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7.

An jenem Vormittag des Manöverschlusses hatte Hans Weerth mit Erika an der Katalogisierung der Herweyschen Autographensammlung gearbeitet. Aber man war heute nicht so völlig bei der Sache wie sonst. Das breite Fenster stand offen, draußen nahm der Sommer Abschied und durchglühte noch einmal die Luft, der Tiergarten lag in sattem Grün, vom Leierkasten eines blinden Invaliden klangen verharschte Töne in das Zimmer hinein.

»Eine Unterschrift Wallensteins,« sagte Hans, ein Pergamentpapier hebend. »Was geht uns heut eigentlich der alte Friedländer an? Fräulein Erika, ich habe das Empfinden, den Dreißigjährigen Krieg beiseite zu lassen und statt dessen einen Spaziergang zu unternehmen. Übrigens – warum sind Sie nicht mit auf dem Manöverfelde?«

Sie lachte und antwortete: »Weil ich nicht mitgenommen worden bin. Wenn Désirée – Sie wissen, das ist meine Stiefmutter, aber ich nenne sie immer beim Vornamen, weil sie nicht sehr viel älter ist als ich – also, wenn Désirée ausfährt, bleibe ich lieber daheim. Nicht, weil wir uns schlecht vertragen. O nein. Aber wir gehen uns mit Gefälligkeit aus dem Wege. Wir sind wohl verschiedene Naturen. Oder besser gesagt, wir verstehen uns nicht – es sind keine inneren Zusammenhänge da. Sie hat eine Dehnung in die Weite, und ich ziehe mich am liebsten in die innerste Enge zurück. Im Frühjahr sollte ich mit ihr nach Trouville, auch Papa redete zu. Aber im letzten Moment lehnte ich ab. Ich bitte Sie, in Trouville wäre ich mir neben ihr wie ein kleiner Rattenpinscher vorgekommen. Dazu bin ich wieder zu eitel.«

Er widersprach, setzte aber doch hinzu: »Das ist schon richtig, die Baronin ist eine der schönsten Frauen, die ich in meinem Leben gesehen habe.«

»Und von einem unvergleichlichen Charme,« sagte Erika. »Ich verstehe vollkommen, daß die Gesellschaft sie vergöttert. Der Reiz ihrer Persönlichkeit liegt ja nicht nur in ihrer Schönheit. Auch in ihrem Wesen, ihrem ganzen Sichgeben, im Mienenspiel, in jeder Geste – ja, lieber Gott, das läßt sich schwer erklären. Man könnte von ihr lernen: wie sie die Arme rundet, wie sie zu lächeln versteht, wie sie schreitet und sich niederläßt, wie gewissermaßen alles, was sie tut, zu einer Quelle ihres Seins wird. Und das ist nicht anerlernt, das ist Natur. Man kann ihr auch nicht nachsagen, daß sie kokett sei. Nein, das ist sie nicht. Oder aber ihre Koketterie ist so vollendete Kunst geworden, daß sie durchaus wie Natur wirkt.«

»Sie ist auch eine kluge Frau,« bemerkte Hans. »Sie macht den Eindruck.«

»Ich weiß nicht, ob das Wort ›klug‹ auf sie paßt. Jedenfalls hat sie einen ungemein beweglichen Geist und versteht ihn zu benutzen. Sie sprudelt von guten Einfällen, liebt eine geschliffene Sprache, ist witzig, kann gelegentlich auch ein wenig boshaft sein, plaudert gleich anmutig französisch, deutsch, englisch, italienisch und spanisch und ist auffällig gut in der Zeitgeschichte bewandert. Sie kennt alles und kann über alles sprechen – sie ist sicher eine ungewöhnliche Frau.«

»Schade, daß man sie so selten sieht. Ich hätte gern einmal ihre nähere Bekanntschaft gemacht.«

»Um sie für eine Ihrer Novellen zu verwenden,« entgegnete Erika heiter.

»Das tat ich schon, aber unbewußt. Warum hält sie sich im Hause so zurück?«

»Weil sie behauptet, keine Hausfrau zu sein. Sagt sie wenigstens. Den Hausstand im engeren Sinne führe ich, die Gesellschaften leitet sie. Es kommt vor, daß ich sie tagelang nicht sehe. Dann speist sie oben, empfängt da auch ihre Besuche, und wenn man zu ihr will, muß man sich vorher ansagen. Selbst der Papa, der sie sehr liebhat und sich ausgezeichnet mit ihr verträgt – freilich auf eine gewisse Sonderart. Sie ist sozusagen der Schmuck seines Hauses – und ein etwas kostspieliger.«

Hans strich sich das Haar aus der Stirn. »Eine ausgesprochene Romanfigur,« sagte er. »Fabelhaft interessant. Die Baronin ist Französin? Aber ich frage indiskret.«

»Fragen Sie ruhig. Ja, sie ist eine geborene Gräfin Champéron und hat mir häufig von ihrer Familie erzählt – Uradel des Limousin, Marquisat aus dem achtzehnten Jahrhundert, einer des Geschlechts war auch einmal Duc, aber die Würde erlosch. Irgendwo an der Oise soll noch ein Schlößchen stehen mit alten Erinnerungen an die Champérons – Désirée entsinnt sich seiner aus ihrer Kindheit, und es ist ein phantastischer Wunsch von ihr, es gelegentlich zurückzukaufen. Sie war übrigens schon einmal verheiratet, aber nur kurze Zeit und nicht glücklich – mit einem leichtsinnigen jungen Edelmann, der an der bretonischen Küste beim Baden ertrank. Und was nun, lieber Herr Weerth? Geben wir die Arbeit auf?«

»Ja,« sagte Hans entschlossen und legte Papiere und Pergamente in die Mappe zurück. »Wir sargen die Vergangenheit ein und treten in die Sonne der Gegenwart. Sie lacht uns durch das Fenster an, und ich behaupte sogar, sie lacht uns Stubenhocker aus. Gehen wir ein Stündchen spazieren.«

»Wohin?«

»Der Nase nach. Quer durch den Tiergarten bis zu den Zelten oder irgendwohin. Der Weg kann uns gleich sein. Wir können auch nach dem Brandenburger Tor und in die Dorotheenstraße einbiegen und meiner Schwester Guten Tag sagen. Ich wollte sowieso bei Ripplau ein Buch abholen, das ich mir bestellt habe. Gnädiges Fräulein – oder vielmehr Fräulein Erika, da Sie mir diese Anrede gütigst gestattet haben –, Annemarie müssen Sie kennenlernen. Das ist ein prachtvolles Mädel …«

Er half Erika die Mappen in die Schränke räumen und sprach dabei weiter:

»Wissen Sie was? Besucher: Sie uns heut zu einem einfachen Abendbrot. Wir sind zufällig allein. Unser Hausgenosse will in die Oper, um Niemann und die Lucca in ›Fra Diavolo‹ zu bewundern, und hat dann eine Verabredung bei Borchardt. Wir sind also ganz unter uns.«

Ein lächelnder Zug hob flüchtig die Lippen Erikas. »Das ist sicherlich hübsch,« sagte sie, die letzte große Mappe in das Fach schiebend, »obschon ich auch gern die Bekanntschaft Ihres Herrn Haug gemacht hätte, von dem Sie mir so viel erzählt haben. Sie schwärmen ja doch gradezu für ihn.«

»Tu' ich auch, tu' ich wahrhaftig. Ah, Fräulein Erika, diesem ersten Besuch werden hoffentlich noch weitere folgen, und dann werden Sie ja auch Haug einmal bei uns sehen. Da hat uns das Glück wirklich einen famosen Menschen ins Haus geschickt. Bloß zum Kaufmann scheint er absolut nicht zu passen. Dafür hat er sich nun auch Apoll und den Musen ergeben – das wirkt epidemisch am Fuße des Kreuzbergs. Und ich behaupte, er hat ein Riesentalent, eine ganz hervorragende Begabung –«

»Was Sie sagen,« warf Erika ein und machte glücklich verwunderte Augen.

»Ja, das behaupte ich,« fuhr Hans fort. »Er hat den letzten Akt meines Dramas, der keinen so recht packenden Abschluß ergab, selbständig und völlig neu gearbeitet – und ich kann Ihnen sagen, ausgezeichnet! Ich hätte ihn nicht so gut gemacht – ich hätte die gewünschten Abänderungen überhaupt nie gefunden – nein, Fräulein Erika, ich hatte mich zu festgefahren in den Stoff, ich hing zu sehr an dem, was schon da war! Haug aber hat das Richtige getroffen, er hat das Ganze höchst originell zu Ende geführt und auch die Nebenhandlung wieder aufgenommen, die etwas versandet war, und damit dem Akt die nötige Füllung gegeben.«

»Ist denn das Stück nun angenommen worden?«

Hans fuhr mit der Hand durch die Luft. »Keine Ahnung. Nach der zweiten Einreichung sind ja erst neun Wochen verflossen – aber vielleicht krieg' ich Antwort, wenn's Mailüfterl weht. Beim Schauspielhause nimmt man sich Zeit. Schadet nichts. Man darf nicht den Mut verlieren. Jetzt arbeite ich an einem Verslustspiel, das in biedermännischen Tagen spielt – das macht mir viel Spaß. Aber gehen wir!« –

Sie durchwanderten den Tiergarten ziellos und kamen auch nicht mehr zu Ripplau. Sie verplauderten sich, setzten sich an der Rousseau-Insel auf eine Bank, schlenderten weiter kreuz und quer, bis Erika nach der Uhr sah und erschreckt ausrief: »Mein Gott, Zwei durch! Da muß ich eilen, daß ich nach Hause komme. Die Eltern wollten um diese Zeit zurück sein, und der Papa frühstückt gern mit mir. Auf Wiedersehn, lieber Poet.«

Er drückte ihre Hand. »Auf heute abend. Halb Acht, wenn ich bitten darf. Annemarie wird sich freuen. Was es zu essen gibt, weiß ich noch nicht, das ist Pressels Sache, und je weniger er im Hause hat, um so erfinderischer wird er. Aus dem Einfachsten macht er ein Kunstwerk und benennt es französisch. Wünschen Sie Wein oder Bier?«

»Limonade,« entgegnete Erika lachend. »Da kommt ein Wagen, den will ich nehmen.«

Er brachte sie bis zu dem Wagen und schwang seinen Hut.

Sie ist reizend, sagte er sich, sie ist ganz mein Geschmack. Ich würde sie heiraten, bloß sie nimmt mich nicht. Sie ist zwar reich und ich habe gar nichts, das gliche sich aus. Aber dem Vater dürfte dieser Ausgleich nicht recht gefallen, er sitzt auch zu gewichtig auf seinem Baronstitel, und die schöne Stiefmutter würde sicher ebenfalls mitsprechen wollen, und die ist sogar eine geborene Gräfin. Ja, wenn ich im Handumdrehen berühmt werden könnte – wenn beispielsweise mein Stück einen Bombenerfolg hätte, so daß der Name Hans Weerth in ganz Deutschland einen Widerhall fände … aber erstens ist es noch gar nicht angenommen, und zweitens ist der Erfolg unsicher, und drittens habe ich einen Mitarbeiter, mit dem ich doch anstandshalber meine ungeheure Berühmtheit teilen müßte, wenn's wirklich so weit kommt. Und was die Hauptsache ist: es ist Blödsinn, darüber zu grübeln. Aber sie ist reizend …

Daheim fand er seinen Intendanten in Aufregung vor. Pressel hatte den Besuch seines Bruders, des Hausbesitzers, erhalten, des ehemaligen Bäckermeisters und jetzigen Stadtverordneten, eines Mannes, der aussah, als trage er beständig eine unsichtbare Bürgerkrone und als bedeute die blaue Schleife des Kronenordens, die er immer im Knopfloch führte, die höchste Auszeichnung, die im Staate Preußen zu vergeben ist. Mit ihm war noch ein langer Herr erschienen, schwarz gekleidet und bis zum Halse zugeknöpft, von unverkennbar geistlichem Typus, Pastor Marks von der Amerikanischen Gemeinde, der das Grundstück zu kaufen beabsichtigte.

Der Intendant hatte ihn sofort auf die vielen Vorzüge des Hauses aufmerksam gemacht: daß es beständig durchregne, daß kein Fenster schließe, der Kalk von den Decken falle, der Schwamm im Holzwerk sei und Grundwasser im Keller, und hatte es demzufolge bewirkt, daß über das behäbige, gewöhnlich schon rotblanke Gesicht seines Bruders August sich ein schlagflußähnlicher Ausdruck breitete. Den Pastor aber interessierte nur das Grundwasser.

»Ich will das Haus gar nicht, werter Herr,« sagte er, »das wird abgerissen, hier kommt ein Betsaal her, er soll zweitausend Personen fassen und ein Wunder der Eisenkonstruktion sein. Aber, wenn Grundwasser da ist –«

»Phantasie,« fiel der Mann mit dem Kronenorden ein. »Die Erde ist trocken, eisenschüssiger Sand, dies Haus könnte noch fuffzig Jahre stehen.«

»Im Keller wachsen die Pilze,« sagte der Intendant, »alles Leder wird schimmlig, fassen Sie die Mauer an, gleich ist Ihre Hand pitschenaß.«

»Es kommt darauf an,« erklärte wieder der Pastor, »wie tief der Grundwasserspiegel liegt. Man müßte bohren.«

»Ich bin dazu bereit,« rief Herr August Pressel, und sein Bruder sagte in wehmütigem Tonfall: »Tu's nicht, es spritzt haushoch, du kannst auf eine Quelle stoßen.«

Und indes das Antlitz des zur Ruhe gesetzten Bäckermeisters sich scharlachfarben überzog, wandte der Amerikaner sich wieder an den Intendanten: »Sie scheinen unbeeinflußt zu sein, Herr. Sie raten ab von dem Kaufe?«

»Nein,« schrie der Hausminister, »kaufen Sie, kaufen Sie! Es braucht ja kein Betsaal zu sein, legen Sie eine Schwimmanstalt hierher, sie fehlt in dem ganzen Viertel, das ist ein Geschäft, das sich lohnt.«

»Meine Gemeinde schwimmt nicht, wenn ich predige,« entgegnete der Pastor in ruhiger Abwehr, »das wär' eine Neuerung, für die ich nicht bin. Ich werde die Angelegenheit in Überlegung ziehen.«

Damit ging er. Aber der Mann mit der blauen Schleife blieb noch einen Augenblick zurück, mit geballten Händen, glühend, prustend, fauchend.

»Das ist das letztemal,« rief er und hielt dem sanften Bruder die Fäuste vor das Gesicht, »daß ich mich von dir zum Schauten machen lasse! Jeden Käufer vergraulst du mir. Ich lasse dich mit deiner verhungerten Herrschaft fast umsonst hier wohnen, und du kommst mir so! Ihr seid eine undankbare Bande, und ich sage dir, du bist ein Pojatz! Ein Hannepampel bist du, das warst du immer, das sage ich. Und zu Neujahr müßt ihr 'raus. Ich kündige.«

Da kam gerade Hans Weerth zurück.

»I, guten Tag, Herr Stadtverordneter,« begrüßte er ihn freundlich. »Das ist nett, daß Sie uns auch mal besuchen. Es regnet ein bißchen durch –«

»Ziehn Sie aus!« brüllte August. »Gleich morgen, wenn's Ihnen so paßt! Am ersten Oktober kriegen Sie Ihre Kündigung. Ich hab's satt. Empfehl' mich!« Er stürmte davon.

»Nanu,« meinte Hans und setzte sich. »Was ist denn dem in den Kronenorden gefahren?«

Pressel berichtete. »Es war ein schwarzer Mann hier, der wollte das Grundstück kaufen und einen amerikanischen Betsaal in Eisen erbauen. Da hab' ich abgeredet, und das hat August übelgenommen. Er ist leicht so.«

»Nu ja, lieber guter Pressel,« rief Hans, »Sie treiben's auch manchmal zu bunt mit Ihrem Abraten. Ihr Bruder schäumte ja förmlich.«

»Ich bin nun mal so«, entgegnete der Intendant, »und kann mir nicht helfen. Wenn ich diesen Bruder vor mir habe, muß ich ihn ein bißchen vernörgeln, sonst ist mir nicht wohl. Sehen Sie ihn sich an, gnädiger Herr, mit seinem blauen Pflaster im Knopfloch und den krummen Beinen und dem geschwollenen Wanst – und das hochmütige Bäckermeistergesicht – es geht nicht anders, da ficht mich die Laune an, und ich muß ihn uzen. Und was will er denn eigentlich? Wir sind seine Trockenwohner und halten seinen italienischen Kuhstall in Ordnung, und wenn wir 'raus sind, es zieht ja kein Berliner Pachulke in diese klebrige Heimstatt, und wenn mal die Polizei kommt, dann ist's überhaupt aus mit dem Vermieten, denn die Wände wackeln schon, wenn man dran pustet. Was zudem die Kündigung betrifft,« fuhr er fort, »gnädiger Herr, keine Sorge. Einmal: Halbjahrstermin und nicht vierteljährlich. Und dann: er kündigt gar nicht. Ich kenne ihn. Er hat Angst vor mir …«

Doch auch Annemarie zeigte sich, als sie aus dem Geschäft kam, ein wenig beunruhigt über die Drohung des Ordensmannes und sprach darüber bei der gemeinsamen Mittagsmahlzeit einige Worte. Nur Herbert war guten Mutes.

»Es wäre das Schlimmste noch nicht,« meinte er, »wenn wir umziehen müßten. Wohnungen stehen massenhaft leer, und nötigenfalls wandern wir ein Stückchen weiter hinaus. Man plant ja jetzt die Einrichtung von Pferdebahnen, die sich durch die ganze Stadt ziehen sollen, da wird's auch bessere Verbindungen geben. Natürlich wandre ich mit, wenn man es mir gnädigst erlaubt, und ich bitte, daß dann mein Anteil an den Wirtschaftsausgaben wesentlich erhöht wird. Ich lebe hier wie eine pensionierte höhere Fürstlichkeit und kann mich nicht immer halb freihalten lassen.«

Natürlich widersprach man, aber Herr Haug blieb dabei, daß man ihn »steigern« müsse, das verlange der Rechtssinn und auch sein Egoismus. »Denn«, sagte er, »wie alles liegt, möchte ich schon aus eigenem Interesse die Verbindung mit diesem Musenhofe nach Möglichkeit aufrechterhalten. Als ich hierherkam, war ich nichts. Ein Koofmich, dem seine Ware unangenehm geworden war, weil sie ihn ständig an die Schmerzen in der Zahnklinik erinnerte, und der infolgedessen nach neuen Lebenswerten suchte. Die habe ich nun gefunden, Ihnen zu Dank, Hans Weerth, und dem anregenden Einfluß des Fräuleins Schwester. Ihr habt mich zum Dichter gemacht, und wenn der kastalische Quell vorläufig auch nur in Tropfen fließt – ich bin genügsam und hoffe und harre auf den Augenblick, da er zum Strome anschwellen wird. Scherz beiseite, ich habe mir wahrhaftig vorgenommen, bei der Feder zu bleiben. Es ist so ein gewisser innerer Trieb, und die Anfangserfolge sind ja doch auch nicht entmutigend. ›Über Land und Meer‹ hat eine kleine Feldzugsgeschichte von mir angenommen und die Spenersche eine Plauderei über die fliegenden Buchhändler an den Seinekais. Die ist auch schon gedruckt und hat Herrn Frenzel von der Nationalzeitung so gut gefallen, daß er mich gleichfalls zur Mitarbeiterschaft aufgefordert hat. Also es geht doch, Herrschaften!«

»Sie haben die anmutige Leichtigkeit der Feder, die mir fehlt,« sagte Hans. »Ich bin schwerfälliger und dickblütiger –«

»Und wählerischer, gewissenhafter und sorgfältiger,« fiel Haug ein. »Sie sind der höhere Geist, ich der subalterne. Streiten wir uns nicht um die Grenzen unsres Genies. Wobei mir einfällt: Herr von Bake war am Vormittag hier, Pressel empfing ihn – er läßt sich bestens empfehlen und will am Nachmittag noch einmal vorsprechen. Es sei eine wichtige Angelegenheit.«

»Ach herrje,« rief Annemarie, »er kommt mit neuen Anerbietungen, er will uns wieder in den Pflug spannen und wird uns eine reiche Ernte versprechen! –«

So war es auch wirklich. Dieser Herr von Bake war seinem Äußeren nach noch ganz der frühere Offizier: ein großer, fast vierschrötiger Mann mit rosigem Soldatengesicht und starkem, blondem Schnurrbart, der in einem Teil des sonst rasierten Backenbartes eine stattliche Anleihe fand. Auch sein Auftreten hatte etwas Militärisches; er hielt sich sehr gerade, schlug bei jeder Verbeugung die Hacken zusammen, liebte einen festen Händedruck und war in den Bewegungen von der sicheren Zuversichtlichkeit eines Menschen, dem das Befehlen Gewohnheit geworden ist.

Man hätte es nicht für möglich halten sollen, daß dieser typische Rittmeister a. D. eine so ausschweifende Phantasie besaß, wie sie kaum Alexander Dumas mit seinen sämtlichen Mitarbeitern aus dem weltentlegensten Winkel des Parnasses beschert worden war. Für die literarische Welt des Verlages von Werner Großmann führte er den Autornamen Stanislaus von Schönau, der nicht übel, wenn auch ziemlich gleichgültig klang, und den man nur in den Küchen, den Dienstbotenstuben sowie in den Vorkostkellern und bei sonstigen kleinen Leuten kannte, liebte und schätzte. Er war der Goethe der geistigen Kümmerlichkeit, und wenn einmal ein Groschenheft seiner Lieferungsromane nicht rechtzeitig erschien, so herrschte sicher eine gewisse Aufregung in seinem gewaltigen Leserkreise, denn es war eine Merkwürdigkeit, daß die Geschichte immer da abbrach, wo die Spannung ihren Höhepunkt erreichte und man nicht wußte, was wird nun.

Eitel auf seine Erfolge war Herr von Bake übrigens keineswegs. Es muß sogar gesagt sein, daß er von ihnen wie auch im allgemeinen von dem Rechte, sich Schriftsteller zu nennen, keinerlei Gebrauch machte. Er war in das Handwerk hineingeglitten und wußte selbst kaum, wie das so rasch gegangen war. Er hatte einmal, noch als Offizier, ein paar harmlose Garnisongeschichten für die Großmannsche Zeitschrift »Der Volksfreund« geschrieben und war dann, als er pensioniert worden und nach Berlin gezogen war, gelegentlich persönlich zu dem Verleger gegangen, um sich ihm vorzustellen. Dieser Mann besaß große Papierfabriken, und das Papier mußte verarbeitet werden und ließ sich am einträglichsten in sogenannten Kolportageromanen anlegen, die immer genau hundert Hefte zu je einem Silbergroschen umfaßten und vom Volke geradezu verschlungen wurden. Es war ein erstaunliches Geschäft, es war oft ein Millionenumsatz, der um so unerklärlicher erschien, als doch auch schon die wohlfeilen Hempelschen Klassiker-Ausgaben und die billige Reclamsche Universal-Bibliothek weit verbreitet waren, die freilich keine so langen und so aufregenden Romane brachten wie der Großmannsche Verlag.

Herr von Bake hatte Herrn Großmann gesagt, nun sei er in Berlin und lebe fast ausschließlich von seiner kleinen Pension und möchte gern etwas dazuverdienen. Daraufhin hatte Herr Großmann Herrn von Bake zwei Zentner seiner Literatur in Heften in die Wohnung schaffen lassen: die möge er lesen und danach handeln. Das tat Herr von Bake denn auch und tat es als alter Offizier höchst gewissenhaft, so daß er nach beendeter Lektüre sich sehr elend fühlte und am liebsten einen Irrenarzt aufgesucht hätte. Denn die tausend Unglaublichkeiten dieser Romane hingen wie ein wüstes Unkraut in seinem Hirn, das erst ausgejätet werden mußte, um zu dem üblichen regulären Denken zu kommen. Aber als Herr von Bake sich wieder erholt hatte, faßte er die Sache von der realen Seite an, tauchte tapfer die Feder in das Tintenfaß und schrieb das erste Kapitel »Die Entführung der Gräfin«, in Polen spielend, eine Schlittenjagd mit Wölfen und Schmugglern, einer Starostenfamilie und einem Zigeunerkind, und knüpfte auch gleich das zweite Kapitel an, in Pariser Zuständlichem, bei sehr feinen und reichen Leuten, deren langjähriger Diener aber einer weitverzweigten Verbrecherbande angehörte. Dies Manuskript brachte er Herrn Großmann, der außerordentlich befriedigt davon war und mit Herrn von Bake einen Vertrag abschloß, laut dem dieser sich verpflichtete, wöchentlich das Druckmaterial für ein Heft des Romans abzuliefern, der den Titel führen sollte »Die Dame mit dem Totenkopf oder die Rose der Pyrenäen«. Die Titel gab Herr Großmann fast immer selbst; er hatte sich eine ganze Titelsammlung angelegt, die sorgfältig in seinem Pult verschlossen war, denn er sagte, sein Publikum sehe stets zuerst auf den Titel, und wenn der nicht so sei, daß man sich förmlich magnetisch angezogen fühle, habe die ganze Sache keinen Zweck. Der Titel brauchte nur so ungefähr auf den Inhalt Bezug zu haben, und stimmte dies nicht ganz zueinander, so war es auch gleichgültig. Für das Heft sollte Herr von Bake zehn Taler Honorar erhalten, also für den ganzen Roman tausend, und das schien ihm eine so unerhört hohe Summe, daß er sich mit Feuereifer in die Arbeit stürzte.

Er hatte angefangen, ohne eine Ahnung zu haben, wie er die Geschichte weiterführen solle. Nun aber machte er sich einen ungefähren Plan oder mehr eine Übersicht über die Ereignisse, die er schildern wollte, und arbeitete dann täglich sein Pensum ab. Auch in dieser Beziehung hatte er noch die Pflichttreue seines früheren Berufes; er saß jeden Tag zu bestimmten Stunden am Schreibtisch und riß seine Anzahl Seiten herunter, wie er zu sagen pflegte, denn er hatte Laune genug, auch vor einer etwas bitteren Selbstironisierung nicht zurückzuschrecken. Daß er sein hübsches kleines Erzählertalent dabei verwüstete, tat ihm nicht sonderlich weh. Für ihn war Stanislaus von Schönau eigentlich eine fremde Person. Das war sein Verdiener, mit dem er sonst nichts zu tun hatte und den er menschlich auch nicht recht leiden konnte. Der Erich von Bake, Rittmeister a. D., war ein ganz anderer, eine höchst angenehme Persönlichkeit, aber dieser Schönau im Grunde genommen nur ein Agent, so eine Art Zwischenhändler, ein brutaler Geldmacher. O ja, auf das Geldverdienen verstand sich Stanislaus; er war wie eine Arbeitsmaschine, die immer gleich gut geölt war und Bogen für Bogen von sich gab. Das ging wirklich wie geschmiert. Die Phantasie kriegte die Sporen, und dann galoppierte sie los, immer in der Pace, mal hierhin, mal dahin, in voller Rücksichtslosigkeit alle künstlerischen Hürden nehmend, mit Horrido und Heidi. Und das brachte recht hübsche Summen ein, denn als Herr Großmann sah, daß er diese unvergleichliche Kraft festhalten müsse, steigerte er auch die Honorare. Er war ja kein Sklavenhalter wie andere Verleger auf dem Gebiete der Kolportage, er war ein kluger Geschäftsmann und brachte es wahrhaftig sogar einmal fertig, seinen begabten Autor auf Verlagsunkosten nach Italien zu schicken, weil er den packenden Titel gefunden hatte »Giovanni Moraldini, der Galeerensklävling von Ancona oder das Perlenhalsband der Herzogin von Chabot«, zu dem oder um den herum ein Roman geschrieben werden sollte. Herr Großmann hatte eine wahrhaft väterliche Liebe für Stanislaus von Schönau gefaßt; keiner seiner übrigen Autoren war so ungemein pünktlich wie der, und keiner hatte es im Verlauf von drei Jahren auf sieben Romane gleich siebenhundert Hefte gebracht, denn er lieferte oft vier und fünf Druckbogen wöchentlich ab. Das war schon eine gehörige Leistung, aber sie hatte dem Verfasser keine Kopfschmerzen gemacht, und so kam es auch, daß Erich von Bake der kerngesunde Dreißiger blieb, der Stanislaus von Schönau für seine Arbeitswut lustig verlachte.

Die Weerths kannte er noch aus Kassel her, wo er in Garnison gestanden hatte, aber es war hier in Berlin zu keinem regeren Verkehr gekommen, wohl schon deshalb nicht, weil Bake ziemlich weit von ihnen wohnte: draußen im Dorfe Moabit, wo es noch ganz ländlich war und man sich von der Stadt so gut wie abgeschnitten fühlte. Denn die Spree an der Unterbaumbrücke, die später Kronprinzenbrücke getauft wurde, bildete da oben so ungefähr die Grenze des städtischen Weichbildes. Im Zuge der Karlstraße standen vereinzelte Vergnügungslokale, dann begann der Exerzierplatz, von sumpfigen Wiesen umgeben, zwischen Kroll und dem Raczynskischen Palais, und hier schlängelte sich ein Schienengleis entlang, der Rest der alten Verbindungsbahn, die vom Hamburger nach dem Potsdamer Bahnhofe führte. Freilich, der Bau des neuen Lehrter Bahnhofes war eben begonnen worden und versprach viel Schönes, aber dahinter war es noch völlig dörflich bis auf wenige größere Miethäuser, in deren einem Herr von Bake wohnte. Er hatte lange nach einem solchen Quartier gesucht, denn damals mußte er noch auf Billigkeit sehen, und hier lebte er in der Stille, fand in einer nahen Gastwirtschaft sein wohlfeiles Mittagessen und freute sich, wenn es eines ausgedehnten Spazierganges bedurfte, ehe er in die Straßen der Stadt kam, denn er war rüstig zu Fuß und hielt auf Training.

Er hatte durch Pressel seine Karte zu Hans Weerth geschickt, auf der natürlich nur zu lesen war, daß er, Erich von Bake, ein Rittmeister a. D. sei und sonst nichts weiter. Nun trat er ein, ein starker Mann in engem Jackett mit geblümter Weste darunter und noch engeren Beinkleidern, sogenannten Schenkelhosen, wie sie Sitte waren, und hatte einen kleinen Blumenstrauß in der in grünem Glanzleder steckenden Rechten. Er schlug die Absätze zusammen, daß es einen Knall gab, verneigte sich leicht und reichte Annemarie das Bukett mit einem Schwung seines Armes.

»Meine Allergnädigste,« sagte er, »es blüht nicht mehr allzuviel auf Feld und Aue, aber für die verehrte Freundin fand ich doch noch ein Blumengrüßchen, ein Röschen, ein Nelkchen, ein Tulipanchen …« Wenn er zierlich sprechen wollte, bevorzugte er die Diminutive und spitzte dabei die Lippen unter dem gewaltigen Schnurrbart.

»Schönen Dank, lieber Herr von Bake,« erwiderte Annemarie, »wir haben Sie lange nicht gesehen, wie ist es Ihnen ergangen zur Sommerzeit – waren Sie in einem Bade oder in den Bergen oder genügte Ihnen die Landluft in Moabit?«

Herr von Bake hatte inzwischen Hans begrüßt und wandte sich wieder an Annemarie zurück, während man allseitig Platz nahm.

»Genügte mir vollauf,« entgegnete er. »Ich liebe gar nicht die sogenannten Sommerfrischen, allwo die Berliner sich zu Hauf versammeln – ich bin überhaupt mehr eine Einsiedlernatur, ich bin meinem tiefsten Empfinden nach ein kleines Anachoretchen …« Er stieß ein kurzes, fröhliches Kichern aus und fuhr fort: »Im allgemeinen bin ich ja ein ziemlich beschäftigter Mensch, weil mein ekelhafter Hausgenosse Stanislaus von Schönau mir wenig Ruhe läßt. Aber zuweilen gönne ich mir doch einen freien Tag, und dann suche ich mir gewöhnlich ein Örtchen aus, das meinen Neigungen zusagt, wie beispielsweise das Eierhäuschen bei Treptow oder das Waldschlößchen in Niederschöneweide, und da lerne ich das Volk kennen, das doch ungleich pläsierlicher ist als die zusammengewürfelte Gesellschaft in unsern Bädern.«

»Wahrscheinlich schreiben Sie wieder an einem Volksroman, lieber Bake,« sagte Hans unvorsichtig, und über das Gesicht des Rittmeisters glitt denn auch sofort ein abwehrend ernster Zug, indes er erwiderte:

»Schreiben – ich – ah so, ich verstehe – ja, Stanislaus von Schönau ist natürlich fleißig wie immer, und es ist das Beste an dieser widerwärtigen Persönlichkeit, daß er für einträglichen Verdienst Sorge trägt. Und da wir grade von ihm reden: ich habe einen Auftrag von ihm, dessen ich mich entledigen möchte …«

Herr von Bake tupfte die grasgrünen Handschuhspitzen gegeneinander, ordnete seine Gesichtszüge zu einem gewissen nachdenklichen Ausdruck und sprach weiter:

»Es liegt so. Schönaus Verleger hat ihn um die Abfassung eines Zeitromans ersucht. Diesem Herrn Großmann gehen die Erfolge des Sir John Rettcliff im Kopf herum, und nun möchte er gerne einen historisch-politischen Roman ähnlicher Art haben, und zwar soll er die Ereignisse von Sechsundsechzig schildern und den Titel führen ›Der Jäger von Königgrätz oder der Krieg der sieben Tage‹. Ich bitte zu verstehen: die Hauptsache bleibt natürlich das Spannende, doch dabei soll das Leserchen auch Geschichte lernen, und daher ist es notwendig, daß man berühmte Leute miteinander sprechen oder verhandeln läßt, beispielsweise Bismarck mit Moltke oder Beust oder Benedek mit dem österreichischen Kaiser oder so. Das muß dann aussehen, als hätte der Autor allen diesen Besprechungen in eigener Person beigewohnt. Sie verstehen, die politische Weisheit muß nur so träufeln, es muß wie bei der Luischen Mühlbach sein, aber männlicher – ja, durchaus männlicher. Es soll ganz hervorragend interessant sein, ein Schlagerchen, ein gedruckter Wuppdich. Schönau ist nun anderweitig beschäftigt, und da läßt er denn gehorsamst fragen, ob Sie nicht, mein lieber Weerth, vielleicht im Verein mit der gnädigsten Schwester, dieweil Sie beide ja ›Die Kinder der Hölle‹ so glänzend zu Ende geführt haben – ob Sie nicht die Arbeit übernehmen wollen.«

Er räusperte sich und schaute gespannt auf seine grünen Hände. Annemarie roch an ihrem Blumenstrauß und warf dabei einen raschen Seitenblick zu ihrem Bruder hinüber, und dieser erwiderte:

»Bester Freund, sagen Sie Herrn Stanislaus von Schönau meinen tiefstgefühlten Dank. Leider muß ich ablehnen. Die Sache reizt mich, aber ich würde eine Satire daraus machen. Ich versichere Sie, ich würde Bismarck und Benedek den wahnsinnigsten Unsinn miteinander sprechen lassen, so daß immerhin die Möglichkeit vorliegen könnte, selbst ein Leserchen im Budikerkellerchen würde zweifelhaft werden, ob das strenge historische Wahrheit ist oder am Ende gar doch nicht. Annemarie, wie denkst du darüber?«

Die Schwester lächelte und entgegnete: »O, ich kann nur sagen, daß es mir ein Genuß sein würde, die Geschichte so zu krempeln, daß alle Leserchen behaupten müßten, ich hätte recht und nicht Bismarck. Denn das ist ja das Angenehme für einen Schriftsteller, daß er aus der Geschichte machen kann, was ihm beliebt. Schiller hat sich bei ›Don Carlos‹ und der ›Jungfrau‹ und dem ›Wilhelm Tell‹ auch nicht um die Historie gekümmert. Und Bismarck wird sich hüten, zu widersprechen, wenn ich ihn beim dämmernden Frühlicht mit der Faust auf den Tisch schlagen und sagen lasse: ›Morgen wird gesiegt, und dies soll der Tag von Königgrätz sein, oder ich nehme sofort meinen Abschied.‹ So etwas wirkt immer, und ich zweifle nicht daran, daß der Leser zustimmend mit dem Kopfe nicken und äußern würde: ›Das ist Bismarck, wie er leibt und lebt.‹ Aber ich habe leider keine Zeit – ich habe bei Ripplau zu viel zu tun, um mich dieser schönen Aufgabe widmen zu können.«

Herr von Bake fühlte natürlich das Harmlos-Spöttische, nahm es indessen nicht übel und erwiderte nur: »Großmann läßt sich die Sache etwas kosten – das Honorar könnte zweitausend Taler betragen …,« worauf er wieder seine Fingerspitzen betrachtete.

Da trat Herbert ein, im Mantel und den Hut in der Hand, um sich zu empfehlen. Er wollte noch einen Spaziergang machen und dann nach dem Opernhause, wo die Vorstellung schon um halb Sieben begann. Herrn von Bake hatte er bereits kennengelernt, aber keine besondere Vorliebe für ihn, begrüßte ihn indes mit freundlichem Händedruck.

»Mein verehrter Herr Rittmeister –«

»Bitte,« erwiderte Bake, »im Augenblick von Schönau. Der Rittmeister ist draußengeblieben …« Und dann fiel ihm Herberts Mitarbeit an den »Kindern der Hölle« ein. Das war ja auch ein Schriftsteller, und sichtlich ein Mensch, der mit sich reden ließ – vielleicht lockte ihn der Vorschlag des Herrn Werner Großmann. Man konnte nicht wissen … »Hören Sie, werter Herr Haug,« begann er und erzählte noch einmal die Geschichte von dem »Jäger von Königgrätz«.

Herbert lachte zuerst, dann wurde er ernst. »Zu wem spreche ich?« fragte er. »Zu Stanislaus von Schönau?«

»Wenn ich bitten darf,« entgegnete Herr von Bake.

»Also, mein lieber Kollege Schönau,« begann Herbert, »ich möchte Ihnen gern einmal die Wahrheit sagen. Ein Volksschriftsteller ist ein beneidenswerter Mann, und vor Geistern wie Hebel, Gotthelf, Stöber und Genossen zieh' ich den Hut sehr tief. Aber, Stanisläuschen, nehmen Sie es mir nicht übel, eine Literatur wie Sie sie verzapfen, die paßt für das Volk wie der Igel zum Taschentuch. Stanislaus, klopfen Sie einmal an Ihr Allerinnerstes und fragen Sie da unter der Hand an, ob Sie nicht ein böser Geschmacksverderber sind. Und ob es nicht am besten wäre, man errichtete einen Galgen auf dem Hofe Ihres Herrn Verlegers und baumelte ihn daran. Und nun grüßen Sie Herrn von Bake und sagen Sie ihm, er möchte Ihnen doch auch einmal in das Gewissen reden. Denn das tut not. Auf Wiedersehn allerseits.«

Er nickte und ging. Herr von Bake hatte sich leicht verfärbt und schaute noch aufmerksamer auf seine grünen Handschuhe. Dann erhob er sich.

»Ich werde das Stanislaus wiedererzählen,« sagte er. »Wörtlich. Und werde Herrn Haug auch recht geben. Aber ich glaube nicht, daß Schönau sich ändert. Er sitzt zu tief im Geschäft. Und er hat einen zehnjährigen Vertrag mit seinem Verleger. Das ist die Schlinge. Fräulein Annemarie, es würde mir innigst leid tun, wenn Sie über Bake ähnlich denken wollten wie Herr Haug über Schönau. Sagen Sie mir bitte, daß es nicht der Fall ist. Sonst weine ich wie ein liebes kleines Kindchen.«

Er verzog schmerzhaft das rote behäbige Gesicht. Annemarie reichte ihm die Hand.

»Dieser Freundschaftsdruck gilt Herrn von Bake,« meinte sie. »Und Herrn von Schönau bitte ich zu bestellen, er möge einmal überlegen, ob sich sein Handwerk nicht besser ausüben läßt, wenn er schon bei der Sache bleiben will oder muß.«

»Ah,« rief der Rittmeister und zog die Stirne hoch, »das klingt schon anders! Natürlich könnte man – man könnte … Wenn auch sozusagen die Grundlinien gegeben sind, die derben Spannungsreize – und die Naivitäten in der Entwicklung – und all das Sprunghafte – immerhin, man könnte doch versuchen … man könnte trotz alledem gewisse Vertiefungen erstreben, so im Rahmen des Ganzen, den Stil veredeln – kann natürlich nicht das blanke Handwerk zur Kunst erheben, aber vielleicht zu einem ganz netten kleinen Kunstgewerbchen und damit der allzu krassen Geschmacksverwilderung entgegentreten, und darüber will ich wirklich einmal mit Stanislaus Schönau Rücksprache nehmen. Ich denke, er wird nicht abgeneigt sein, denn manchmal – wahrhaftig, manchmal schämt er sich vor sich selbst …« Nun verneigte er sich tief vor Annemarie … »Gnädiges Fräulein, im Namen von Stanislaus meinen Dank. Darf Erich von Bake gelegentlich wiederkommen?«

»Aber natürlich – wir freuen uns immer,« rief Annemarie, und auch Hans stimmte ein. Und als der Rittmeister sich empfohlen hatte, sagte er:

»Das ist ein mordsnärrischer Kerl, Annemieze. So was hab' ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Ein Fabrikant von Schleuderware. Ich glaube, er schreibt ohne zu denken. Er gibt nur von sich. Und diesem Seelenlosen hast du durch eine einzige Bemerkung einen inneren Ruck gegeben.«

»Hoffentlich ruckt es weiter in ihm. Es ist richtig, er ist ein Verbrecher am guten Geschmack, ein Mörderchen, um im Kreise seiner Zärtlichkeitsausdrücke zu bleiben. Aber das hat er bis jetzt selbst nicht gewußt. Und eigentlich hab' ich ihn gern. Er ist ja auch nicht ganz ohne Talent, er hat Phantasie, weiß sie bloß nicht zu zügeln, und eine gewisse Frische des Erzählens. Und da das Volk nun doch einmal auf die Heftliteratur eingestellt ist und sich an ihren äußerlichen Betrieb gewöhnt hat, so wäre es wirklich nicht unmöglich, daß er sie bei gutem Willen ein wenig mehr zur Höhe führen könnte. Weißt du, das ist ja auch Herrn Mützelburgs Bestreben, des hübschen, großen Herrn, den ich dir neulich bei Ripplau vorstellte. Der läßt seine Romane gleichfalls in Heftform erscheinen, um sie dem Volke näherzubringen – nur ist er ein gewissenhafterer Arbeiter als der brave Stanislaus. Aber jetzt will ich mich schleunigst mit Pressel in Verbindung setzen, um zu sehen, was zum Abendessen da ist. Heute sind wir einmal allein.«

»Nein!« schrie Hans und schlug sich vor die Stirn. »Ach herrjeh, das hätte ich beinahe verschwitzt! Nein, Annemarie, wir bekommen Besuch. Ich habe Erika Herwey zu halb Acht eingeladen – sie wollte dich gern kennenlernen, und es machte sich grade so, da ihr Vater verreist ist. Es ist dir doch recht.«

»Ja natürlich, Hans. Ich will mit Pressel sprechen. Es sind noch Reste da. Er kann ein Ragout fabrizieren – mit Reisrand – und es à la Soubise betiteln oder à la Mont-Croix – und nachher gibt's einen Eierkuchen. Fein und adlig. Im Weinschrank liegen auch noch ein paar Flaschen.«

»Sie trinkt nur Limonade,« antwortete Hans. Da ließ Pressel den Postboten ein, der einen dicken, rekommandierten, fast wie ein Paket aussehenden Brief brachte.

Hans nahm ihn und erblaßte. Er sah den Stempel auf dem Umschlag: »Königliche Schauspiele. Direktions-Kanzlei« und schleuderte den Brief in eine Ecke des Zimmers.

»Das verfluchte Stück,« rief er. »Wieder zurück! …« Dann gab er dem Briefträger zwei gute Groschen … »Für Ihre Mühen, Mann Gottes. Wenn Sie wiederkommen, bringen Sie mir eine fröhlichere Post.«

Der Bote ging mit etwas verwirrtem Gesicht von dannen, und Annemarie nahm den verwünschten Brief wieder auf und meinte vorwurfsvoll, wie man nur so heftig sein könne.

»Heftig?« rief der Dichter und lachte. »War ich heftig? Es ist möglich, und ich bitte dich um Verzeihung. Leg' den Brief in das Zimmer Haugs. Geteilte Freude ist doppelte Freude.«

»Willst du ihn nicht erst öffnen?« fragte Annemarie.

»Wozu? Das überlasse ich meinem Mitarbeiter. Ich weiß ja von vornherein, wie die Antwort lauten wird. Man wird mir die bittere Pille versüßen. Aber am Effekt ändert's nichts.«

»Nicht den Mut verlieren,« sagte die Schwester und küßte ihn. Sie brachte den Brief gehorsam in das Zimmer Herberts und legte ihn auf seinen Schreibtisch. Ein Seufzer hob dabei ihre Brust. Es war schon richtig: es war im Leben kein Verhältnis zwischen Tun und Ergehen. Dieser Herr von Bake verdiente mehr, als er brauchte – und zwei ehrlich Strebende fanden nur Dornen auf Weg und Steg. –

Erika war pünktlich und wurde wie eine alte Freundin empfangen. Sie mußte zunächst das ganze kleine Haus besichtigen und fand alles sehr reizend. Im Arbeitszimmer Herberts schaute sie sich besonders aufmerksam um und meinte lächelnd: »So etwas wie einen Hauch der Musen und Grazien spüre ich auch hier. Und an diesem Schreibtische hält Ihr Herr Haug seine Zwiegespräche mit den Olympischen?«

»So ist es,« erwiderte Hans. »Aber Apoll ist nicht immer bei Laune. Ich erzählte Ihnen doch, daß Herbert –«

»Herbert heißt er?«

»Ja – warum fragen Sie?«

»Es ist kein gewöhnlicher Name, und mein Bruder in Paris führt ihn auch …« Sie lächelte wieder und fügte hinzu: »Aber sprechen Sie weiter.«

»Ich erzählte Ihnen, daß Herbert den Schlußakt meines Dramas völlig umgearbeitet hat, und davon versprach ich mir viel. Prost Mahlzeit – jetzt hat uns das Schauspielhaus das Stück abermals zurückgeschickt! Ich überlasse es meinem Freunde und Kollaborator, die Hiobspost eigenhändig zu erbrechen.«

»Oh! –« sagte Erika voll Mitgefühl. »Das tut mir leid. Mein armer Freund – Ihnen kann ich die Hand drücken. Aber auch Herrn Haug möchte ich ein Trostwort spenden als Unbekannte …« Sie setzte sich an den Schreibtisch und schrieb mit rascher Feder auf das Kuvert der Intendanz den alten Spruch: »Im Glück nicht jubeln und im Sturm nicht zagen, das Unvermeidliche mit Würde tragen« – und darunter ihren abgekürzten Vornamen »Eri« … »Wer ist Eri, wird er sich fragen,« sagte sie und stand auf.

»Eine holde Fei,« rief Hans. »Und ich werde versuchen, ihm eine Beschreibung dieser Fee zu geben, wie sie als eine echte Prinzessin aus dem Märchenland in dieses Zimmer schwebte und auf dem Dichtersessel Platz nahm.«

»Vielleicht findet er in Ihrer Beschreibung irgendwelche Anklänge an eine Wirklichkeit,« erwiderte Erika. Dann trat Pressel in Erscheinung, in seiner Livreejacke, als herrschaftlicher Diener, und meldete, es sei angerichtet.

Hans bot Erika den Arm. Alles spielte sich in den Umrissen eines gut geführten Haushalts ab. Pressel hatte wieder seine Schuldigkeit getan: der Geist Lukulls hatte ihn begnadet. Er hatte eine dickliche Suppe fabriziert, die man für Mockturtle halten konnte, und bot sie in Tassen an. Woraus sie eigentlich bestand, wußte niemand am Tische; jedenfalls mundete sie. Dann reichte er das Ragout à la Mont-Croix, reizvoll angerichtet mit einem Reisrand und in einer geheimnisvollen lichtsafranfarbenen Tunke, die Erika gleichfalls so gut schmeckte, daß sie es äußerte. » A la Madame de Staël«, erklärte Pressel bescheiden.

Erika freute sich. »Das ist ein literarisches Souper,« sagte sie. »Brillat-Savarin und Baron Vaerst sitzen unsichtbar zwischen uns.«

»Aber die Limonade ist matt,« entgegnete Hans. »Sie müssen es mit einem Glase Rheinwein probieren, Fräulein Erika. Sonst ist Pressel nicht zufrieden.«

Erika ließ sich einschenken, trank und wurde noch vergnügter. Dies seltsam liebenswürdige Gastmahl machte ihr Spaß. Es war Humor dabei und auch ein freundlicher Beiklang von ästhetischem Behagen.

Dann kam Pressel mit dem Nachtisch. Das war wiederum ein Mysterium. An sich eine einfache Leistung: Pressel hatte vom nächsten Konditor Vanilleeis geholt und es mit einem Eierauflauf umgossen. Doch damals kannte man dies Rezept noch nicht. Pressel sprach auch kein Wort, als er die Speise reichte; selbstverständlich tat er dies stumm und mit seiner gewöhnlichen ernsten Miene. Aber als man am Tische von der Wärme in die Kälteschicht gedrungen war, atmete man zuerst bestürzt auf und geriet sodann in Begeisterung.

»Donnerwetter,« rief Hans, »das ist eine Überraschung.«

Nun schob Pressel seinen dicken Kopf ein wenig vor. »So habe ich mir auch erlaubt,« sagte er, »das Gericht zu benennen. Die Erfindung geht auf eine Anregung Seiner Exzellenz des Herrn von Malortie zurück, aber dies ist der erste praktische Versuch. Ich möchte darüber in der Zeitschrift ›Die feine Küche‹ berichten. Anfänglich dachte ich daran, meinen Namen zu verewigen und nannte die Speise Omelette à la Pressel. Aber das erschien mir zu unbescheiden, gnädiger Herr. So verfiel ich auf Omelette surprise.«

»Ausgezeichnet,« sagte Erika. »Hans Weerth, in diesem Hause geschehen Taten und Wunder. Die Dichtkunst beflügelt sogar den Kochlöffel. Die Musen umkreisen den Herd. Die Phantasie macht nicht halt vor der Pfanne. Die Nachwelt wird uns dankbar sein für diesen Abend einer großen Errungenschaft.«

»Ging nicht die Haustür?« fragte Annemarie.

»Das könnte nur Herbert sein,« antwortete Hans, »aber der ist in der Oper.«

Doch gerade da trat, wie auf ein Stichwort im Theater, Herbert in das Zimmer, sagte nur kurz: »O, ihr habt Gesellschaft –,« und rief dann erstaunt und unüberlegt: »Erika!«

Sie hatte sich erhoben, indes Pressel sich schleunigst zurückzog. »Nun ja, ich bin es,« erwiderte sie. »Leibhaftig und wirklich. Und damit ist von deinem Inkognito nicht mehr viel übriggeblieben. Aber wir sind unter Freunden, also gräme dich nicht. Dies nämlich, geehrte Anwesende, ist mein Bruder.«

Annemarie und Hans standen einen Augenblick wie im Banne einer Betäubung. Dann sprangen sie jubelnd Herbert entgegen, der ihnen zurief: »Gottlob, daß die Entdeckung da ist! Ich habe oft genug geschwankt, ob ich mich euch lieben Leutchen nicht anvertrauen sollte, denn eigentlich schämte ich mich meiner Heimlichkeit. Nun gebt mir ein Glas Wein, dann sollt ihr die Wahrheit hören.«

Man rückte zusammen, ein Gedeck wurde eingeschoben, und Herbert erzählte seine Geschichte. Sie war so klar und bündig, daß ein Begreifen nicht schwer fiel.

»Also nicht einmal zahnärztliche Bedarfsartikel,« sagte Annemarie vorwurfsvoll. »Und wo hatte ich meine Augen, daß ich einen Leutnant vom ehemaligen Regiment Cambridge nicht von einem Handlungsreisenden unterscheiden konnte?«

»Zuweilen schwante mir Dunkles,« gab Hans zu. »Ich sah Höheres unter der Schlichtheit. Es war nur eine Witterung, immerhin etwas Ahnungsvolles. Aber, Sir Herbert Herwey, es bleibt noch eine Unklarheit zu lösen. Das Ganze sieht nach einem Überfall aus und ist es doch nicht. Warum sind Sie nicht bei dem Räuber Diavolo?«

»Weil die Oper ausverkauft war,« entgegnete Herbert. »Kein Platz mehr zu haben. Ein Unterhändler bot mir noch ein Billett zur Fremdenloge an – für sechs Taler, und das war mir zu teuer. Dann ging ich zu Borchardt, wo ich mich nach dem Theater mit Hirsekorn verabredet hatte, dem geheimen Anwalt aller exilierten Hannoveraner – aber der hatte da schon ein Briefchen für Herrn Doktor Haug abgeben lassen (Doktor betitelte er mich auf der Adresse, wahrscheinlich in Anbetracht meiner literarischen Leistungen), er sei leider verhindert zu kommen. Nun aß ich rasch eine Kleinigkeit und bummelte dann so sachte hierher zurück, um noch ein Stündchen mit euch zu verplaudern.«

»Was auch geschehen soll,« sagte Hans. »Aber, Lord Herbert, bevor wir in das Geplätscher der Gemütlichkeit gleiten, muß ich Sie noch auf das Drama eines Dramas aufmerksam machen –«

»Ach du lieber Gott,« fiel Herbert ein, »– unser Stück!«

»Zaruck, mein Lord! Sogar rekommandiert.«

»Und was schreiben diesmal die Banausen?«

»Das weiß ich nicht. Es ist mir auch wurscht. Der Brief liegt uneröffnet in Ihrer Stube. Ich wollte Ihnen den Vorrang gönnen. Ich war nicht stolz.«

»Ich hole ihn furchtlos,« sagte Herbert und erhob sich. »Wir wollen ein Pereat auf die Böotier trinken und müssen dazu stichhaltige Gründe haben.«

Er ging, kehrte aber bald zurück, unter dem Arm das Manuskript, in der Hand einen Brief. Auf seiner Stirn kreuzten sich Falten, er sah drohend aus. Nur das Zucken der Mundwinkel paßte nicht zu dem finsteren Gesamtausdruck.

»Direktor Hein schreibt höchst eigenhändig,« begann er. »Und zwar versetzt uns dieser Sklave Thalias folgendes Skriptum …« Er las: »Euer Hochwohlgeboren kann ich die freudige Mitteilung machen, daß mir Ihre Bearbeitung außerordentlich gut gefällt. Nun erst ist das Schauspiel wie aus einem Gusse und wird meiner Überzeugung nach nicht nur dem Publikum einen genußreichen Abend bereiten, sondern auch der Kritik zusagen. Für eine vortreffliche Besetzung werde ich Sorge tragen. Die Gräfin müßte natürlich Frau Erhardt spielen, ihre Tochter Fräulein Keßler; der ernste Liebhaber ist etwas für Herrn Robert, sein Gegenpart wie geschaffen für Herrn Liedtke. Für den alten Grafen kann ich vielleicht Herrn Haase interessieren, der uns ja seit kurzem angehört, und für die sehr lustige Charge des falschen Biedermanns Herrn Döring –«

»Herbert!« schrie Hans. – Er war aufgesprungen, glührot im Gesicht, strich sich das Haar aus der Stirn und stierte auf den Lesenden. »Machen Sie keine Witze, Herbert!« – Und kummervoll fügte er hinzu: »Die Sache ist wirklich nicht des Spottens wert.«

»Auslesen lassen,« rief Erika. Annemarie stand schon hinter Herbert und schaute mit glänzenden Augen in den Brief.

Herbert las weiter: »Das sind freilich erst Vorschläge. Jedenfalls habe ich sofort Seiner Exzellenz dem Herrn Generalintendanten entsprechenden Bericht erstattet und gebeten, Ihr Stück als erste Neuheit im Monat Januar ansetzen zu dürfen. Ich sende es Ihnen beiliegend nur noch einmal zurück, weil ich Sie ersuchen möchte, den Namen des Grafen Balascheff in einen deutsch klingenden umzuändern – und an den blau angestrichenen Stellen, die mir unnötige Längen zu enthalten scheinen, einige Kürzungen vorzunehmen. Wenn Sie gelegentlich die Güte haben wollen, mich in den Nachmittagsstunden von Fünf bis Sieben in meinem Bureau aufzusuchen, können wir über dies und jenes noch mündlich verhandeln. Hochachtungsvoll Ihr ergebener …« Herbert ließ den Brief sinken und lachte … »Ich nehme hiermit die Ausdrücke Banausen und Böotier feierlichst zurück«, schloß er, »und erkläre die Direktion des Königlichen Schauspielhauses für das Haupt der Athena.«

»Machen Sie Platz, Herbert,« rief Hans, »geben Sie Raum, ich muß radschlagen! Oder soll ich vor Freude die Wände in die Höhe krabbeln? Oder was soll ich tun, um meine Seligkeit zu zeigen?«

Auch die jungen Damen gerieten in Ausgelassenheit. Annemarie umfaßte Hans und wirbelte mit ihm durch das Zimmer. Das sah Erika, nahm Herbert und wirbelte hinterher. Pressel trat ein und blieb ein wenig fassungslos stehen.

»Hüter des Hauses,« rief Herbert, »Magister Gastrosophiae, neigen Sie sich in Ehrfurcht vor Ihrem Herrn! Das Hoftheater bringt sein Drama zur Aufführung. Unter Ihren Fittichen wachsen die Dichter wild. Ist noch Wein da? Schleppen Sie den ganzen Keller herbei, Pressel. Wir müssen feiern und anstoßen, der Jubel schwillt und Freude wohnt in Trojas Hallen.«

Pressel war sehr bewegt. Er stellte den rechten Fuß vor und nahm Haltung an, schwang den Arm und reichte Hans unter tiefer Verbeugung die Hand.

»Ich wußte es,« sagte er, »wir kommen in die Berühmtheit, und ich trage meinen Teil dazu bei. Nun soll mein Bruder noch einmal wagen, von Kündigung zu sprechen! Gnädiger Herr, ich gratuliere. Und wenn es so weit ist, wird auch der alte Pressel seine Pflicht tun. Darauf warte ich in Geduld. Jetzt hol' ich den Keller herauf – zwei Flaschen und eine halbe …«


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