Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

An die Günderode

Dem Clemens hab ich geschrieben, einen langen Brief, und ihm auch von Dir gesagt, daß Du ihm gut bist und daß ich Dir lange Briefe schreibe, auf die Du nur kurz oder auch wohl gar nicht antwortest. Ich hab ihm erzählt, ich spreche zu Dir wie zum Widerhall, um mich zu fühlen, zu hören, und lege meinen Gedanken und Einbildungen keinen Zaum an; und daß es sei, als ob ein guter Genius diese Briefe hervorbringe; – so antwortet er: ›Um deine Briefe ist die Günderode zu beneiden, wenn sie das sind, was dein Genius hervorbringt, wenn sie aber so wenig antwortet, so ist das gar wunderlich, entweder ist nichts zu antworten oder alles schon abgetan.‹ –

Heute schreibt er mir den langen Brief über Dich, ich hab doch recht, er hat Dich lieb und hat Dich nicht wollen beleidigen, und seine Seelen alle sind doch nur eine gute, denn bist Du ein Kind, so ist er es auch zu Dir; aber Kinder lassen sich nicht drauf ein, empfindlich zu sein, sie sind gleich wieder gut und lassen den Strom vom Ufer wegspülen die Spielzeuge, die sie einander zerbrochen haben, und erfinden sich neue, ergötzlichere. Lese den Brief nicht mit Vorurteilen und denk, daß es neckende Stimmen sind in ihm von Kobolden, die ihm oft selber einen Streich spielen, aber die Seele – die eine gütige, die sie umschwärmen, die ist doch ein Kind wie Du, und was ein freier, himmelanstrebender Geist nicht in noch höherem Sinn nimmt als er selber ist, das ist für ihn kleinlich, und was kleinlich ist, das muß man gar nicht annehmen, sonst lernt man die Wahrheit nicht begreifen – Und ich denk: von allen Geschichten des Herzens und der Seele Berührungen geben wir den Leitfaden der Gottheit in die Hand, die leitet immer zum richtigen, unmittelbaren Verstehen. – Und wenn Du mißverstanden wirst, so sieh doch nur den Gott selber an in der Liebe, gegen den kannst Du alles wagen, denn der muß Dich verstehen. – Ich geh Dir Lehren, Günderode, die Dir nicht fremd sind, besinn Dich, auf dem Rhein, wie wir unsern Briefwechsel besprachen, da sagtest Du, es sei eine Seele, die uns mit Liebe an sich ziehe in jedem Verhältnis, es müsse eine Zeitigung erlangen in uns, sonst sei es Untreue, Mord, Ersticken eines göttlichen Keims. – Und wo eine Anziehungskraft sei, da sei auch eine Strebekraft, und wir sollten ihre Empfindung festhalten, dadurch allein könne die Seele wachsen, jede Berührung mit des andern Geist sei bloß Seelenwachstum, so wie alles Reizerweckende bloß sei wie das Erwecken und Entfalten des Pflanzenlebens. – Der Menschengeist bereite sich auf die jüngste Stufe der Natur, auf die der Pflanze, während der Leib auf der letzten stehe, auf der des Tieres, der Leib ersterbe, aber im Geisterreich sei des Geistes erste Metamorphose die Pflanzenwelt. – Du meintest da, ich sei zerstreut und höre auf die Waldhörner am Ufer, nun hörst Du, daß ich doppelte Ohren hab und daß ich alles nicht allein für mich gehört hab, sondern auch für Dich, denn Du hast es vielleicht schon vergessen. – Du sagtest, Du liebst Dich selbst in mir; so lieb Dich doch auch selbst im Clemens; – ich weiß nicht, was ich Dir all sagen möcht. – Erzieh Dir ihn doch, wie Du ihn haben willst, wie Du fühlst, daß er sein müßte, um Dich nicht zu kränken, zu eben dem Leben, das Du ihm der Idee nach zumutest, es ist gewiß das wahre, was ihm zukommt, und Du selbst sagst ja damit, daß Du ihn der Idee nach höher stellst wie die andern, diese Idee ist ja doch der eigentliche Wirkliche, und denk doch an die andern, die Du der Idee nach gar nicht wohin stellen kannst, sondern mußt sie lassen, was sie sind. Und wenn Du einen Spielkameraden fändest mit so herrlichen großen Augen, mit so elfenbeinerner Stirn, und er hätte solche Momente, wo die Götter aus ihm prophezeiten, aber er wär unartig und tückisch im Spiel, er biß Dir in die Hand und kratzte Dich, wenn Du ihn streichelst, oder er schlüg Dich mit der Peitsche, wolltest Du bloß ihn als einen tückischen Knaben achten und wolltest die frühere Idee von ihm aufgeben? – so ließest Du ihn also laufen wegen einem Rippenstoß, den er Dir gab, und wolltest von der höheren Idee nicht mehr Notiz nehmen? – ach, laß Deine Rippen nicht so empfindlich sein! Tut's doch Gott nicht! – Er hält sich an das Hohe im Menschen, und alles andre ist nicht für Gott da. – So soll auch alles nicht für Dich dasein wie bloß das Gute, und wenn es Dir auch gar nicht mehr aufleuchtet, so sollst Du dennoch von ihm wissen und dran glauben. –

Entlasse ihn nicht, liebe Günderode, kämpf Dich mit ihm durch, der die Idee in sich trägt, die Du ihm zumutest und die so hoch ist, daß er hinter ihr zurückbleibt; denn die andern tragen gar keine Idee in sich und bleiben nicht zurück und kommen nichts vorwärts. –

Da hab ich mich so vertieft in Gedanken, daß ich einschlief, es geschieht mir so oft, daß ich einschlafen muß im besten Denken, wenn ich eben empfinde als wolle ein tieferer Geist in mir wach werden, wo ich höchlich gespannt bin zu erfahren, was sich in mir erdichten will, und statt daß es in mir erwacht, so muß ich drüber einschlafen, als ob eine idealische Natur mir nicht wolle wissen lassen, wie sie in mir denkt und empfindet. –

Es ist ein Zauberer in uns, der sieht uns streben nach seinem Wissen, der macht all mein Streben zunichte; wenn ich nah bin und die Offenbarung schon durchschimmern seh, so schläfert er mich ein. – Ich lese jetzt zum zweitenmal den ›Wilhelm Meister‹; als ich ihn zum erstenmal las, hatte mein Leben Mignons Tod noch nicht erreicht, ich liebte mit ihr, wie ihr waren die andern in der Geschichte des Buchs mir gleichgültig, mich ergriff alles, was die Treue ihrer Liebe anging, nur in den Tod konnt ich ihr nicht folgen. – Jetzt fühl ich, daß ich weit über diesen Tod hinaus ins Leben gerückt bin, aber auch um vieles unbestimmter bin ich, schon so früh drückt mich mein Alter, wenn ich hier dran denke. – Ich hab mit ihr empfunden, ich bin mit ihr gestorben damals, und jetzt hab ich's überlebt und sehe auf meinen Tod herab. – Gewiß stirbt der Mensch mehr wie einmal, mit dem Freund, der ihn verläßt, muß er sterben, und wenn ich mit jenem Kind leiden und sterben mußte, weil ich sein Geschick als das meine in ihm empfand und weil ich es zu sehr liebte und konnte es nicht allein in den Tod gehen lassen. – Wenn Du das alles überlegst, so wirst Du nachsichtig sein, daß ich so furchtsam bin um Dich.

Ich hab auch jetzt schon lange wieder nichts von Dir gehört, auf den Klausner kann ich mich nicht verlassen, von Dir will ich keine Briefe fordern, Du hast viel zu denken, und vielleicht Deine Augen sind leidend, aber doch bin ich immer voll Sorgen, wenn ich an dem Tag keine Briefe von Dir hab, wo ich mir's in Kopf gesetzt hab; dann steigert sich's bis zur Angst, wenn noch ein Posttag vergeht, und dann hilft mir's nur, wenn ich in der Sternennacht auf der Warte an Dich denke, da trau ich's meinem Geist seinem mächtigen Willen zu, daß er Dich schütze. Die Nächte waren so tiefer Schnee gefallen, daß ich mir erst am Tag einen kleinen Pfad zum Turm schaufeln mußte, denn solang ich vermag, wird mich nichts abhalten, daß ich da hinaufgeh und in Gedanken zu Dir dringe und für Dich bet, bis ich wieder bei Dir bin. – Im Rheingau hast Du mir auch geschrieben, nur kurz, weil Du Augenweh hattest, aber ich las doch in den zwei Zeilen, wie Du gestimmt warst, zutunlich.


 << zurück weiter >>