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Auch die Sonne hat Flecken, und auch in der glücklichsten Ehe gibt es Familienszenen.
»Ach, daß ein so schöner Tag so ausgehen muß!« seufzte die Hofrätin, aber der Kriegsrat blieb unerbittlich. Es war doch wie vom Himmel gefügt, daß sie mit einer so vornehmen, liebenswürdigen und freundlichen Dame Bekanntschaft gemacht. Die Herzensgüte sah man ihr an den Augen ab. Was konnte ihre Tochter davon profitieren! Sie war ganz gewiß, daß die Obristin Adelheid zu sich einladen würde, und wer weiß, wenn die Nichten mit ihr Freundschaft schlössen, ob sie nicht an ihren Privatstunden teilnehmen könnte. Ja, es wäre wohl möglich, daß die Obristin ihre Tochter ins Haus nähme, in Pension wollte sie gar nicht sagen, denn sie hätte wohl bemerkt, mit welchem Wohlgefallen sie die Adelheid immer angesehen. Und alle diese Vorteile und Aussichten wolle er mutwillig von sich stoßen. Und warum?
»Weil wir keine Equipage halten können«, rekapitulierte der Kriegsrat.
»Wie du auch bist, Mann! Wer redet denn davon. Aber den Christian von der Brösicke könnten wir heimlich in die Stadt schicken, daß er uns eine Lohnkutsche holt, von Herrn Verdrieß, dem Fuhrmann, er wohnt ja gleich am Halleschen Tor. Für einen Groschen tut's der Junge, ach, er tut's umsonst, aus Pläsier, daß er zurückkutschieren kann. Dann fährt der Kutscher vor, wir kommen mit Anstand in die Stadt zurück, und sie denken, 's ist unser Wagen.«
»Sie sollen nichts denken, was nicht wahr ist.«
»Alter, verstehe mich nur, 's ist ja auch nicht darum, daß wir was scheinen, was wir nicht sind. Für 'nen Registrator schickte sich's auch, aber – wenn Du nun Geheimrat wirst!«
»Kommt Zeit, kommt Rat.«
»Und bis dahin kommst du ins Gerede und wirst am Ende gar nicht Geheimrat.«
»Dann bleib ich Kriegsrat.«
»Und deine Tochter bleibt sitzen. Sie kommt ins Gerede. Wenn wir nun mit Sack und Pack unterm Arm trotten, liebster, bester Mann, und die Obristin kommt gerollt in der schönen Equipage, und die Adelheid trägt wohl gar wieder den Korb – ach, wird sie denken, das sind solche Leute! und du bist's, der das Glück deiner Kinder verscherzt hat, aus Eigensinn!«
»Da können wir ja gleich die Frau Obristin fragen.«
Sie kam. Und ehe noch das Wort: »Du wirst doch nicht?« von ihren Lippen war, mußte die arme Frau hören, was sie doch nicht von einem Manne, der auf Reputation hält, für möglich gehalten. Er mußte entweder sehr bös oder bei sehr guter Laune sein.
»Ach, du meine Güte!« rief die Obristin. »Liebe Frau Kriegsrätin, mein Mann war auch nicht immer Obrist. Und ich habe auch nicht immer den Mantel von Sammet getragen. Ein Korb am Arm, auch ein großer Korb, ist keine Schande; wenn man sich nur nicht mit jedem abgibt, der gelaufen kommt, da kann man auch im blauen Kattunspenzer ein honetter Mensch sein. Es ist schon recht, daß man auf Distinktion hält, und ich halte gewiß darauf, davon können Ihnen meine Niecen was erzählen; aber pfui, wenn man darum einen Menschen nicht ästimieren wollte, wenn er nicht mit Vieren fährt! Ich könnte Ihnen von Prinzen erzählen, haben den Stall voll Kutschenpferde und gehen zu Fuß aus, im Surtout bis über die Ohren zugeknöpft, und wenn sie anklopfen, man hört das gleich raus. So treten sie in die Hütten der Armut, und wie mancher, der hungert, wird von ihnen satt. ›Strecke jeder sich nach seiner Decke‹, das ist meine Maxime. Wer seine Nebenmenschen nicht achtet, den achte ich auch nicht. Meine liebe Frau Kriegsrätin, was ist aller Glanz dieser Erde! Eitelkeit, sagt der Herr Prediger, und wer solide handelt, der kommt am besten noch fort in diesem irdischen Jammertal. Und wenn ich nur Platz hätte in meinem Wagen, mein Gott, ich würde es mir ja zur größten Ehre rechnen, wenn ich eine so solide Familie mitnehmen könnte. Einen Platz haben wir noch; der stuckert aber so sehr. Und als wir Abschied nahmen, so legte der Herr Prediger die Hand auf meine Schultern und sagte: ›Eigentlich wollte ich bei keinem einkehren in dieser gottlosen Stadt; aber Sie sind eine rechtschaffene, eine solide Frau, Frau Obristin, zu Ihnen komme ich, bis ich mir ein Quartier gemietet habe.‹ Na, den Herrn Prediger sollen Sie kennenlernen, wenn Sie mir die Ehre erzeigen auf eine Schale Kaffee. In seiner Jugend hat er in Leipzig studiert, da haben wir geplaudert von –. Ich sage Ihnen, ein charmanter Mann.«
Der Kriegsrat seufzte: »Ach, Leipzig! Sie wissen nicht, was mich das gekostet hat.«
»Ja, 's ist ein teures Pflaster, und gar in der Messe. Na, das freut mich aber, daß Herr Kriegsrat auch da waren.«
»Mich gar nicht, liebe Frau Obristin«, sagte der Kriegsrat, der gemütlich seine Pfeife ausklopfte. »Es kostet' mich meine Karriere. Ich ließ mich, da ich in Halle studierte, verführen, mit andern meiner ältern Kommilitonen einmal nach Leipzig hinüberzureiten. Nur einen Tag; am nächsten kehrten wir zurück. Als mein Vater es erfuhr, bekam ich einen Brief. Das war ein Brief, nicht mit Tinte, mit Feuer geschrieben und Pech und Schwefel darauf! Der verlorene Sohn in der Bibel wird keinen solchen Brief erhalten haben, sonst wäre er nicht verlorengegangen. Ich mußte auf der Stelle zurück. Da standen schon die Pedelle, vom Rektor geschickt, und brachten mich auf die Post, und der Herr Postverwalter hatte mir einen Platz bestellt, neben dem Schirrmeister, daß er auf mich achthabe. Und als ich nun ins elterliche Haus kam! Meine arme Mutter in Tränen, und meine Schwestern! Acht Tage ward ich in eine Kammer gesperrt, fast bei Wasser und Brot, und mußte die Psalmen auswendig lernen. Aber das war noch gar nichts dagegen, wie mein Vater mir da am achten Tage selbst die Tür öffnete und mich so mit untergeschlagenen Armen ansah, ein Blick, daß mir das Herz im Leibe zu Stein ward, und mir ankündigte, daß es nun mit meinem Studieren aus sei. ›Nun versuche, du ungeratener Sohn‹, sprach er, ›ob du durch dein ferneres Leben es wieder gutmachen kannst, daß du deines Vaters Schweiß und deiner Mutter und Schwester saure Händearbeit zu solchen Extravaganzen vergeudet hast.‹ Der Bauerwagen stand vor der Tür, der mich in eine kleine Stadt brachte, wo ich als unterster Schreiber in einer Packkammer meine neue Karriere anfangen mußte. Sehn Sie, das kostet' mich Leipzig!«
Die Kriegsrätin war erstaunt, aber nicht ganz unzufrieden, daß ihr Mann durch die Obristin zu solchen vertraulichen Mitteilungen sich hinreißen ließ. Diese machte ihm ein Kompliment: »Wer weiß, wozu es gut gewesen. Die Studierten kämen oft nicht weiter, und wer klein anfinge, der hörte oft groß auf.«
»Mein Vater war ein strenger Mann, aber ein braver Mann, und er hatte recht«, sagte der Kriegsrat. »Denn meine Eltern mußten sich's schwer verdienen, daß sie nur durchkamen. Und was hatte ich in Leipzig zu suchen!«
Das gefiel der Kriegsrätin wieder nicht, daß er zu erzählen anfing, wie knapp es in seinem elterlichen Haus zugegangen. Die Obristin horchte aber sehr teilnehmend.
»Lieber Herr Kriegsrat, wir müssen uns alle durchs Leben schlagen, einer so, der andere so. Und nicht jedermann, der ein Sonntagskleid anhat, hat darum einen Braten auf dem Tisch, ja, ich weiß manchen im Seidenkleid, der oft nicht satt zu essen hat. Und was kosten die Kinder den Eltern! Erziehen muß man sie, anziehen doch auch, daß sie uns nicht zur Schande rumlaufen, und wenn sie wachsen, was haben sie für einen Appetit. Ich weiß manchen königlichen Herrn Geheimrat, der einen Livreebedienten hat – und er muß ihn haben – und fährt in seidenen Strümpfen aus, aber sonnabends, wenn die Köchin auf den Markt soll, da kratzen sie aus allen Schubladen die Groschen. Und, lieber Gott, die jungen Demoiselles will man doch auch verheiraten. Da müssen die lieben Eltern sie auf die Bälle führen, daß die Mannspersonen sie zu sehen kriegen; denn die Katze im Sack will keiner mehr kaufen. Das kostet auch Geld. Und das Ballkleid und die Blumen und Schleifen. Lumpig will man das Fleisch von seinem Fleische auch nicht gehn lassen. Und beißt ein junger Herr an, da muß man Gesellschaften geben, Spazierfahrten, wieder neue Kleider. Kostet alles Geld. Und dann kommen die Verwandten und erkundigen sich unterderhand nach der Aussteuer und Mitgift. Nu bitt ich Sie, von seinen achthundert Talern oder zwölfhundert Talern, oder kommt's hoch, fünfzehnhundert, soll er eine Mitgift gespart haben! Ein guter Vater muß ja alle seine Kinder ernähren. Und nun heiraten sie sich. Pure Liebe heißt es. Oh ja, aber Schmalhans ist Küchenmeister. Und nun kommen Kinder, eins übers andere, und wollen getauft sein. Da kommt die junge Frau zur Frau Mama und weint ihr das Herz voll, und die Frau Mama weint dem Vater das Herz voll. Geld soll er schaffen. Ja, wovon! Die andern Töchter sind auch rangewachsen. Die haben auch Sponsaden, möchten auch unter die Haube. 'ne Haube kostet noch nicht alle Welt, aber das andre. Na, ich sage doch, ein Vater mit vielen Töchtern und 'nem knappen Einkommen, das ist erschrecklich. Da ist doch besser, er bringt sie unter, gute Menschenherzen schlagen überall, und wer weiß, was den Kindern da blüht, daß der Vater nicht mehr nötig hat, für sie zu sorgen. 's ist manche vornehm geworden und hat ein schönes Sort gemacht und am Ende sich noch sehr anständig verheiratet, die ihr Leben lang 'ne alte Jungfer geblieben wäre, wenn sie nicht aus ihres Vaters Hause kam.«
Der letzte Teil ihrer Rede wurde wohl überhört, denn die jungen Mädchen kamen jetzt zurück. Sie hatten unter sich ausgemacht, nichts von dem Abenteuer zu erwähnen. Jülli und Karoline sprangen, als wäre nichts vorgefallen, Adelheid ging langsamer und bückte sich oft. Schlug ihr das Gewissen, daß sie etwas nicht Erlaubtes getan oder daß sie darauf eingegangen, es zu verschweigen? Die Aufforderung, für das Abendessen zu sorgen, war ihr willkommen. Im Hause schlüpfte sie rasch in die dunkle Hinterkammer und setzte den Fuß auf den Schemel, um mit einigen Flachsfäden aus dem Spinnrocken den Strumpf festzubinden. War es die alte Wanduhr oder ihr Herz, das so laut schlug? Ein heiseres Gelächter schallte plötzlich hinter ihr. Die Alte hatte sich aufgerichtet und stierte sie mit dem unheimlichen Gesichtsausdruck an: »Verloren – Strumpfband verloren! – hi, hi, hi! Das bedeutet was. – Der's fand, wird sich freuen. Hi, hi, hi!« – Das junge Mädchen floh, wie vor dem Spottgesang böser Geister.
Die Satte mit dicker Milch fand kein so frohes Publikum um sich versammelt als der Milchreis zu Mittag. Die Kinder waren müde, die jungen Mädchen in Gedanken, die Älteren hatten sich ausgesprochen. Alle drückte die Schwüle des Tages, der zum Abend geworden.
Aus dem Kruge schallte Tanzmusik. Reiter galoppierten auf dem Fahrwege heran, es waren Gendarmerieoffiziere. Sie hielten plötzlich an und lorgnierten die Gesellschaft. Mit einem häßlichen Gelächter gab der eine ein Zeichen. Die Frauen schrien, sie glaubten, die Reiter wollten den Tisch umreiten; sie ritten nur um den Tisch, einer hinter dem andern im Kreise, oft so nahe, daß die Pferde die Stuhllehnen berührten. Die Kriegsrätin ward blaß vor Schreck, der Kriegsrat vor Unwillen, die jungen Mädchen senkten die Köpfe, die Kinder waren ängstlich vor den Pferden. Die Obristin faßte den Arm des Kriegsrats unter dem Tisch und flüsterte ihm zu: »Es sind junge Leute.« Die jungen Leute aber beugten sich seltsam im Sattel, sie warfen Kußhände zu mit den Fingern, mit beiden Händen, sie miauten, schnalzten, krähten. Endlich waren sie wie der Sturmwind verschwunden, nachdem sie ein: »Auf Wiedersehn, allerliebste Engelchen!« der Gesellschaft zugerufen.
Der Schemel hinter ihm fiel auf der Erde, als der Kriegsrat aufsprang, und der Aufbruch war damit gemacht. »Gerechter Gott!« rief er, den Stock auf die Erde stampfend, »wann wird das endlich mal ein Ende nehmen! Gibt's keinen Fleck auf der Erde, wo man seine Töchter ruhig hinführen kann! Gibt's denn niemand, der dem Könige das sagt, denn er ist gütig und gerecht.«
Die Frau Kriegsrätin wehrte still die Obristin ab, die beruhigende Worte auf der Lippe hatte von Jugend und Tugend. »Um Gottes willen, Frau Obristin, jetzt keine Silbe, sonst bricht es los.«
Es schien aber schon jetzt loszubrechen, wenn auch nicht in Worten, als er den Hut aufstülpte, den Rock zuknöpfte und rief: »Nun, marsch nach Haus!«
Wir sehn die Familie auf dem Marsche. Es hatte jeder seine eignen Gedanken, darum war es heut abend so still, als es an manchem laut gewesen. Vergnügt war eigentlich nur die Kriegsrätin. Sie baute Schlösser in die Zukunft, und war ihr Wunsch nicht erfüllt, als ihr Mann der Obristin die Hand gedrückt und gesagt hatte: »Sie sind eine brave und praktische Frau. Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.« Eigentlich war das etwas unschicklich zu einer so vornehmen Frau gesprochen, aber sie hatte es nicht übelgenommen. Sie hatte die Hoffnung auf nähere Bekanntschaft ausgesprochen, aber nicht in der ordinären Weise, daß sie gleich zum Kaffee gebeten, sondern sie hatte gesagt, das würde sich ja schon alles finden und der liebe Gott es fügen, daß die zusammenkämen, die zusammengehörten. Aber beim Abschied – denn sie wollte noch am Krug vorfahren und einen Blick hineintun, weil sie Freunde ihres Mannes unter den Offizieren zu sehen geglaubt – hatte sie noch von dem roten Umschlagetuch aus Malaya ein Wort fallen lassen, und daß sie nur wünsche, daß die Mamsell Adelheid es einmal um die Schultern nehme. Das Tuch würde ihr doppelt lieb sein, wenn es dem englischen Kinde gut stände.
Der Weg war so schwer, die Luft so drückend. Die Kinder waren müde. Nur der Kriegsrat schritt stramm voran. Da ging ein Lüftchen durch die Ulmen, aber kein erfrischendes, es war der Vorbote eines nahenden Sturmes. Vom Templower Berge kamen dicke Gewitterwolken. »Wenn uns das noch träfe!« sagte die Kriegsrätin. Es fielen die ersten Tropfen, einzelne, aber sehr schwere. »Herr Jesus, Mann, ob's nicht besser wäre, wenn wir umkehren ins Dorf? Die Stadt erreichen wir nicht mehr.« – Der Kriegsrat wies schweigend mit dem Stock zurück. »Ich kehre nicht um.« Hinter ihnen war die dunkle Wetterwand aufgestiegen, von Blitzen schon durchzuckt, und am sternenflimmernden Horizont näherte sich die Wand den beiden Wolken. »Wenn das zusammenstößt!« – »Wenn das uns träfe.« – »Es trifft uns schon!« Der erste Donner rollte dumpf über die Fläche. Der zweite, dritte war schon näher. Jetzt tröpfelte es nicht mehr, es prasselte. »Unter die Bäume! Dicht unter die Bäume!« rief die Mutter. Die Bäume halfen wenig, und bald hatten sie die letzte der breitwipfligen Ulmen erreicht, von wo ab das freie, weite Blachfeld vor ihnen lag, und kein Schutz vor dem Regen, der nicht mehr strömte, es schoß und goß.
Sie standen unter der letzten Ulme, die dicht um ihren Stamm noch ein Wetterdach vor dem Wolkenbruch von oben gewährte, aber nicht vor dem Regen, den der Wind heranschlug. Sie standen auf den vom Erdreich losgespülten Wurzeln, um nicht im puren Wasser zu stehen, das schon über den Boden wallte; Jette hatte sich im Gehen Strümpfe und Schuhe abgestreift, ihr Sonntagszeug nicht zu verderben. Die Frauen schürzten ihre Kleider; schickte es sich aber auch für sie, die Schuhe auszuziehen? – »Die Kinder aufgenommen!« rief der Vater. Jette hatte den Kleinsten auf die Schulter gepackt, Adelheid dafür den von ländlichen Einkäufen schweren Korb aufgenommen. Der Vater wollte die Klara aufheben, das Wasser, das aus seinem dreieckigen Hute wie aus einer Rinne goß, überschüttete das Kind. Das dritte nahmen sie zwischen sich.
Es waren furchtbare Minuten. Das Wasser klatschte, mit blauen Blitzstrahlen gemischt, auf die Erde, vor ihnen nur ein wellender Spiegel, vom Winde gepeitscht. Ein Totenschweigen, nur durch das Gewimmer der Mutter einmal unterbrochen: »Und alles das, um acht Groschen zu sparen. Du rechnest auch nicht, was die verdorbenen Kleider wert sind!« Die Antwort des Vaters übertäubte ein Aufschrei aus aller Munde. Der Regen von den höher gelegenen Feldern zur Rechten ergoß sich in einen Graben, der in der Regel ganz trocken und verschüttet war. Das aufschwellende Wasser brach den Damm und wühlte, ein breiter Bach, den Fußsteg auf, dicht vor der Ulme, und ein immer tieferer und rauschender Strom schnitt der Familie den Weg nach der Stadt ab.
»Seht nicht in die Blitze, das verdirbt die Augen!« rief der Vater. »Wenn's nur nicht so gräßlich donnerte!« jammerte die Magd. »Und unsre besten Sonntagskleider sind hin!« – »Uns erwartet ein trocknes Haus und warme Betten«, sagte der Vater. »Denk dir unsre armen Soldaten im Kriege, die haben kein Haus und keinen Mantel.« – »Aber ihre Monturen muß der König bezahlen«, entgegnete die Kriegsrätin. »Wer bezahlt der Adelheid das neue Kleid? Und wenn sie's Fieber kriegt!« – »Oh Gott, wir gehn alle unter«, schluchzte wieder die Magd, als ein stärkster Donnerschlag dicht über der Erde hinzurollen schien. »Wär ich doch nie in den Dienst gegangen!«
Da schien das stärkste Gewitter sich entladen zu haben. Die zusammengekeilten Wolken brachen. Es rauschte noch vom Himmel, und er schien sein blaues Licht niederzugießen, aber man hörte auch schon wieder die Bäume rauschen, und der Donner ward dumpfer. Man hörte auch einen Wagen. Die Pferde stampften im Wasser. Es war die Obristin mit ihren Nichten. Ein heller, lang andauernder Blitz – ein Schrei der Freude und des Schreckens.
Hätte die Frau Kriegsrätin doch mögen in die Erde versinken, als der Kutscher hielt. Ach, es war weder Zeit, sich zu schämen, noch Toilette zu machen. Die gute Obristin hätte so gern alle mitgenommen! Was an Platz war in der Kutsche, sie sollten nur kommandieren; die Kleinen wollten sie schon auf den Schoß nehmen. »Mann, um Gottes willen, du wirst doch nicht jetzt Bedenklichkeiten machen!« Hinsichts der drei Kinder machte er auch keine, sie waren rasch hineingeschoben. Aber wer sollte den leeren Eckplatz einnehmen! Die Kriegsrätin hätte sich ja nimmermehr hineingedrängt. Sie war so stark und naß, und in solchem Aufzuge! »Väterchen, du«, rief Adelheid. Konnte er Mutter und Tochter allein in Nacht und Regen lassen! »Kommen Sie, Adelheidchen, Sie erkälten sich ja ganz die Füßchen«, rief die Obristin. »Wenn für die Kinder gesorgt ist, für die Eltern sorgt der liebe Gott.« Der Kutscher entschied in letzter Instanz über alle Bedenklichkeiten. Er ließ mit einem Donnerwetter, wenn's nicht bald würde! die Peitsche knallen, und ich glaube, er hätte sein Wort gehalten.