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Die Pariser Kommune hatte in den regierenden Kreisen große Besorgnisse vor der sozialistischen Bewegung hervorgerufen. Die Sympathien, die die Kommune in allen Ländern mit sozialistischer Bewegung bei den Arbeitern fand, wurden auf das unangenehmste vermerkt und steigerten das Mißbehagen. Dazu kamen die übertriebenen, um nicht zu sagen lächerlichen Vorstellungen, die sich Bourgeoisie und Regierungen von der Macht der Internationale machten. So sollte zum Beispiel die Internationale der Pariser Kommune zwei Millionen Franken, viele tausend Gewehre, Munition usw. geliefert haben, obgleich der Kommune sowohl die Mittel der Bank von Frankreich zur Verfügung standen wie die Arsenale von Paris mit ihren Munitions- und Waffenvorräten. Ueberdies war die allgemeine Volksbewaffnung bereits seit Beginn September, seit der drohenden Einschließung von Paris durch die Deutschen, also noch unter der bürgerlichen Regierung, durchgeführt worden. In Deutschland wurden ebenfalls zahlreiche Stimmen laut, die ein scharfes Vorgehen gegen die sozialistische Bewegung forderten, ein Verlangen, dem Polizei, Staatsanwälte und Gerichte bereitwillig entgegenkamen. In dieser Situation benahm sich Garibaldi sehr anständig, der in einem Briefe an den Redakteur der »Romagnole« – Caprera, August 1871 – schrieb: Die Internationale vertrete einen zahlreichen Teil der Gesellschaft, welcher um weniger Privilegierter willen leide. Folglich müßten sie für die Internationale sein, und wenn in ihren Einrichtungen Fehler seien, müßte man sie verbessern.
Obgleich um diese Zeit die sozialistische Bewegung in Oesterreich von geringer Bedeutung war und das Ministerium Hohenwart-Schäffle nicht die geringste Neigung zu Verfolgungsmaßregeln zeigte, folgte dennoch der Reichskanzler Graf v. Beust einer Einladung Bismarcks zu einer Konferenz der beiden Kaiser und ihrer Kanzler in Gastein, um dort über Maßregeln gegen die Internationale zu beraten. Schäffle hatte von dieser Konferenz abgeraten, aber er und Beust standen auf gespanntem Fuße, auch mochte es Beust darum zu tun sein, mit seinem langjährigen intimen Feinde einmal zusammenzukommen, wohingegen Bismarck von einer Zusammenkunft mit seinem Gegner von 1866 eine Annäherung erhoffte für seine spätere äußere Politik. Soweit bekannt wurde, kam man bezüglich der Internationale überein, zunächst die soziale Lage zu »studieren«.
Dagegen sah sich Anfang Februar 1872 die spanische Regierung veranlaßt – Spanien hatte mittlerweile in der Person des Prinzen Amadeo von Italien einen König erhalten – , in einer Zirkulardepesche an die Mächte einen Notschrei über die Internationale auszustoßen, die mit ihren Bestrebungen allen Ueberlieferungen der Menschheit ins Gesicht schlage, Gott aus dem Geiste auslösche, Familie und Erbnachfolge aus dem Leben streiche und durch ihre furchtbare Organisation eine Gefahr bilde, deren Größe nicht überschätzt werden könne. Die spanische Regierung wünsche deshalb, daß eine der Großmächte die Angelegenheit gegen die Internationale in die Hand nehme. Mit diesem Verlangen kam sie bei der englischen Regierung übel an. Der Leiter der englischen auswärtigen Politik, Lord Granville, antwortete ihr in einer Note, die ihr jedes weitere Vorgehen verleidete. Er erklärte: obgleich die Internationale ein Mittelpunkt für die Verbindung von Arbeitern und Gewerkschaften in den verschiedenen Teilen der Welt geworden sei, beschränke sie sich in Großbritannien darauf, hauptsächlich Ratschläge in Sachen von Arbeitseinstellungen zu geben. Auch habe sie sehr wenig Geld. Nach den bestehenden Gesetzen Großbritanniens hätten alle Ausländer das unumschränkte Recht, dieses Land zu betreten und sich hier aufzuhalten, und während sie in diesem Lande seien, ständen sie im gleichen Grade wie die britischen Untertanen unter dem Schutz der Gesetze. Auch könnten sie nicht anders bestraft werden als für einen Verstoß gegen das Gesetz und kraft des Urteilsspruchs der ordentlichen Gerichtstribunale nach einer öffentlichen Prozedur und nach einem Erkenntnis, das sich auf die in offenem Gerichtsverfahren beigebrachten Beweise stütze. Kein Ausländer könne als solcher des Landes verwiesen werden, mit Ausnahme derer, die auf Verträge mit anderen Staaten hin behufs wechselseitiger Auslieferung von Kriminalverbrechern weggeschafft würden. Schließlich äußerte Granville, es liege bis jetzt kein Grund vor, Aenderungen der bestehenden Gesetzgebung über den Aufenthalt von Ausländern in Großbritannien vorzunehmen.
Durch diese Haltung der englischen Regierung war jede Möglichkeit zu internationalen Vereinbarungen gegen die Internationale ausgeschlossen. Endlich zeigte auch der Ausgang des Kongresses der Internationale im Haag im September 1872, der mit einer Spaltung zwischen Sozialisten und Anarchisten – dort Marx, hier Bakunin – endete, auch der ängstlichsten Regierung, daß vorläufig die befürchteten Gefahren nicht eintreten würden. Und indem die Internationale den Sitz des Generalrats von London nach Newyork verlegte, war der Beweis geliefert, daß sie selbst ihre Reorganisation für eine Notwendigkeit hielt.
War so die Aussicht auf eine internationale Verfolgung der Sozialisten geschwunden, so hielt Bismarck um so nachdrücklicher an der Verfolgung der Arbeiterbewegung durch Ausnahmemaßregeln in Deutschland fest. Dieses zeigte seine Rede, die er Ende April 1873 im Herrenhaus hielt, worin er die Notwendigkeit scharfer Gesetze gegen die Partei der Internationale – wie er uns nannte – für ebenso notwendig erklärte wie gegen die Partei der weltlichen Priesterherrschaft, das Zentrum.
Dieser Ankündigung folgte die Tat auf dem Fuße. Anfang Juni 1873 ließ er dem Reichstag einen Preßgesetzentwurf zugehen, in dem der § 20 also lautete: Wer in einer Druckschrift die Familie, das Eigentum, die allgemeine Wehrpflicht oder sonstige Grundlagen der staatlichen Ordnung in einer die Sittlichkeit, den Rechtssinn oder die Vaterlandsliebe untergrabenden Weise angreift, oder Handlungen, welche das Gesetz als strafbar bezeichnet, als nachahmungswert, verdienstlich oder pflichtmäßig darstellt, oder Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise erörtert, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft. Wer die im § 166 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich (Vergehen wider die Religion) vorgesehenen Handlungen mittels der Presse verübt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bis vier Jahren bestraft. Nach § 21 sollte der verantwortliche Redakteur einer periodischen Druckschrift mit der Strafe des Täters belegt werden.
Diese diabolischen Bestimmungen, die eine Aenderung des Strafgesetzes in wichtigen Materien enthielten, die jede wissenschaftliche Erörterung der mit Strafe bedrohten Fragen unmöglich machten und außerdem gegen alle Parteien Anwendung finden konnten, waren denn doch nebst anderen Bestimmungen der Mehrheit des Reichstags zu bedenklich. Der Entwurf fiel.
Mit seinem Preßgesetzentwurf hatte aber Bismarck nicht genug. Er beantragte in derselben Session auch eine Abänderung und Verschärfung des § 153 der Gewerbeordnung, wonach unter Umständen statt der bisherigen Maximalstrafe von drei Monaten Gefängnis eine solche bis zu sechs Monaten, eventuell bis zu einem Jahre erkannt werden konnte. Ferner schlug er eine Aenderung des § 108 der Gewerbeordnung vor, wonach die Streitigkeiten zwischen Unternehmern und den von ihnen beschäftigten Arbeitern durch Gewerbegerichte entschieden werden sollten, deren Vorsitzender von der obersten Justizaufsichtsbehörde des betreffenden Bundesstaats, deren Beisitzer durch die Gemeindevertretungen gewählt werden sollten. Wegen Schluß der Session blieben die Gesetzentwürfe unerledigt.
Im folgenden Jahre folgte der Entwurf eines Kontraktbruchgesetzes und ein neuer Preßgesetzentwurf, und in der Session von 1875/76 ein Entwurf für die Abänderung des Strafgesetzbuches, und endlich nach den Attentaten des Frühjahres 1878 das Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie. Da vom Jahre 1874 ab die Sozialdemokratie wieder durch ihre Vertreter im Reichstag zum Worte kam, komme ich noch auf die Behandlung dieser Vorlagen ausführlicher zu sprechen.