Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Bettine

Gestern abend kam ich von Hanau, wo ich drei Tage in prosaischen Geschäftsaufträgen verbrachte. Deine zwei Briefe lagen auf meinen Kopfkissen und einer von Clemens, der nach Dir frägt, weil er die ganze Zeit nichts von Dir gehört habe, keine Antwort auf mehrere Briefe. Er meint, Du könntest krank sein; hast Du ihm denn gar nicht geschrieben? – Versäume doch nicht, gleich zu schreiben; er frägt nach Deinen Studien und meint, Dein Generalbaßeifer, von dem Du mit so viel Begeistrung ihm geschrieben, sei wohl auch wieder ins Stocken geraten. Ich soll Dein faselig Wesen zur Besonnenheit bringen, und schilt mich einen Faselhans und klagt mich an, ich versäume Dich; ich mache mir selber Vorwürfe und kann doch nach allem Überlegen zu keinem besseren Resultat kommen, als eben Dich ganz Dir selber überlassen. – Der Clemens meint, Du habest ein enormes Talent zu jeder Kunst, und es müsse die Steine am Wege erbarmen, Dich so dahinschlampen zu lassen; Deine Selbstzufriedenheit hänge davon ab, daß Du Dich mit Leib und Seel einmal drangebest, es sei der Schlüssel Deines ganzen Lebens. – Ich darf ihm nicht sagen, daß Du ein Religionsstifter bist und die ganze Menschheit auf Dich genommen hast und willst sie lassen von der Luft leben und bildungslos dahertappen und willst nichts Gekochtes mehr essen, von lauter rohen Mohrrüben und Zwiebel leben und die Bratspieße alle zum Teufel werfen und Dir das ganze Taunusgebirg zur Gesellschaft bitten und daß Deine Religion schweben solle und daß Du in dem Gärtner einen adeligen Herrn entdeckt hast, das darf ich ihm doch alles nicht sagen. Was soll ich ihm denn sagen? – Da helf mir doch einmal ein bißchen drauf. – Der rasche Wechsel von Anregungen in Deinen Briefen würden dem Clemens die Haare zu Berge stehen machen, und Dein zärtlicher Umgang mit dem Heiligen Geist, wie Du das nennst, den Du gleich einem Jagdhund witterst, das würde ihm unsägliche Sorgen machen. Er frägt mich, was Du mir schreibst, denn er wisse, daß ich enorm lange Briefe von Dir bekomme. Wo er das her weiß, das ist mir ein Rätsel; ich hab mit niemand davon gesprochen. Ich mein, daß der Clemens recht hat, denn wenn Du auch ein neues Leben ausgefunden hast, indem Du mit Dir selber zusammentriffst, wie Du sagst, so mußt Du doch auch fühlen: so gut wie in jenen Naturerscheinungen, die Dein Genius, wie Du meinst, benutzt, um zu Dir zu gelangen, so würde er jede Kunst wohl auch benutzen dazu, wenn Du ihm nur die Pforte öffnen wolltest, aber der Arme! ich glaube, Du würdest ihn eher zerquetschen, ehe Du ihn da durchließest. – Was Dich einen Augenblick anregt, wozu sich wirklich Dein Feuer sammelt, das zerstreust Du mit allem Fleiß wieder und gibst es den vier Winden preis. Du kannst nicht leugnen, daß die Musik mit allem, was Anregung in Dir bedurfte, übereinstimmt. Du hast mir selber geschrieben, Dein eigner Lebensgeist rufe Dir immer zu, eine Geige nimm und verstärke den Strom der Harmonien, sonst kannst Du nimmer glücklich werden. Dies war's oder doch was ganz Ähnliches, was Du mir vor vier Wochen geschrieben, und daß Du fühlest, die Musik sei der Urgeist aller Elemente, und sie allein wecke den Geist im Menschen, und Geist könne nur Musik sein, und was dergleichen prahlerische Gedanken mehr waren, die, wie ich sehe, aber gänzlich aus Deinem Kopf verschwunden sind. – Wo ist nun Dein musikalischer Urgeist jetzt hin? – ich will Deinem Lebensweg gar nicht in den Weg treten, aber daß Du dem Geist, der Dir auf geheimen Wegen entgegenkommt, den Du so liebst, daß Du meinst, in allem sei nur er es, den Du je lieben werdest, daß Du dem zulieb nicht einmal eine Kunst üben willst, Dich zu nichts anstrengen, kein Buch lesen, nur spazieren gehen, auf Dächer klettern und über die Hecken auf Nebelpfaden umherschweifen, schwebende Religionen zu erfinden, das ist ein wahrer Jammer! Wie gern wollte ich alles an Dir versuchen, was Clemens als meine Pflicht mir vorhält, aber Du stehst mir ja doch nicht Rede und haspelst wie ein Schmetterling über Dich selber hinaus. – Wie lang bleibst Du noch draußen? – Die Tonie läßt Dir sagen, sie werde Dich am Mittwoch abholen abends um halb neun Uhr auf einen Ball, den der Moritz in Niederrad gibt; sie konsultierte mit Marie und Claudine über Deine Kleidung, weil Du keinen Ballanzug in Offenbach hast, eine weiße Krepp-Tunika, eine breite blaue Schärpe und blaue Achselschärpe, meinte Claudine, und was auf den Kopf? – Du trügest nichts auf dem Kopf, meinte die Marie – ich will aber doch diesmal Dich auffordern, daß Du Dir einen Kranz von Aschenkraut aufsetzest, das muß gar gut stehen, der Moritz will Dir einen Strauß schicken. Heute haben wir Samstag; am Mittwoch also, wenn Du nicht abschreibst.


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