Willibald Alexis
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht
Willibald Alexis

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Zehntes Kapitel.
Wachtstuben-Abenteuer.

»Hol euch alle der –«, rief der eine Spieler und warf die Karten auf den Tisch. Das Tarockspiel war beendet. Er zog die lange seidene Börse, um die letzten Goldstücke dem Gewinner hinzuschleudern. Bei der Berechnung ergab sich, daß sie nicht reichten. Er ließ sie zurückgleiten, machte einen Knoten und steckte die Börse in die Tasche. »Am nächsten Gagetag!«

Ein höhnisches Gelächter antwortete darauf. Es waren Offiziere, der Ort des Spiels eine Wachtstube. Der Verlierende war in einer Parüre, die auf den ersten Anblick allerdings Zweifel ließ, ob er der Mann sei, um einen bedeutenden Spielverlust durch die Einnahme eines Gagetages aufzubringen. In einem nicht mehr ganz reinlichen Kamisol, das zerknitterte Hemde nur durch eine leichte Binde um den Hals festgehalten, die Füße in Pantoffeln, im Munde eine Tonpfeife, verriet nur die gelbe Weste unter dem Kamisol und die auch etwas vernachlässigte Frisur den Offizier. Aber der Kapitän war ein Arrestant; die Wachtstube sein Gefängnis.

»Ihre nächste Gage, Herr Bruder, gehört ja dem Schneider«, sagte der Wachthabende, der einzige unter den Spielern, dessen Parüre in parademäßigem Zustande war. Das vielstündige Spiel hatte bei den andern manche Manquements in der Adrettität zur Folge gehabt.

»Den schmeißt er wieder zur Treppe runter«, sagte der Kornett, auf dem Schemel kippend.

»Und dann kommt der Ephraim und der Levi.«

»Die bestellt er auf dieselbe Stunde wie neulich, und sie müssen warten, bis er rausrufen läßt: ›Einer soll rein, denn einer kann heut nur bezahlt werden.‹ Dann fallen sie sich in die Bärte, prügeln sich, und er läßt sie wegen Ruhestörung arretieren. Onkel und Herr von Kniewitz, schade, daß Sie nicht dabei waren. Es war ein kapitales Stück. Ich sehe noch die blanken Taler und die Judengesichter, neu geprägt, auf dem Tische; die Sonne schien drauf. Freilich, der Regimentsquartiermeister stand dabei. Hatte sie ihm nur auf eine Viertelstunde geliehen. Aber die Juden! wie sie sie zu Gesicht kriegten; sie trauten zuerst ihren Augen nicht. Nu einer dem andern vor wie Wasser aus 'ner Schleuse, und eh einer die Hand an den Tisch gebracht, einer den andern zurück, an Brust und Kragen, beide auf der Erde, kopfüber, das strampelte und schrie.«

»Wenn sie sich nun vertragen und geteilt hätten?«

»War mir gar nicht bange, Onkel! Der Kapitän versteht's. Du hättst ihn sehn sollen. Nicht die Miene verrückt, und mit einemmal schoß er auf, Augen wie der Alte Dessauer: ›Schafft mir die Bestien aus den Augen. Auf die Wache mit den Schuften, die so den Respekt vor dem Rock des Königs verletzen.‹«

»Dafür soll er leben!« Der Wachthabende stieß an. Die Gläser klangen.

»Und die Straßenjungen hinter den Juden her«, setzte der Kornett hinzu, »es war ein Schauspiel für Götter!«

»Eigentlich ist's contre façon«, sagte der Kapitän, »daß christliche Offiziere einem Kameraden ausziehen, was die Juden übriglassen! Und noch dazu einem gefangenen, den ihr in eurer Gewalt habt.«

»Hört den Fuchs! Du müßtest doppelt blechen, weil wir unser Renommee aufs Spiel setzen. Mit einem spielen, der mißliebig ward, sich vergangen hat an einem kaiserlich russischen Gesandten!«

»Sitz ich etwa darum, daß ich den auf der Maskerade emittiert habe? – Euretwillen, ihr Herren Gendarmen, allein um euretwillen! Weil ihr damals dem Pfaffen bei der Malchen das Katzenständchen brachtet. Majestät waren fuchswild; aber ihr wurdet durchgeschwatzt. Das kennt man schon, wenn's nur an die Kavallerie gehn soll. Für den nächsten war's aufgehoben, und das war ich. Und nicht um den Alopeus, sondern um den Pfaffen bin ich der Sündenbock.«

Der Kornett strich seinen Milchbart, als wäre es wirklich schon ein Knebelbart, sein Oheim, der Rittmeister, lächelte und drehte seinen vollen rotschimmernden mit stillem Vergnügen in die Höhe: »Nicht wahr, Fritz, das war auch ein kapitales Vergnügen?«

»Kostet mich bare hundert Friedrichsdor, die ich dem Onkel pumpen mußte nachher in der Weinstube. Aber, Onkel, weiß du, ich hätte dir noch hundert zugepumpt, wenn du hättest ›Absitzen!‹ blasen lassen.«

»Ich glaub's dem Jungen«, sagte der Rittmeister, »der hätte gern oben Ordnung gemacht.«

»Die Predigermädels sahen wir noch. Na, die passierten; aber die Bescherung nachher hätte ich sehn mögen.«

»Glaub's auch«, sagte der Onkel und wirbelte noch immer am Bart. »Na, davon muß man jetzt nicht reden. Du vor allem nicht. Wie stehst du denn mit der Komteß Laura?«

»Davon redet man nicht«, erwiderte der Kornett, sich gemächlich, ein Bein übers andre, im Schemel wiegend und aus den übermütigen Lippen den Rauch blasend.

»Verfluchter Junge, der!« sagte der Onkel. »Dem ist's Glück mit der Muttermilch angeblasen. Solchem Milchbart, der kaum flügge ist, muß sie winken.«

»Fortuna ist ein Weibsbild!« seufzte der Gefangene.

»Und wenn man den General nicht fängt, ist man zuweilen mit dem Kornett zufrieden«, bemerkte der Wachthabende.

»Werde Sie um Erklärung nachher bitten lassen, Herr Lieutenant!« sagte der Kornett, ohne seine Stellung zu ändern.

»Kiekindiewelt!« rief der Rittmeister. »Kornett Wolfskehl, genannt zu Ritzengnitz, ein Kornett kann keinen Offizier um Erklärung bitten lassen.«

»Der wäre imstande und forderte den Prinzen selbst«, sagte der Arrestant. »Gefällt mir an ihm. Solche lieben die Damen. Plaudert nicht am Morgen in der Wachtstube die Eroberungen der Nacht aus.«

»Fritz, merkst du was! Der Kapitän spekuliert auf deinen Beutel. Lob ist nicht umsonst. Revanchiere dich, bezahl seine Schulden. – Er rührt sich wahrhaftig nicht. So ein junger Glückspilz! Das war das pfiffigste Stück meiner seligen Schwester, daß sie ihren Alten beschwatzen mußte, ihn mit einundzwanzig mündig zu erklären. Um 'ne halbe Million das Pupillenkollegium betrügen! Als ob die Weiber das nicht wüßten, auch ohne Pupillenkollegium, und nun bildet sich der Junge ein, 's ist um sein glattes Gesicht.«

»Onkel, wir stehn in Relationen.«

»Halt's Maul! Willst du dem Herrn Kapitän seine Spielschulden vorstrecken? Das ist das Vernünftigste, was du tun kannst.«

»Mit Vergnügen, lieber Onkel, sobald du deine Wechsel bei mir eingelöst hast.«

»Kinder, nun bitte ich euch, ist das nicht gegen die Moralität, daß ein Neffe von seinem Onkel Wechsel hat! – Hast neulich erst in der Garnisonkirche gehört, was der Prediger von der Sittenverderbnis sprach. Pfui!«

»Herr Bruder haben recht«, sagte der Wachthabende. »Überhaupt solche Papierwische. Wär ich König, ich ließe alle Wechsel verbrennen.«

»Fritz, nimm also Räson an, willst du?«

»Bin nicht bei Kasse.«

»Bin ich's etwa?«

»Laßt den Horstenbock nur erst loskommen«, sagte der Wachthabende. »Er findet auch noch einen Salomon Schmuel, der ihm fünfundvierzig Prozent auf den fünfundvierzigsten Gagetag vorschießt. 's sind christliche Gemüter unter der löblichen Judenschaft.«

»Reinen Tisch!« rief plötzlich der Rittmeister, »quit ou double

Auf dem unreinen, wie eine Wachtstube ihn mit sich bringt, mischte er die zergriffenen Karten und blickte fragend den Arrestanten an. Er nickte Zustimmung:

»In sechs Monat.«

»Quit ou quadruple –«

»Was?« Alle sahen sich verwundert an.

»Quit ou quadruple, à payer, wenn Horstenbeck 'ne Kompanie hat!«

Alle lachten; das Interesse steigerte sich, sie rückten wieder näher an den Tisch. Darin war Vernunft. Die vervierfachte Summe des Spielgewinstes war ein Kapital, aber eine Kompanie war auch ein Kapital. Der Kapitän schlug ein.

»Und meinen Neffen, dem Kornett, verkauf ich sie für neunzig. Nutzt der Junge wieder sein Geld mit zehn Prozent.«

»Was ein guter Onkel nicht tut!« lachte der Lieutenant. »Aber wenn nun Krieg wird?«

»Tant mieux!« rief der Arrestant. »Wenn mich 'ne Kugel trifft, lach ich euch alle aus.«

»Rot oder schwarz?« rief der Wachthabende, die Karten noch einmal zu dem wichtigen Spiel häufelnd.

»Rot!« rief der Rittmeister. Also »Schwarz!« der Kapitän.

»Verloren!« jubelte der Kornett auf, mit den Fingern schnalzend. »Onkel, verloren!«

Der Arrestat warf diesmal nicht die Karten auf den Tisch, er trocknete die Nässe, nämlich vom Wein, der auf dem Tisch reichlich floß, mit dem Ärmel ab, und legte sie sorgfältig zusammen: »Rittmeister, ein andermal bin ich zur Revanche bereit.«

»Die hat Dohleneck nicht nötig. Wer so viel Glück in der Liebe hat, hat's nicht im Spiel.«

Es prustete unter den Anwesenden auf, der Kornett wollte sich überschlagen.

»Herr Bruder, Sie haben unrecht«, sagte der Wachthabende, als eine Wolke auf der immer heiteren Stirn des Rittmeisters sich zusammenzog, »die Geschichte mit der Tänzerin noch immer als eine partikuläre zu betrachten. Sie ist eine Korpsangelegenheit.«

»Eine verflucht knifflige Geschichte, erinnre ich mich«, sagte der Arrestat, »sie kam ja bei allen Offzierkorps zur Sprache. Die Meinungen waren sehr geteilt.«

»Kinder!« rief der Rittmeister. »Über die Sache ist längst Gras gewachsen. Laßt die Toten ruhen.«

»Den Teufel auch«, rief der Wachthabende. »Der Louis Bovillard ist noch lebendig, und wie! Die Sache muß noch mal zu Ende kommen.«

»Die Hetzpeitsche!« jubelte der Kornett.

»Man wäre auch schon einig darüber geworden, wenn nicht –«

»Der Vater wäre.«

»Der sollte uns nicht genieren. Wenn man nur wüßte, ob er nicht doch ein Edelmann ist.«

»Das müßten ja die Listen der Refugiés ergeben.«

»Sind nachgeschlagen, soweit wir zukonnten; da muß sich der Alte oder Lombard zwischengelegt haben, und unsre fanden verschlossene Schränke. Zwei verschiedene ältere Listen hatten wir nachgesehen. Zu der einen war ein Pierre Bovillard aufgeführt mit dem Zusatz confiseur; in der andern ein Sieur Pierre-Bertolet Fulcrand de Bovillard, maître de Cerisé. Da standen wir nun am Berge. Der Obrist wollte es mal unterderhand von Lombard erfahren, der Fuchs mußte aber Lunte riechen und antwortete: alle Refugiés stammten direkt von Adam, und alle unsre Väter wären einmal Perückenmacher gewesen!«

»Ein Skandal!« Der Arrestat spuckte.

»Aber kriegen wir's raus, daß er vom Konditor ist –«

»Die Hetzpeitsche!« jubelte der Kornett. »Ich habe ein paar Burschen aus der Neumark, die wissen sie zu applizieren. So halb polnische Rasse. Haben's an ihrem eigenen Rücken gelernt, und teilen herzlich gern anderen ihre Erfahrung mit.«

»Modération! meine Herren Brüder!« sagte der Rittmeister aufstehend. »Wenn einer von uns den Bovillard vor die Klinge fordern könnte, tant mieux, von Herzen gern, so wäre der Geschichte mit einemmal der Kopf abgeschnitten. Bis dahin aber – vergessen Sie nicht, daß es anders ist, als es war –«

»Muß wieder werden, wie's war!« trumpfte der Arrestat mit der Faust auf den Tisch. »Wenn sie uns die Fuchtelklinge nehmen, ist's mit der Disziplin aus. Aber kommt noch mehr eingeschobene Kanaille in die Armee, adieu dann Esprit de corps, adieu Friedrichs Geist, adieu Preußens Ehre!«

Eine Ordonnanz überbrachte ein rosa Billet, mit Vergißmeinnicht sauber verschlungen; es schien ein Spott auf die dampfende Wachtstube: »Herrn Rittmeister Stier von Dohleneck eigenhändig zu übergeben.«

Der Empfänger mußte es an das trübe brennende Talglicht halten, um in dem Tabaksrauch die feingekritzelte Adresse zu lesen: »Von wem?«

»Ein Frauenzimmer brachte es. Sie wollte aber nicht bleiben.«

»Ein Rendezvous! – Warum ist sie nicht selbst gekommen, das liebe Kind? – Kann nicht mal abwarten, bis er von der Wache zurück ist.«

Der Rittmeister hörte nicht auf die Raillerien. »Hier ist's zu dunkel. Herr Bruder von Horstenbock erlauben wohl, daß ich's bei ihm am Fenster lese.« Ohne eine Antwort abzuwarten, war er in die daranstoßende Kammer getreten, die Tür hinter sich zuwerfend.

»Vielleicht von der Jenny!« rief der Kornett. »Sie hat Reue gekriegt und ist zurück.«

Der Arrestat fragte nach dem eigentlichen Zusammenhang der Geschichte, die ihrer Zeit so viel zu reden gemacht. Er hatte damals in der Provinz gestanden und nur Widersprechendes darüber gehört. Dohleneck hörte jetzt nicht zu, es sei also kein Grund, hinterm Berge zu halten.

»Herr von Dohleneck war nur unser Deputierter«, sagte der Wachthabende, »es ist daher töricht, wenn er sich die Sache persönlich zu Herzen nimmt. Das Persönliche verschwand bei der Sache gänzlich, und er war nur der Vertreter für das Allgemeine. Wie der Prinz zuletzt mit dem Blitzmädchen stand, weiß jedes Kind. Ob er aber wirklich so vernarrt war, wie er vorgab, das weiß der Himmel. Eines Abends beim Champagner verschwor er sich gegen ein zehn von uns, die er invitiert, die Hexe wäre so speziell in ihn verliebt, daß sie auf keinen andern hören würde. Nun müssen Sie gestehen, meine Herren, daß das für uns eine direkte Herausforderung war. Wer wußte nicht, wie's um die Jenny stand? Also wir hielten im geheimen eine Art Kriegsrat, und es war auch nicht eine Stimme dagegen. Es war eine Korpssache. Auf der Stelle ward zusammengeschossen, bar, es kam eine erkleckliche Summe zusammen, und zwei wurden ausgelost. Sie müssen auch gestehen, Herr Bruder von Horstenbock, daß das loyal und kavaliermäßig gegen den Prinzen gehandelt war.«

»Und klug auch. Die Liebenswürdigsten und Hübschesten zu wählen, wäre doch eine kitzlige Sache für die Kameradschaft gewesen.«

»Es fiel auf Dohleneck und einen andern. – Ein Billett an die Tänzerin bat um die Erlaubnis, bei ihr ein Souper en trois nach der Oper zu arrangieren, und dies kleine Souvenir mit dem Vergißmeinnicht als Angebinde anzunehmen. Drin lagen hundert Dukaten. Die Antwort war: sie werde das Vergißmeinnicht zum ewigen Andenken bewahren und den Tisch decken lassen. Unser Koch hatte während der Oper ein kaltes Souper, exquisite Sachen von Sala Tarone, arrangiert, und die Jenny sprang ihnen schon an der Treppe entgegen. War auch keine Silbe die Rede von Tugend und Treue, sie war ausgelassen lustig und sagte, sie wäre schrecklich hungrig. Unsre Kameraden waren's auch. Aber kaum fliegt der erste Pfropfen an die Decke, als ein Wagen vor die Tür rasselt. Sie erschrickt: ›Er wird doch nicht.‹ Kaum hat sie das Tüchlein wieder um den Hals genestelt, als es die Treppe raufknarrt. Nu aufgesprungen, als die Kammerkatze reinstürzt: ›Herrjemine, der Prinz, Mamsell!‹ – ›Retten Sie sich!‹ ruft die Jenny und wirft das eine Kuvert in den Waschkorb. Die Offiziere wollen ins Nebenzimmer fliehen, da holt sie die Katze zurück: ›Meine Herren, um Gottes willen, da kommt er ja durch.‹ Retour also, und wollen zur Stubentür auf den Flur. Da klirren seine Sporen, und er klopft. – ›Hannchen, mach' auf!‹ ruft die Jenny und hat derweil schon den großen Kleiderschrank aufgerissen: ›Meine Herren, ist's gefällig?‹ Platz hatten sie drin, das ist wahr, und die süßesten Erinnerungen an alle Schäferinnen und Göttinnen, die in den Kotillons gesteckt, aber – nun, das übrige ist kaum nötig zu erzählen. Verschlossen waren sie, und der Schlüssel steckte in Jennys Tasche, und Jenny hing am Halse des Eintretenden und bat ihren herzgeliebten Louis und schönsten Louis und einzigen Louis um Verzeihung, daß sie nicht auf ihn gewartet, aber sie wäre zu durstig gewesen vom Echauffement.«

»Merkten sie's da?«

»Auf parole d'honneur haben sie vor unserem Ehrengericht versichert, der Kerl hätte täuschend den Prinzen gespielt.«

»Sie konnten alles hören?«

»Jedes Anstoßen, jeden Kuß, das Kritzeln mit dem Messer auf dem Teller.«

»Donner und Wetter!«

»Zwei Pfropfen hörten sie gegen die Decke knallen, selbst durstig zum Verkommen und hungrig auch. Zwei Stunden saßen sie am Tisch.«

»Bloß am Tisch?«

»Meine Herren, bedenken Sie, es waren Offiziere, die da für ihre Kameraden standen. Ja, sie haben eingeräumt, zuletzt entdeckten sie durch eine Ritze, daß es Bovillard war. Was aber war zu tun? Ich frage Sie, Kapitän, hätten sie poltern sollen?«

»Eine verfluchte Situation und eine Frage, daß einem der Kopf schwindelt. Wenn ich für mich dagestanden –«

»Hätten Sie die Tür gesprengt. Sehr richtig. Aber in dem Schranke stand das ganze Offizierkorps; das erwägen Sie.«

»Nein, da durften sie's nicht.«

»So entschied auch unser Ehrengericht.«

»Aber was ward nachher daraus?«

»Sie hörten rutschen, packen, Kisten und Kasten aufreißen – man sprach unter Gekicher davon, auf den Apolloball zu gehen.«

»Und nachher?«

»Keiner schloß auf. Blieben sitzen.«

»Kam denn nicht die Kammerkatze?«

»Nicht Katze, nicht Maus; die war mit der Jenny fort. Kurzum, wie Ihnen bekannt sein wird, die Tänzerin war mit Extrapost nach Leipzig gefahren. Ist heut noch nicht zurück. Nicht einmal austrommeln lassen konnte man sie. Die Wirtin mußte endlich, als sie zu poltern anfingen, das Schloß aufbrechen lassen. Frei waren sie da freilich, aber –«

»Von wem nun Satisfaktion!«

»Meine Herren, ich versichre Sie, die Sache hat uns allen schwere Nächte gemacht. Was sollten wir tun? Bovillard fordern? Wenn es damals noch ging! Aber die Räson! Hatten sie's denn mit ihm zu tun gehabt? – Er stellte sich gegen Dritte als die pure Unschuld. War bei der hübschen Tänzerin gewesen, hatte sich ungemein amüsiert. Sollten wir uns nun blamieren und ihm mit dürren Worten sagen, daß wir uns nicht amüsiert hätten? Durften wir überhaupt an die große Glocke schlagen? Durften wir es vor dem Prinzen? Wer wußte denn, ob er nicht mit im Spiele steckte? Ob er's nicht eingeleitet, um mit guter Manier die Jenny loszuwerden! Es war ja ein Labyrinth, ein Wespennest, in das wir stachen. Gott weiß, was draus geworden wäre. Dohleneck und der andre wollten ihren Abschied fordern. Das ging auch nicht. Sie waren ja wir. Das ganze Offizierkorps hätte den Abschied nehmen müssen. Meine Herren, ich versichere Sie, es war eine Hundegeschichte, und dazu den Bovillard ansehen müssen, der wie der Sonnenschein über die Parade spazierte.«

»Sag ich doch, man hat zuweilen im Leben Pech und weiß nicht, wo's herkommt.«

Der Rittmeister hatte die Worte des Arrestaten noch gehört, als er eintrat, den rosa Brief auf den Tisch warf und sich auf den Schemel: »Ist das Pech oder nicht, oder was ist es? Ich weiß es nicht.«

»Onkel, ein Rendezvous? Will's dir abkaufen, unbesehen. Bin generös. Den ersten Wechsel dafür.«

»Lest mal das Zeug. Ich krieg's nicht klar.«

Der Arrestat las: »Wenn ein menschliches Herz in Ihnen schlägt, so setzen Sie Ihr Betragen nicht fort. Mein Gott im Himmel, ist es denn möglich, daß ein Kavalier, ein Offizier des Königs, ein Mann, dem man sonst gute Eigenschaften nicht abspricht, im Martern eines weiblichen Herzens sein Vergnügen finden kann! Wenn Sie auf unsre Bitten nicht hören wollen, wenn Sie Ihre Schwadron täglich vorüberreiten lassen müssen, treiben Sie den Hohn wenigstens nicht so weit, immer vor ihrem Fenster den Bart zu streichen. Sie sehen freilich nicht die Dolchstiche, die es in das Herz der Armen drückt, denn die Balsaminen verbergen sie Ihren Augen. Wir verteidigen die Arme nicht, sie ist ein schwaches Weib. Sie verspricht uns wohl am Abend, morgen will sie sich in die Hinterstube verschließen, aber wenn Ihre Trompeter um die Ecke blasen, reißt es sie mit unwiderstehlicher Gewalt ans Fenster. Wenn sie dann schluchzend, ohnmächtig in unsre Arme sinkt, verspricht sie uns freilich, es soll das letztemal gewesen sein, aber – vielleicht wird es einmal das letztemal sein. – Bietet denn eines Mannes Brust eine so unerschöpfliche Höhle für das Rachegefühl, daß er nie vergeben kann, und einer Frau, einer schönen Frau? Sie hat Sie beleidigt, ja, das geben wir zu, aus Übermut gekränkt, aber das Herz des Weibes gehört den Impulsen. Was wären wir, wenn wir ihnen nicht mehr gehorchten! – Damit Sie es denn wissen, ja, dies Gefühl, Sie gekränkt zu haben, ist es, was an ihrem zarten Dasein nagt, diese Vorwürfe, die krampfhaft ihre Brust durchschüttern, die sie im Schlaf aufschreien lassen, die Wermut in den Becher der Freude träufeln. Und das könnte ein Mann ruhig ansehen und sich durch die Qualen, die er einer Frau bereitet, geschmeichelt fühlen! – Nein, mein Herr, es kämpft noch immer mit mir der Gedanke, daß unter diesem brüsken, zur Schau getragenen Affront – ein andres Gefühl sich nur gewaltsame Selbsttäuschung erheuchelt! – Ich wiederhole meine Bitte, besinnen Sie sich, nehmen Sie Urlaub; entfernen Sie sich einige Zeit aus Berlin. Die Zeit heilt viele Wunden. Es ist alles vorbereitet; man wird Ihnen bereitwillig Urlaub erteilen. Auch wenn Sie augenblicklich der Mittel entbehrten, soll dafür gesorgt werden. Es gilt ja das Glück einer der edelsten Seelen. – Bleiben Sie aber doch – dann, dann – nein, ich lasse es mir nicht abstreiten, was ich ahne – dann hören Sie mehr von mir.«

»Na, was ist das, Dohleneck?«

»Ja, was ist's? So soll doch Gott den Teufel totschlagen, wenn ich 'ne Sterbenssilbe von verstehe!«

»Der Brief deutet auf andres, was voranging?«

»Freilich, schon zwei solche Wische, und neulich auf der Maskerade wird mir was ins Ohr geflüstert. Ich glaube, ich bin in einem Tollhause.«

»Herr Bruder, besinnen Sie sich«, sagte der Wachthabende. »Da sind ja viele Indizien im Briefe: – eine schöne Frau, also ist's kein Mädchen, eine Frau, die Sie beleidigt hat, eine Frau, an deren Fenster Sie täglich vorbereiten. An welcher Ecke lassen Sie die Trompeter blasen? Und Balsaminen stehn am Fenster.«

»Onkel, übertrag's mir, ich krieg's raus. Du bist immer so kommode. Hast's lieber, wenn 's Mädchen zu dir kommt, als daß du zu ihm gehst.«

»Herr Bruder haben wahrscheinlich einige Avancen nicht bemerkt«, sagte der Arrestat, »so was nimmt das Frauenzimmer übel.«

»Das will ich meinen«, rief der Kornett. »Aber Onkel ist auch jetzt sehr interessant geworden seit der Geschichte mit der Jenny.«

Der Rittmeister hörte ihn nicht, er saß, den Ellenbogen auf dem Tisch, die Faust an die Stirn gedrückt.

Der Arrestat überflog das Billett –

»Es muß eine Frau von Distinktion sein.«

»Das will ich meinen«, rief der Kornett. »'s ist ja mein Onkel. Wie wird sich was Ordinäres an den hängen! – Onkel, noch einmal, überlaß mir's. Parole d'honneur, ich handle nur für die Familienehre, nicht für mich. Eines Abends bring ich sie dir im dichten Schleier in die Kaserne. Schubs in die Tür hinein: Nun versöhnt euch! – Nachher will ich sie auch wieder nach Hause bringen. Kann ein Neffe mehr für 'nen Onkel tun!«

Der Rittmeister war aufgesprungen. Ein Licht schien auf seiner Stirn zu leuchten, und doch glänzten die Augen nicht wie eines Liebenden, der im Morgenschein ein lieblich Bild sieht, sondern wie eines aufgeschreckten Schläfers, dem ein Gespenst an der Wand vorübergleitet:

»Donnerwetter! Schockschw – –! wenn die es wäre!«

Da öffnete sich die Türe, und der Gefreite schritt gravitätisch auf den Wachthabenden los.


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