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An die Bettine
Liebe Bettine, so wie Dein Brief anfängt mit den tausend Grüßen von Clemens, so beantworte sie ihm doch auch in meinem Namen, es tut mir auch recht leid, daß ich nicht mit Euch bin, allein die Luft und die Trauben tun meinen Augen so gut und ist mir wohltätig im ganzen. – Obschon mich Euer Treiben höchlich ergötzen würde und namentlich das Puppenspiel; – ich übergehe alles – was Du vom Rhythmus sagst, leg ich Dir so aus: Du ahnest ein höheres rhythmisches Gesetz, einen Rhythmus, der Geist ist im Geist, der den Geist aufregt und zu neuen Offenbarungen leitet. Du glaubst, daß der Reim die geringste, ja oft erniedrigende Stufe dieses metrischen Sprachgeistes ist und oft die Ahnung oder die Gewalt des Gedankens brechen könnte, daß der sich nicht zu jener Höhe entwickelt, zu der er ursprünglich berufen war – das will ich nicht widersprechen, denn Du kannst recht haben; nämlich, Du kannst recht haben, daß es ein höheres musikalisches Gesetz gebe, daß die Analyse zu diesem in jedem freien Gedanken liege und durch den Versbau mehr oder weniger unterdrückt werde.
Du wirst aber auch zugeben, daß im Dichter auch eine Begeistrung waltet, die von höherer Macht zeugt, da diese kindlichen Gesetze, zu denen er sich bequemt, ihn gerade zur Kunst anleiten, die an sich schon ein höherer Instinkt ist. Du sagst zwar in bezug auf Kunst, das Machwerk der Menschen behindre überall den Lebensgeist, das glaube doch ja nicht, daß jene, die vielleicht kein hohes Genie im Gedicht entwickeln, nicht hierdurch zu Höherem gebracht würden, denn erst werden sie doch auf eine Kunst vorbereitet, sie haben eine Anschauung von Gedanken oder Gefühlen, die durch Kunstform eine höhere sittliche Würde erlangen oder behaupten, und dies ist der Beginn, daß der ganze Mensch sich da hinübertrage; es ist nicht zu verachten, daß im Unmündigen sich der Trieb zum Licht regt. – Und darum mein ich, daß kein Gedicht ohne einen Wert sei.
Gewiß jedes Gefühl, so einfach oder auch einfältig es geachtet werden könnte, so ist der Trieb, es sittlich zu verklären, nicht zu verwerfen, und manchen Gedichten, die keinen Ruf haben, habe ich doch zuweilen die Empfindung einer unzweifelhaften höheren Wahrheit oder Streben dahin angemerkt – und es ist auch gewiß so. Die Künstler oder Dichter lernen und suchen wohl mühsam ihren Weg, aber wie man sie begreifen und nachempfinden soll, das lernt keiner – nehme es doch nur so, daß alles Streben, ob es stocke, ob es fließe, den Vorrang habe vor dem Nichtstreben. – Gute Nacht, für heut kann ich nicht mehr sagen; nicht alles ist mir gleich deutlich in Deinem Brief, Du sagst mir wohl über manches noch mehr oder dasselbe noch einmal. – Der Ton in der Sprache tut auch viel zum Verstehen; wären wir beisammen, würde sich leichter und vielseitiger ergeben, was wir wollen und meinen, und auf den Sprachgeist vertraue ich auch schon, daß der uns nicht verlassen würde. – Himmlische Nächte sind hier – winddurchbrauste, und Gewitter, die Sommer und Herbst auseinanderdonnern. –