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In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheinet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht begriffen.
Johannes 1, 4. 5
27. Dezember 1746
Das Leben ist das Licht der Menschen. Man hat also keine Klarheit, keine Wahrheit im Herzen, keine gründliche Erkenntnis, ehe man das Leben hat. Wir wissen, daß alle Menschen von Natur tot sind in Sünden, und der Mensch hat keine Augen, ehe er lebt. Darum sagt der Heiland: Mit sehenden Augen sehen sie nicht und mit hörenden Ohren hören sie nicht, denn sie verstehen es nicht (Matth. 13, 13). Warum denn? Das Herz ist noch steintot, es kann nichts hineinkommen; das steinerne Herz muß erst weggenommen werden, dann wird es lichte. Das Kind redet wie ein Kind, der Mann wie ein Mann, alle aber reden wahre und verständige Worte nach ihrer Fähigkeit, es geht immer weiter vom Irrtum weg und näher zur Wahrheit, und die Gnade, die sich nach der Fähigkeit richtet, hat dabei solange ihr Spiel, bis nach und nach die Sache immer wesentlicher, ganzer, und das Licht immer ausgebreiteter wird, da man alles in seiner rechten Gestalt sieht.
Darum ist nun eine ausgemachte Sache, daß kein Mensch das Leben aus Gott geben kann; sondern das tut die ewige Gottesgewalt, die den armen Menschen erhält, bis die Stunde seines Auflebens kommt. Das mag nun im Mutterleibe sein, wie bei Johannes, dem dieses Leben aus Gott ins Herz gekommen ist, oder es mag im sechzigsten, siebenzigsten Jahre sein. Bis dahin muß eine Gottesgewalt das kranke Fleisch (den unerlösten Menschen) unter der schweren und fast erdrückenden Last erhalten, daß es nicht zum ewigen Tode einschlafe.
Wer nun zu der Zeit, da der Heilige Geist das arme, totkrank und unempfindlich daliegende Herz aufleben will, sein bißchen Verstand und Sinnen anwendet, den Heiligen Geist zu hindern, der versäumt die Gnadenzeit und entschläft endlich im Tode.
Wenn Menschen, die Weisheit und Licht suchen, in ihrer Finsternis gern Licht haben wollen und sind ihres Sitzens in der Finsternis müde, so läßt der Heiland einen Strahl in die Finsternis hineinscheinen von seinem Leben, von seiner Person. Er läßt einmal das Evangelium predigen, daß helle wird, was dunkel war. Da sitzen hernach die bösen Kinder, wenn das Licht kommt und mögen es nicht, sondern machen die Augen zu oder kehren sich weg, das Licht blendet sie und wird ihnen beschwerlich. Dieser Verdruß gegen das Licht entsteht aus der Tücke des Herzens, da man nicht gern entdeckt, nicht gern gestört, nicht gern gesehen sein will, wo man ist, sondern man will seine Finsternis entschuldigen, auf seine Art erleichtern und mag das wesentliche Licht, das aus dem Leben des Schöpfers herkommt, nicht.
Nun muß ich noch etwas von der großen Seligkeit, der Weihnachtsfreude, anführen, darin wir jetzt stehen.
Die Frommen des Alten Testamentes, ehe der Heiland ist geboren worden, hießen auch Kinder Gottes, sie konnten ebenfalls nicht in ihrem natürlichen Tode bleiben, sie mußten auch lebendig werden. David sagt: »Du hast meine Seele aus dem Tode errettet« Psalm 116, 8. Wenn sie nun das Licht hatten, was sahen sie da? Da sahen sie in die Unermeßlichkeit der Gottheit und dachten:
»Du bist ein unbegreiflich Meer,
wir sinken hin in dein Erbarmen.
Das Herz ist wahrer Weisheit leer,
umfasse uns mit deinen Armen.
Wir stellten dich uns hier
und andern gerne vor.
Doch wird man seiner Schwachheit innen,
weil alles, was du bist
ohn End' und Anfang ist.«
So war's. Darum mußte sich der liebe Gott schon damals durch mündliche Gespräche, durch Erscheinungen, durch einen äußerlichen, sichtbaren Gottesdienst offenbaren, dabei er ihnen aber gleichwohl verbot, sie sollten sich keine Bilder machen. Unterdessen tat er sich ihnen doch so nahe als es sein konnte, daß sie mit dem unsichtbaren, unendlichen, ewigen Gott freundschaftlich umgehen konnten. Deswegen er sich manchmal ihren Vater, ihren König genannt hat. Das hatte eine schöne Wirkung und machte, daß das arme Volk bis zu Christi Geburt getröstet wurde, es half ihnen, die Zeit hinbringen; sie wünschten und starben über ihren Wünschen, aber sie starben in der vergnügten und seligen Hoffnung, sie würden es sehen, wenn's Zeit wäre.
Endlich kam aller Heiden Trost, »der der alten Väter Schar höchster Wunsch und Sehnen war.« Und von derselben Stunde an, da er am Stamme des Kreuzes sein Leben gelassen hat, von dem Tage an, da er in der Gestalt mit fünf Wunden sich seinen Jüngern wieder gezeigt hat, haben sie auch Befehl, ein Bild vor die Augen zu malen (Gal. 3, 1), das Bild, »wie er für unsere Not am Kreuze sich so milde zu Tode geblutet hat«; das Bild des Menschensohnes, das man nicht mehr unbegreiflich, sondern faßlich ist, nicht mehr einen bloßen Geist, sondern Fleisch und Bein darstellt. Das wird gepredigt und das scheint in die Finsternis hinein. Das Bild geht vor ihrem Herzen einmal vorbei, sie können's nicht ohne Eindruck sehen. Sie sehen es entweder mit Entsetzen oder himmlischer Freude; das Herz streckt sich entweder danach und möchte es gern fassen oder zieht sich zurück und denkt, es ist ein Gespenst; nachdem man Lust zu glauben hat oder nicht, nachdem man zubereitet ist oder nicht.
Die Predigt des Evangeliums bringt die Sache beständig wieder auf, redet immer davon, weiß von nichts als von dem Jesus, dem Gekreuzigten (1. Kor. 2, 2); damit wenn eine Seele Leben kriegt und ihre Augen auftut, ihr erster Blick sein mag, nicht in eine Wüste und einen leeren Raum, sondern in ein Bild eines Menschen wie wir, eines Menschenkindes, »des sel'gen Schöpfers aller Ding, der anzog einen Leib gering, daß er das Fleisch durchs Fleisch erwürb', und sein Geschöpf nicht all's verdürb'.«
Darin haben wir's sehr leicht, denn wir haben ein solches menschliches, erträgliches Licht und dürfen nicht in die Sonne hineinsehen, sondern sehen den Tag und lauter Wahrheit.
Wir gehen mit der Wahrheit, daß wir einen Heiland haben, daß er aussieht wie wir, daß man ihn lieben, ihn anbeten kann, so viel man will durch dieses Leben durch. Sollen wir was anders wissen, so muß es uns der Heiland durch den Heiligen Geist zu erkennen geben. Wir gehen eigentlich keiner anderen Sache nach, wir haben gefunden. »Was wir lange gesucht und nicht gefunden, trafen wir endlich an in den Wunden des Opferlammes«, in Gottes menschlicher Person, in dem Fleisch und Blut gewordenen Schöpfer der ganzen Welt, in dem in unser armes Fleisch und Blut hineingekleideten ewigen Gut.