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Da ging die Tür auf, Clemens kam herein, große Freud! – sie stärkt – es blitzt innerlich. – Ist mein Verstand mir verloren und such ihn an der leeren weißen Wand und find ihn nicht, aber in dem schönen großen Aug von Clemens find ich ihn. Du sagst, Du kannst ihm nicht in die Augen sehen, weil er einen verzehrenden Blick habe, ich nicht, ich schöpf Freude drin, und ich weiß nicht was, von lebendiger Nahrung Unübersetzbares. – Vor allem möcht ich Herr werden über mein Denken; daß ich nämlich die Zeit ausfülle mit lebendigem (lebengebendem) Denken. Es gibt ein Denken was verlebt, und eins, was erlebt. – Wie mich sammeln, daß ich meinen Geist immer auf das Erleben richte? – Dies eine nur! und das Auffahren gen Himmel ist mir gewiß.
Das Schlafen kann mit dem Denken in Rapport gesetzt werden, das Schlafen, was aus dem Denken entspringt, erzeugt wieder Denkkraft – so kann sich der denkbeflißne Geist erschaffen. – Überall mit Geist durchdringen, so ist das Schlechte gesprengt, denn es hat keinen Platz mehr, denn es ist zu schwach und zu eng, um Geist zu fassen.
Ich wundre mich über meine Gedanken! – Dinge, über die ich nie etwas erfahren, die ich nie gelernt, oder vielleicht gerade das Gegenteil davon, stehen hell und deutlich in meinem Geist. – Kann ich denn wissen, ob ich nicht vielleicht von einem Geist besessen bin? – und ist Besessensein nicht vielleicht ein Aufgeben der Individualität, und sind die Widerspenstigen, die sich dem Geist widersetzen, nicht vielleicht individuell stärker als die vom Geist Durchdrungnen? – Ach, liegt wohl die Stärke im Hingeben? – Ist nicht manches im Geist und in der Seele Wirkung anderer Welten? – Die Liebe, die Leidenschaft, ist die nicht Anziehungskraft von der Sonne? –
Wir saßen auf der Hoftreppe, ich und der Clemens, in der Dämmerung und schwätzten allerlei. – »Es ist alles recht lieblich, was du da vorbringst«, sagte er – »aber werd nur nicht faselig, manchmal ängstigt mich's, was aus dir werden soll, du zersplitterst deinen Geist, mit dem du dir eine so herrliche Freiheit erringen könntest. – Ach, kannst du dich denn nicht auf eins hinwenden mit deinen fünf Sinnen und das ganz auffassen? – Wenn du sprichst, bist du gescheut und gibst manchen Aufschluß, von dem die Philosophen noch nichts wissen. – Schreib doch was! – hast du mir nicht Kindermärchen versprochen? – schreib doch alles auf, was du im Kloster erlebt hast, du kannst so schön davon erzählen. – Was treibst du denn mit der Günderode? – Lernst du mit ihr? – Ich hab so große Sorge um dich, ich muß manchmal die Hände ringen, daß alle Anmut deines Geistes den vier Winden preisgegeben ist.« – Der liebste Clemens! – ich mußte ihn küssen in der stillen Nachtdämmerung auf seine leuchtende Stirn unter den schwarzen Locken für seine Liebe. Es ward windig, da saßen wir beide, in seinen Mantel gewickelt, und sahen den Wolken zu, wie sie sich eilten; da sagte der Clemens so viel von Dir, was Dich gewiß freut, Du seist so hell wie der Mond. – Das flüchtige, unstete Wesen, was Dich oft befalle, sei nur wie Wolken, die über den Mond hinziehen und verdunkeln – aber Du selber seist reines, poetisches Licht, und Du drängest tief ins Gehör, der Klang Deiner Gedichte sei Geistesmusik – und dies sei jetzt nur der Eingang zum Geisteskonzert, in dem sich immer und nach allen Seiten Melodien entfalten; und es sei so edel, sich innerlich einem solchen Leben hingeben, und so könnte und sollte ich auch mich sammeln, daß ich meinen Geist nicht wegwerfe und ein Leben führe, das würdig sei. – Was meinst Du, daß ich zu all diesem gesagt hab? – Nichts! – mir wird bang einen Augenblick, daß ich so selbstverlassen bin und daß sich mein Geist nichts um mich bekümmern will, in die Weite hinausschweift, wo eine Biene sich unscheinbare Blüten sucht, von denen nippt – aber Honig will er nicht machen, er verzehrt alles selber. – Da nun die Biene aus Instinkt Honig macht, mein Geist aber nicht, so wird der wohl nicht überwintern, wo er dann keinen Vorrat braucht – er gehört wohl ins Land, wo ewiger Frühling ist. Der Clemens ist eben wieder in die Stadt, der ganze Himmel ist überzogen – da regnet's schon so gewaltig – ob er wohl schon in der Stadt ist? – er geht in ein paar Tagen zu Schiff nach Mainz und Koblenz und bleibt drei Wochen am Rhein, also wirst Du ihn sehen.
Bettine
Ich hab ihm versprechen müssen, daß ich bei seiner Rückkehr was wollt geschrieben haben, ich werde nie besser verstehen lernen, wie die Welt mit Brettern zugenagelt ist, als wenn ich versuche, ein Buch zu schreiben, und wenn nun gar der Clemens von einer freien Zukunft spricht und daß ich ohne ein Buch zu schreiben nie meine Zukunft werde genießen! – Ein Buch ist dick und hat viel leere Seiten, die alle voll zu schreiben, kann ich doch nicht aus der Luft greifen, mir deucht dies erst recht eine Fessel meiner Freiheit. – Wenn ich mich an den kienernen Schreibtisch setze, und es fällt mir gar nichts Extraes ein, und ich schneide mit dem Federmesser eine dumme Fratze nach der andern in den Tisch, die mich alle auslachen, daß mir nichts einfällt, da werf ich mein Buch weg, wo lauter Versanfänge drin stehen und kein Reim drauf. – Es ist wirklich eine Unmöglichkeit. Ich möcht dem Clemens alles zulieb tun, was er will, aber ich hab einmal keine Gedanken; andre Leute waren schon vor mir da, ich bin zuletzt gekommen, also was ich auch vorbringen könnt, so haben's andre schon früher erlebt; ich ging einmal mit dem Clemens dies Frühjahr spazieren, da waren allerlei neu aufgeblühte Kräuter, die ich nicht kannte, die wollt ich brechen; er sagte: wenn du bei jedem Mauseöhrchen oder Vergißmeinnicht hockenbleibst, so werden wir nicht weit kommen; daran denke ich jetzt immer, wenn ich was Neues in mir selber erfahr, daß andre dies alles wohl schon wissen und nichts Neues mehr für sie sein mag, wie jene Violen und Gänseblümchen am Weg, die ich mir sammeln wollte. So schreib ich's denn nicht auf, und auch, weil die Gedanken sich an mich hängen wie Schmetterlinge an die Blumen, wer soll sie haschen? – sie merken's gleich und fliegen davon, und fasse ich einen, so hab ich bald seine schöne Farbe abgewischt mit dem Schreibefinger, oder seine Flügel erlahmen. Und so ein Gedanke in der Luft flattert so lustig, aber auf dem Papier kann er sich nicht wiegen wie auf der Blume, und kann sich nicht auf die Rosen setzen von einer zu andern, er sitzt da wie angespießt. Ich seh's ja an denen paar, die ich so erwischt und aufgeschrieben hab. – Da war ich grad am End vom Garten, ich lief eilig hinein, weil ich ihn geschwind ins Buch schreiben wollt, eh ich ihn vergesse, und jetzt, sooft ich das Buch aufmache, lacht mich der Gedanke aus und sagt: du bist recht dumm. Jetzt will ich Dir nur gleich das Blatt herausreißen, und da les die Gedanken, die ich wie Hasen auf einer dürftigen Jagd hab zusammenschießen müssen, und bin mit jedem einzelnen aus meinem Gedankenwäldchen nach Haus gelaufen, um ihn aufzuschreiben, und immer die drei Treppen hinauf. – Weißt du was? – die drei Treppen waren mir nicht zu hoch, aber ich hab mich geschämt vor den drei Treppen, wahrhaftig, ich hab die Augen zugedrückt, weil ich dacht, sie merken's, daß ich so eine kümmerliche Natur hab und bring da die armen nackten Gedanken-Pfeilmuter an; so heißen im Tirol die Schmetterlinge, ich hab's vorm Jahr auf der Messe gelernt bei dem Tiroler, der im Braunfels Handschuh verkauft, der mit dem schönen schwarzen Bart, Du weißt, Du sagtest, der hab ein Antlitz und kein Gesicht, ich fragte: was ist das, ein Antlitz? – Du belehrtest mich, das sei noch aus der Form Gottes, nach seinem Ebenbild geschaffen, aber Gesichter, die seien nur so nachgepetert, wo die Natur nicht hat wollen mit dabei sein und die Philister allein sich erzeugen lassen; und da hab ich Dich gefragt: »Hab ich ein Antlitz?« – da hast Du gelacht und gesagt: »Es stickt noch zu tief in der Knospe, ich kann's nicht erkennen.« Noch an jenem Abend hab ich mich vor den Spiegel gestellt und gebetet, Gott soll mich doch aus der Knospe herauslassen mit einem Antlitz und nicht mit einem Gesicht; denn wenn ich kein Antlitz hab, wie kann ich da einem Antlitz gefallen? Noch an jenem Abend fragte ich die Frau Hoch, weil Wartfrauen von Schönheitsmitteln manches wissen, sie meinte, wenn man keine Sünde tue, so könne man nicht unschön werden, und wenn es darauf ankomme, so werde ich gewiß mich vor allen Sünden hüten; wie aber die Frau Hoch drauß war, um dem Kindchen die Suppe zu kochen, da kletterte ich vors Fenster auf das Blumenbrett und hockte mich ganz klein zusammen; wie sie wieder hereinkam, war's ganz still, es war dunkel und noch kein Licht angezündet, da meinte die Hoch, sie wär allein und wollte ihr Abendgebet hersagen, weil das Kindchen noch schlief. – »›Jetzt geh ich ins ewige Leben‹, sprach er mit freudiger Seele, neigte das Haupt und erbleichte.« Das hörte ich auf dem Blumenbrett vom Gebet der Frau Hoch. Ich dachte, ob es wohl unrecht sein möge, sie zu belauschen, und da fiel mir meine Antlitzknospe ein, ob die vom Meltau der Sünde hierdurch könne angegriffen werden, denn so gescheut war ich wohl, daß dies keine Kapitalsünde sei; aber weil ich absolut wollt wunderschön sein und ohne den geringsten Tadel, so hielt ich mir die Ohren mit beiden Händen zu, um nichts zu hören; da ließ ich die Stange los vom Brett und wär schier in den Hof gefallen. Ich konnt mir die Ohren nicht versperren, wenn ich nicht fallen wollt, und da hört ich sie noch singen:
Wenn der güldne Morgen blinkt, Der zu dieser Hochzeit winkt, Wo die reinen Seraphinen Bei der hohen Tafel dienen. – |
Da sang ich die zweite Stimme; die Hoch sieht sich in allen Ecken um, holt Licht, sucht oben auf dem Ofen, auf dem Vorhanggestell und überall und kann mich nicht finden. Ich pflückte eine Nelke vom Stock und stellte mich in den Fensterrahm, den stieß ich auf und reicht ihr die Nelke. Da stand sie mit ihrem kleinen Wachsstock und beleuchtet mich und meint, ich wär eine Erscheinung. Ich bin ihr aber um den Hals gefallen, denn ich hab die Frau sehr lieb. Ich fragte, ob's eine Sünde sei, daß ich ihr zugehört hab, die sagte: »Das ist grad keine Sünde, aber Sie hätten können in den Hof fallen, und da wollen wir lieber ein Danklied singen, daß Sie nicht gefallen sind.« – Hier hast Du das Lied, zu dem ich eine Melodie gemacht hab.
Der du das Land mit Dunkel pflegst zu decken, Ach reine mich von jedem leisen Flecken. Reich mir der Schönheit Kleid, Daß ich an jedem Morgen meiner Blüte Erkennen mag, wie deine Gnad sie hüte. – Obschon die Sonne entzogen ihre Wangen, Kann ich des Nachts gleich nicht zum Schlafen kommen, Wenn du mich willst, o Schöpfer, einst genießen, |
Die Hoch sagt: »Sie haben das Lied schön verketzert, kein Mensch wird's für ein Andachtslied erkennen.« – Ich hab es doch mit wahrer Andacht gesungen; ist es eine Sünde, so wollen wir lieber ein Bußlied singen, damit mir nicht gar noch ein Bart davon wächst. Die Hoch sagte: »Ach, gehn Sie doch, das wär Ihnen grad recht, wenn Ihnen ein Bart wüchse.«
Am andern Morgen ging die Tonie zum Tiroler, und ich ging mit, um mir sein Antlitz einzuprägen; ich dachte, wenn man sich was tief in die Seel schreibt, so blüht's am End mit einem auf, und weil die Tonie Handschuh aussuchte, setzte sich ein Schmetterling, der vom Main herübergeflogen kam, auf den Strauß an seinem Hut. »Ach, guck den Schmetterling, den haben die Blumen an deinem Hut herbeigelockt!« – Der Tiroler fragte: »Was ist das für ein Ding, ein Schmetterling?« und sieht ihn fliegen und ruft: »Ei was, das ist ja ein Pfeilmuter und kein Schmetterling. Du bist ein Schmetterling« und kriegt mich um den Hals und küßt mich auf den Mund. Die Tonie macht ein bös Gesicht und kauft gleich keine Handschuhe mehr bei ihm und geht fort. »Na«, ruft er ihr nach, »nehm Sie's nit übel, das Madel nimmt's ja auch nit übel auf«, und die Tonie mußt lachen und die Handschuh kaufen. Die Geschicht wollt ich als immer aufschreiben, weil sie mir gefällt, aber zu einem Buch paßt sie nicht, denn sie ist ja gleich aus, und was soll dann weiter passieren? – Der Clemens meint, ich soll alles schreiben, was mir durch den Kopf geht, er denkt, es wär Markt da; er schreibt, ich soll aus dem Kloster alles aufschreiben, aber nun les nur erst die dummen Gedanken, die in meinem Buch stehen, ob man da was Vernünftiges dran schreiben kann, und hab's noch dazu auf den Deckel inwendig geschrieben, weil ich meint, ich wollt's recht voll schreiben; ja, hat sich was, ich bin schon über vier Wochen noch immer am Deckel. Da steht erstens obenan:
Ob Tugend nicht auch Genialität sein möchte und ob wir vielleicht nur deswegen so mühselig hinanklettern zum Erhabenen, weil wir kein Genie haben.
Das war auf der Pappel, an der ich so bequem hinaufklettern kann, ich sah die Vögel geflogen kommen und dacht in mir, du hast kein Genie, du mußt mühselig zu allem hinanklettern, und dann kannst du dich nicht oben erhalten, mußt immer wieder hinunter. – Und da fühlt ich recht in mir, wie alles in mir schwankt, nichts erreichen kann, wie ein Feuer in mir braust, jede Kunst liegt in mir so nah, ich mein, ich hätte sie schon in mir, die Wangen glühn mir gleich so hoch, sie brennen mir, wenn ich nur in die Ferne denk, da liegen mir goldne Berge. Ich steh da, als hätt ich nur den Zauberstab in der Hand, alles inwendig im Geist, aber wenn's heraus soll, da bleib ich beim Buchdeckel und muß mühselig Sandkörnchen für Sandkörnchen zusammentragen. Wie ich von der Pappel herunter der Trepp herauf war und hatt meinen ersten papiernen Gedanken aufgeschrieben, der mich noch immer anlachte – so wollt ich doch noch ein bißchen im Abendschein mich wiegen, denn beim Wiegen kommen mir Gedanken. Kaum war ich der halben Pappel hinaufgeklettert, so fiel mir schon wieder was ein, ich klettert also gleich wieder herunter und wieder die Treppe hinauf und schrieb auf:
Der ganze Mensch muß in sich einverstanden sein, nämlich Herz und Kopf und Hand und Mund.