Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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Wenn ich abends auf den Turm geh, an Tagen, wo er da war, sind die Gedanken, die mir da oben von den Sternen kommen, immer so übereinstimmend mit seinen Reden, daß ich manchmal meinen muß, sie hätten's ihm eingegeben für mich. – Solche Gedanken, die mir lieb sind, schreib ich in ein Buch, um die schönsten draus zu wählen und Dir zu schreiben; am Tag vorher, als ich vom Turm kam – es war spät, ich war müde und schrieb eilig, ohne mich zu besinnen, was mir noch im Kopf schwärmte von da oben:

›Darum ist's auch oft, warum das Göttliche nicht in uns haftet, weil wir selbst schlecht werden, indem wir mit dem Bösen streiten; wir wurden boshaft, indem wir das Böse verfolgten.‹ – ›Gott hat den Adam nicht aus dem Paradies verjagt, der Adam ist ihm von selbst entlaufen. Wo könnt ein Engel eine gottgeschaffne Kreatur aus dem Paradies jagen wollen? – Alles Göttliche ist Steigen, was nicht mitsteigen kann, das sinkt.‹ –

›Wo könnte aber das Göttliche aufsteigen, wenn nicht aus dem Ungöttlichen? – Wie könnte das Göttliche vom Ungöttlichen sich sondern wollen? – nein, es ist recht seine göttliche Natur, sich nicht von ihm zu sondern; es mischt sich mit ihm und reizt es, des Göttlichen inne zu werden, nur Verachtung löst sich ab vom Göttlichen, nur der Tod löst sich ab, und vieles ist der Tod selbst, wodurch die Menschen sich vom Ungöttlichen absondern wollen, sich des ewigen Lebens teilhaftig machen wollen.‹ –

›Die Freiheit muß zur Sklavin werden des Sklaven, sie muß sich den Sklavensinn erobern, wie könnt sie sonst Freiheit sein? – in was kann Freiheit sich aussprechen als im Gebundensein und unterworfen dem göttlichen Trieb, das Ungöttliche göttlich zu machen! – Wer ist mächtig, die Ketten zu tragen, wenn nicht die Freiheit? – und wer kann die ohnmächtigen Sinne beleben als nur das Leben selbst?‹ –

›Man sagt zwar, das Göttliche vertrage nicht das Ungöttliche, aber es muß alles vertragen können, nur in ewigem Verwandeln in sich besteht das Göttlichsein.‹

Das hab ich heut auf dem Turm gelernt, und dann hab ich noch gedacht:

›Wenn du dich im Geist begegnest mit dem, was du liebst, so trete auf im Schmuck deiner Begeisterung, sonst würde es dich nicht erkennen.‹ –

›Daß dich der Geliebte berühre im Geist, kann nur aus Begeisterung geschehen, so kann auch nur Begeisterung zu ihm reden.‹ –

Als ich den Ephraim begleitet hatte, ging ich gleich auf den Turm, obschon das nicht gilt, wenn die Sterne noch nicht am Himmel stehen; aber ich mochte nicht wieder ins Haus, es war mir zu behaglich in freier Luft. Fühlst Du das auch, das Glücklichsein, bloß weil Du atmest – wenn Du im Freien gehst und siehst den unermeßlichen Äther über Dir – daß Du den trinkst, daß Du mit ihm verwandt bist, so nah, daß alles Leben in Dich strömt von ihm? – Ach, was suchen wir doch noch nach einem Gegenstand, den wir lieben wollen? – gewiegt, gereizt, genährt, begeistigt vom Leben – in seinem Schoß bald, bald auf seinen Flügeln; ist das nicht Liebe? ist das ganze Leben nicht Lieben? – und Du suchst, was Du lieben kannst? – so lieb doch das Leben wieder, was Dich durchdringt, was ewig mächtig Dich an sich zieht, aus dem allein alle Seligkeit Dir zuströmt; warum muß es doch grade dies oder jenes sein, an das Du Dich hingibst? – nimm doch alles Geliebte hin als eine Zärtlichkeit, eine Schmeichelei vom Leben selbst, häng mit Begeisterung am Leben selbst, dessen Liebe Dich geistig macht; – denn daß Du lebst, das ist die heiße Liebe des Lebens zu Dir; es allein hegt in sich den Zweck der Liebe, es vergeistigt das Lebende, das Geliebte. – Und alle Kreatur lebt von der Liebe, vom Leben selbst. Ja, so ein Gedanke, Günderode! einer könnt fragen, ob er nicht Einbildung sei? – aber mich kümmert's nicht, ob alle es nicht glauben, ich bin mir genug und brauch keine Beglaubigung dazu. Tiefere Wahrheit erkennen, ist ja das Leben verstehen – so empfindet man ja, daß große Taten die schönsten Momente des Lebens sind, also ein wirkliches, heißes Umarmen mit dem Leben selbst. Solche himmlische Momente, aus denen sich nachher die Gewißheit der Liebe ergibt. – Ja, eine große Tat allein ist Feier der Liebe mit dem Leben, und sind die Menschen nicht lebentrunken, wenn sie groß gehandelt haben, wie der Liebende trunken ist vom Genuß, von der Gewißheit, geliebt zu sein? – ist das nicht jene Seligkeit, deren jeder andere bar ist, der nicht den Mut hat, der heiligen Inbrunst des Lebens sich liebend hinzugeben, und an der großen Tat vorbeischleicht? – ja, was ist der innere Genuß solcher Beglückter, als trunken sein von Begeisterung, die zu ihnen strömt als Gegenliebe; denn rein und groß sein im innersten Gewissen, das ist von dem Leben durchdrungen sein. –

Man sagt, die große Tat belohnt sich selbst, oder, er hat den Lohn in der eignen Brust – und so ist keiner zu ermessen, in dessen Brust dies Verheißen ewiger Inbrunst zwischen Leben und Lebendem diesen Lohn erzeugt. Es ist der einsame, tiefverborgne Glücksmoment, der keinen Zeugen hat, der nie sich nachfühlen läßt, den jeder wahrhaft Liebende verschweigt, der ihn über alles Erdenschicksal hebt und der auch, über alles, was in der Welt anerkannt wird, ihn stellt, was ihm das Gepräg des Erhabenen gibt.

Ja, die Großtaten, die leidenschaftlichen Küsse des Lebens, lassen einen sichtlichen Eindruck zurück, der sich selbst, ich will's glauben, auf Kinder und Kindskinder vererbt, denn wo käme der Adel her? – ist der nicht aus der heiligen Kraft entsprossen, wo das Leben mit seiner Liebe den Geliebten errungen hat? – dies heimliche, innerliche Genießen einer den andern ungekannten Seligkeit? wo man alles aufgibt, bloß um dem Liebenden – dem Leben zu genügen? – ja, das muß wohl auch in der Erscheinung – im Leib sich abdrücken; und man könnte darauf kommen, in den Gesichtern alter Geschlechter nachzuspüren, was wohl für eine Art von Begeisterung den Keim zu diesen veredelnden Zügen, zu dieser erhabnen Vornehmheit legte, ob es kühnes Tun, mutiges oder selbstverleugnendes war, was diese Liebesopfer einst vom Ahnen heischten – das ist mir schon bei Arnims Zügen eingefallen – und ein Mann göttlicher Leidenschaft fürs Leben, der ist ein Gründer des erhabensten Geschlechts, der ist ein Fürst unter den Menschen, und sollte er selbst in Lumpen unter den Menschen wandeln, und wer vor diesem Adel nicht Ehrfurcht hat, das ist der Pöbel, der nimmer zum Adel taugt, weil er das verkennt, was sein Ursprung ist, ihn also nicht in sich erzeugen kann, er nenne sich Fürst oder Knecht. – Das war mein Gespräch heut mit den Sternen.


Dienstag

Heute ist der siebente Tag, daß ich meinen ersten Brief abschickte, am Samstag der zweite und heut? – soll ich diesen schließen und Dir schicken? – ich mein als, es sei Dir zu viel vielleicht – das wird aber nicht, ich hab Dir's versprochen, Dir alles von da oben zu schreiben, Du hast mich mehrmals dazu aufgefordert, was kann ich davor, daß mir so viel in den Kopf kommt oder vielmehr in die Feder, denn wenn ich glaub, mit einer Zeil fertig zu sein, so bring ich die selbst nicht aufs Papier vor so viel hundert andern, die sich dazwischen drängen. So hatt ich gestern im Sinn, wie es doch so dumm ist, wenn man sich über sein eigen Leben wollt besinnen und glauben, es läg schon hinter einem, was doch noch nicht der Anfang ist vom Leben, sondern nur der Grund, die Veranlassung dazu. –

Wenn der deutsche Kaiser gekrönt ist, vom Dom bis zum Römer über eine Bahn von Scharlachtuch geht, so fällt das Volk dicht hinter ihm über das Tuch her und schneidet es unter seinen Tritten ab, zerreißt's in Fetzen und teilt es unter sich, so daß, wenn er auf dem Römer ankommt, so ist nichts mehr von der Scharlachbahn zu sehen. So scheint mir auch aller Lebenseingang wie die rote Kaiserbahn gleich nach jedem Schritt aufgehoben und nichts sein, bis das Leben dich wie den Kaiser in so große Verpflichtung nimmt, daß kein Augenblick mehr dein gehöre, sondern du ganz im Leben aufgehest, da kannst du erst deines Lebens Anfang rechnen, dann aber hebt sich das Sterbenwollen von selbst auf. Alles Leben, was sich mit dir berührt, hängt von dir ab, aber du bist kein abgesondertes Leben mehr – und wirkliches Leben ist ein Ausströmen in alles, das läßt sich nicht aufheben – wie's mich verwundert hat, wie Du sagtest, viel lernen und dann sterben, jung sterben! – es kam mir in den Sinn; als hätt ich wohl meine Zeit sehr vernachlässigt, daß ich nun schon so alt sei und noch gar nichts gelernt, so würd ich wohl das Jungsterben bleibenlassen müssen oder lieber gar nichts lernen. – Aber die kaiserliche Scharlachbahn! – ich sag Dir, alles, was Du Dir vom Leben abschneiden kannst, ist bloß das Präludium dazu, und das hebt sich von selbst auf, es ist vielleicht ein idealischer Voranfang; – willst Du mit diesem das Leben aufheben? – das heißt, den Kaiser mitsamt dem Tuch zerrissen. – Und doch ist das ganze Leben nur, daß Du eine Ehrenbahn durchwandelst, die Dich wieder ins Ideal ausströmt. Ich fühl's, wie kann man zu was Höherem gelangen, als daß man sich allen Opfern, die das Leben auferlegt, willig hingebe, damit der Wille zum Ideal sich in das Leben selbst verwandle – wie kann man selbst werden als durch Leben? – und so muß man auch willig das Alter ertragen wollen, und die ganze Lebensaufgabe muß aufgenommen sein und kein Teil derselben verworfen. – Wenn Du früh sterben willst, wenn Du es unwürdig achtest, weiterzugehen, wirst Du damit nicht jeden schmähen, der seine Lebensbahn nicht aufhob? – Die da mühselig ihre Last tragen, sind die zu schmähen? – Heldentum ist höher als Schmach! – Vor der Philisterwelt, die meinen Geist doch nicht begreift, schäm ich mich nicht, für sie nicht Jugend zu sein, die von den heiteren Frühlingstagen nichts weiß, welche der Geist durchlebt. – Weißt Du, was schlecht ist im Alter? – wenn es ein Aufbau, ein Übereinandertürmen rumpliger Vorurteile geworden, durch das die heilige Anlage der Jugend nicht mehr durchdringt, aber wo der Geist durch alles gehäufte Elend des Philistertums, dieser ganz unwahren, aber wirklichen Wahrheit, durchdringt zur Himmelsfreiheit, zum Äther und dort aufblüht, da ist Alter nur das kräftigste Lebenszeichen der Ewigkeit. – Mir scheinen alle Menschen um mich wie nichts oder doch eine geringe und unzuverlässige Gattung von Naturen, eben weil der Geist nicht in ihnen liegt, die höchste Blüte im Alter zu erreichen – eine zernagte Blüte. – – Aber Ephraim deucht mir eine vollkommne Geistesblüte, die jetzt im Frühlingsregen steht; die Tage sind lau, aber trüb – aber die Ahnung ist voll himmlischem Jugendreiz, die andern fühlen und sehen ihn nicht, wo steht aber auch je ein Philister bei der knospenden Zeit still, voll Schauer, voll Gebet zur erwachenden Blüte? –

Was war's also mit Deinem Frühsterbenwollen? – wem zu Gefallen willst Du das? – Dir selbst zulieb? – also rechnest Du die scharlachne Kaiserbahn für Deine Jugendblüte, bloß weil sie so glanzvoll schimmert; aber sieh doch, die Welt achtet sie ja nicht, sie zerreißt sie in Fetzen, und Du stehst an ihrem End, und ist nicht mehr eine Spur davon, und da willst Du Dich mit zerreißen? aber der Trieb zu blühen ist erst dann wahre Geisteseingebung, wenn jene Scheinblüte Dich nicht mehr täuscht, wenn Du die Blüte ganz aus Dir selbst erzeugst, dann will ich sagen: ja, Du bist der Geist des Frühlings – aber mutlos das Leben verwerfen ist nicht Jugendgeist – ach, ich fühle wohl, daß ich hier weit mehr recht hab wie Du und daß ich Dir Trotz bieten kann; aber ich weiß auch, daß Du die tiefere Geisteswahrheit, die in meinem Vergleich liegt, deutlicher wahrnimmst als ich und daß Du gewiß Gewaltigeres ahnest als ich begreife. Es geht immer so zwischen unseren vertrauungsvollen Reden, daß ich stottere und daß Du mir dann reiner begreiflich machst, was ich wollte. – Mir steht hier nur der Jude vor Augen, der, über die sinkende Blüte der Eltern hinaus, die schweren Lebensbedingungen erfüllt, jeden mühevollen Weg zur Erhaltung der Enkel macht, keinen Tag mehr als den seinen verlebt, nicht um sich selber sich kümmert, in der Tagshitze zu den Seinen hinwandernd, sich mühsam beugt, um die Brosamen zu sammeln auf dem Weg und sie den verwaisten Kindern zu bringen. – Sein Weg war sonst Wissenschaft, Studium der alten Sprache, Philosophie; und nun! – wirft ihn das Geschick hinaus aus der Bahn, durch seine Aufgaben, die mehr mit dem wirklichen Leben zusammenhängen? – mir deucht nicht – mir deucht, es sei die erste heilige Blütezeit seines jugendsprossenden Geistes – so ist er auch friedevoll und ruhig im jungen Sonnenlicht keimend und treibend, lebenswarm ist der Boden – die Luft und sein Wille und sein Denken – und was er sagt, ist wie die Rebe, in die der Saft steigt einstiger Begeisterung – und ich weiß nichts mehr von Veralten, Verwelken, seit ich diesen Mann angeschaut hab; jeder Tag auf Erden ist ein Steigern der Blütebegeistigung, so nenn ich's, in der Eil weiß ich's nicht anders auszudrücken – und der letzte Tag ist immer noch lebentriebvoller wie der vorletzte. Wie es auch sei, es ist ein ewig Vorrücken in den Frühling – und unser ganz Leben, glaub ich, hat keinen andern Zweck. –

Die Sterne haben mir's gesagt für Dich. –


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