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Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam
Johannes 3, 29
4. Dezember 1746
Ich habe immer gewünscht und wünsche es noch, daß sich niemand möchte die Mühe geben, unser wahres und reales Christsein mit vernünftigen Gründen zu beweisen. Solange man die Sache nur in der bloßen Idee hat, solange es nur lauter abstrakte Gedanken bleiben, solange kann man's noch ertragen. Aber von dem Augenblick an, da man Folgen auf sein und der andern ihre Herzen daraus ziehen soll, so bleibt man stecken und da ist's gut, daß man gleich anfangs sich für einen Narren halten läßt von denen, die nichts anders als natürliche Vernunft haben, als daß man erst lange mit ihnen geht und zuletzt doch für einen Narren gehalten wird. Ich halte viel davon, daß wir sagen, unser erster Satz ist Torheit. Wer an unsern ersten Satz glauben kann, der findet nachher eine unaufhörliche, kettenweis aneinander hängende göttliche Weisheit. Aber den ersten Satz muß er gleich glauben. Und wenn er den ersten Satz nicht glauben will, so ist's vergeblich, daß man sich über eine andere Wahrheit einläßt. Der Satz nun, den wir glauben müssen, das ist der: »Dem Heiland ist seine Braut untreu geworden, dem Heiland ist seine Braut genommen worden und er hat sie mit seinem eigenen Blute in menschlicher Gestalt erlöset, von ihrem Räuber losgemacht und ihr das Recht mit seinem Tode zuwege gebracht, daß sie wieder in seine Arme laufen kann, wenn sie will und daß sie die Räuber nicht halten müssen.« Das ist der erste Satz, das ist der Grundsatz der Kirche. Da sagt nun der Philosoph, der die Dinge nicht glaubt und der des Heilands Historie nicht glaubt: Wenn der Heiland hat wollen eine Braut haben, warum hat er sie sich nicht gleich geschaffen, wie er sie hat haben wollen? Warum hat er den Feind geschaffen, warum hat er den Feind nicht totgeschlagen, warum hat er solange gewartet, bis er ist ein Mensch worden, und ist ein Wiegenkind worden und hat sich 30 Jahre geplagt bei seinem Handwerk und ist Lehrer worden und hat sich lassen ans Kreuz hängen, ist gestorben und hat sich lassen ins Grab legen, hat er dann seine Braut nicht anders erwerben können? der allmächtige Gott, der Schöpfer aller Dinge, der den Teufel geschaffen hat? Nun, wer so klug ist und kann's beantworten, dem überlasse ich's, ich kann's nicht und ich rate es keinem Menschen, daß er sich damit einläßt, es zu beantworten; sondern da sagen wir: Wir glauben! Wir sagen nicht, wir haben's verstanden. Mein Gewissen sagt mir das Gegenteil. Ich denke aber so, weil der Heiland gesagt hat, wir sollen's glauben! weil er niemals gesagt hat, wir sollen's begreifen, wir sollen's erklären, wir sollen's andern Leuten beweisen, sondern wir sollen's glauben, und weil wir's glauben, so sollen wir's bezeugen und sollen ihn dafür sorgen lassen, wie er es andern wird begreiflich und glaubhaft machen, gleichwie er's uns begreiflich und glaubhaft gemacht hat; weil ich sehe, daß der Heiland spricht: Das hat dir kein Mensch gesagt, das hat dir Fleisch und Blut nicht beigebracht, sondern mein Vater im Himmel; weil ich sehe, daß sich die Apostel entschuldigt haben, daß sie mit der Philosophie nicht wollten vermengt sein, daß Paulus schlechterdings gesagt hat, es hat kein Meister, kein Kluger, kein Weiser, kein Doktor in allen Fakultäten jemals so einen Gedanken gehabt, es ist ihnen nie in den Sinn gekommen, was Gott mit uns angefangen, was Gott an uns gewendet hat, sondern uns ist es offenbaret worden durch seinen Geist: so denke ich, das ist die kleinste, geringste Treue, die wir unserm Herrn erzeigen können, daß wir seinen Worten durch seine Gnade glauben, daß wir unser Herz dafür reden lassen, daß wir zum ersten Argument sagen: so ist's, denn meine Seele sagt mir's, so haben die Alten in der Bibel geredet, meine Seele sagt mir's, so hat mir's bisher meine Seele gesagt, so sagen es meine Brüder von der Stunde an, da das Licht in dem Herzen angezündet wird, das wir das Licht des Glaubens nennen, bei dem man Sachen sieht und Sachen glaubt und Sachen faßt, die man in seiner natürlichen Weisheit nie denken, nie erfinden, auch wenn sie einem gesagt werden, nie begreifen kann, unser Herz sagt uns, daß er unser Heiland und Bräutigam ist.
Wie hat er uns nun das ermöglicht? Er hat das Opfer, das ewig gilt, für uns vollendet, er hat sich lassen am Stamme des Kreuzes für uns zu Tode martern. Das ist geschehen, es ist vollbracht, nun sind wir nicht nur dazu geschaffen, sondern nun sind wir von neuem wieder dazu berechtigt, zu unserm Jesus heimzukommen. Wir haben keinen andern Ort, wir können uns nirgends anders hinbegeben als zum Bräutigam. Er ist aus dem Tode, sagt der Heiland, er ist aus der Verwirrung hinüber gekommen ins Leben, ins Land der Lebendigen, da Fried und Freude lacht, wo in Freuden über Freuden alles wird versenkt, was uns je gekränkt.
Von den Seligkeiten, von den Herrlichkeiten reden wir eben nicht viel. Wir glauben alle die Sachen, wir glauben, es ist lange noch nicht alles offenbart, es ist noch viel herrlicher, als es jemand mit seiner Feder beschreiben und mit seiner Zunge aussprechen kann, als eines Menschen Gemüt ausdenken, als sich's ein Menschenherz wünschen kann, aber es ist doch alles für uns, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wenn man den Heiland hat, so fragt man nicht, ob noch eine Erde ist oder ob noch ein Himmel ist, man hat ihn. Weil er nun nicht haben will, daß wir vergessen sollen in unserm ganzen Leben, daß wir Kinder Gottes sind, daß wir erlöset sind, daß wir vom Satan und von der Sünde befreiet sind, daß wir Bürger und Hausgenossen sind mit den übrigen Heiligen: so hat er das teure heilige Abendmahl eingesetzt. Wer nun also des heiligen Abendmahls teilhaftig wird und glaubt und kann sich dahineinversetzen und sich die Freude machen, daß er denkt, nun werde ich mit Jesus vereinigt, nun tritt mir Jesus vors Gesicht, nun kommt er mir in Herz und Seel und Mund, nun kommt der Weinstock in die Reben, der hat's »und hat's umsonst, es kann niemand ererben und noch erwerben durch Werke, deine Gnad, die uns erretten vom Sterben.«
Wie gut haben's die Menschen, die da wissen, was sie an ihm haben, die da wissen, wo sie zu Hause sind.
3. Juni 1748
Johannes, Jesu Vorläufer, hat gesagt: Der die Braut hat, das ist der Bräutigam. Der Heiland selbst hat von der Sache wenig Worte gemacht. Er hat einmal gesagt: Wie können die Hochzeitleute fasten, so lange der Bräutigam bei ihnen ist. Matthäus 9, 15. Er hat auch einmal erzählt, wenn er wird wiederkommen, wie es da wird sein. Aber eigentlich ist das des Heiligen Geistes Arbeit; der ist Brautwerber, seine ganze Predigt, seine ganze Arbeit besteht darin, daß er ruft, winkt, daß er zu verstehen gibt, wozu wir erkauft sind mit Jesu Blute. Du bist teuer erkauft, darum so preise Gott an deinem Geiste und preise ihn auch an deinem Leibe, laßt nicht nur eure Herzen so gestellt sein, sondern laßt auch euer Haus, eure Gemeinde, so eingerichtet sein, wie sich's schickt für den künftigen Bräutigam, das ist des Heiligen Geistes öffentliche Lehre. Das ist ein großes Geheimnis, von der Welt her verborgen, und findet noch jetzt nach 1900 Jahren immer Leute, die es glauben und die ihr Herz darin weiden.
19. September 1751
Es ist eine große, aber rätselhafte Wahrheit, daß uns unser Herr erlöset hat, sie ist aber nur so lange, bis die Menschen glauben, daß sie die Leute nicht sind, wozu sie geschaffen werden. Denn sobald man sein Elend kennt und glaubt, daß die Menschheit unmöglich dazu geschaffen sein kann, was sie jetzt ist und man erschrickt vor ihrem jetzigen Zustande und wird über seine Armut und Elend betrübt, danach wird man bald inne, daß uns unser Herr erlöset hat.
Es ist ein dummkühner Versuch, den die Weltweisen unter den Theologen an den Menschen machen, daß sie sich durch Gründe, und zwar fremde, bereden lassen sollen, daß der Schöpfer ein Mensch worden und am Stamme des Kreuzes, wie ein Dieb am Galgen gestorben sei, nicht eben aus einer dringenden Not und weil kein anderer Rat war, sondern nur zum Beispiel, uns ein Exempel zu geben. Sie behaupten ferner, daß man die Vernunft gar wohl dazu brauchen könne, diese Lehre dem menschlichen Gemüte zu demonstrieren und weil das eine allgemeine Sache worden und die Oberhand gekriegt hat, so hat man einen Respekt davor bekommen. Wie kommt's aber, daß der Apostel Paulus so treuherzig zugibt, daß seine Lehre von Jesu Kreuze und der Marter Gottes eine Torheit sei, ein Rätsel der Vernunft, für Leute, die mit sich selbst zufrieden sind und sonst noch Mittel wissen, wie sie den Menschen ausstaffieren und zu einer rentablen Kreatur machen können. Weg mit solchen Hirngespinsten! der Hauptpunkt zum Glauben ist das Elendsgefühl und die Tränen darüber, dazu man sich nicht zwingen darf, sobald man sich selbst recht kennt. Wer ihnen danach die Botschaft bringt, daß ihr Schöpfer ihr Heiland ist, der ist ihnen Gottwillkommen, da geht es ihnen, wie dem Jakob »Nun will ich gern sterben, nun ich das erfahren habe!« Also, der der Menschenseele ihre Freiheit wieder zuwegegebracht hat, der sein Leben dran wagte, »und ins Todes Rachen sprang, uns frei und loszumachen von diesem Ungeheur«, das ist der Bräutigam, der die Braut hat, spricht Johannes: Der ist's.