Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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In mir ist's wunderlich. Vor Menschen versink ich in mir selbst, vor denen fühl ich mich nicht, nur wenn ich durch den ersten Schlaf in der Nacht abgetrennt von allem wieder erwache, dann stellen sich große ungeheure Fragen vor meine Gedanken, es sind Fragen in mein Gewissen, vor dem ich verstummen muß. – Tugenden! – Was sind die? – Denk ich doch an die letzte Zeit mit den Emigranten bei der Großmama, es ging alles durcheinander, es war, als ob das Unglück vor der Tür geschehen sei, mit dem Tod des Enghiens, was für bittere Tränen vergoß der alte Choiseul mit dem Ducailas und dem Maupertuis, wie rangen sie die Hände und riefen zu Gott um diesen jammervollen Tod, meinst Du, das habe mir nicht einen tieferen Eindruck gemacht als alles glorreiche Durchbrausen der Welt? – meinst Du, ich könne je dem Unrechterliegenden mich lossagen und auch mir in Gedanken übergehen zu dem Unrecht, das vor der Welt recht behält, ich fühle, es liegt größere Freiheit darin, mit dem Unterdrückten die Ketten tragen und schmählich vergehen, als mit dem Unterdrücker sein Los teilen. Was ist mir Talent, das seine Bahn bezeichnet mit Friedensbruch, mit Meuchelmord? – ich würde selbst solche Bahn durchfliegen wollen? ja gewiß! – ich möchte hoch bauen, daß keiner mir nahen könnt, er müßte denn fliegen, aber nicht wie ein Raubvogel, der die Göttin Fortuna zerfleischt, um sich satt an ihr zu fressen, und sie dann als Aas liegenläßt; – aber durch heiligen Friedensschluß, nicht durch Verrat an ihm; durch Schutz der Kindlichen, nicht durch ihren Mord; durch freie, heilige, unantastbare Posaunenstimme der Wahrheit, nicht, daß ich ihr die Kehle zudrücke! – Dein Scherz erzürnt mich, ich wollte mir Gelassenheit erschreiben, aber ich muß durchglühen. – Der da! – eine schwindelnde Eingebildetheit, ohne Scham, ohne Gefühl? – den Gekrönte wie Ungekrönte wie Frösche umhüpfen, der von allen Schwächen hin- und hergezerrt, seine Abkunft verleugnet, sich um ein paar silberne Sterne im Wappen streitet, alle Franzosen wahnsinnig macht, der vergiftet, erdrosselt, erschießt, seiner Brüder Familienbande zerreißt, für den der Taumel des Volks sich erhält, weil ihm alle Frechheiten glücklich ablaufen, und dann meinst Du, ›ich fühle eine Neigung zu diesem Treiben!‹ – ›mein aufgeregt Gefühl gehe mit mir durch‹ – Du sagst alles im Scherz, es kränkt mich doch – aber der Scherz kommt nicht aus Dir. – Du scherzest wie ein tauichter Zweig, der mich anspritzt, wie das Morgenlüftchen, das mich neckt, aber nicht mit brandigen Hadern mich andampft. – So viel prophetische Gabe kannst Du mir zutrauen, daß es mir ahnend im Geist liegt, diese Strohflamme, so gewaltig sie um sich griff, so schneller wird sie verflackern; bald wird alles in Asche versunken sein – und Du machst mir's zum Vorwurf, daß ich mit des Ostertag schlechter Übersetzung mich so lang geplackt hab – weil ich wolle die großen Kaiserrollen studieren? freilich hab ich diese zwölf Kaiser mit Interesse studiert und hab gefunden, was ich vorher hätte sagen können, daß alle Tyrannen arglistige, kleinliche Naturen waren, sie gaben Befehle, wo ihre Bitten genügt hätten, der Fortgang ihrer Macht entwickelt sich aus des Pöbels Eitelkeit, überall war so viel Knechtsinn für Hofpracht, so viel Wahnsinn, die Seele diesem Götzen zu verschreiben, und wie denn alles Narrheit wird, so ergoß sich alles in die Quelle der Hoffart. – Das ist's, was ich in diesen zwölf Kaisern studierte, aber ich suchte nicht nach Ähnlichkeiten seiner Größe, sondern danach, ob nicht alle Tyrannen niederträchtig sind wie er? – ob nicht alle einen Toussaint Louverture vergiftet, einen Pichegru erdrosselt und Enghien erschossen haben, ob nicht alle durch Hofetikette das Halfter der Sklaverei auch ihren nächsten Freunden umwarfen? – ob irgendeiner einen freien Atemzug um sich dulden konnte? und ob diese Sklaven nicht bloß ihr Joch duldeten, um wieder die geringeren unterdrücken zu können; und siehe, bis auf den kleinsten Zug ist es immer wieder derselbe ungerechte, eigennützige Heuchler, immer dasselbe Ungeheuer der Mittelmäßigkeit; kein Trieb zum wahren Geist, keine Sehnsucht, die Weisheit als Ägide seiner Handlungen aufzustellen, keinen Verstand von dem Pflanzenboden der Künste und Wissenschaft, noch wie der Mensch sich erzieht; sogar gegen alles Selbstgefühl, ohne innere Zucht fährt er mit ungesitteten Spottreden heraus, und da schreit alles, er hat einen Stern! – Ach, er kann nicht ewig leuchten, und da wird alles mit erlöschen.

Schreib nicht mehr so ungefüg, sonst kriegst Du ungefüge Briefe; ich ärgere mich über alles, was ich so schreib, weil's ist, als ob ich einen Prozeß mit Deiner gesunden Vernunft führe und allen Zeitungswitz und Emigrantenpolitik zusammenhielt, um recht gegen Dich zu behalten.

Jetzt muß ich auf die alte Wart, es ist Neumond, ich muß sehen, wie er seine stumme, verzauberte Silberwelt anstrahlt. Die Meline schläft schon, ich steig zum Schlafzimmerfenster hinaus auf den Berg. – Heut war Speisemahl bei Savigny, da erzählten die Professoren von der Spitzbubenbande, die schon mehrmals eingebrochen hat in unserer Nachbarschaft, die Spitzbuben könnten sich da oben auf der Wart verstecken – ich fürcht mich, aber grad weil ich mich fürcht, so muß ich hinauf. – Die Menschen fürchten sich auch vor der Unsterblichkeit.


Am Sonntag

Ich bin gestern noch droben gewesen; beim Aufsteigen große Angst vor nichts, oben himmlische, große Befreiungsluft – Stille – allumfassende – tief schlummernd alles umher. – Ruhe und Freiheit winkten alle Sterne! – so einsam, so sicher! – so muß einem sein, der das Leben abgeschüttelt hat – unterwegs schreckten mich ein Kohlstrunk und ein krummer Ast, ich wußt, daß es nichts war, und fürchtete mich doch. So weiß der innerliche Mensch, daß alle Furcht nichtig ist, er muß das Reich der Einbildung durchkämpfen zur Wahrheit, die kann nicht fürchterlich sein, weil sie lebendig ist und frei und auch nur das Lebendige und Freie berührt, nicht den gebundnen Geist, der alles fürchtet, weil er es nicht faßt. Erkenntnis hebt jede Gegenmacht auf. Ich will Dir sagen, wie es ist beim Sterben, ich hab's auf der alten Warte gelernt. – Unten mit schwebender Angst hinaufgeklettert – die innerliche Wahrheitsstimme half mir die Einbildung, die so frech selbst mit Erscheinungen mich bedrängte, bezwingen, ein paarmal zagte ich zwischen Erd und Himmel auf der morschen Leiter, aber die Luft hauchte schon herab, so erhob ich mich plötzlich, und von allen Seiten atmete mich Freiheit an, so grad ist's beim Sterben; je weniger das Leben Licht erstritten hat, Geist geworden ist, je mehr scheut es den Geist, je mehr drängt sich am Lebensende die Einbildung ihm auf und beschränkt den Lichtkreis des Lebendigen, der Wahrheit. Der Mensch ist Sklave der Einbildung, die ihm sein Inneres leugnet, aber die göttliche Wahrheit haucht schon in den dunklen, baufälligen Turm zu ihm nieder, daß er die morschgewordne Leiter, die zur Freiheit führt, mit doppelter Kühnheit erschwingt, und unmöglich kann diese im finstern Turm mit dem Aufschwung ins Freie fortdauern, denn sie war Einbildung. – Man könnt vielleicht das, was ich vom Sterben sag, gering achten, weil's so einfältig ist und so fabelmäßig und vielleicht schon oft gesagt, ja, es war mir selbst nichts Neues, aber doch ist's was anderes, weil ich's erlebt hab und nicht bloß mit den äußeren Sinnen erfaßt, der freie Sternenhimmel hat mich's gelehrt, und ich war so vergnügt da bei der Sterbelektion, und ich werd noch mehr lernen da oben.


Am Dienstag

Heut hab ich Dir was Lustiges zu erzählen, es war Studentenkomödie, und wir waren drin, unter dem Schutz von einer großen Begleitung; das Stück war eine Selbsterfindung der Studenten, worin drei Duelle vorkamen von Schuß, Stich und Hieb; wie der Schuß vorkam, war der Meline schon nicht wohl zumut, wie der Stich vorkam, ward uns grün und blau vor den Augen, wie aber der Hieb kam, gab's ein Lärm und Gepolter, und man sprang übers Orchester hinüber, über die Öllampen weg, hinauf aufs Theater, die Öllampen gingen zum Teil aus, und aus der bisherigen Dämmerung entwickelte sich Finsternis; unsre Begleitung umstellte uns auf den Bänken und hielt uns in ihrer Mitte, um uns vor jedem Unfall zu schützen, bis wir wagen konnten, aus dieser Konfusion und dem Ölqualm herauszukommen, und auf freier Straße wieder Luft schöpften; die Verwirrung war daher entstanden, daß der Pedell dem Rektor, der inmitten des Saals auf einem Ehrensessel zusah, steckte, das Duell mit dem Hieber sei ein wirkliches, er wollte es erlauscht haben, auch sah es sehr gefährlich aus in ihrer Studentenarmatur; der Rektor hielt für seine Pflicht, in grader Linie auf dies Wagnis loszuschreiten, er bahnte sich einen Weg durch die Mitte des Orchesters, wo die Baßgeige angelehnt war, vor dem Rektor umfiel und einen schauerlichen Ton von sich gab, die Gesellschaft schreckte auf, der Dekan und wie die hohen Universitätschargen alle heißen, drängten sich über alle Hindernisse weg, ihrem Rektor nach, wo denn den Pauken und Baß noch mancher unwillkürlicher Ton entlockt wurde. – Viel lautes Hin- und Herreden unter den Damen, die bald das Unglück verhüten, bald es nicht mit ansehen wollten, viel Gelächter unter den Studenten, die ihre Freude an der Verwirrung hatten, am interessantesten war die Szene auf dem Theater: Der Rektor mit Beistand uns en face ganz feierlich: ein Student, der eine Dame vorgestellt mit langer Schleppe und schon früher beim Stichduell die Hälfte davon verloren hatte, wendete jetzt, wahrscheinlich aus Mutwill, dem Publikum den Rücken, man sah große Kanonenstiefel, einen Hieber an der Seite, der die halbe Schleppe trug und einen großen Florschleier, der den Rücken hinabwallte und mit jeder Bewegung bald die paar Lampen zu erlöschen, bald sich zu entzünden drohte, so daß mehrere Stimmen riefen, der Schleier brennt. – Es war bald ausgemacht, alles sei nur blinder Lärm gewesen, indessen konnte das Stück nicht weiterspielen, die Lampen waren aus und die Honoratioren fort, eine Masse Straßengesindel hatte sich der Bänke bemächtigt, um zu sehen, was es gab. Am andern Morgen hörten wir von unserm Professor Weiß den Ausgang der Tragikomödie; es sei in Dubio geblieben, ob wirklich ein ernstlich Duell habe sein sollen, die Studenten haben es geleugnet, der Pedell aber beschworen, daß er ihre Unterredung auf dem Gang mit angehört habe und daß der eine, der die Dame vorstellte, der eine Sekundant und mein getreuer Hauptmann der andre sein sollen und daß sie vor der Tür ihre Klingen gemessen und daß er gehört habe, auf wieviel Gänge und wie sie ihre Halsbinden, ihre Stürmer und ihre Faustbinden besichtigt hätten. Die Studenten blieben dabei, sie hätten nur ihre Rollen repetiert, und das habe alles sollen auf dem Theater vorgestellt werden; es war nichts zu machen, man mußte sie laufenlassen, sie gaben dem Rektor ihr Ehrenwort, keine Händel anzufangen, hielten noch einen Kommers und jubelten bis spät in die Nacht. – Der Gang des Stücks hatte noch kein Licht auf seinen Inhalt geworfen, die eigentliche Pointe des Ereignisses war, daß sie die mangelnde Katastrophe desselben ersetzen wollten und daher in Gegenwart des Pedells, den sie nicht zu bemerken schienen und der sich hinter einen Schrank versteckt hatte, die ganze Geschichte ihm weismachten; sie hatten ihm schon früher Argwohn beigebracht und ließen so die ganze Versammlung mitspielen, die sich dabei auch höchlich amüsiert hatte, und gewiß hat sich jung und alt noch eine Weile von allem Komischen zu erzählen, was dabei vorfiel. Der Professor Weiß war entzückt über seine lieben Studenten, er sagte, man muß selbst Student gewesen sein, um ihnen nachzufühlen, welch Gaudium es ist, wenn so was gelingt; er blieb bei uns sitzen, wir erlaubten ihm, sein Pfeifchen zu rauchen, und er erzählte uns aus seinen Studentenjahren nichts wie dummes Zeug, was uns die Zeit sehr anmutig vertrieb. – Heut morgen, als die Studenten ins Kolleg kamen, konnten wir deutlich bemerken, daß sie noch ganz entzückt davon waren, das Lachen war heut ihr einzig Exerzitium, und wir beiden, wie zwei unsichtbare Schutzgöttinnen hinter den gefrornen Fenstern, freuten uns der heiteren Laune unserer Lieblinge.

Bettine


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