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Am 10. März 1876 hatte ich in Leipzig eine Disputation mit Bruno Sparig, einem Hauptagitator der Leipziger Nationalliberalen, der in seiner Rede über meine Stellung zur Kommune alle die Angriffe vorbrachte, die man damals gegen die Kommune machte. Jene Versammlung war von beiden Parteien gemeinsam einberufen, jede Partei bekam gleichviel Eintrittskarten zur Verteilung, jede Partei wählte auch einen Vorsitzenden, der den Vorsitz führte, während der Gegner redete. Von unserer Seite war Julius Motteler dieser Vorsitzende, von seiten der Gegner ein Direktor Peucker.
Ich erweise manchem meiner Leser einen Dienst, wenn ich meine damalige Leipziger Rede, wenn auch gekürzt, hier zum Abdruck bringe:
Direktor Peucker: Herr Bebel hat jetzt das Wort. (Der Redner wird beim Betreten der Tribüne mit stürmischem Beifall empfangen.)
Bebel: Ich knüpfe an die letzten Worte des Herrn Sparig an. (Unruhe.) Herr Sparig erklärte, er habe noch so viel Tatsachen gegen die Kommune anzuführen, daß er noch zehn Abende damit zubringen könnte. (Unruhe.) Meine Herren, ich habe Herrn Sparig gleich anfangs die Offerte gemacht, daß, wenn die Disputation an einem Abende nicht beendigt sei, sie am nächsten oder an einem späteren Tage fortgesetzt werden solle. Wir könnten also morgen oder nächsten Montag die Debatte fortsetzen, wozu ich bereit bin. (Große Unruhe, Zischen.) Herr Sparig hat aber erklärt, es sei an einem Abende genug, die Sache würde dabei zum Austrag gebracht werden. (Bravo! Zischen.)
Meine Herren, zunächst eine persönliche Erklärung meinen Parteigenossen gegenüber, die mir zum Teil heftige Vorwürfe gemacht haben, daß ich auf die Bedingung eingegangen bin, daß zu dieser Versammlung Karten ausgegeben wurden, weil dies gegen das Prinzip der Volksversammlungen verstößt. Meine Herren, ich würde nimmer auf diesen Vorschlag eingegangen sein, wenn ich nicht überzeugt gewesen wäre, daß im anderen Falle die Versammlung gar nicht stattgefunden hätte. Ich bin einzig und allein aus diesem Grunde darauf eingegangen, ich werde aber ein zweites Mal nicht darauf eingehen, weil, obgleich bei unserer Abmachung Herr Sparig sagte, man wolle, um nicht »unanständig« zu erscheinen, bei dem Eingang nicht sammeln, um kein Geldgeschäft daraus werden zu lassen, dennoch von seiten des Herrn Sparig das Versprechen nicht gehalten, sondern der Vertrag verletzt und die Karten gegen Geld ausgeboten wurden. (Große Unruhe. Rufe: Das ist nicht wahr!) Bebel: Wie können Sie da rufen, das ist nicht wahr? (Bravo! Zurufe.)
Meine Herren! Zunächst bitte ich vor allem meine Parteigenossen, mich nicht durch Beifallsbezeigungen zu unterbrechen, aus dem einfachen Grunde, weil mir diese zu viel Zeit wegnehmen. Ich habe nur anderthalb Stunden Zeit. (Unterbrechung, Zischen.)
Vorsitzender Direktor Peucker: Meine Herren, ich muß Sie ersuchen, alle derartigen Ausrufe wie »Das ist nicht wahr« usw. zu unterlassen. Herr Bebel hat laut eingegangenem Kontrakt das Wort. Ich ersuche beide Parteien, Herrn Bebel ruhig reden zu lassen.
Bebel: Meine Parteigenossen haben Herrn Sparig mit der größten Ruhe angehört, obgleich sie häufig Ursache gehabt hatten, ihr Mißfallen kund zu geben. (Fortgesetzte Unruhe seitens der Liberalen.)
Ich glaube, meine Herren, wir haben der liberalen Partei heute den Beweis geliefert, daß ihre Behauptung unwahr ist, daß ein Gegner in einer sozialdemokratischen Versammlung nicht sprechen könne; Herr Sparig hat im Gegenteil ganz ruhig sprechen können, während Sie – (Große Unruhe. Rufe: Raus! Lärm seitens der Liberalen.)
Bebel: Meine Herren! Ich hoffe, daß die Herren Gegner nicht provozieren wollen, daß die Versammlung polizeilich aufgelöst werde. Fast komme ich zu dieser Ueberzeugung. Herr Sparig hat ausgeführt, daß wir uns über die Mundtotmachung im Reichstag beschwert hätten, und er hat weiter erklärt, er nähme es den Reichsboten nicht übel, wenn sie nicht immer wieder die sozialdemokratischen Phrasen anhören wollten.
Wir sind im Reichstage Volksvertreter so gut wie jeder andere, der dort sitzt, und wir haben nicht bloß das Recht, sondern auch die Pflicht, unsere Parteianschauungen dort zu vertreten, wo sich die Gelegenheit bietet. Sind wir einmal in einer Sitzung des Reichstags nicht zugegen, dann führt die liberale Presse und besonders das »Leipziger Tageblatt« gewissenhaft Buch und man liest am nächsten Tage: Bei der und der Abstimmung haben die und die sozialdemokratischen Abgeordneten gefehlt. Reden die sozialdemokratischen Abgeordneten, dann heißt es: Sie sind unverschämt! Und schneidet man uns das Wort ab, auch wenn wir zum Reden herausgefordert wurden, so heißt die liberale Presse und Herr Sparig ein solch nichtswürdiges Verfahren gut....
Herr Sparig ist dann auf die Verhandlungen des deutschen Reichstags im Jahre 1871 eingegangen und erwähnte dabei zuerst die Sitzung vom 25. Mai, in der es sich um die Annexion von Elsaß und Lothringen handelte. Hier hat nun Herr Sparig einen chronologischen Schnitzer begangen: er läßt meine Rede vom 10. April hinter der Rede vom 25. Mai kommen. In der Rede vom 10. April war es, wo ich erklärte, daß ich die Handlungen der Kommune zwar nicht in allen Stücken billige, und zwar aus Zweckmäßigkeitsgründen, daß ich aber nichtsdestoweniger die Kommune verteidige, und daß ich mich dazu um so mehr für verpflichtet halte, als selbst die liberale Presse, nachdem sie zuvor gewisse Handlungen der Kommune als Gewalttaten gebrandmarkt harte, nach wenig Tagen ihre Beschuldigungen als unwahr zurücknehmen mußte....
... Herr Sparig hat die Tätigkeit der Kommune als eine lange, ununterbrochene Kette von Verbrechen und Scheußlichkeiten hinzustellen versucht. Als Hauptschandtaten führte Herr Sparig die Erschießung der Generale Klement Thomas und Lecomte an, ferner die Erschießung der Geiseln und den Befehl zur Inbrandsetzung des Finanzministeriums, den er Ferré imputiert. Sonstige »Schandtaten« hat er nicht anzugeben vermocht.
Wie steht es aber nun mit diesen angeblichen Schandtaten? Am 18. März, dem Tag der Erschießung der Generale Klement Thomas und Lecomte, hat die Kommune, nach dem eigenen Geständnis des Herrn Sparig, noch nicht bestanden. Man kann sie also dafür unmöglich verantwortlich machen.
An dem Tage, an dem die Geiseln erschossen worden sind – als welchen Tag Herr Sparig selbst den 24. Mai angibt – , hat die Kommune offiziell nicht mehr bestanden; der Kommunerat hat am 22. Mai die letzte sehr schwach besuchte Versammlung abgehalten, was Herr Sparig gleichfalls bestätigte. Wenn wirklich, wie Herr Sparig behauptet, was aber nicht erwiesen ist, Ferré und Raoul Rigault am 24. den Befehl zur Erschießung der Geiseln gegeben hätten, so würde es sich also nur um zwei Personen von 90 handeln, welche den Kommunerat bildeten, und diese zwei, nicht aber die Kommune, könnten verantwortlich gemacht werden.
(Redner gibt hierauf einen kurzen geschichtlichen Abriß des Entstehens der Kommune, der Belagerung von Paris, des Mißtrauens der Bevölkerung gegen Trochu, der Uebergabe von Paris, des Ausschreibens der Wahlen zur Nationalversammlung, welche den Frieden ratifizieren sollte.)
Die Wahlen wurden ausgeschrieben in einem Moment, wo zwei Drittel von Frankreich von den Deutschen besetzt waren, wo ein großer Teil des Landes im Belagerungszustand war, wo bei der Kürze der Frist von einer Verständigung über die zu Wählenden keine Rede sein konnte, wo endlich der größte Teil der bonapartistischen Präfekten und Beamten, die mehrere Jahrzehnte die niederträchtigste Wahlkorruption betrieben hatten und darauf eingeübt waren, noch im Amte saß. Unter solchen Umständen konnte unmöglich von freien Wahlen die Rede sein.
Die Wahlen fielen auch danach aus. War auch die Majorität nicht bonapartistisch gesinnt, so war sie doch royalistisch und der Republik feindlich. Die Folge war, daß Gambetta zurücktrat und Herr Thiers an die Spitze der Regierung kam. Die Nationalversammlung, die damals bekanntlich in Bordeaux tagte und die ausdrücklich nur zu dem Zweck gewählt worden war, über die Friedensbedingungen zu beschließen, maßte sich jetzt an, über das Geschick Frankreichs zu entscheiden, und beging damit eine schwere Verletzung ihres Mandats. Die Regierung war jämmerlich genug, auf solche Anmaßungen einzugehen. Ja es kam in kurzer Zeit so weit, daß selbst die blauen Republikaner wie Jules Favre und Konsorten gänzlich aus der Regierung verdrängt wurden.
Mit dieser Haltung der Versammlung in Bordeaux gingen weitere Schritte der Regierung gegen Paris Hand in Hand. Die Regierung verlangte von der Pariser Nationalgarde, und zwar im Widerspruch mit den Stipulationen des Friedensvertrags, daß sie die Waffen ausliefere. Der Belagerungszustand, der seit der Revolution vom 4. September in Paris aufgehoben war, wurde wieder eingeführt. Der als ein Feind der Republik bekannte Jesuiten-General d'Aurelles de Paladine wurde zum Oberkommandanten der Nationalgarde, der verhaßte bonapartistische General Vinoy zum Gouverneur von Paris ernannt. Diesen gegen Paris feindseligen Schritten schlossen sich eine Reihe anderer an. Infolge der Belagerung von Paris und des vollständigen Daniederliegens von Geschäften und Verkehr war früher eine Aufschiebung der fälligen Wechselzahlungen ausgesprochen worden. Die Regierung, die mittlerweile von Bordeaux nach Versailles übergesiedelt war, bestimmte jetzt, daß, obgleich Handel und Wandel noch gleich sehr daniederlagen, alle fälligen Wechselzahlungen sofort bezahlt werden müßten. Es wurde ferner befohlen, daß die fälligen Mieten – die bis dahin ebenfalls gestundet worden waren – sofort bezahlt werden müßten. Gleichzeitig wurde eine Stempelsteuer von 2 Centimes auf jedes Zeitungsblatt eingeführt. Die Folge von allem diesem war, daß nicht nur die Sozialisten, sondern daß der größte Teil der Pariser Bevölkerung, die kleinen Kaufleute, die Krämer, die Handwerker mit den revolutionären Elementen gemeinsame Sache machten. Sie erklärten, unter keinen Umständen auf die Bedingungen und Zumutungen eingehen zu können, welche die gegenwärtige Regierung stelle. Als die Regierung die Stimmung in Paris sah, wurde ein Handstreich von ihr versucht. Man wollte sich Paris mit Gewalt bemächtigen. In der Nacht vom 17. auf den 18. März rückte der General Lecomte auf Befehl des Generals d'Aurelles de Paladine mit einer Anzahl Linienbataillone gegen den Montmartre, um sich der dorthin gebrachten mehreren hundert Geschütze, welche sich die Nationalgarde aus eigenen Mitteln während der Belagerung beschafft hatte, zu bemächtigen. Die Nationalgarde hatte tags zuvor von diesem Plane Kunde erhalten, sie war infolgedessen auf dem Posten. Als die Truppen heranrückten, fanden sie alle Zugänge sorgfältig besetzt. Lecomte sah die Unmöglichkeit ein, die Kanonen, wie er gehofft, ohne Schwertstreich wegzunehmen; er kommandierte Feuer. Wie es bei solchen Gelegenheiten geht, hatten sich neben der Nationalgarde auch eine Menge Volks, Männer, Frauen und Kinder, eingefunden, die bei dem Feuern notwendig wären mitgetroffen worden. Da erklärte die Linie: Wir schießen nicht. Statt das Gewehr auf die Nationalgarde zu richten, wandte sie die Gewehrkolben nach oben und fraternisierte mit dem Volk. Viermal forderte der General zum Feuern auf und viermal verweigerten die Soldaten den Gehorsam.
Jetzt begann der General wütend zu schimpfen. Dies erbitterte seine Soldaten, und darauf wurde er von seinen eigenen Leuten verhaftet und im Laufe des Nachmittags erschossen. Dabei war kein Mitglied des Zentralkomitees der Nationalgarde zugegen, und die Kommune wurde erst wenige Tage später proklamiert.
In diese Affäre mengte sich nun der General Klement Thomas, der in Zivilkleidern als Spion sich unter das Volk gemischt hatte und, als er auf das Benehmen der Soldaten schimpfte, erkannt wurde. Herr Sparig sagt, Klement Thomas sei ein Republikaner gewesen.
Meine Herren! Es gibt in Frankreich eine Menge Leute, die sich Republikaner nennen, im Grunde aber nichts anderes sind wie bei uns die Nationalliberalen. Klement Thomas war einer von dieser verwässerten republikanischen Richtung. Früher Offizier, der den Dienst quittiert hatte, war er anfangs 1848 bei dem Journal »National« als Sitzredakteur beschäftigt, dem zugleich die Stelle des Duellanten bei den Streitigkeiten mit den Redakteuren anderer Blätter zufiel. Von der Februarregierung wieder in die Armee eingereiht und zum General erhoben, spielte er vor und während der Junischlacht 1848 die infamste Henkerrolle und setzte sich durch seine Barbarei gegen die Arbeiter ein trauriges Denkmal.
Dieser selbe General wurde von Trochu zum Kommandanten der Pariser Nationalgarde ernannt, als der General Tamisier im November 1870 wegen des nicht gehaltenen Versprechens, daß Paris seine Kommuneregierung wählen solle, das Kommando niederlegte. Das war eine direkte Provokation. Klement Thomas hatte nach Antritt seines Kommandos nichts Eiligeres zu tun, als in allen seinen Handlungen die offenbarste Feindschaft gegen die Nationalgarden aus den Arbeiterquartieren zu zeigen. Und in dem Moment, wo die Aufregung über das Benehmen des Generals Lecomte aufs Höchste gestiegen war, erschien der verhaßte Mann auf der Bühne und nahm für Lecomte Partei. Er wurde festgenommen und gleich Lecomte von den ergrimmten Soldaten erschossen.
Meine Herren! Das war eine Gewalttat, und ich bin weit entfernt, sie gut zu heißen; aber man muß sich die Lage vergegenwärtigen, und wenn man dies tut, wird man diese Handlungen entschieden entschuldigen müssen. Es sind von seiten der Reaktion ganz andere und größere Grausamkeiten begangen worden, und zwar nicht in einer Zeit der Aufregung und Leidenschaft, unter welcher die Kommune existierte, sondern man hat sie in ruhiger Zeit und mit kaltem Blute begangen. Man denke nur an die entsetzliche Behandlung der Kommunedeportierten in Neukaledonien, welche alles bisher Dagewesene an Grausamkeit übertrifft, und Jahre lang nach dem Kampfe fortgesetzt wurde. Solche Greuel fordern die Empörung und Verurteilung jedes Menschenfreundes heraus.
Als die in Paris anwesenden Regierungsbehörden am 18. März sahen, wie die Stimmung der Stadt und der Soldaten war, fanden sie es für gut, sich eiligst aus dem Staube zu machen. Das Zentralkomitee der Nationalgarde nahm jetzt die Leitung der Verwaltung in die Hand.
Herr Sparig glaubt der Versailler Regierung den Vorwurf machen zu müssen, daß sie am 18. März nicht zuverlässige Truppen nach Paris gesandt. Es gab aber für die Regierung überhaupt keine zuverlässigen Truppen. Die ganze französische Armee, soweit sie im Lande war, war empört über die Haltung der Regierung und sympathisierte mit dem Volk. Die einzig zuverlässigen Truppen: die Garden Napoleons, die Zuaven und Turkos und die ultramontanen bretonischen Regimenter, befanden sich in der deutschen Gefangenschaft. Und erst als Herr Thiers und Herr von Bismarck sich verständigt hatten, erwies der letztere dem ersteren die Gefälligkeit, ihm mehr als 80 000 Mann der bezeichneten Truppen zur Verfügung zu stellen, welche jetzt wie Bestien und als wollten sie die Niederlage, die sie von den Deutschen erlitten, an ihren Landsleuten rächen, über Paris herfielen und in ihrer schauerlichen Blutarbeit über 30 000 Menschen niedermetzelten. Diese Truppen haben sich für ewig gebrandmarkt, und sie haben später von ihren Kameraden in der Armee häufig es anhören müssen, daß es eine Schande und eine Schmach für sie sei, sich zu Würgern und Henkern des Pariser Volks hergegeben zu haben.
Veranlaßt durch das Zentralwahlkomitee der Nationalgarde, wählte das Pariser Volk am 25. März die Kommune. Herr Sparig erklärte, es habe dabei eine große Wahlenthaltung stattgefunden, und scheint daraus schließen zu dürfen, daß alle, die nicht gewählt, Gegner der Kommune gewesen seien.
In bezug auf die Wahl der Kommune kann ich mich auf einen Gewährsmann berufen, der ein wütender Sozialistenfeind ist, nämlich auf Herrn Johannes Scherr, der gegenwärtig in der »Gartenlaube« eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, die an Schimpfereien gegen die Kommune wahrhaftig nichts zu wünschen übrig lassen.
Nun, in diesen Artikeln teilt Herr Scherr mit, daß von 490 000 Wählern am 25. März 277300 zur Urne kamen und für die Kommune stimmten. Das sind 57 Prozent. Haben wir etwa eine solche Wahlbeteiligung in Leipzig einmal bei der Reichstagswahl oder gar bei der Stadtverordnetenwahl gehabt? Bei der letzteren haben bei der neuesten Wahl kaum 33 Prozent gewählt. Und was würde Herr Sparig sagen, wenn wir seine Logik akzeptieren wollten und erklärten, die übrigen 67 Prozent, die sich der Wahl enthielten, sind Sozialdemokraten? Er würde uns auslachen und mit vollem Recht. Dasselbe aber gebührt ihm mit seinem Urteil über die Kommune.
Es ist eine Tatsache, daß die große Mehrheit der Bevölkerung von Paris sich für die Kommune erklärt hat; ja Herr Scherr geht sogar so weit, zu erklären, daß die Kommunewahl am 25. März mit einer Einmütigkeit, mit einer Freudigkeit ohne gleichen seitens der Bevölkerung begangen wurde, daß der Tag zu den schönsten gerechnet werden müsse, die Paris gesehen. Das Volk von Paris habe sich an diesem Tage in seinem vollen Glanze und von seiner besten Seite gezeigt, wie kaum bei einem anderen historischen Ereignis. So muß ein Gegner der Sozialdemokratie über die Kommune urteilen!
Herr Sparig hat weiterhin die »Gesetzesmacherei« der Kommune kritisiert. Er sagte, daß ein Dekret das andere gejagt, das eine das andere wieder aufgehoben oder verschärft habe.
Aber war denn das anders möglich, wenn man einen solchen Augiasstall auszumisten hatte, wie es das kaiserliche Paris war? (Heiterkeit.) Da hatte man allerdings sehr viel zu dekretieren. Und es versteht sich von selbst, daß in einer solchen Situation nicht alles wie am Schnürchen geht. Der Krieg von 1870 war seitens der Deutschen sicher sehr gut vorbereitet, fragen Sie aber einmal den Generalstäbler Moltke, ob alles so glatt gegangen ist, und er wird Ihnen sagen, daß es da und dort gehapert hat. Wie viel mehr muß dies der Fall sein, wenn es sich um eine revolutionäre Bewegung handelt, wenn an Stelle des alten ein neuer Staat geschaffen werden soll, inmitten von Hunderttausenden von Feinden – der deutschen Armee und der Versailler, die mit aller Kraft und all ihren Mitteln darauf hinarbeiteten, der neuen Institution den Garaus zu machen.
Die Dekrete aber, die Herr Sparig anführte, war er selber nicht imstande, als solche zu qualifizieren, die geeignet wären, die Kommune zu kompromittieren. Wenn er beispielsweise bezüglich des Dekrets der Kommune, betreffend die Nachtarbeit der Bäcker, sagt: er glaube nicht, daß auch die Sozialisten geneigt wären, morgens zum Kaffee mit einem altbackenen Dreierbrötchen vorlieb zu nehmen, so ist das ein so flacher Witz, daß ich es unterlasse, näher darauf einzugehen. Es handelte sich bei dieser Maßregel nicht darum, ob der verwöhnte Gaumen der Bourgeoisie ein Bedürfnis befriedigen konnte oder nicht, sondern darum, ob eine zahlreiche Klasse von Arbeitern permanent der aufreibenden und ruinierenden Nachtarbeit ausgesetzt sein sollte oder nicht. Jeder, der sich mit diesen Dingen einigermaßen beschäftigt hat, weiß, daß die Bäckergesellen infolge der Nachtarbeit und der ungemein langen Arbeitszeit überhaupt, die häufig 16, ja 18 Stunden beträgt, meist einem frühen Tode entgegengehen.
Die Kommune hat nun allerdings auf solche Zustände ihr Augenmerk gerichtet, und das gereicht ihr zur Ehre. (Zustimmung.)
Weiter führt Herr Sparig an, daß die Kommune zwar die Todesstrafe abgeschafft habe, aber das Erschießen eingeführt, und er bezog sich dabei auf ein Dekret, welches die Strafe des Erschießens allen denen androhte, die sich dem Dienste in der Nationalgarde, also der Verteidigung der Stadt entzögen.
Die Kommune, von der Anschauung ausgehend, daß jedes stehende Heer ein Werkzeug in den Händen der Regierung sei, um das Volk zu unterdrücken, verlangte die Abschaffung des stehenden Heeres und führte die allgemeine Volksbewaffnung ein. Es war demgemäß jeder waffenfähige Mann verpflichtet zur Verteidigung der Stadt.
Das benachteiligte keinen und war für alle gerecht, was von unserem Wehrsystem, das trotz der Phrasen von allgemeiner Wehrpflicht nur einen Teil des Volkes bewaffnet, allerdings nicht gesagt werden kann. Nun gab es freilich einen Teil, der für die Kommune nicht eintreten wollte, obgleich sie ringsum von Feinden umgeben war, die mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln sie vernichten wollten.
Die Kommune, von allen Seiten angegriffen und zum Kriegführen gezwungen, mußte in dieser Lage diejenigen Mittel anwenden, die in einem solchen Falle jeder kriegführenden Partei zu Gebote stehen und stehen müssen. Sie bedrohte jeden mit dem Tod durch Erschießen, der sich weigerte, die Waffen zur Verteidigung zu tragen.
Es hat Tausende meiner Parteigenossen 1870 gegeben, die mit dem Kriege nicht einverstanden waren und die man nicht frug, ob sie mitgehen wollten. Sie mußten mitgehen und sie würden, im Falle der Weigerung, vor ein Kriegsgericht gestellt und ohne Gnade erschossen worden sein.
Herr Sparig verwechselt also die Abschaffung der Todesstrafe in Zivilstrafrechtsfällen mit der militärischen Todesstrafe im Falle eines Krieges, was doch ein himmelweiter Unterschied ist. Die Todesstrafe zur Aufrechterhaltung der Disziplin im Kriege wird es geben, solange es Krieg gibt.
Herr Sparig hat weiter ein Kommunedekret hervorgehoben, wonach diejenigen Werkstätten und Fabriken, die seitens der Arbeitgeber verlassen worden waren, von der Kommune in Beschlag genommen und denjenigen Arbeitern, welche bisher darin gearbeitet, zum Betrieb übergeben werden sollten. Ferner, daß eine Kommission gewählt werden sollte, um die Werkstätten abzuschätzen, damit die früheren Besitzer entschädigt werden könnten. Er hat sehr richtig hervorgehoben, daß die Kommune dies allgemein durchgesetzt haben würde, wenn sie die Macht dazu gehabt hätte. Ja, er hat auch recht, wenn er vermutet, daß wir allerwärts ähnlich vorgehen würden, wenn wir könnten. Wir wollen den Gegensatz zwischen Arbeitern und Arbeitgebern ausgleichen, da die Interessen von Arbeitern und Arbeitgebern sich heute feindlich gegenüberstehen. Die Arbeitgeber wollen möglichst geringen Lohn zahlen und möglichst lange arbeiten lassen; der Arbeiter will möglichst hohen Lohn bei möglichst geringer Arbeitszeit. Mit jeder Maschine, die erfunden wird, mit jeder neuen Fabrik wird dieser Klassengegensatz schärfer. Jede Bahn, die gebaut, jeder Telegraphendraht, der gelegt wird, trägt die Erkenntnis in weitere Kreise, verschafft uns neue Anhänger. Jeder Schritt zur Konzentration des Kapitals, zur Vernichtung der kleinen Unternehmer vermehrt die Spaltung und drängt zur Lösung, indem Produktion und Distribution assoziativ betrieben werden, das heißt alle Werkstätten, alle Fabriken, alle Arbeitsmittel müssen in den Händen der Gesellschaft sein und von dieser im Interesse und bei Gleichberechtigung aller Staatsbürger verwaltet werden. Jeder muß arbeiten und jeder hat seinen vollen Anteil am Gewinn, wie selbstverständlich auch am Verlust. An Stelle der Privatindustrie, an Stelle der wilden, unorganisierten Produktionsweise – die uns die gegenwärtige Krise auf den Hals gebracht hat – soll eine sozialistisch, das heißt gesellschaftlich organisierte Produktionsweise treten, wo einer für alle und alle für einen einstehen. Dazu hat die Kommune den ersten Schritt getan, und er war ein solcher, wobei die in Frage kommenden Arbeitgeber durchaus reinen Nachteil hatten, denn sie sollten den vollen Wert für ihre Werkstätten und Fabriken vergütet erhalten.
Nach unserer Auffassung hat die Gesellschaft die Pflicht, sich so zu organisieren, daß für das Wohl aller ihrer Mitglieder gleichmäßig gesorgt ist, daß jedes ihrer Mitglieder in immer höherem Grade an den Errungenschaften der Kultur und Zivilisation auf allen Gebieten des menschlichen Lebens teilnehmen kann. Die Gegner behaupten zwar, dem Fortschritt zu huldigen, aber sobald es sich um eine Besserstellung der Gesamtheit handelt, schreien die, die im Fette sitzen und die Macht in Händen haben: Wir leben in der besten der Welten, es ist ein Verbrechen, wenn diese umgestaltet werden soll.
Mit allen Mitteln verteidigen sie die Vorrechtsstellung, die sie inne haben, und dies geht so weit, daß Männer, die bei einem ganz untergeordneten Gesetz, das mit dem Sozialismus gar nichts zu tun hat, wie zum Beispiel das Hilfskassengesetz, sich herausnehmen zu sagen, daß das Gesetz gegen die Arbeitgeber ein Unrecht sei, und wer dafür ist, sich den Vorwurf entgegenschleudern lassen muß – denn als Vorwurf betrachtet man es – , du bist Sozialist. Wir haben das erst heute im »Tageblatt« gelesen. Damit wird aufs deutlichste ausgesprochen: Wir sind nicht geneigt, den Unterdrückten auch nur die geringsten Konzessionen zu machen.
Wenn überall, im kleinen wie im großen, in der Gesetzgebung wie im sozialen Leben dieser Klassengegensatz hervortritt, so versteht es sich von selbst, daß Revolutionen entstehen, wie in Paris. Und es ist meine feste Ueberzeugung – wie ich dieses auch in der hier angezogenen Reichstagsrede ausgesprochen habe – , daß, ehe wenig Jahrzehnte vergehen, alles was in Paris geschah, sich in ganz Europa wiederholt. An der Gesellschaft ist es, zur Einsicht zu kommen und sich zu bemühen, auf dem Wege der Gesetzgebung die vorhandenen Klassengegensätze auszugleichen.
Was hat nun die Kommune weiter getan? Sie hat eine alte liberale Forderung, die seit Jahrzehnten im Programm der liberalen Partei gestanden, aber seitdem sie zur Herrschaft gelangt ist, in die Rumpelkammer geworfen wurde, verwirklicht. Die Kommune hat die Trennung der Kirche von Schule und Staat beschlossen und durchgeführt, und sie hat weiter beschlossen, das Kircheneigentum zu konfiszieren.
Mich wundert nur, daß Herr Sparig dieses nicht erwähnt und eine Anklage auf Verletzung des Eigentums erhoben hat. Zum Vorwurf hat man es der Kommune vielfach gemacht. Da es Herr Sparig nicht erwähnte, so erwähne ich's, um ihn zu ergänzen. (Heiterkeit.)
Schade nur, daß das, was die Kommune getan, andere längst vor ihr getan haben. Wenn in der Reformation, die 1517 begann, viele Fürsten auf die Seite Luthers traten, so geschah das nicht aus idealem Interesse, sondern weil sie sich mit dem reichen Kircheneigentum ihre großen Taschen füllen konnten. (Heiterkeit, Beifall.)
Und als in den Vereinigten Staaten von Nordamerika vor 15 Jahren der große Krieg zwischen dem Süden und dem Norden ausbrach und schließlich der Norden die Sklaverei abschaffte, so war das ein solcher Eingriff in das Eigentum der Sklavenhalter, wie man sich ihn ärger nicht denken kann. Unsere Gegner finden, das, was ihnen nützt, sei recht und billig; tut es aber das Volk zu seinen Gunsten, dann ist es Verbrechen und Diebstahl.
Dieselbe Partei, welche gegen die Kommune wegen Antastung des Eigentums die Anklage erhebt, hat noch zu Anfang der 60er Jahre, als sie auf Oesterreich noch gut zu sprechen war, ihm den Rat gegeben, die Kirchengüter zu konfiszieren, um seine kolossale Schuldenlast zu decken, und sie hat jubelnd Beifall geklatscht, als Italien in dieser Richtung vorging. Nun, die kirchlichen Korporationen haben ihr Eigentum auf Grund derselben Rechtstitel erworben, wie irgend ein Bourgeois sein Haus oder sein Grundstück. Wo bleibt da die Konsequenz? Nachdem die Kommune die Trennung der Kirche vom Staat und von der Schule ausgesprochen, dekretierte sie den obligatorischen und unentgeltlichen Unterricht, und nicht bloß in bezug auf das Schulgeld, sondern auch in bezug auf die Lehrmittel. Arme und Reiche sollten gleiche Erziehung genießen, und dadurch, daß der Staat für alle in gleicher Weise eintrat, sollte vermieden werden, daß der Neid und der Haß zwischen arm und reich schon in die jugendlichen Herzen gepflanzt werde. Zeigen Sie mir doch einen liberalen Staat, der auch nur entfernt etwas Aehnliches geleistet. (Beifall.)
Herr Sparig hat sich weiter hämische Bemerkungen darüber erlaubt, daß die Kommune erklärt, ihre Politik und ihre Bestrebungen beruhten auf Wissenschaft. Die Kommune hat damit sagen wollen, daß sie alle Errungenschaften der modernen Wissenschaft in bezug auf Nationalökonomie, in bezug auf Rechtspflege und Volkswohlfahrt überhaupt für die Gesetzgebung möglichst allgemein nützlich zu verwenden gedenke und sich nicht an bestimmte Theorien und Axiome binde. Sie hat sich damit allerdings auf den Standpunkt der modernen Wissenschaft gestellt, auf jenen Standpunkt, der nicht von bestimmten Voraussetzungen und vorgefaßten Meinungen ausgeht, sondern an der Hand der Prüfung und Erfahrung das Beste ausfindig zu machen sucht.
Wenn die Kommune nur Stückwerk geleistet hat, so erklärt sich das aus der Lage und aus den Verhältnissen, in denen sie sich befand. Bedenken Sie, daß die Kommune während ihrer ganzen Dauer nicht einen ruhigen Augenblick gehabt, daß sie fortwährend im Kriegszustand und Kampf sich befand – wie konnte es anders sein?
Herr Sparig hat der Kommune einen besonderen Vorwurf daraus gemacht, daß sie, die angeblich die vollste Preßfreiheit gewollt habe, die Preßfreiheit aufhob, indem sie gegnerische Journale unterdrückte. Auch diese Handlungsweise erklärt sich sehr leicht aus der Zwangslage, in welcher sich die Kommune befand. Von allen Seiten angegriffen, mitten im Kampfe und in der Revolution, gebot ihr die Not, neben dem vor den Toren stehenden Feind nicht auch noch den Feind in den eigenen Mauern zu dulden. Sie mußte Journale unterdrücken, die Tag für Tag die heftigsten Angriffe und Verleumdungen gegen sie schleuderten, die mit dem vor den Toren stehenden Feind in Verbindung standen und auf ihren Sturz hinarbeiteten.
Als 1870 der Krieg ausbrach, wurde in Deutschland in allen Provinzen, die man für gefährdet hielt, der Kriegszustand proklamiert. Die oppositionellen Blätter wurden unterdrückt und alle Persönlichkeiten, von denen man glaubte, daß sie dem Kriege feindlich seien, gefangen gesetzt. Wohlan, dasselbe Recht nehmen wir auch für die Kommune in Anspruch.
Auch findet es Herr Sparig absurd, daß sich die Kommune über die Wegnahme des Oktrois seitens des Herrn Thiers beschwerte, sie, die doch eine Feindin der indirekten Steuern hätte sein wollen. Zu dieser Beschwerde hatte sie ein Recht. Das Oktroi gehörte der Stadt, und die Kommune war nicht in der Lage, mitten im Kampf ein neues Steuersystem einzuführen. Das Oktroi bildete die einzige regelmäßig fließende Steuerquelle, und sie mußte diese benutzen, wenn sie die Verteidigung und die Verwaltung im Gang erhalten wollte.
Da Herr Thiers der Kommune die Steuern wegnahm, mußte sie zu Anleihen bei der Bank von Frankreich und bei Rothschild ihre Zuflucht nehmen, um ihre Bedürfnisse zu decken, und diese Anleihen wurden unbeanstandet, und zwar mit Zustimmung des Herrn Thiers, gewährt. Eins aber ist bei der Finanzverwaltung der Kommune zutage getreten, was auch Herr Sparig nicht anzugreifen vermochte. Das ist die große Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Kommune, der selbst aus gegnerischem Munde die größte Anerkennung gezollt worden ist.
Mit vollem Recht konnte der Finanzminister der Kommune, Jourde, vor seinen Versailler Richtern sagen. »Ich habe ärmer das Finanzministerium verlassen, als ich es betreten habe!« (Hört!) Man zeige mir doch die monarchischen Finanzminister, die gleiches von sich sagen können! (Heiterkeit, Zustimmung.) Herr Thiers, der 1830 als armer Advokat und Schriftsteller unter Louis Philippe ins Ministerium trat, verließ es 1836 als Millionär.
Der erste Schritt der Kommune war, die hohen Gehälter abzuschaffen, ihre Mitglieder sollten für gute Arbeitslöhne arbeiten. Der erste Beamte sollte nicht mehr als jährlich 6000 Franken, das sind 4800 Mark, erhalten. Der erste Bürgermeister von Leipzig bekommt jährlich 15 000 Mark. (Heiterkeit, hört!) Der erste General der Kommune erhielt ebenfalls nur 6000 Franken, aber als Herr Thiers kaum Präsident geworden war, hatte er nichts Eiligeres zu tun, als sich eine Zivilliste von 3 Millionen Franken auswerfen zu lassen. (Hört!)
Die Kommune hat ein Beispiel von Sparsamkeit gegeben, das allen Regierungen als Muster dienen könnte. Das hat sogar der Sozialistenfeind Herr Scherr anerkannt. Herr Sparig hat das freilich nicht erwähnt, drum erwähne ich's. (Heiterkeit.)
Ich komme nun auf die Erschießung der Geiseln und die Brandstiftungen. Herr Sparig bemerkte in bezug auf letztere, er sei vierzehn Tage nach dem Fall der Kommune in Paris gewesen und habe die Verwüstungen mit eigenen Augen gesehen. Er hat uns sogar von einem Privathaus erzählt, das man habe anzünden wollen und das nicht in der Verteidigungslinie gelegen. Er hat uns nun freilich nicht gesagt, daß man das Haus wirklich angezündet hat. Und wie kann er, der während des Kampfes nicht dort war, überhaupt beurteilen, was zur Verteidigung nötig war oder nicht? Er beruft sich auf mündliche Versicherungen, die ihm geworden. Diese gelten in meinen Augen gar nichts. Die Verfolgungswut der Versailler und ihr bestialisches Wüten war so groß, daß nicht bloß Wochen, sondern noch Monate und Jahre lang nach dem Fall der Kommune jeder verfolgt wurde, der ein Wort der Sympathie für sie hatte. Die Furcht war so groß, daß nicht nur niemand sie in Schutz zu nehmen wagte, sondern viele auf sie schimpften, um jeden Verdacht von sich abzulenken. Und dabei zeigte sich die Erbärmlichkeit der Bourgeoisie im vollsten Lichte. Binnen wenig Tagen nach dem Fall der Kommune sind bei den Versaillern nicht weniger als 370000 Denunziationen eingereicht worden. Die Pariser Bourgeoisie hat sich damals gerade so nichtswürdig benommen, wie 1866 die Leipziger Bourgeoisie, die damals bei dem preußischen General so viele Denunziationen vorbrachte, daß dieser voll Ekel erklärte, er wolle davon nichts mehr wissen.
Und wenn Herr Sparig hier nun kommt mit einem angeblich von Ferré unterzeichneten Brandbriefe, der das Siegel des Kriegsministers trägt, das ebensogut der Kriegsminister des Herrn Thiers darauf gesetzt haben kann, so ist dies in meinen Augen ein Wisch, der verdient, daß ich ihn zerreiße. (Redner zerreißt das Papier. Bravo. Unruhe.) Meine Herren, es sind eine Menge von Aktenstücken, betreffend die Brandstiftungen, die Erschießung von Geiseln, die angebliche Wegnahme von Eigentum usw. als Fälschungen vor Gericht konstatiert worden.
Ferré, der Inbrandlegung des Finanzministeriums auf Grund des hier vorgezeigten Aktenstücks angeklagt, hat die Echtheit desselben bis zum letzten Augenblick bestritten; er hat an gewissen Buchstaben nachzuweisen gesucht, daß dasselbe gefälscht sei; aber da der seitens der Versailler angestellte Handschriftenvergleicher die Echtheit behauptete, wurde Ferré verurteilt. Ebenso wurde Ferré der Erschießung der Geiseln angeklagt. Er selbst sagt aus, daß er nicht den Befehl zu deren Erschießung, sondern zu deren Freilassung gegeben habe. Damit stimmen auch andere Berichte, namentlich der eines englischen Arztes, überein, und ebenso ist festgestellt, daß Geistliche, die als Geiseln verhaftet waren, später vor Gericht zeugten, also nicht erschossen sein konnten. Wohl ist ein Teil der 60 Geiseln erschossen worden, aber es wird behauptet, erst in dem Moment, wo dieselben das Gefängnis verließen und, von den Barrikadenmännern zur Unterstützung der Verteidigung aufgefordert, sich dessen weigerten. Da habe man sie mit Flintenschüssen verfolgt. Auch Raoul Rigault ist der Erschießung der Geiseln angeklagt worden. Nun, Raoul Rigault ist tot, er hat wie ein Mann gekämpft und ist mitten im Kampfe wie ein Mann gestorben; ihn kann man leicht anklagen, er ist tot und kann nicht antworten.
Was haben die Geiseln für einen Zweck? Die Deutschen haben 1870 in Frankreich viele Geiseln genommen, und zwar weil die Franktireurs oder sonstige Bewohner Frankreichs den Deutschen auf Weg und Steg Abbruch zu tun bestrebt waren, indem sie die Proviantkolonnen überfielen, die Eisenbahnen, Brücken und Straßen zerstörten, einzelne Posten überfielen und niedermachten, kurz, schadeten, wo sie konnten. Die Franktireurs taten damit, was 1813 der preußische Landsturm gegenüber den Franzosen tat, und zwar bin ich in der Lage, Ihnen die damaligen Landsturmverordnungen vorlesen zu können, die vorschrieben, dem Feinde zu schaden und ihn zu vernichten, wie und wo sich die Gelegenheit biete.
Die Deutschen wollten diese Kriegführung nicht als kriegsrechtlich anerkennen und alle Offiziere bekamen den Befehl, wo Soldaten auf die bezeichnete Weise geschädigt würden, Geiseln zu nehmen und diese ohne Gnade zu erschießen, wenn man die Schuldigen nicht ausfindig machen könne. Es sollten ferner von den Bewohnern der Dorfschaften Kontributionen erhoben, die Häuser oder die Dörfer, aus denen Schüsse auf die Gruppen gefallen, ohne Rücksicht auf Schuldige oder Unschuldige niedergebrannt werden. Diese Befehle sind oft vollzogen worden. Hunderte und aber Hunderte sind so ums Leben gekommen, Häuser und ganze Ortschaften wurden angezündet, ich habe darüber in der liberalen Presse keinen Tadel, sondern nur Billigung gefunden.
Die Kommune befand sich den Versaillern gegenüber in einer ähnlichen Lage, und mindestens ebenso im Recht, wie die Deutschen gegenüber der irregulären Kriegführung der Franktireurs. Die Versailler haben während des wochenlangen Kampfes gegen Paris die ihnen in die Hände fallenden Gefangenen wider alles Kriegsrecht niedergemetzelt. Auf solche Weise sind die Kommune-Generale Duval und Flourens und viele andere Offiziere ums Leben gekommen. Ja, die Versailler haben sich nicht entblödet, auf die Verbandplätze zu schießen und die gefangenen Krankenpflegerinnen, nachdem sie dieselben geschändet, zu füsilieren. Das konnten nur Bestien tun, wie sie Herrn Thiers durch die Hilfe der Deutschen in den gefangenen Soldaten zur Verfügung gestellt wurden.
Auf diese Schandtaten hin beschloß die Kommune, Geiseln zu nehmen und für jeden Nationalgardisten, der niedergemacht würde, drei Geiseln zu erschießen. Aber es blieb bei dem Beschluß, und als die Geiseln zum Teil schließlich erschossen wurden, da bestand, wie Herr Sparig selber zugegeben hat, die Kommune nicht mehr, sie kann also dafür auch nicht verantwortlich sein.
Als nun die Versailler durch die Unterstützung der Deutschen, die ihnen den Weg dazu frei gaben, in Paris eindrangen – was ihnen ohne diese Hilfe kaum gelungen wäre – , da begannen sie in den Straßen der Stadt ein Gemetzel und ein Blutbad, wie es in der Geschichte fast unerhört ist. Alles, was den Versaillern in die Hände fiel, Männer, Weiber und Kinder, wurde niedergemacht, die Gefangenen wurden zu Hunderten, wie auf dem Kirchhof Père Lachaise, in Reihen aufgestellt, mit Mitrailleusen niederschmettert und die noch zuckenden Leichname, mit Kalk und Petroleum begossen, in die Gruben geworfen.
Wie die Versailler gewütet, beweist die Tatsache, daß keine Verwundeten vorhanden waren. So kamen in wenig Tagen nach übereinstimmenden Aussagen 15-20 000 Menschen ums Leben.
In einer solchen Lage gab es für die Kommune kein Mittel, als sich auf jede mögliche Art ihrer Haut zu wehren; daß man durchaus berechtigte Handlungen der Besiegten als Schandtaten hinstellt, daran sind wir gewöhnt. Lesen Sie einmal das Buch Röckels über seine Gefangenschaft in Waldheim, worin er auch den Dresdener Maiaufstand von 1849 schildert, dort werden Sie finden, daß man den Maikämpfern genau dieselben Verleumdungen seitens der Reaktion nachsagte, die man heute der Kommune nachsagt, nur war die Mairevolution in Dresden eine bürgerliche Revolution. Und lesen Sie weiter die Geschichte des Wiener Oktoberaufstands von 1848, nach dessen Niederwerfung Robert Blum erschossen wurde; die Proklamation, die damals Fürst Windischgrätz über die Zustände in Wien in die Welt sandte, sie gleicht auf ein Haar jener, welche die Versailler über die Zustände in Paris während der Kommune der Welt vekündeten.
Ich habe hier aus Blums Feder einen Aufsatz, worin er sich in der entschiedensten Weise über jene Proklamation des Windischgrätz ausspricht und entrüstet ausruft. »Was muß die Welt über Wien denken, von dem sie nichts erfahren kann, wenn man uns, die wir die Dinge kennen, solches zu sagen wagt!«
Hierbei will ich aber auch erwähnen, wie Blum zu jener Zeit die Revolution auffaßte und wie er in einer Rede in der Aula erklärte: »Bleiben wir nicht auf halbem Wege stehen, führen wir den Kampf gegen unsere Gegner bis zu Ende und ohne Erbarmen.« Und heute noch wird das Andenken Robert Blums von den Liberalen gefeiert, und mit Recht.
Ganz wie damals in Wien Bürgertum und Reaktion, so standen sich in Paris die Kommune und die Versailler gegenüber. Die Kommune mußte bis zum letzten Atemzuge kämpfen, und sie hat heldenmütig gekämpft. Das können ihre grimmigsten Gegner nicht bestreiten. Und wie man 1848 und 49 unsere besten Männer in Wien, Rastatt und Mannheim standrechtlich erschossen hat, so fielen auch die Männer der Kommune, die meisten mit dem Rufe: »Es lebe die Republik! Es lebe die Kommune!«
Jetzt komme ich zu den Brandlegungen.
Die Versailler haben den Kampf gegen Paris viele Wochen lang geführt und sie haben nicht mit Zuckererbsen geschossen; daß es dabei Verwüstungen absetzt, ist selbstverständlich. Aber während der letzten 8 Tage, als sie mit Hilfe der Deutschen den Montmartre mit 50 schweren Geschützen besetzen konnten, haben sie mit glühenden Kugeln und selbst mit Petroleumbomben auf die Häuser geschossen und, wie nicht anders zu erwarten, viele davon in Brand gesteckt. So sind die meisten Brände durch die Versailler entstanden, die sie der Kommune in die Schuhe schieben. Als nun der Kampf in den Straßen entbrannte und seitens der Versailler mit wilder Grausamkeit geführt wurde, war die Kommune genötigt, einzelne Gebäude zu Verteidigungszwecken anzuzünden, um die Versailler für eine Weile zurückzuhalten. Ist denn diese Handlungsweise so ungerecht und unerhört, daß man sie als Mordbrennerei bezeichnen darf? Die Deutschen haben bei der Belagerung von Straßburg 500 bis 600 Häuser demoliert, nur um die Stadt zur Uebergabe zu zwingen, obgleich sie mit der Zivilbevölkerung keinen Krieg führten. Als die Festung Soissons übergeben wurde, betätigten die verschiedensten Berichterstatter, daß fast kein Haus in der Stadt unversehrt sei, daß ganze Straßen vernichtet, fast alle Dächer zerschossen, aber die Wälle der Festung intakt seien. Man beschoß die Privathäuser und verwundete und tötete die Bevölkerung, damit diese in ihrer Not die Offiziere zur Uebergabe zwang. Ich habe nicht gelesen, daß die liberale Presse diese Art der Kriegführung mißbilligt hätte. Und wie die Deutschen gegen die Festungen, so handelte Thiers gegen Paris, und da will man es der Kommune als Verbrechen anrechnen, wenn sie sich, so gut es ging, wehrte! Bei dem Aufstand 1849 in Dresden verlangte Herr von Beust von den zu Hilfe gerufenen Preußen, sie sollten die Stadt in Brand schießen, und das wäre geschehen, wenn nicht der kommandierende Graf von Waldersee erklärte, er hoffe auch ohne das mit den Insurgenten fertig zu werden. Allerdings hat man es aber dann an anderen Barbareien nicht fehlen lassen. So hat man zum Beispiel eine Anzahl Gefangene von der großen Elbbrücke in das Wasser gestürzt, und wenn sie versuchten, sich an dem Geländer festzuhalten, hackte man ihnen mit Säbeln die Finger ab. Aehnliche und schlimmere Grausamkeiten begingen die Versailler Ordnungsbanditen wochenlang in Paris.
Der größte Teil der Brände entstand also durch die Beschießung von Paris seitens der Versailler, wie das auch ein Augenzeuge, der eben in jener Zeit in Paris war und sich schon seit 20 Jahren dort aufhielt, der italienische Abgeordnete Patrucelli della Gattinea, in der »Gazetta d'Italia« öffentlich erklärt hat. Derselbe schrieb, man müsse annehmen, daß von zehn in Brand geratenen Häusern sicher neun durch die Versailler Bomben in Brand geschossen worden seien. Die Brandstiftungen der Kommune seien zu Verteidigungszwecken geschehen. Da nun die Zahl der angezündeten und niedergebrannten Häuser sich auf zirka zweihundert belief, so träfe hiernach die Kommune ein verhältnismäßig geringer Teil.
Meine Herren, die Zeit, die mir gewährt ist, ist bereits weit vorgeschritten, ich habe nur noch wenige Minuten, ich werde aber die Belege für das von mir Angeführte entweder in der Duplik oder in einer zweiten Versammlung, die abzuhalten nötig sein wird, beibringen. Ich kann alles, was ich gesagt, durch gegnerische Aussagen als wahr beweisen....
Ich kam dann nochmals auf die Erschießung der Geiseln, die angeblich Ferré veranlaßt habe, zu sprechen und fuhr fort:
Die Kommune hat gehandelt, wie sie nach Lage der Dinge handeln mußte, und wer ihr Verfahren nicht billigt, wird es wenigstens erklärlich finden und entschuldigen.
Mit der Anklage gegen Ferré schloß Herr Sparig, ich muß jetzt ebenfalls schließen. Sicher steht fest, daß die Kommune nichts getan hat – und ich hoffe, noch Gelegenheit zu haben, dies weiter zu beweisen – , dessen sie sich zu schämen brauchte, und daß sie an Gewalttaten nichts begangen hat, was nicht in Europa die monarchischen Regierungen in ähnlichen Momenten hundert- und tausendmal ärger getan haben. (Stürmischer, lang anhaltender Beifall.)
Vorsitzender Motteler: Meine Herren, wir müssen die Sache kurz machen; soeben hat mir der Herr Polizeidirektor mitgeteilt, daß er nur bis 12 Uhr die Versammlung tagen lassen könne.
Nachdem dann Sparig kurz, aber völlig belanglos geantwortet, nahm ich nochmals das Wort:
Meine Herren, Herr Sparig hat auf meine Rede nicht geantwortet, er hat sich auch nicht bereit erklärt, eine zweite Versammlung abzuhalten, obgleich wir bei der vorgeschrittenen Zeit heute nicht fertig werden können. Ich bin nun genötigt, auf einige der letzten Bemerkungen des Herrn Sparig kurz einzugehen. Herr Sparig hat seinen eigenen Mut gepriesen, daß er uns entgegen getreten ist. Ob ein großer Mut dazugehört, einer Partei entgegenzutreten, von der man behauptet, daß sie nur aus einem Häuflein phantastischer Köpfe besteht, will ich dahingestellt sein lassen.
Herr Sparig hat dann die Hoffnung ausgesprochen, daß die heutige Versammlung zu einer lebhafteren Beteiligung bei den Wahlen beitragen werde; das hoffen auch wir. (Heiterkeit.) Wir werden dabei keinen Schaden haben. (Zustimmung.) Bisher hat jeder Wahlkampf gezeigt, daß wir einige hundert Stimmen mehr erhielten als vorher, und ich hoffe, die heutige Versammlung hat dazu beigetragen, daß dies bei der nächsten Reichstagswahl erst recht der Fall sein wird. (Heiterkeit, Bravo!)
Herr Sparig hat sich auch für verpflichtet erachtet, im Namen der Nachkommen Blums dagegen zu protestieren, daß ich denselben in Verbindung mit der Kommune gebracht. Ich weiß nicht, woher Herr Sparig die Vollmacht hat, gegen etwas zu protestieren, was nicht geschehen ist. (Heiterkeit.) Ich weiß so gut wie irgend jemand, daß Robert Blum kein Sozialist war, aber er war ein guter Demokrat und ein echter Republikaner, und das ist mehr, als Herr Sparig ist. (Beifall. Herr Sparig verneigt sich. Stürmische Heiterkeit.) Ich habe nur erklärt, daß die Kommune sich in einer ähnlichen Lage befand, wie 1848 in den Oktobertagen Wien. Und daß Robert Blum, der damals in Wien war, sich mit einer Entschiedenheit für die Fortsetzung der Revolution ausgesprochen, wie das seitens der Kommune nicht entschiedener geschehen konnte. Und da ich vorhin auf eine Rede von Robert Blum aus jenen Tagen Bezug nahm, so will ich hier bemerken, daß dieselbe sich in einem Buche befindet, das ein Herr Artur Frey zu Ehren Blums herausgegeben hat und in welchem er sich bemüht, Robert Blum als Mensch, Schriftsteller und Politiker darzustellen. Die betreffende Stelle der Rede lautet:
»Keine halbe Revolution! Fortschreiten, wenn auch blutiges, auf der eingeschlagenen Bahn, vor allem – keine Schonung gegen die Anhänger des alten Systems, die Ruhe aus selbstsüchtigen Absichten begehren; gegen diese werde ein Vernichtungskrieg geführt.«
Kann der entschiedenste Sozialist sich entschiedener ausdrücken, als es hier von Robert Blum gegen die Gegner der Revolution geschah? (Beifall.)
Und nun hören Sie auch eine Stelle aus der Proklamation, welche Windischgrätz an die Wiener erließ:
»Die Stadt ist befleckt worden durch Greueltaten, welche die Brust jedes Ehrenmannes mit Entsetzen erfüllen! ... Wien befindet sich in der Gewalt einer kleinen, aber verwegenen, vor keiner Schandtat zurückschaudernden Faktion; Leben und Eigentum sind einer Handvoll Verbrecher preisgegeben!«
Stimmt das nicht bis aufs Wort mit den Erklärungen überein, die Herr Thiers über Paris und die Kommune erließ? (Zustimmung)
Herr Sparig hat weiter gesagt: solange die Sozialdemokratie der Phantasie des Internationalismus huldige, könne sie seitens seiner Partei keine Beachtung finden. Auf das letztere verzichten wir. (Heiterkeit.) Aber ist denn die Idee der Internationalität wirklich etwas Phantastisches? Aus der Familie wurde der Stamm, aus mehreren Stämmmen der Staat und die Nation, und schließlich entwickelt sich aus der engen Verbindung der Nationen die Internationalität. Das ist der historische Verlauf. Und indem der Sozialismus sich auf den Standpunkt der allgemeinen Menschenliebe und Brüderlichkeit stellt, indem er dafür kämpft, daß die nationalen Kriege und Verhetzungen aufhören, daß die Nationen in friedlicher Arbeit und Kulturförderung zusammengehen, vertritt die Sozialdemokratie die höchste Kulturidee, die überhaupt denkbar ist. (Beifall.)
Indem man nun unsere Partei, weil sie den engherzigen nationalen Standpunkt bekämpft, weil sie gegen die Rassenkämpfe Front macht und die Idee der Völkerverbrüderung vertritt, beschimpft, verleumdet und verfolgt, geschieht ihr nur, was zu allen Zeiten den Vorankämpfenden geschah. Meine Herren! Gehen Sie beispielsweise heute noch in ein gut katholisches Land und hören Sie einmal, mit welcher Unkenntnis über Luther geurteilt wird! So ist es allen Parteien in der Welt gegangen, die den Fortschritt vertraten, und so erging es auch der liberalen. Heute, wo die liberale Partei am Ruder ist und die Herrschaft hat, betrachtet sie ihre Welt für die beste der Welten, und wir, die wir dies nicht anerkennen wollen, wir werden von ihr heute behandelt, wie sie selbst von der feudalen Partei vor kaum zwanzig Jahren behandelt wurde. Ganz natürlich das!
Wir lassen uns durch solche Anschuldigungen nicht beirren, wir wissen, daß unsere Zeit kommt, daß die Verhältnisse uns in die Hände arbeiten, daß mit der Zunahme des Klassengegensatzes, mit dem Verschwinden der Mittelschicht, des Kleinbürgertums, das in die Reihen der Lohnarbeiter geschleudert wird, die Sozialdemokratie immer stärker wird, bis sie endlich die Macht in Händen hat. (Lebhafter Beifall.)
Herr Sparig hat sich gefreut, daß bei der letzten Landtagswahl in Chemnitz kein Sozialdemokrat in den Landtag gekommen ist. Die Freude dürfte ihm bald zu Wasser werden. (Heiterkeit.) Es ist aber bezeichnend für ihn, daß er damit sein Wohlgefallen an einem Wahlgesetz kundgibt, das nur durch seine reaktionären Bestimmungen eine Volkswahl verhindert. (Beifall.) Indes der Sozialdemokrat wird doch in den Landtag kommen, wenn auch dieses Jahr nicht, so im nächsten Jahre gewiß (Bravo, Heiterkeit), und hätte der Chemnitzer Stadtrat die Wahlliste ebenso geführt, wie er die Steuerliste führt – zwei Dinge, die bekanntlich auch in Leipzig nicht harmonieren – , so wäre er schon drinnen. (Große Heiterkeit und Beifall.)
Endlich hat Herr Sparig, indem er sich an die hier anwesenden Vertreter der konservativen Presse wandte, gemeint, die konservative Presse werde jetzt wohl einsehen, daß die Nationalliberalen mit der Sozialdemokratie nichts zu schaffen haben. Das hat sicherlich noch kein Mensch wirklich geglaubt, und die, welche es geschrieben haben, am allerwenigsten. (Heiterkeit.)
Tatsache ist, daß der Streit zwischen Konservativen und Nationalliberalen nur als ein Streit wie zwischen zwei unzufriedenen Eheleuten betrachtet werden kann. Mischt sich ein dritter hinein, so sind sie einig. (Heiterkeit.) ... Vor einigen Wochen stand im »Leipziger Tageblatt« ein Artikel, in dem allen Gegnern der Sozialdemokratie zugerufen wurde: »Bilden wir allesamt eine einzige große Ordnungspartei.« Nun, wir gratulieren Ihnen dazu, Sie werden's nötig haben. (Heiterkeit.) Wir haben es auch kürzlich in Chemnitz gesehen. Anfangs lagen sich dort Konservative und Nationalliberale in den Haaren und beide Parteien wollten einen Kandidaten aufstellen, weil keine der anderen das Feld gönnte, doch als es hieß, ein Sozialist würde aufgestellt, da hörte der Streit auf, da hieß es. »Alle gegen Bebel.« (Große Heiterkeit und Beifall.)
Mit meinen Ausführungen schloß die glänzend verlaufene Versammlung.