Willibald Alexis
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht
Willibald Alexis

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Drittes Kapitel.
Herr von Wandel muß sentimental sein.

»Unter Heiligenbildern eine Heilige!« rief der Legationsrat der Baronin entgegen.

»Wissen Sie, was mein Mann von Ihnen sagt?« replizierte die Baronin. »Wie heilig Sie auch aussähen, Sie wären ein Pfiffikus, und er möchte mit Ihnen keine Geschäfte machen.«

»Warum sollte er teilen! Er macht für sich allein die besten.«

»Ihnen traute er nicht über den Weg, meinte er neulich.«

Der Legationsrat zuckte lächelnd die Achseln: »Was konnte ich dafür, daß aus der Mäntelgeschichte nichts ward. Meine Absichten waren die besten, meine Demarchen gut, es stieß sich an andern Dingen. – Ja, teuerste Freundin, wieviel ist damit ausgesprochen! Unser Wille mag noch so rein sein, wir tun alles, was wir können, der Himmel selbst scheint uns zu winken, und es wird doch nichts draus. Das ist der unerforschliche Organismus jener höheren Sphärenkreise, in die unser Auge vergebens zu dringen sucht. Darin finde ich aber eben den merkwürdigen Unterschied zwischen ihrem und unserm Geschlecht, ich meine, zwischen den Erwählten. Während wir noch immer titanisch nach dem Unmöglichen ringen, findet das edle Weib schon in der Entsagung den höhern Trost. Da erst verklärt sich ihre Liebe zu derjenigen, welche nicht besitzen, nur beglücken will; selbst beglückt, wenn sie den geliebten Gegenstand glücklich sieht in der Liebe zu einer andern.«

Der Legationsrat schien unwillkürlich mit dem Taschentuch über die Augen zu fahren. Die Baronin sah ihn aber sehr scharf an:

»Was meinen Sie denn damit? Denn das habe ich Ihnen auch abgemerkt, Sie sagen nichts ohne Absicht.«

»Meine Freundin wird aber darin mit mir einig sein, daß es unter zartfühlenden Seelen besser ist, über gewisse Interessen nur andeutend wegzugehen, als sie auszusprechen. Wer heilende Wunden mutwillig aufreißt, wird zum Selbstmörder.«

Die Baronin sah ihn so klar an, daß Wandel seine Augen einen Moment niederschlug:

»Manche Wunde tut auch wohl, wenn man weiß, daß, der sie schlug, es in guter Absicht tat. Sie sind nicht Dohlenecks Freund, leugnen Sie's nur nicht; ich weiß es –«

»Mir ist er eigentlich ganz indifferent, meine Freundin. Wenn er feindliche Gefühle gegen mich hegt, so sind sie ihm wahrscheinlich vom jungen Bovillard beigebracht.«

»Sie meinen auch, wie die andern, daß es nur Mißverständnisse sind?«

»Von dem, was die Leute sprechen, laß ich mich nie bestimmen.«

»Ja, es ist ein Mißverständnis«, sprach sie mit gen Himmel erhobenen Blicken. »Es war kein Zufall, ich weiß, daß alle die Kränkungen von ihm absichtlich ausgingen –«

»Ist es möglich!«

»Ja, mein Herr Legationsrat, so gewiß, als Sie hier vor mir sitzen.«

»So abscheulich hatte ich ihn mir doch nicht gedacht. Und sieht aus, als könnte er keinem Kinde das Wasser trüben.«

»Und seine Seele ist so rein wie der Spiegel des Sees.«

»Sie sprechen in Rätseln. – Ich, oder vielmehr ein Freund, glaubten letzthin in Ihren Blicken ein stummes Spiel gegenseitiger Verständigung zu entdecken. So kann man sich täuschen!«

»Sie haben sich nicht getäuscht.«

»Das Rätsel wird immer dunkler.«

»Und immer heller in meiner Seele. Ja, weil der edle Mann sah, wie mein Gefühl für ihn immer heftiger ward, wie ich mich von ihm hinreißen ließ, und weil er mich wahrhaft liebt, darum mit eigner Selbstüberwindung jene Kränkungen und Ärgernisse, die mich tief betrübten, um dann mich wieder desto höher zu erheben. Er beleidigte mich, um mich wieder zu mir selbst zu bringen, um mich von meiner Leidenschaft zu heilen. So lebten wir eine lange, schmerzliche Weile uns zur gegenseitigen Qual, bis – wir uns verstanden haben. Nun aber haben wir es, und ich bitte es ihm tausendmal im Herzen ab, wie ich ihm unrecht getan. Ich glaubte zu leiden, und wie mußte er erst leiden, indem er mir und sich zugleich so unaussprechlich wehe tat.«

Wandel, der etwas unaufmerksam gesessen, warf hier einen forschenden Blick auf die Rednerin. Er hatte manches, aber dies grade nicht erwartet. Die Geschichte interessierte auch ihn nicht mehr besonders, oder er war im Nachsinnen, wie er ihr eine andre Wendung beibringe, um ihr wieder ein Interesse abzugewinnen. Es war die Neugier, wie man in einem empfindsamen Roman plötzlich die Seiten umschlägt, um die Motive eines den Leser überraschenden Sinnesumschlags zu erfahren, mit der er sie rasch fragte:

»Und das hat er Ihnen alles gesagt?«

»Kein Wort.«

»Ah, also die Sympathie der Seelen!«

»Warum senken Sie die Augen?«

Er mußte sich gestehen, daß diese Wendung dem, was die Freunde wollten, am wenigsten entspreche:

»Oh, das ist ein Thema«, rief er, »bodenlos, unergründlich.«

»Sie erschrecken ja beinah.«

»Ich? – Erschrak ich? – Ich stellte mir nur vielleicht die Frage, ob es ein Glück ist, in der Seele des andern lesen zu können? Oder nicht vielmehr ein Unglück? Fragen Sie sich einmal, ganz aufrichtig, die Hand aufs Herz. Würden Sie wünschen, daß ein andrer Ihre Gedanken läse wie ein offnes Blatt?«

Er hatte ihre Hand ergriffen und legte sie sanft an ihr Herz. Sie ließ es geschehen und sah ihm klar in die Augen. Ohne alle Bewegung sprach sie mit heller Stimme:

»Ja, es könnte jeder lesen.«

»Auch der Baron, Ihr Gemahl?«

»Jetzt erst recht. – Im Anfang schoß es mir da über den Kopf. Nachher ward ich zuweilen stutzig, ich schämte mich, wenn der und jener mir jetzt ins Herz sähe, und ich gab mir Mühe, daß ich's mir anders zurechtlegte und rechtfertigte, aber nun habe ich's nicht nötig. Da fiel mir wieder ein, was mal der Prediger sagte: ›Jedes guten Menschen Herz muß so zugerichtet sein wie ein Glasschrank. Darin verbirgt man nichts, und wer in die Stube tritt, sieht es.‹«

»Der gute Prediger unterließ nur hinzuzusetzen, meine Freundin, daß wir nicht jeden in unsre Stube lassen. Die Stube verschließen wir, und der Glasschrank steht nur offen für unsre Freunde, für die, welche wir geprüft, die täglich Zutritt haben. Ja, die mögen hineinschauen und sich der Dinge freuen, die uns erfreuen.«

»Ach, ich weiß jemand, der würde sich zuknöpfen, wenn man ihm ins Herz sehn wollte!«

»Wer ist das?« Wandel schien über diese Wendung des Gesprächs noch weniger erfreut.

»Sie sind ein guter Mensch, Herr von Wandel, aber voller Finten. Reden Sie sich ja nicht aus, ich weiß es.«

Er hatte ihre schöne Hand, die über der Diwanlehne lag, erfaßt und drückte sie sanft an die Lippen. »Könnten Sie in dies Herz schauen!« sprach er seufzend. »Finten nennt es meine Freundin. Immerhin! Finten sind Spitzen, aber es sind blutende Spitzen, Dolchstiche, Dornen, die andre hineingedrückt. Da ist der einzige, aber ein süßer Trost, daß um diese Dornen Rosen blühten.«

Sie hatte die Hand ruhig seinen Küssen überlassen und schien verwundert, als er plötzlich aufstand und den Stuhl wegsetzte.

»Wohin wollen Sie denn?«

»Nach dem Lande, wo keine Rosen blühen.«

»Jetzt doch nicht gleich?«

»Ich bin keine Stunde sicher, daß nicht die Pässe und Anweisungen aus Petersburg eintreffen, und darf meines Verweilens nicht mehr lange sein. Die Akademie in Petersburg hat zu meiner Beschämung eine so dringende Vorstellung an Seine Majestät den Kaiser gerichtet, die Untersuchung der Bergwerke für so wichtig erklärt und meine geringen Kenntnisse so hoch angeschlagen, daß ich undankbar wäre, wenn ich dem ehrenvollen Rufe zu folgen nur einen Augenblick zauderte.«

»Ihre Verdienste in Ehren, aber – die Gargazin wird sie wohl recht ausgeschrien haben.«

»Erlaucht hat allerdings auch Güter in Asien, und einige Bergstriche versprechen, wenn mein Auge aus der Ferne sich nicht täuscht, unter geschickter Hand eine ungewöhnliche Ausbeute.«

»Nach Asien wollen Sie, Herrgott, das ist weit.«

»Bis an die chinesische Grenze. Sie mögen denken, wie schwere – sehr schwere Opfer es mich kostet!«

»Wieso denn?«

»Muß ich nicht meine eignen Güter in Thüringen verlassen?«

»Wissen Sie, was mein Mann sagt? – Die möchte er nicht geschenkt haben; wenn Sie nicht die Feldsteine zu Klößen kochen lernten, müßte 'ne Kirchenmaus drauf verhungern.«

»Ei, Ihr Herr Gemahl auch Ökonom? Ich hielt ihn nur für einen Spekulanten. Für den glücklichsten, weil – er das große Los gezogen hat.«

Die Baronin lachte ihn recht herzlich an: »Damit meinen Sie mich; mir verbergen Sie nichts. Wenn Sie aber meinen Mann fragen, so sagt er Ihnen, es wäre seine schlechteste Spekulation.«

»Ich halte viel auf Ihren Herrn Gemahl. Über dem tiefen Schacht von Wissen und Erfahrung spielen wie Schmetterlinge Humor und Witz. Ich weiß seinen kaustischen Witz zu schätzen; weil ich ihn verstehe, verwundet er mich nicht wie andere, und es tut mir aufrichtig leid, daß unsre verschiedenen Berufsgeschäfte uns so selten zusammenführten. – Glauben Sie mir, auch von ihm wird mir die Trennung schwer.«

»Von wem denn sonst noch! Von der Geheimrätin oder der Fürstin! oder – oder – oder.«

»Verdiente ich diese Bitterkeit? Die Baronin Eitelbach sieht mich gern scheiden.«

»Nein, weiß Gott, nein, ich plaudre gern mit Ihnen. Ich glaube Ihnen nicht alles, was Sie sagen, aber es hört sich so hübsch an. Es klingt, als ob man mit Ihnen in die Wolken fliegen müßte.«

»Seele mit dem Taubenauge und dem Blick des Adlers, erlauben Sie mir, den Bruderkuß auf die Stirn der Schwester zu drücken.«

Sie wehrte ihn, als er in Begriff war, es zu tun, sehr entschieden zurück: »Sie sind noch nicht fort. Wenn's soweit ist, wollen wir uns besinnen.«

»Einen Wunsch erlauben Sie mir wenigstens, mit den Lippen auf Ihre schöne Hand zu hauchen.«

»Hauchen Sie aber nicht zu lange.«

»Wie Sie in meine Seele blicken, möchten Sie ebenso klar in die des Rittmeisters blicken! Jetzt noch nicht, aber später, wenn ich fort bin.«

»Warum denn jetzt nicht?«

»Jetzt hat er genug Beschäftigung mit der kleinen Choristin.«

»Welche Choristin?«

»Die in der Geisterinsel die Herzen entzückt. Sie wissen ja.«

»Sie sind ein abscheulicher Mensch.«

»Vielleicht irre ich mich auch. Sein Neffe, der Kornett, bezahlt sie, und die böse Welt sagt: ›für seinen Onkel‹. Doch, wie gesagt, das mag nur Gerede sein. Und wäre es, ist's ein Versuch, seinen Schmerz zu betäuben. Das will ich ihm verzeihn. Aber – ich glaube, es ist vielleicht besser, ich schweige.«

»Nein, jetzt ist's besser, Sie reden. Das ist ebenso abscheulich von Ihnen, daß Sie einen Stachel einem ins Herz senken, und dann laufen Sie fort. Man quält sich, was es ist, und dann ist's am Ende nichts.«

»Auch ich hoffe, daß es nichts ist. Das ist das Opfer, welches ich Rußland und der Wissenschaft bringe, jetzt von so vielen Freunden mich loszureißen, die vielleicht meiner Hilfe bald bedürfen. Einer Eigenschaft rühme ich mich – ich ward frei von Affekten, ich blicke klar in die Zukunft, in die Seelen der Menschen, die Fältchen und die Schleier derselben täuschen mich nicht. Der Rittmeister ist, ja, ich gebe es zu, was man nennt, ein guter Mensch, aber verschuldet, bis über die Ohren verschuldet. Der Krieg konnte ihn retten. Nun bleibt Friede. Er muß alle Anstrengungen machen, sich über dem Wasser zu halten. Damals, als es losgehen sollte, überkam ihn ein nobler Impuls; das ist nun vorüber; er ist Mensch, ein armer Edelmann, ein Offizier, auf seine Gage angewiesen, von Gläubigern gedrängt, gewissermaßen von den Umständen zum Aventurier gestempelt, gezwungen, sein alles auf eine Karte zu setzen. Lieber Gott, er ist darum kein Bösewicht, daß er alle Rollen spielt, den brüsken, den sentimentalen, sogar den idealen Liebhaber, um eine reiche Frau zu kapern.«

»Sind Sie bei Trost? Ich bin ja verheiratet!«

»Daran denkt ein solcher Aventurier nicht. Er hält alles für erlaubt, und in der Not kein Band für zu fest. Ich kenne solche Menschen.«

»Jetzt schweigen Sie. Sie mögen viele Menschen kennen, aber den Rittmeister Stier von Dohleneck kennen Sie nicht. Ich könnte Ihnen sehr böse werden, spinnefeind, wenn Sie nicht ein so guter Mensch wären. Darum bitte ich Sie, tun Sie mir den Gefallen und – sein Sie still. Kein Wort mehr davon!«

Er verneigte sich respektvoll: »Ich gehorche dem Befehl, wo ein leiser Wunsch genügt hätte; aber eine Bitte spreche ich im Scheiden aus. Wenn das Traumbild Ihres Glaubens zusammensinkt, wenn Sie sich schwach fühlen, wenn mit Ihrem Vertrauen das Glück des Lebens vor Ihnen zusammenbricht, dann denken Sie, dann rufen Sie mich. Ich werde Ihre Stimme hören, auch wenn hunderttausend Meilen uns trennen, kein Brief mich trifft, keine Taube durch die eisigen Lüfte dringt. Wenn Auguste von Eitelbach gepreßten Herzens in ihrem Kummer meinen Namen nennt, wenn sie schluchzend in die Nacht ruft: ›Ach wäre er hier, er könnte mir helfen‹, dann werde ich Ihren Ruf hören, ob ich im tiefsten Schacht der Bergwerke von Irkutsk dem Licht der Gnomen folge, um die Adern edler Erze zu schürfen, oder einsam schweife auf einem Rentierschlitten um die kalten Seen Sibiriens – und ich bin bei Ihnen.«

Ohne einen Händedruck war er nach der Tür geeilt. Sie rief ihm nach:

»Nach Sibirien gehen Sie?«

»Warum schaudern Sie, gnädige Frau? Es ist warm auch am Eispol, wenn das Blut im Herzen pulst.«

»Ich dachte nur – ich war in Glogau, als der Erxner, der Raubmörder, nach Sibirien transportiert ward. Was man doch manchmal Närrisches denkt – wenn Sie auch so in Ketten hingeschleppt würden! – So fuhr er auch zusammen, wie Sie jetzt –«

Er verneigte sich noch einmal und war verschwunden. Sie sah ihm aus dem Fenster nach. So in sich versunken, hatte sie ihn noch nicht gesehen. Er erwiderte den Gruß zweier Bekannten nicht. »Er hat nur einen Fehler«, sprach sie bei sich, »er kann den Rittmeister nicht leiden. Aber – aber, er wird noch nicht – mit Sibirien hat's gewiß noch gute Weile.«


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