es ist wahr: die Derbheit seines Wesens artete gar zu häufig in verletzende Rohheit aus und bei aller Gerechtigkeitsliebe hielt er es in seiner Soldatenliebhaberei nicht für unredlich, in aller Herren Ländern Menschen stehlen oder kaufen zu lassen. Wenn sich der Adel bei Verbrechen oder Vergehen auf besondere höhere Vorrechte berufen wollte, so gestand er ihm das eines besonderen höheren Galgens zu und befreite wenigstens vorerst das Königthum von den Eingriffen einer Mittelmacht, welche sich so häufig für dessen Stütze ausgab, um es zu beherrschen. So wie er war, in aller seiner Schroffheit und Unliebenswürdigkeit, bildete er doch ein höchst heilsames Gegengewicht gegen die ganz Deutschland überflutende und entnervende Fremdländerei, gegen die abgeschliffene, galante und geschminkte Verderbtheit, welche das gemeinsame Kennzeichen so vieler deutscher Höfe damaliger Zeit war, und je mehr er äußerem Schein abhold war, um so mehr befestigte er, ohne zu ahnen für welchen geschichtlichen Zweck, die innerliche Stärke des jungen preußischen Staates. Man verschrie seine unfürstliche, gemeinbürgerliche Haushaltung, man machte sich lustig darüber, daß er keine unnützen Schranzen besoldete und keine Kastraten mästete. Dafür hinterließ er seinem Sohne geordnete Finanzen und einen gefüllten Schatz von 8,700,000 Thalern baar Die Einkünfte erreichten jährlich die Summe von 7,400,000 Reichsthalern., während Karl VI. seiner Tochter nur gänzlich zerrüttete Finanzen übergeben konnte; – man spottete über die mit schwerem Gelde erkauften Potsdamer Riesengrenadiere, welche blos zur Parade vorhanden waren; aber dabei hatte der alte Dessauer die Kriegsmacht Preußens, welche in den letzten Jahren Friedrich Wilhelms 89,000 Mann zählte, trefflich in den Waffen geübt und durch eine musterhafte Subordination stark gemacht; so wartete sie gleichsam nur auf den Geist, der sie zu Siegen führte. Und dieser Geist kam. Es war Friedrich Wilhelms I. Sohn, Friedrich II., den die Tabaksgesellschaften seines Vaters abstießen, und dafür die Gesellschaft mit den ausgezeichnetesten Denkern seiner Zeit anzog, der die protestantische Strenggläubigkeit seines Vaters belächelte und doch mit diesem darin übereinstimmte, daß er auf kein Vorurtheil etwas gab. Was der große Kurfürst begonnen, was der erste König in Preußen und Friedrich Wilhelm I. fortgeführt, war Friedrich II. bestimmt zu vollenden, – die materielle Selbstständigkeit eines preußischen Staates. Schroff wie sein Vater trat er mitten in seine Zeit; er wußte, was er wagte, aber er wagte, was er mußte; ihn trieb eine geschichtliche Nothwendigkeit, wenn er auch nur dem unwiderstehlichen Drang seines Herzens nach Erwerbung von Ruhm genügen wollte. Inmitten der tausendfachen Verlogenheit, welche damals alle Grundlagen der Staaten und Völker unsicher machte, alle Begriffe verwirrte, alle Kräfte entnervte, war die einzige Auskunft und Rettung doch eigentlich blos die Wahrheit der That. Mußte sie sich auch der Gewalt bedienen, – der Erfolg rechtfertigte diese nicht, aber die Folgen machten die Motive und das Mittel vergessen. In Deutschland – verfallen und verrottet, wie es war, konnte kein andrer als ein König Ulrich Huttens: »Ich hab's gewagt« auf den Grundstein der Neuzeit schreiben; in Amerika that's ein Volk. Und wie Sickingen einst »dem Evangelium einen Durchbruch geschaffen« so sollte Friedrich II., hatte er's einmal gewagt und gewonnen, dann den Ideen zum Durchbruch helfen. Es ist wahr: er hielt sich an die geistigen Vorkämpfer in Frankreich, weil er in Deutschland hinter lauter Schulgelehrten einen freien Geist nicht entdecken konnte; er leitete den Strom, der den Augiasstall der Vorurtheile säubern sollte, aus Frankreich nach Deutschland; dafür sollte ihm Deutschland nicht danken? Man hat ihn unnational genannt, aber, wenn er gleich die Nationalität nicht im Munde hatte, wenn er gleich Deutsche gegen Deutsche zum Kampf führte, – national wurde er durch die tief eingreifenden, durchaus umgestaltenden Folgen seines Handelns in Bezug auf die Nation.
Es war eben eine von jenen Perioden eingetreten, wo, wie ein deutscher Weiser Hegel. sagt: »die großen Collisionen zwischen den bestehenden anerkannten Pflichten, Gesetzen und Rechten und zwischen Möglichkeiten entstehen, welche diesem System entgegengesetzt sind, es verletzen, ja seine Grundlagen und Wirklichkeit zerstören und zugleich einen Inhalt haben, der auch gut, im Großen vortheilhaft, wesentlich und nothwendig scheinen kann. Diese Möglichkeiten nun werden geschichtlich; sie schließen ein Allgemeines anderer Art in sich, als das Allgemeine, das in dem Bestehen eines Volkes oder Staates die Basis ausmacht. Dies Allgemeine ist ein Moment der producirenden Idee, ein Moment der nach sich selbst strebenden Wahrheit. Die geschichtlichen Menschen, die welthistorischen Individuen sind diejenigen, in deren Zwecken solches Allgemeine liegt. Ihre Sache war es, dies Allgemeine, die nothwendige nächste Stufe ihrer Welt zu wissen, diese sich zum Zweck zu machen und ihre Energie in dieselben zu legen.« Eine solche welthistorische Individualität war Friedrich II., war Maria Theresia. Ein solcher Mann mußte mit einer solchen Frau im Kampf zusammentreffen, die Charaktere der Fürsten mußten sich messen, damit die ihrer Völker sich aufrichten, sich fühlen lernten und zur Behauptung ihrer Individualität erstarkten, welche sie fast vergessen hatten.