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Marien Theresiens Regierungsantritt.

Kraft der pragmatischen Sanktion sollte Maria Theresia, als Erbin Karls VI., folgende Länder beherrschen: das Herzogthum Oesterreich unter und ob der Ens, das Herzogthum Steyermark, das Herzogthum Kärnthen, das Herzogthum Krain mit der windischen Mark, Istrien und der Grafschaft Görtz, die gefürstete Grafschaft Tyrol, die vorderösterreichischen Lande in Schwaben, das Herzogthum Ober- und Nieder-Schlesien und den burgundischen Kreis (Belgien); dann das Königreich Böhmen und die Markgrafschaft Mähren; ferner das Königreich Ungarn (Ober-Ungarn mit der Walachei und dem Temeswarer Banat, und Nieder-Ungarn), das Fürstenthum Siebenbürgen, das Königreich Slavonien, das Königreich Kroatien und die Hälfte von Serbien, sowie Stücke von Dalmatien; endlich Mailand, Mantua, Parma und Piacenza, sowie das Großherzogthum Toskana. Welcher Umfang an Ländern (9197½ Quadr.-Meilen mit 19,461,000 Seelen), und welche Ergiebigkeit des Bodens, der Industrie und des Handels in denselben, die sich wechselseits auf's Nutzbarste ergänzen konnten! Aber auch wie viele verschiedenartige Volksindividualitäten – germanische, romanische, slavische, magyarische, – deren Vereinigung zu einem Staatsganzen die Aufgabe war, welche eine dreiundzwanzigjährige und, wenn auch geistvolle, aber gleichwohl noch unerfahrene Fürstin zu erfüllen hatte! Und nun noch in dem kritischen Augenblick ihre Krankheit, welche unter den obwaltenden besondern Umständen das Eintreten eines sehr schlimmen Falles befürchten ließ! Dann die allgemeine Rathlosigkeit der Minister, welche blos an Selbsterhaltung dachten! Was zu vollbringen war, mußte Maria Theresia, welche sich zum Glück schnell erholte, selbst anfassen und durchführen. Aber unter welchem Zeichen? Es sagt's der Wahlspruch, den sie annahm: » Justitia et clementia.« Er steht auf ihren Münzen, er stand in ihrem Herzen. Wohl jedem Volk, dessen Fürst nach diesem Wahlspruch herrscht: »Gerechtigkeit und Milde!«

Maria Theresia erkannte den übeln Zustand, in welchem sich ihre Staaten befanden, als sie deren Herrschaft übernahm, die Verminderung und Verwahrlosung der Kriegsmacht, die Erschöpfung der Finanzen, das gesunkene Ansehen überhaupt, die Verwirrung in der Regierung, die schlimme Lage der unteren Volksklassen, besonders des Bauernstandes, welche sich unter anderm durch energische Selbsthülfe zur Abstellung des Wildschadens unumwunden kund gab. Sie sah, an wie vielen Orten zugleich rasch eingegriffen werden mußte, und sie zögerte nicht, es zu thun.

Unmittelbar nach dem Tode des Kaisers versammelte Maria Theresia, welche nun als Alleinherrscherin sämmtlicher österreichischer Länder ausgerufen wurde und den Titel »Königin in Ungarn und Böhmen« annahm, die Minister und Generäle, ließ sie zum Handkuß, bestätigte sie provisorisch in ihren Aemtern und nahm sie für sich in Eid und Pflicht. Die nächste dringendste Sorge war die Vervollständigung der Kriegsmacht, und gleich in der ersten Conferenz, welche des Mittags nach Karls VI. Tod statt fand, wurde die Ergänzung und Rekrutirung der Regimenter beschlossen; sämmtliche in Wien anwesende Officiere erhielten vom Hofkriegsrath gemessenen Befehl, sich ungesäumt nach ihren Standorten zu begeben, worauf in Folge eines erlassenen Circularschreibens die Truppen der Königin von Ungarn den Eid leisteten.

Ein wichtiger Akt, welcher hierauf stattfand, war die Eröffnung des kaiserlichen Testaments. Man ersah hieraus, daß Karl VI. es seiner Gemahlin freigestellt hatte, die Regierung in Gemeinschaft mit ihrer Tochter Maria Theresia zu übernehmen. Elisabeth Christina verzichtete jedoch darauf und zog sich mit ihrer zweiten Tochter, der Erzherzogin Maria Anna, in das Kloster der Salesianerinnen zurück, wo schon eine Kaiserwittwe in stiller Abgeschiedenheit residirte. Welche Absichten dagegen Maria Theresia selbst eben in Beziehung auf eine Mitregierung hegte, sollte sich bald hierauf zeigen, so wie nur die allerersten und dringendsten Maßregeln getroffen und die deutschen, so wie auswärtigen Fürsten von ihrer Thronbesteigung in Kenntniß gesetzt waren. Ungesäumt wurden denn nach allen Seiten hin, an die Kurfürsten und Fürsten des Reichs wie an die auswärtigen Höfe, Eilboten abgefertigt, mit der offiziellen Nachricht vom Ableben des Kaisers und mit Erinnerungen an die Aufrechthaltung der pragmatischen Sanktion für die Garanten derselben, – in die verschiedenen Erbstaaten mit Dekreten, welche die Vorsorge Marien Theresiens für die Interessen des Volkes und ihre Energie bekundeten. Bei der damaligen Theurung öffnete sie ihre Kornböden zum gemeinen Besten und befahl den geistlichen und weltlichen Ständen, ein Gleiches zu thun, und das aufbewahrte Getraide um billigen Preis zu verkaufen; außerdem beschränkte sie die Abgaben auf Wein und Lebensmittel. In Oesterreich hatten sich die Bauern nach dem Tode des Kaisers in Verzweiflung zur Vertilgung des Wildes zusammengerottet, und selbst den gegen sie ausgeschickten Truppen Widerstand entgegengestellt; Maria Theresia ließ nun eine große Menge Wild fällen und das Fleisch für einen äußerst niedrigen Preis, das Pfund zu drei Kreuzer, an die armen Leute verkaufen. Noch bedenklicher als in Oesterreich war im vorigen Jahr die Auflehnung des Landvolks in Steyermark gewesen und nur der militärischen Uebermacht war es gelungen, sie zu dämpfen, worauf die Anführer zum Tode verurtheilt worden waren. Maria Theresia begnadigte sie, wenn gleich nicht unbedingt; sie mußten noch vier Wochen lang mit Eisen an den Füßen und zwei Hirschgeweihen auf dem Rücken in Grätz die Gassen kehren. Die Untersuchungen gegen Seckendorf, Wallis und Neipperg wurden (durch hofkriegsräthliche Rescripte vom 6. November 1740) aufgehoben, die drei Generäle sogleich ihrer Haft entlassen und in ihre früheren Würden und Titel wieder eingesetzt; eine Maßregel, welche deßhalb politisch war, weil sie Marien Theresien in den Reihen des hohen Adels manchen Freund gewann.

Eine andere Sorge war die Ordnung der Finanzen, an welche sogleich Hand angelegt wurde. Man begann mit der Einziehung aller überflüssigen Ausgaben am Hofe. Hiermit beschäftigte sich Franz Stephan persönlich und in der That war Niemand geeigneter dazu, als dieser Fürst, der mit großer Neigung zur Sparsamkeit auch die Anlagen besaß, deren ein Finanzmann bedarf. Man erwog, welche bedeutende Ersparnisse zu Gunsten des Aerars von der enormen Summe von 9 und einer halben Million gewonnen werden könnten, die unter Karl VI. jährlich bloß zur Unterhaltung von 4000 »Kameralisten« verwendet wurde! So kostete blos die kaiserliche Hofkapelle und Kammermusik jährlich an 200,000 Gulden, mancher Musiker und Sänger erhielt eine jährliche Besoldung von 4000, 5000 bis 6000 Gulden. Die kaiserlichen Maler, Bildhauer, Baukünstler, Mathematiker u. s. w. bezogen Gehalte von 2000 bis 6000 Gulden und erhielten noch besondere Bezahlung für ihre Werke. Die Pensionen nahmen gleichfalls sehr bedeutende Summen in Anspruch. Diese und noch viele andere Posten wurden nun unter der neuen Regierung theils ganz gestrichen, theils sehr bedeutend herabgesetzt; die meisten überflüssigen Hofoffizianten wurden verabschiedet, mit anderen, die man im Dienst behielt, Kostgelder accordirt. Eine strenge Untersuchung der Rechnungen stellte die Unverschämtheit heraus, mit welcher unter der vorigen Regierung Unterschleife hatten begangen werden können. Zur Bezeichnung genügen die kleinen Züge, daß jährlich blos zum Einweichen des Brots für die Papageien des Kaisers zwei Fässer Tokaier und zum Bade derselben 15 Eimer österreichischen Weins, – für Petersilie in die Hofküche jährlich 4000 Gulden, – für den Schlaftrunk der verwittweten Kaiserin Amalie Wilhelmine täglich 12 Kannen Ungarwein, für eine Hofdame täglich 6 Kannen Ungarwein, – für fünf Kammerherrn, wenn sie mit dem Kaiser auf der Jagd waren, ein Eimer österreicher Wein auf Rechnung gesetzt waren!

Mit Recht nahm die kluge Fürstin besondere Rücksicht darauf, sich der Treue Ungarns zu versichern. Schon am zweiten Tage nach Karls VI. Ableben, am 22. October erließ sie ein Circularschreiben an sämmtliche Comitate, worin sie den Trauerfall und, mit Berufung auf die beiden ersten Artikel des ungarischen Reichstages vom J. 1723, ihren Regierungsantritt erklärte, die Stände zur Treue ermahnte, und ihrerseits gelobte, alle Rechte, Privilegien, Freiheiten und Immunitäten unwandelbar und unverbrüchlich zu erhalten und erhalten zu lassen, so wie sie ferner versprach, bei nächster Gelegenheit einen Reichstag zu eröffnen, um dessen Beschleunigung in der Antwort gebeten wurde. Die Ernennung des alten und verdienstvollen Generalfeldmarschalls Grafen Johann Palfi von Erdöd zum kommandirenden General en chef in Ungarn, welche wenige Tage später (am 27. Oktober 1740) erfolgte, war gleichfalls eine treffliche Maßregel der Politik, um die Zuneigung der ritterlichen Nation zu gewinnen. Indem sich Maria Theresia hiedurch an das Nationalgefühl wandte, that sie den ersten Schritt auf einer Bahn, welche ihre Vorgänger in allzu zuversichtlichem Stolz ignorirt hatten.

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