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An die Günderode
Drei Uhr morgens! – Hier bin ich – auf der Terrasse am Main; ich wollt als immer einmal hergehn in der Früh, wenn der Tag noch nicht auf den Beinen ist und Lärm macht; am Tag bin ich zerstreut, was mir immer wie Sünde deucht, daß ich Anteil nehm an was mich nichts angeht. – Aber in der Früh, da hab ich ein ganz lauter Herz und schäm mich nicht, die Natur zu fragen, und ich versteh sie auch; gestern abend war mir so wohl hier, wie Bernhards Schiff mit der Harmonie hin und her fuhr auf dem Main; die meisten Leute waren nachgefahren auf Nachen, wir blieben am Ufer, ich hatt mich ganz in die Ecke gesetzt, da steht ein großer Zitronenbaum, es war Wetterleuchten, aber die Hitz war doch nicht abgekühlt, und die Blüten vom Baum wetterleuchteten auch, oder sollt ich mich getäuscht haben? – denn ich war eingeschlafen über der Musik, und wie ich aufwachte, da sah ich ganz verwundert, wie der Zitronenbaum Flammen hauchte aus den Blüten. – Ich kann's doch nicht geträumt haben? – Denn ich guckte eine ganze Weile zu, bis ein leiser Regen kam; da gingen wir nach Haus. Wer weiß, was doch alles vorgeht in der Natur, was sie uns verbirgt. Der Mensch hat ja auch als Gefühle, die er nimmer wollt belauscht haben. Daß aber der Baum über mir fortleuchtete, wie ich mich besann und ihm zuschaute, das ist mir so lieb; – ich konnt nicht schlafen im Bett, es war mir zu wohl dort gestern, wo ich den Herzschlag der Natur fühlte und wo sie mit ihren Blumen mich anflammte. Im Dunkel haucht man die Lieb aus und schämt sich nicht vor dem Schatz, weil's dunkel ist. – Nun bin ich mit Zagen hergeschlichen, heimlich, daß es nicht gewußt sei, wie auch jenes Leuchten nicht gewußt ist. – Erst greinte die Hoftür, aber heut abend will ich sie salben, wie der Properz, wenn er einen Liebesweg vorhat; dann krachte die Gartentür, dann schnurrte der Kies unter den Füßen. – Man scheut das Gebüsch zu wecken, so still ist alles mit Ruh gedeckt. Die verschlafnen Federnelken schuckern zusammen im frühen Tau, und mich schauert auch das stille Wirken der Natur, hier über der schlafenden Welt, obschon der Wind nicht so scharf ist, der den Tag heraufweht. Heut ist doch ganz milde; gestern abend war der Himmel grün und mischte sich mit dem Rot, das vom Untergang heraufzog, unten waren Purpurstreifen und violett mit Feuer umsäumt; dann kam die Nacht herauf. – Heut früh schlagen die Morgenwolken ihre Feuerflügel um Euern schwarzen Dom; man denkt als, sie wollten ihn in der Glut verzehren; dazu schmettern die Nachtigallen, und das blaue Gebirg drüben, so stolz und kühl! – das alles freut mich besser als Weisheit, hier unter dem Zitronenbaum, der gestern Flammen und heut Tränen über mich schüttelt.
Und jetzt geh ich, Dir hab ich alles eingeprägt, das ist nicht ausgeplaudert; mich lockt's, damit es nicht vergessen sein soll, daß ich Dir's vertraut hab.
Nr. 2. Am Abend
Heut ist der Jud erst um sieben Uhr kommen.
Mit der Großmama bin ich im besten Vernehmen; solang die Tante im Bad ist, bleib ich hier; es gefällt ihr, daß ich gern bei ihr bleib; ich hab aber noch so manch andres, was mich anzieht, wovon sie nichts weiß. Heut morgen kam ich dazu, wie der Bernhards Gärtner mit einem Nelkenheber die dunkelroten Nelken in einen Kreis um einen Berg von weißen Lilien versetzte; in der Mitte stand ein Rosenbusch. Diese Früharbeit gefiel mir wohl und hab mit Andacht dabei geholfen; der Dienst der Natur, der ist wie Tempeldienst. Wenn der Knabe Jon vor die Tempelhalle tritt und die ziehenden Störche bedeutet, daß sie ihm die Zinne des Tempels nicht verunreinigen sollen, wenn er dann die Schwelle mit kühler Flut besprengt, die Halle fegt und schmückt, so fühl ich in diesem einsamen Tagwerk ein hohes Geschick, vor dem ich Ehrfurcht habe. Ach, ich möcht ein Knab sein, Wasser holen in der Morgenfrische, wenn alles noch schläft, den Marmor polieren von den Säulen, meine Götterbilder still bedeutsam waschen und alles reinigen vom Staub, daß es leuchte im Dämmerlicht; dann nach der Arbeit die heiße Stirn auf die kühlen Stufen legen und ruhen, in heimlichem Genügen; ruhen die Brust, die schwillt von Tränen, daß es so schön ist in der dämmrigen Stille im Tempel; so scheint mir auch die heutige Arbeit ein Tempeldienst der Natur; denn ihre Blumen in Kreisen schön verschlingen, ist das nicht ihr gedient? – Die Blumen, die ihren Duft untereinander schwenken in so dichter Fülle, ist denen nicht ein schönerer Frühling bereitet? – denn was uns schöner ist in der Natur, ist das nicht auch ihr selber schöner? – Und ihre Bäume vom Moos reinigen, in nachbarliche Reihen pflanzen, ihre Blumenkelche füllen, ist das nicht ihrem Willen sich hingeben? – Läßt sie die Sorge nicht gedeihen und gibt der Früchte vom gepfropften Reis mehr und schöner und süßer dafür? – Tempel und Natur, friedliche Nachbarn, Freunde! wie ich und Du, teilen ihre Gaben wie ich und Du. – Vom Frühling bis zum Winter – (da hast Du mein Gelübde) teil ich mit Dir, wie mit dem Tempel der Naturgarten, der ihn umzieht – im Frühling hast du meine Keime, die alle dicht um Dich her aufwachen. Im Sommer wilder Vögelgesang, der anschlägt in einsamer Nacht an Deinen verschloßnen Pforten, und dann in der Ferne auch, wenn die Pilger heimziehen, die am Tag Deinen Göttern huldigten, da glühen die Blumen am Weg von mir zu Dir. – Im Herbst, da roll ich meine Früchte zu Dir hin, leg sie auf Deinen Altar, und den Honig meiner Bienen, die Dich umsummen, bewahr ich in Deinen Opferschalen. Dann rausch ich die falben Blätter herab auf Deine Stufen, die umtanzen Dich im Winterwind, begraben sich unterm Schnee, den meine belasteten Äste auf Dich niederstürzen; dann braust es draußen und stürmt, aber meine Seele wohnt in Dir und pflegt Dich, gibt der Lampe reines Öl zu, die Deine stille Halle erleuchtet, und die Sterne vom hohen Firmament herab leuchten über Deiner Zinne. Still ist's dann, und verlassen von allen Menschen sind wir, die gebannten Wege verschneit, allein in Dir zu wohnen, wenn wir des Lebens Grenzen miteinander ermessen haben. – Wie die Natur eingeht zum Tempel im Winter und ruht da im Gottfühlen aus, das nennen die Menschen Winterschlaf; dann kehrt sie wieder mit neuer Blütekraft und taut und duftet den eingesognen Himmelsatem, und ewig ist der Tempel Gottes angehaucht von der Liebe der Natur.
Ich schreib's dahin, daß mir's so wohl ist heut, weil die Sonn mir auf's Papier scheint und meine Gedanken beleuchtet; da lese ich so deutlich in meinem Herzen. –
Der Gärtner ist so gut, er suchte mir aus allen Büschen die schönsten Blumen heraus; der Strauß ragte mir über den Kopf mit schönem Bandgras, auch frisches Laub dabei und vom Lärchenbaum und von der Scharlach-Eiche. Dieser Baum ist, was man schön gewachsen nennt, er streckt sein scharlachrotes Laub in die blaue Luft hinaus zum Tanzen, der leiseste Wind bewegt ihn. – Im Heimgehn hatt ich Gedanken, die mich ergötzten, an denen mir gelegen ist, daß sie wahr sein möchten; sie waren nicht in mich gepflanzt, sie wuchsen von selbst auf wie jene Blumen auf der Heide. – Morgenstund hat Gold im Mund – wär ich nicht früh drauß gewesen, so hätt ich sie nicht denken können. – Natur ist lehrsam; wer ihre Lehrstund nicht versäumt, der hat zu denken genug; er kriegt die trocknen Lebenswege gar nicht unter die Füße, auf denen andern die Sohlen brennen. Was hast du zu sorgen um mein Nachtwachen? – So viel Blumen, die nur des Nachts duften! – Müssen denn alle Menschen in der Nacht schlafen? – können sie nicht auch wie der Nachtschatten und Viola matronalis am Tag schlafen und nachts ihren Duft aushauchen? – Warum sind manche Menschen so unaufgeweckt und können nicht zu sich selbst kommen am Tag, als weil es Nachtblüten sind; aber die leidige Tagesordnung hat sie aus den Angeln gerückt, daß sie kein Gefühl haben von ihrem Naturwillen. – Drum verlieben sie sich auch verkehrt, weil ihre Sinne ganz verwirrt sind. Manche Leut sind nur gescheut zwischen Licht und Dunkel, am Abend verstehen sie alles, morgens haben sie lebhafte Träume, am Tag sind sie wie die Schaf; so geht mir's, mein Wachen ist früh, ich muß dem Sonnengott zuvorkommen, wie jener Tempelknabe seinen Tempel reinigen – dann kehrt er ein bei mir und lehrt mir Orakelsprüche – alles paßt – fügt sich, wollt ich sagen – auch daß ich immer so unaufgeweckt bin, wenn der Geschichtslehrer kommt in der Mittagsstund; das ist gerad meine verschlafenste Zeit. – Du bist auch keine Tagsnatur; Dein Wachen deucht mir anzufangen, wenn der Taggott sich neigt und nicht mehr so hoch am Himmel steht – Dir neigt er sich herab, und wandelst anmutig mit ihm die Bahn vom späten Nachmittag zum späten Untergang, und winkt Euch noch mit Eurer Gewande Saum fernhin; dann leuchtet der Abendstern zu Deinen Nachtgedanken von ihm, und wogst einsam in der Erinnerung, wie die Meereswelle am Fels wogt zur Zeit der Flut und ihn abspült von den Gluten, die ihm der Tagesgott eingebrannt hat zur Zeit der Ebbe. Der Jud kommt, adieu. Was hast Du denn, das Dich so unmutig macht; laß Dich anhauchen von meinem Brief. Savignys sind noch drei Wochen auf dem Trages, geh doch hin. Aber, ›Teufel, Donnerwetter‹ ist das auch geflucht? Darf ich das auch nicht sagen? –
Vom Clemens glaub doch nicht, daß ich ihn belüg; ich bin anders mit ihm in meinen Briefen, weil ich so sein muß. In Bürgel die kleine Orgel hat elf Register, groß und kleine Choralstimm, Harfenstimm, Trompetenstimm, Posaunenton, schnurrende Engelsstimm, was weiß ich alles – und vox humana, der Hofmann hat mir gestern eine halbe Stund lang davon erzählt, und daß es Orgeln gibt, die dreißig Register haben; er sagt, meine Kehl wär wie so eine Orgel, ich zög allemal ein ander Register, wenn ich sanft oder begeistert sing oder schmetternd, wenn ich tob oder bewegt, wenn's zum Seufzen stimmt in meiner Brust oder gewaltig, wenn mir's ist, als ob ich's allein alles zwingen müßt. – Das hat der kleine Kerl alles gewußt; er hat mir zugehört gestern abend, wie ich einen homerischen Hymnus an die Diana ableierte auf dem Dach, weil's Vollmond ist. Das deuchte mir so schön, dieser Göttin einen vollen strömenden Gottesdienst aus meiner Brust zu halten, daß ich nicht dran dachte ans Belauschen und hab recht geschmettert. – Der Hofmann sagt, es war zum Verwundern. – Nun, ich mein, der Clemens zieht immer das Register der Kinderstimm aus meiner Brust. – In Frankfurt, in der Gesellschaft beim Primas, da prädominiert die quarrende Engelsstimm. Bei Dir da muß ich immer das Gewalts-Posaunenregister mit Gewalt mit der sanften vox humana unterdrücken.