Willibald Alexis
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht
Willibald Alexis

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Dreizehntes Kapitel.
Auch eine Lehrstunde.

In dem Gespräch zwischen der Geheimrätin und dem Legationsrat mochte auch schon weit über eine Stunde verstrichen sein. Es war gewissermaßen auch eine Lehrstunde, aber vom ursprünglichen Gegenstande mochten sie ebenfalls weit abgeschweift sein. Wir fanden neulich die Geheimrätin in ägrierter Stimmung auf den bewunderten Mann. Jetzt saßen sie beide im intimsten Seelenverkehr auf dem Kanapee. Die Aussöhnung war längst erfolgt. Am Morgen nach der Gesellschaft war er schon vor Mucius und vor Selle dagewesen, er hatte ihr von dem präparierten Äther gebracht, der sie wunderbar schnell gestärkt und hergestellt. Er hatte Mucius durch seine Kenntnisse, die er in bescheidene Fragen einkleidete, überrascht, daß der Doktor beim Weggehen geäußert: »Das ist ein Tausendkünstler, Madame! Den müßten wir setzen lassen, daß er uns nicht ins Handwerk pfuscht!« Hatte er nicht Selle, der durch das Versehen des Dieners auch bestellt worden, so geschickt in die Konsultation zu ziehen gewußt, daß er die Verlegenheit der Geheimrätin nicht merkte!

Wie gesagt, es war alles ausgeglichen – zwischen ihnen, aber nicht die tiefe Falte auf ihrer Stirn. Noch heut verriet sie den Riß in der Brust.

»Ich werde gar keine Gesellschaften mehr geben«, hatte sie gesagt.

»Gott sei Dank!« sagte er.

»Warum?«

»Weil Sie endlich zur Überzeugung kamen, daß man das Für-die-Menschheit-sich-Opfern den Narren überlassen muß.«

»Sie meinen doch nur für die reale Menschheit, die in ihren Flitterkleidern ihre Armseligkeit zu verbergen sucht.«

»Und was ist die nicht reale Menschheit? Sollen wir uns für den Begriff begeistern, der zwischen Adam und dem jüngsten Wiegenkinde liegt?«

»Aber was ist der Mensch, der sich für nichts interessiert! Für irgend etwas muß er doch der Opfer fähig sein, er muß leben, oder er kehrt zum Tier zurück.«

»Physiologen behaupten, daß jedes Menschengesicht eine Ähnlichkeit mit einer Espèce derselben hat.«

»So wäre es an uns, zu entdecken, mit welchen wir Verwandtschaft haben. Und wenn wir's wissen, sind wir am Rande unsrer Erkenntnis.«

»Moralisten behaupten, daß es alsdann unsre Aufgabe sei, dieses Tier zu bekämpfen.«

»Mit welchem haben Sie zu kämpfen?« fragte die Lupinus.

»Sie sind in ägrierter Laune, teuerste Frau. Das ist eigentlich die beste. Mit diesem moralischen Scheidewasser spülen wir am schnellsten die sensualen Auswüchse ab, die uns an unserm Glück hindern.«

»Was verstehen Sie unter diesen Auswüchsen?«

»Die sogenannten wohlwollenden Gefühle, die die ärgste Lüge sind, der Selbstbetrug, der uns am klaren Denken, am folgerechten Handeln hindert.«

»Sie lenken von meiner Frage ab. Für was lebt der Mensch?«

»Nur für sich selbst.«

»Aber in dies Selbst schließen Sie die Ideen, Bestrebungen, Illusionen, wie Sie es nennen wollen, ein, die unser Dasein über das Vegetieren der Pflanze, über den Instinkt der Tiere erheben?«

»Vielleicht.«

»Warum nur bedingt? Sie wollen ihn noch nicht bewundern, aber Sie anerkennen Napoleon.«

Er hatte mit untergeschlagenen Armen, im Sofa zurückgelehnt, gesessen. Er sah sie scharf an:

»Wollen Sie ein Napoleon werden?«

»Torheit!«

»Fühlen Sie Beruf, eine Semiramis, Zenobia zu sein oder eine Maria Theresia, Katharina?«

»Das liegt ganz außer meiner Sphäre.«

»Das ist das Lösewort. Wer die Grenzen seiner Sphäre erkennt, weiß, wofür er lebt. Er weiß auch, wie er leben soll, das heißt, er kennt die Mittel, mit denen er wirkt, bis wohin er wirken kann. Wenn er aber das weiß, weiß er auch, daß nichts ihn hindern darf, so zu wirken, wie er kann, sagen wir muß. Was man will und kann, muß man; es gibt keine höhere Aufgabe. Das aber ist die Krankheit unserer Zeit, das Siechtum unserer Halbwollenden, daß sie den großen Männern ihre großen Endziele abstehlen wollen. Haben sie Adlerflügel, Titanenkräfte? So flattern sie wie die Motten ins Licht und zerstoßen ihre blutwarmweichen Hirnschädel, mit denen sie Mauern einbrechen wollten, am ersten besten Zaunpfahl. Daher diese Idealisten, Staatskünstler, Menschheitsverbesserer! Was war es, das sie den Größen abstehlen sollten? – Die richtige Erkenntnis ihrer Sphäre, die sie füllen, der Kräfte, über die sie gebieten können. Der achtzehnte Brumaire wäre ein Verbrechen, nein, eine Dummheit gewesen, wenn der Lieutenant von Toulon ihn gewagt, für den Sieger an den Pyramiden ward es eine Tugend, die Europa und die Welt bewunderte; er wußte, was er konnte.«

»Und was können wir, die wir nicht wissen, was wir wollen, können?«

»Kein Mensch ist so gering, daß er nicht etwas will, was Scheinbar über die Verhältnisse, über seine unentwickelten Kräfte hinausgeht. Aber wenn er den Mut hat, es sich zu gestehen, so wachsen schon dadurch unvermerkt diese Kräfte. Liegt das Ziel im Kreise des Möglichen, wohlverstanden, für ihn, so ist es auch für ihn erreichbar. – Ich bin entfernt davon, in Ihre geheimen Wünsche dringen zu wollen; aber denken Sie sich, meine Freundin, einen solchen Wunsch, den Sie bisher für unerreichbar hielten, verkörpern Sie ihn sich, und überrechnen Sie dann die Mittel, die Ihr Geist, Ihr Vermögen, Ihre physische Kraft, Ihre Freunde Ihnen bieten. Reichen diese Mittel aus, so sind Sie am Ziel-, denn es ist allein Ihre Schuld, wenn Sie es nicht erreichen.«

»Das ist ein gefährlicher Gedanke.«

»Warum? – Gesetzt, Sie fühlten sich unglücklich mit Ihrem Gatten –«

»Ich bitte Sie, Herr Legationsrat –«

»Nun, Sie wünschten ihn zu einem lebenslustigen Mann zu machen. Ist das etwas Unrechtes? – Doch es ist ein indiskretes Beispiel, Verzeihung! Also umgekehrt – Sie wollten sich ganz der Armenpflege widmen, Ihr Haus zum Hospital umschaffen, selbst Krankenwärterin werden. Ihre Mittel wären endlich erschöpft, ja, meine Freundin, die Möglichkeit wäre da, daß Sie ihm auch seine Stube nähmen, seine Bibliothek verkauften –«

»Ach, der arme Mann!«

»Nur nicht Mitleid! Wer etwas will, muß diese Rücksichten verbannen. Sehn Sie, die Fürstin Gargazin möchte uns alle zu Konvertiten machen, sie scheut keine Mittel – gar keins, wenn sie nur einen bekehren kann.«

»Mein Mann stürbe, wenn er von seinen Büchern lassen müßte.«

»Und wird von ihnen lassen müssen, wenn er von allem läßt! Doch, um wieder auf Bonaparte zu kommen, wieviel Peripherien hat er, eine nach der andern, um seinen jeweiligen Standpunkt gezogen, weit, weiter, und das ist das Bewunderungswürdige, nicht seine gewonnenen Schlachten, sondern daß er, im Mittelpunkt des Kreises, nie über den Kreis hinausgriff! So ward er Konsul, Kaiser –«

»Oh, ich bin ungemein begierig, Ihre Ansichten darüber zu erfahren.«

»Wozu das, Freundin? Wozu die eigne Kraft anstrengen und uns vergessen?«

»Aber es ist so interessant –«

»Sie haben recht – seine Familienverhältnisse! Da liegt der Hemmschuh für den Giganten.«

»Die Familie erhebt er mit sich.«

»Aber Josephine hat keine Kinder. – Sie muß fort.«

»Wie! Sie hob ihn. Er kann sie doch nicht verstoßen.«

»Ei, seine Bewunderin hält ihn für so klein? Gefühle der Dankbarkeit sollen ihn an seinem Weltberuf hindern.«

»Aber das Urteil der Welt würde –«

»Den Titanen regieren! Da habe ich keine Skrupel. Aber die Kreolin ist eigensinnig, reizbar. Wenn sie sich nun nicht scheiden lassen will?«

»Sie meinten neulich, daß Josephine gegen ihren Mann konteroperieren könnte?«

»Darüber bin ich hinaus. Sie ist nur eine Frau mit den gewöhnlichen Affekten eines Weibes. Groß im Kleinen, zu klein zu einer Tat, zu weich, gutherzig. Nein, nein, von der Seite ist nichts zu besorgen, aber er, Napoleon, muß sich von ihr scheiden, er muß Söhne haben, er ist in voller Manneskraft, er ist durch die Verhältnisse wie von selbst zu einer Ehe gedrängt, die seine Nachkommenschaft vor der Meinung legitim macht, welche aus dem Schutt und Staub der Revolution aufsteigt und die Throne wieder mit einem Nimbus umzieht. Das ist ganz unabänderlich, das muß er. Und wenn sie sich nun nicht scheiden lassen will, was muß er tun? Was wird er tun? Da, Freundin wird sich's bewähren, ob er – er ist.«

»Mein Gott, Sie meinen –«

»Bisher war er sich immer klar. Aber diese Differenz –«

»Er liebt Josephinen!«

»Was ist Liebe? Verstehn wir uns! Wir beide meinen nicht jene Veilchenduft-, jene Vergißmeinnichtsschwärmerei zartgeschaffener Seelen noch jene dämonische Leidenschaft, die Mauern einreißt, um im Genuß sich zu töten. Das sind Kinderspiele. Ich meine die Liebe, vor der Jahre und Verhältnisse wie Plunder versinken, das in den Mysterien der Natur geborne Bündnis derer, die sich verstehen, sich das Zeugnis der Ebenbürtigkeit einer dem andern ausstellen. Diese Liebe bedarf keiner Besiegelung durch Lieder, Beteuerung und Schwüre. Sie ist da von selbst. Die Geister wie die Blicke brauchen sich nur zu finden, und im Moment ist der Bund geschlossen, ohne Worte.«

Die Geheimrätin seufzte: »Das ist eine Vorstellung, erhaben wie die Ewigkeit!«

»Und nun, frage ich, herrscht zwischen ihm und ihr ein solcher Bund? Begreift sie ihn nur? Freilich möchte sie sich sonnen in seinem Diademenglanze, die immer liebenswürdige Kaiserin und Französin sein, entzückend in Toilettenkünsten, Intrigen, brillierend von Esprit in der Konversation, bezaubernd die Herzen durch ihr weiches Herz, wenn er zuschlagen muß, ihm in den Arm fallend: Ach, tu's doch lieber nicht! Was ist sie ihm? – Eine Last, die er abstreifen muß. Er muß, sage ich, wenn er vorwärts will, und er kann es, es kommt nur darauf an, ob er Mut hat, es zu wollen.«

»Mein Kopf schwindelt.«

»Traf dies Los nicht auch solche, die er wahrhaft liebte? Und er vernichtete sie, weil er sie liebte.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Jene graubärtigen Krieger, seine Veteranen, die Säulen seines Ruhmes, die ihm nach Afrika gefolgt. Im Sonnenbrande der syrischen Wüsten war seine Mission erfüllt, er huldigte nicht der Torheit, ein romantischer Alexander sein zu wollen, er dürstete nicht nach Eroberungen, die sich nicht halten lassen. Er mußte zurück. Konnte er die Kranken, die Verwundeten durch die glühende Sandwüste mitschleppen? Kaum seine Gesunden hielten die Strapazen aus! Sollte er die Unglücklichen dem Grimm barbarischer Feinde zurücklassen? Er war rasch entschlossen –«

»Sie nehmen das Gerücht für wahr an?«

»So wahr ich ihn ehre. Gewiß nach einem schweren Kampf. Wer trennt sich leichten Herzens von denen, die uns die Teuersten sind. Aber als es in ihm klar war, daß es sein mußte, zauderte er keinen Moment, Hand ans Werk zu legen. Durfte er sie erschießen, erschlagen lassen? Das durfte er nicht vor dem Urteil der unmündigen Welt, nicht vor ihnen selbst. In süße Illusionen ließ er sie einwiegen durch Opium, bis – bis sie in süßen Träumen von dieser Welt schieden. Wie mancher der Soldaten mag auf dem sauren Rückweg, unter Durst und Sonnenstichen erliegend, hilflos vielleicht zurückgelassen, weil er sich von der Kolonne verirrt, im Angesicht des Tigers, der Hyäne, deren Geheul seiner Witterung nachging, wie mancher mag an die schnell und glücklich Gestorbenen in Accum zurückgedacht, ihr Los beneidet haben! Napoleon ging an ihren Lagerstätten umher, seine Augen blitzten sie an; dem nickte er, dem drückte er die Hand, dem rief er ein baldiges Wiedersehn auf dem Felde der Ehre zu. Sie alle richteten sich begeistert auf und riefen ihrem großen General ein Vivat!«

»Und im Leibe des –« Sie hielt zusammenschaudernd inne.

Er spielte ein bedeutungsloses Fingerspiel. Er hatte sehr wohlgeformte, aristokratisch weiße Hände. Ein sanftes Lächeln spielte um die Augen, die auf die Hände niedersahen.

»Wenn wir uns nur gewöhnen könnten, die Dinge anzusehen nicht wie die Leute, sondern wie sie sind! Wir würden viel glücklicher sein und weit mehr Glück um uns verbreiten. – Hätte der große Mann sich um den Katechismus und die Morallehrer und Gott weiß welche Gevattern und Muhmen gekümmert, was hätte er dann tun sollen? Etwa um die Hunderte oder Tausende Kranke nicht zu verlassen, selbst zurückbleiben mit seinem schon geschmolzenen Heere, ohne Vorräte, der wachsenden Zahl seiner Feinde, der Hitze, den neuen Krankheiten gegenüber? Er wäre, so wahr zwei mal zwei gleich vier ist, als Opfer gefallen. Dann hätten freilich alle alten Weiber und alle romantischen Seelen sein Lob gesungen, als Märtyrer, der sich selbst geopfert für Notleidende, und wieviel Tausende mit, das ist ihnen gleichgültig; es ist doch eine edle Tat. Aber daß er alsdann eine andre Mission vergessen hätte, daß es galt, sein großes Frankreich aus der Anarchie zu retten, die aufs neue ihre Polypenarme ausstreckte, daran denken diese sentimentalen Gemüter nicht. Lieber die arme Fliege retten, die im Netz der Spinnen sich gefangen hat, als zugreifen, wo die Gardine Feuer fängt, und das Haus kann verbrennen. Das ist die Moral, welche die sanften Seelen uns predigen.«

Er war aufgesprungen: »Oh, wie glücklich könnte die Welt sein, wenn die Menschen es verständen, frei zu sein!« Er war sichtlich in einer Gemütsbewegung. Man hörte Adelheids Stimme am Klavier.

»Was würden Sie tun?« wandte er sich plötzlich zur Lupinus. »Hier wäre Ihr Johann erkrankt, zu Ihren Füßen hingestürzt, und dort hörten Sie einen Schrei Ihrer Tochter – der tolle Mensch, durchs Fenster gestiegen, überfiel sie am Klavier. Oder – er ist zwar zu allem fähig – aber setzen wir nur den Fall, Sie wüßten, daß er wieder zu ihr eingedrungen, daß er sie mit seinen Verführungskünsten zu umgarnen sucht, was würden Sie, frage ich, zuerst tun? Dort nach Ihrem Schrank mit den Essenzen springen, um den Diener zu soulagieren, oder da nach dem Zimmer zu Ihrer Tochter? Ginge Ihnen der Diener oder die Tochter vor, der kranke Mensch, der doch über kurz sterben muß, oder das blühende junge Wesen?«

»Meine Tochter natürlich«, sagte die Lupinus. »Aber wenn der Mensch, der Johann, inzwischen stürbe? Was würde die Welt dazu sagen?«

»Was würden Sie dazu sagen? Das ist allein die Frage. Doch nichts anderes als: dort droht ein unersetzlicher Verlust, hier kann ein Mensch sterben, für den der Tod eine Wohltat ist. – Leben Sie wohl!«

»Habe ich Sie beleidigt?«

»Mich?«

»Sie raunen mir da eine entsetzliche Möglichkeit ins Ohr.«

»Possen! Phantasiestücke. – Apropos, haben Sie Ihre kleine Apotheke arrangiert? – Den Äther gebrauchen Sie, ich bitte nochmals, nur im äußersten Notfall.«

Er war an das Glasschränkchen getreten und übersah die Etiketten der Gläser.

»Ich werde noch Ihres Unterrichts in manchen Mixturen bedürfen.«

»Nur mit keiner Silbe gegen jemand davon erwähnt. Doktor Mucius und die andern wären imstande, einen Ausweisungsbefehl gegen mich zu erwirken. Die Herren Ärzte vertragen es nicht, wenn man in ihr Amt pfuscht.«

Mit einem zweiten Händedruck hatte er die Tür erfaßt, als Adelheids volltönende Stimme im Zimmer hinter dem Entree die Reichardtsche Komposition des

Freudvoll und leidvoll,
Gedankenvoll sein

am Fortepiano sang.

»Die Kleine singt recht hübsch.«

»Reichardt ist zufrieden. Dussek war neulich entzückt.«

»Weil Sie gut zu essen geben – und Ihr Wein vortrefflich ist.«

»Lachen Sie nicht so abscheulich.«

»Eine gute Figur. Sie könnte auch auf dem Theater ihr Glück machen.«

»Pfui! Darum hätte ich sie –«

»Wie Sie wollen. Aber sie geniert Sie doch wohl zuweilen. Nicht wahr? Bekennen Sie es nur.«

»Sie kann recht impertinent sein.«

»Offenherzig! Ich verdenke es ihr nicht.«

»Hat sie ein Recht dazu?«

»Wird ihr nicht hundertfach gesagt, daß sie hier der Glanzpunkt ist? Sie allein der Magnet, der die Leute in dies Haus zieht? Sagen Sie es nicht selbst, Freundin? Ich könnte mir ein Gewissen draus machen, sie zu Ihnen gebracht zu haben, wenn ich nicht wüßte, daß auch eine Philosophin zuweilen eine Narrenschule um sich braucht.«

»Einige finden sie geistreich.«

Jetzt hätte die Geheimrätin mehr Recht gehabt, sein Lächeln abscheulich zu nennen.

»Es wird sich ja wohl bald für das geistreiche Mädchen eine gute Partie finden.«

»Wer weiß! Die jungen Leute sehen nach Geld.«

»Der Herr Bovillard würde vielleicht auch nicht so toll verliebt sein, wenn er nicht an eine Mariage dächte, um seine Schulden zu bezahlen.«

»Wie! Sie denken, es ist sein Ernst –«

»Wenn es Ihr Ernst ist, sie zur Erbin einzusetzen.«

»Wer denkt daran!«

»Außer sehr vielen Adelheids Eltern, und sehr ernstlich.«

»Impertinent! Am Ende wünschen sie, daß ich noch bei meinen Lebzeiten meines Vermögens mich entäußere, um das aufgenommene Mädchen auszustatten.«

»Solche Wünsche spricht man wenigstens nicht laut aus.«

»Oh, sie sollen sich getäuscht sehen. Ich will –«

»Keinen Eklat, meine Freundin. Keine Affekte in solcher gleichgültigen Sache. Ihr Wille ist ja genug. Sie hatten also nie im Sinne, sie wirklich an Kindes Statt anzunehmen?«

»Und wenn ich einmal daran dachte –«

»So sind Sie bei reiferer Überlegung von der Törigkeit dieses Entschlusses überzeugt, und Sie sind die Frau, die in einer Aufwallung nichts ändert. Was braucht es denn mehr, die Sache ist zwischen uns – ich meine, in Ihrem Geiste klar. Aber wozu das aussprechen. Ich würde es auch nicht merken lassen. Laß die Gimpel sich doch täuschen. Wozu gab Gott jedem sein Maß Klugheit? Warum sollen wir mit dem, was wir übrig haben, den Toren beispringen. Und vielleicht verschafft der Glaube dem Mädchen doch eine gute Partie. Und ist es einmal soweit, dann springt auch nicht gleich jeder darum ab. Das Point d'honneur ist eine Erfindung, um die Mittelmäßigen zu regulieren. Und gibt es nicht mariages d'inclination? Und – wer weiß, wie Sie das Mädchen auf andre Art wieder loswerden? Es fügt sich so manches. – Ich lache ordentlich, daß ich Ihnen darüber Instruktionen geben will. Lassen Sie sie freudvoll und leidvoll, unter Hangen und Bangen, ihrem Schicksal entgegenhüpfen. Wir haben doch wahrhaftig für anderes als dafür zu sorgen.«

»Der abscheuliche junge Mensch will mir nicht aus dem Sinn«, sagte die Geheimrätin.

»Er wird Sie bald nicht mehr beunruhigen«, entgegnete der Legationsrat, indem er ein versiegeltes Päckchen in den Schrank gelegt, den Schlüssel abgezogen und ihn in die Hand der Geheimrätin gedrückt hatte: »Bewahren Sie ihn wohl.«

»Was haben Sie hineingetan?«

»Etwas, was Sie nur eröffnen dürfen nach meinem Tode.«

Sie starrte ihn an. Er drückte ihre Finger an die Lippen: »Auch davon still, still! Es ist nur mein Testament.«

Sie preßte krampfhaft ihre Hand auf seinen Arm:

»Was haben Sie mir gesagt?«

»Daß ich einen festen Arm habe, einen sichern Blick, daß meine Kugel nie geirrt; daß – das wilde Blut des Leidenschaftlichen nicht zielen kann, und – so gewiß Sie vor mir stehen, ich werde nicht fallen. Ich habe Ihnen noch mehr gesagt, mit kaltem, ruhigem Blute werde ich ihn zu Boden stürzen sehen. Das Bewußtsein, die Gesellschaft von einem Ruhestörer zu befreien, wird mir Befriedigung sein – wenn es dazu kommt!«

»Aber –«

»Weil der Zufall dämonisch ist, schrieb ich das auf.«

»Mein Freund, was soll ich mit Ihrem Testament?«

»Es lesen – annehmen oder verwerfen.« Er wollte mit umgewandtem Gesichte hinaus.

»Nicht so! Ich muß wissen, ob ich nichts Gefährliches im Schrank verschließe.«

»Gefährliches! – Ich hatte eine Freundin, eine teure Freundin, sie war mein alles, ich war es ihr. Sie verstand mich, sie ging nicht in meine Ideen ein, sie ging ihnen voraus –«

»Angelika, Ihre Gattin –«

»Auch dies äußere Band sollte das unlösbare unserer Geister befestigen – wenn das nötig, sagen Sie, möglich gewesen wäre! –, als eine andere rauhe Hand es zerriß. In ihrem Testamente hatte sie mir ihr Vermögen hinterlassen mit den Worten: ›Es ist ja nicht meines, es ist deines, denn was mein war, war dein, ich war du, du ich. Wirke es in deiner Hand für mich.‹ Sollte ich es etwa nun nicht annehmen, weil die Verwandten lamentierten und Gott weiß was für Klagen wegen Übervorteilung, Erbschleicherei vorbrachten? – In ihrer Hand war es vergeudet, in meiner lebte es zu den großen Zwecken der Seligen. – So wird auch meine Freundin keinen Anstand nehmen, wenn ich das mir Anvertraute ihr wieder vertraue. Sie kannten mich, Sie wissen, was damit zu wirken, und wenn die Spanne Zeit zu kurz war, um unsre Geister ganz ineinander aufgehn zu lassen – in dem Papiere – wozu Schrift, wo der Geist lebendig bleibt! Ihrer wird klären, wo es dunkel scheint; wo es dunkel ist, werden Sie Licht bringen. Die Verwaltung meiner Güter braucht Sie nicht zu erschrecken, es ist dafür gesorgt. Verwandte werden Sie nicht stören, die Welt der Blutsbande ist hinter mir in aschgraue Nebel versunken – ich stand allein in dieser – die Zukunft war mein Reich – ich hoffte vielleicht neue – doch wozu das! Pfui über diese angeborne Natur, die uns immer wieder in die Sackgasse der Sentimentalitäten treibt.«

»Wie komme ich dazu?«

»Wie!« – Er lächelte. »Nein, Sie sind im Recht, Sie mußten sich darüber täuschen; es mußte Sie frappieren, daß ich in erster Zeit mich in scheuer Ferne hielt. – Ach, die Entschlafene schwebte ja noch immer an meiner Bettwand – und wer ist stark genug, wenn er Doppelgängerinnen sieht. – Aber seit auch der Geist der Seligen nicht tot ist, seit – genug. Wir werden uns ganz verstehen lernen, und wenn nicht, wenn unter einem schrillen Akkord Sie plötzlich die Saite springen hörten, dann – würden sich unsre Geister erst recht gefunden haben.«

Mit einem langen, brennenden Kuß auf ihre Hand war er rasch verschwunden.

Sie betrachtete eine Weile die Hand. Entweder, weil sie brannte oder weil sie zitterte, oder fragte sie sich, warum denn die Schwägerin auf ihrem Sterbebette gesagt, daß sie spitze Finger hätte?


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