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An die Günderode
Schon die dritte Woch ist's, und ich hab noch nicht geschrieben und Du auch nicht, was ist schuld dran? – Ich hab in der Zeit die neugierig Gegend rund um mich durchspäht, auf dem Boden nach allen Seiten durch die Gaublöcher mich orientiert, im dichtesten Laubregen den Wald durchwallfahrtet von einem hohen Stamm zum andern. Bäume sind Bäume, aber sie sehen doch verächtlich auf die Menschen herab, die um der Gesundheit willen so hastig unter ihnen herlaufen und nicht einmal den Blick zu ihnen hinaufrichten; ich hab dort mit dem Savigny die ganze motionmachende Fakultät begegnet; im mottenfräßigen Pelz, Nebelkappe, großen Filzschuhen und antiken Stiefelmanschetten durchkreuzten sie die Wege. Hügelichter Boden, dichtes Moos, überglast vom Reif, reine kalte Luft, die herzhaft macht, alles neu, überraschend, die Muse führte mich über Stock und Stein und schenkte mir den ganzen Wald für Dich, ich hab auch bei jeder vornehmen Waldkrone still gestanden und bis zum Wipfel betrachtet und zum Zeichen der Besitznahme mit dem Stock dran geschlagen, jetzt laß den alten Kurfürst von Hessen-Kassel meinen, was er Lust hat, der Wald gehört Dein, und wenn ich drin herumlauf, so hab ich meine Freud, daß ich auf Deinem Grund und Boden bin. Im Frühjahr muß es hier sein wie inwendig in der Seel; Frühling drauß, Frühling drin, ein Wille und ein Tun – blüht der Apfelbaum, so hab ich rote Backen, stürzt sich der eigensinnige Bach die Klippentrepp hinab, so setz ich ihm nach und spring kreuz und quer über ihn weg, ruft die Nachtigall, so komm ich gerennt, und tanzen die Mühlräder mit der Lahn einen Walzer ins Tal hinab, so pfeif ich auf dem Berg ein Stückchen dazu und guck über die rauchenden Hütten und über die schirmenden Bäume hinaus, wie sie ihren Mutwill verjuchzen, und der Müller und sein Schätzchen auch, die denken, kein Mensch säh's. – Morgenrührung, Abendwehmut wird nicht statuiert; in den Hecken blüht Frühlingsfeier genug, Schnurren und Summen und Windgeflüster. Aber weil's Winter ist und kein Frühling, so wollt ich nur sagen, wie alles so herzhaft und sorgenfrei ist in der Natur hier, so unverhehlte Lebenslust, man müßte sich schämen der Ahnungswehen und Sehnsuchtsträume, statt lustig mit zu grünen und zu sausen und zu plätschern; ich mein nur, es ist nicht möglich, hier mitten im drallen Hessenland anders zu sein als das heimatlich Fleckchen Welt selbst, was so kugelig unter Deinen Füßen, Dich kollernd, stolpernd hinab und hinan verlockt und doch überall so herzlich Dich einladend zum Sitzen, zum Ruhen am Rasen, am Berg und in Dir selber. – Es haben sich frühe Wintertage eingestellt, Meline leidet am Halsfieber, woran hier alles krank liegt, Gunda auch geht wegen Unwohlsein alle Tage vor Sonnenuntergang zu Bett. Savigny wohnt mit ihr in einem andern Teil des Hauses, der unter unserer Wohnung liegt, durch Terrassen und Hof geschieden; so bin ich ganz allein mit der Meline, die hübsch ruhig im Schlafzimmer nebenan liegt. Diese Einsamkeit erquickt und ergötzt mich. Der schwärmerische Hausarzt ist Poet, er bringt Gedichte, die er in der Dämmerungsstunde vorliest – Träume, Schäume, Liebe, Triebe gleiten sanft am Gestade meines Ohrs dahin; man reicht dem Doktor die Hand, er drückt sie mit stillem Ernst, mit seelenvoller Miene; weiter wird nichts gereicht von Lob. – So schwillt die Knospe des Leichtsinns leise, leise in der Brust, bald wird sie bersten und in einen fröhlichen Blust ausbrechen, so nennen die hessischen Bauern die Blüte. Nichts von Rührung, Erhabnem, Verinnigung, Wonnegefühl, Begeistrung und aller gebildeten Geisteswirtschaft. – Was ich an mir selber bin, das teil ich Dir mit und strenge mich nicht mit Verschönerungsprinzipien der Sittlichkeit an, ich muß einmal erproben, was meine Seele für einen Ton angibt, ob sie vielleicht von Natur so derb ist wie's liebe Hessenland. – Ich fang an zu glauben, daß ich gar nicht fürs Gesellschaftliche geboren bin, konnt ich je meiner Phantasie nachgeben, ohne mich zu erhitzen über den sinnlosen Widerspruch der andern? – und bin ich nicht eingeschlafen beim Primas über dem Gesumse von geputzten Leuten, und hab ich mir nicht eingebildt, meine liebsten Leut wären verrückt geworden mit dem Jabot von Point d'alencon, der eine halbe Elle vorstand und mit brillantnen Knöpfen und mit – und mit – einem Haarbeutel hinten angeklemmt, hab ich mich da nicht zu Tod geschämt, daß einer mit einem Haarbeutel so vergnügt herumlaufen konnt, als wär's ein Verdienst, und ist's nicht auch beschämend für die freie Seele, sich äußerliche Zeichen des Wahnsinns anzuhängen auf Befehl, daß Bonaparte damit geehrt soll werden? – der George hat seinen Haarbeutel aber abgerissen und ihn mitten in den Salon unter die Leut geworfen, die Königin von Holland schlurte ihn mit der Schleppe durch alle Zimmer, ich hab's gesehen und mich drüber heimlich erlustigt. Aber bloß um nicht zu sehen, was all für dummer Wahnsinn dort an der Tagesordnung ist, mag ich den Winter nicht hin, man kann sich nicht lang amüsieren mit den Albernheiten, die der Kreis von Menschen ausgehen läßt, der sich die gebildete Welt nennt und sonst keine Grundlage. Eine hat der andern dicht neben mir in ihr Halsband gebissen, um zu sehen, ob es wahr sei, daß ihre Perlen echt wären, und hat sich sehr geärgert, daß sie nicht entzwei gingen, und so ärgert sich alles über alles, was echt ist, und so kennt ich doch nichts Besseres und Christlicheres tun, als lieber einschlafen, ich hab's auch dem Primas gesagt, wie er mich geneckt hat; es sei, um Ärgernis zu vermeiden, denn ich sei echt, und es kommt mir ordentlich herabwürdigend vor, mich unter ihnen herumzutreiben. – Hier bin ich glücklich, durch die Freiheit in der freien Natur herumzuschwärmen, in deren Mitte ich wohne. Des Einsiedlers Klause in tiefer Wildnis kann nicht mehr mitten ihr im Schoß liegen als ich, ja ich darf mich selbst als einen Teil von ihr empfinden, was mich nicht beschämt wie die Gesellschaft, daß ich ihresgleichen bin, aber mich freudig und selbstfühlend macht, daß sie so gut gegen mich ist vor andern. Wenn ich aus dem Fenster im Schlafzimmer so grad auf den winterlich grünen Berg steigen kann und dann hinunter und hinauf, auf alten gefährlichen Mauern, die bald einbrechen, bald himmelan steigen, bis zum Wall vom alten, zerfallnen Festungsschloß oben auf dem Berg – über Löcher und Hecken, wo nur Kühnheit und Leichtsinn sich hinwagen, und nicht eine menschliche Erscheinung in der Weite umher; – so recht allein und laut hallend kann ich mit ihr sprechen, es hört's keiner, und jetzt, wo ich bekannt schon bin, nickt jeder Strauch mich freundlich an mit den paar braunen Blättern, die ihm der Winterwind noch nicht genommen hat, wenn ich wiederkomm und setz mich neben ihn auf die Mauer und schwindelt mir nicht; ach, welch Vergnügen zu klettern, wie entzückend die kecke Jugend! – wenn ich auch manchmal mit geschundnem Knie, wie heut, oder aufgerißnem Arm heimkomm, das fühl ich gar nicht, ja, wenn mir recht ist, freut's mich gar! – Werd hart, sagte der Schmied im Wald und schlug das glühende Eisen auf dem Amboß; das hörte der Thüringer Landgraf und ward hart wie Eisen. – Werd hart, rief ich heut auf der gefährlichen Mauer, von der ich hinabglitt, weil ich nicht anders hinunterkommen konnte, und da hat mir's auch gar nicht weh getan. Werd hart, sagt ich, wie ich zur Meline ins Zimmer eintrat, die gar erschrecken wollt, als sie die Blutspuren an meinen Kleidern sah; ich mußte leiden, daß sie mich ein bißchen heilte mit beaume de chiron; du wirst noch Hals und Bein brechen, prophezeite sie, wo jetzt so viel glatte Stellen am Berg sind vom schmelzenden Schnee. Ich schrieb's hierher, wenn's geschieht, so hat sie richtig prophezeit. Aber gewiß, solche Übungen, die einem die Natur lehrt, sind Vorbereitungen für die Seele, alles wird Instinkt, auch im Geist, er besinnt sich nicht, ob er soll oder nicht, es lehrt ihn das Gleichgewicht halten wie im Klettern und Springen, es entwickelt eine Kraft, die degagiert und detachiert; das heißt: das Sehnen nach einem Pfeiler, sich in der Welt anzulehnen, oder nach einem Stock, um weiterzukommen, wird einem lächerlich; bald merkt man, daß man auf ziemlichen Wegen recht gut allein gehen kann, und auf steilem Pfad läßt sich durch Übung große Freiheit erwerben. Ängstlichkeit und Unerfahrenheit verleiten doch nicht, nach dem ersten Strauch am Weg zu greifen, der durch Biegen und Brechen zum Verräter wird und dem Vertrauen den Hals bricht; und ich möcht wissen, ob der ganze innere Mensch nicht deutlich und kräftig hervorgehen könnt aus dem äußern und ob ›auf dem Seil tanzen‹ nicht eine höhere diplomatische Kunstanlage entwickeln könnt wie all der Wust von Intrigengeist und Korrespondenz voll Leerheit und Observanzen, voll Kleinlichkeit – oder ›mit Anmut auf dem Eis Schlittschuhlaufen‹, ob das nicht lehren könnt, ohne Selbstverletzung eigner Würde, zwischen allen Verkehrtheiten mit leichter Grazie sich durchwinden; und ob ein wildes Roß bändigen, mit Kälte und Ruhe, nicht auch die Kraft in der Seele weckt, den eignen Zorn zu bändigen und mit Gelassenheit das Gute aus dem Bösen entwickeln in andern und zur Selbstbeherrschung in der Gefahr; oder auch eine rasche Flamme der Selbstbesonnenheit, mit der wir einen Entschluß fassen und freudig begrüßen das Höhere, sei's auch aus unmündigem Geist ersproßt; und nicht fort und fort die alte Schlangenhaut anbeten, die der Götterjüngling, der Genius, der über den Zeiten schwebt, längst von sich schleuderte. – Ja ob überhaupt dies freie Bewegen in der Natur, dies Üben aller Kräfte in ihren Reizungen, so wie es die Glieder ausbildet und stärkt, nicht auch die inneren Seelenkräfte stärkt, daß sie zu hoch, zu edel für diese erbärmliche Weltschule, der Schere entwachsen, die nicht mehr hinanreicht, um sie zurechtzustutzen, daß sie das Kleinliche nicht mehr ertragen, sondern übern Haufen stürzen. Ebenso wie ich in der einsamen Natur keinen frage, soll oder soll ich nicht da hinüberspringen, sondern mich auf den eignen Trieb verlasse; sollte eine innere Kraft nicht auch für den Geist gut sagen? – Und bedürfen oder suchen wir vielleicht nur deswegen Rat, weil wir furchtsam sind? – Kommt's uns zu fabelhaft vor, daß der Geist, inmitten unserer, aufsteigen könnte, der uns die Weisheit des Himmels kundtue? – nun, was vermag uns denn, lieber der unserem Instinkt fremden Macht des alten Vorurteils uns zu unterwerfen, als jenes Instinktes jungem Keim nur so viel Luft und Licht zu lassen, daß er aufblühen könne? – Der höhere Geist kann nur aus sich selbst erzeugen, denn der mächtige Trieb der Entwicklung in uns ist gerade nur, was uns der Entwicklung bedürftig macht, und also ist jedes freie Geistesregen schon ein Vorrücken des Keims, also: den innern Geist walten lassen und keinen fremden, ist, was ihn erzeugt. – Und wär's nicht tausendmal besser, wir fehlen aus eignem Irren als auf fremden Rat? – Wenn einer in die Heimat will und läuft über die Grenze, um nach dem Eingang zum eignen Haus zu fragen? – wie ist das? – werden da nicht die heiligen Kräfte, deren Gesamtmacht wir Gewissen nennen, im Keim erstickt; wird da nicht aller Ahnungstrieb stocken, des Geistes Spürkraft absterben? – Und wenn ich die eigne Stimme schweigen heiß und einer fremden folge, dann bin ich nicht mehr in eigner Macht und muß mir's aufbürden lassen, daß ich aus Rücksichten mein besseres Selbst verwerfe. Hör! wenn ich eine schwierige Aufgabe im Leben hätte, ich würde nicht zu erfahrnen Weltleuten gehen, die zu fragen, nicht zu solchen, die es verstehen, mit dem irdischen Leben einen Handel abzuschließen, nicht zu denen, die das Recht der Welt handhaben, ich würde die Unmündigen fragen; ich würde denken, die Kinder haben die himmlische Weisheit, zu der wir müssen zurückkommen, wenn wir das Rechte tun wollen, was eigentlich unser Teil am Himmelreich ist, denn wir bauen selbst den Himmel durch unser edles freies Tun, sonst kommt er nicht zur Welt; aber es ist Verwirrung in aller Sprache, jeder will das andere, und keiner versteht den andern, und drum kann die innere Stimme allein die Sprache des Rechts wieder lehren; oh, wer sie sprechen läßt, der tut Großes und bleibt dennoch einfache Natur, denn Natur ist groß, und der Mensch soll groß werden; wächst er am Leib und breitet seinen Stamm aus, so soll er auch am Geist wachsen und seinen Stamm ausbreiten. Und wie in der sinnlichen Natur Nahrung, Pflege, Wachstum, Sicherung aus dem eignen Organismus sich hervorbildet, warum nicht im Geist? Was ist Geistesleben als sein Entstehen durch sein Erzeugen? – und was lassen wir weniger zu, als daß er sich frei bewege, und das geht schon so von Ewigkeit zu Ewigkeit, daß er uns mit den unwürdigen Ketten in den Ohren klirrt, und wir fürchten uns vor diesem Klirren und halten die Ohren zu, und ein reines Hervortreten des Geistes würde die Welt umstürzen, ja! aber wie himmlisch würde sie aus ihren eignen Trümmern aufblühen! – Ist Furcht nicht ein böser Dämon? – Furcht vor dem Irren ist Menschenfurcht; horchten wir auf die Kinderstimme in der Brust, dann würde die Furcht vergehen – ist Irren Irrtum? – kann's nicht bloß freies Wandeln sein? – Versuch, in einer urteilüberschwingenden Sphäre sich zu bewegen? – ist Urteil nicht ein Schlachtmesser, mit dem wir die neugeborne Geistesfrucht im Leib des Irrtums töten? – hat's einer so weit gebracht im Geist, daß er wie der kühne Gemsjäger ohne Schwindel über die Spalten und Schluchten setze, mit treffendem Sprung mit Leidenschaft das Wild ereilend? – Was ist doch Leidenschaft? – ist es nicht jene ungeübte Kraft, die sinnlich ausbricht und sich üben will! – sei's die Spur der Gemse, die der Jäger verfolgt, wenn nicht jener weißen Hindin mit goldnem Geweih, die lockend tausend Umwege macht, ihn ins Dickicht zu leiten, wo im Eingang von Labyrinthen rätselhafte Mächte ihn ergreifen, die sein Aug berühren und sein Ohr, daß er begreife, was nur unschuldvoller, kühner, sich selbst regender Geist ahnen und fassen kann. Ach, könnt ich nur ins Tirol reisen, um meinen Geist frei zu machen auf der Gemsjagd, dann würd ich gewiß mir selbst genug sein, und das Große, zu dem mein Geist Anlag haben könnt, sollte nicht zugrund gehen, es sollte recht, nach allen Seiten, hin mächtig sich zeigen. –