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Unfaßlich

Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Johannes 3, 16

 

26. Dezember 1741

Um in das ganze Geheimnis und in die Tiefen des Leidens Jesu und seiner großen Liebe zu uns, recht hineinzusehen, gehört schlechterdings, daß man wisse, daß der Herr Jesus beim Vater vor allen Ewigkeiten gewesen ist, und also mit ihm und dem Heiligen Geist in einer unaussprechlichen Seligkeit gelebt hat.

Der Sohn Gottes war vor allen und hat die Welt gemacht. Und da es hernach auf ihre Erlösung, auf ihre Loskaufung vom Teufel und von der Sünde ankam, so hat er sich selbst dazu hergeben wollen. Er hatte das menschliche Geschlecht so lieb, das Elend der armen Menschen ging ihm so nahe, daß er ihnen mit einem Eide versprach, sie zu erlösen aus der Hand ihrer Feinde und zu dem Ende sein Leben für sie zu geben.

Das hat nun der Vater nicht nur so geschehen lassen, wie es Jakob mit dem Benjamin gemacht hat, sondern er hat ihn willig hergegeben.

Sein Sohn ist ihm nicht zu teuer,
nein, er gibt ihn für uns hin,
daß er uns vom ewgen Feuer
durch sein teures Blut gewinn.

Wir haben gewiß Ursache, daß wir die Handlung der göttlichen Personen bei unserer Erlösung recht ins Gemüt fassen.

Und da hat, nach der Heiligen Schrift, der Sohn alles gemacht. Alle Dinge sind durch das Wort gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. Johannes 1.

Da er nun der Mensch sich erbarmen wollte und sprach: Ich will Mensch werden, ich will durch meine Menschwerdung das menschliche Geschlecht erlösen, ich will büßen, was sie ewig hätten büßen sollen, und was sie verschuldet, über mich nehmen, das hat dem Vater wohl gefallen. Er hat seinen Sohn hergegeben. Er hat seines eingeborenen Sohnes nicht verschonet, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben.

Wenn mir meine Sünden vergeben sind, wenn ich Gnade gefunden, wenn ich Friede mit Gott habe, wenn meine Seele aus dem Kerker erlöset ist, daß ich danke seinem heiligen Namen, wenn ich von der Gewalt des Satans erlöset bin, wenn Stricke des Todes mich umgeben, Angst der Hölle mich getroffen hätten, und meine Seele ist errettet, und ich denke hernach: Wie ist das zugegangen? wie komme ich dazu? Ja, der Sohn Gottes hat sich meiner angenommen, der Sohn Gottes hat menschliche Natur an sich genommen, das hat der Sohn Gottes getan, da lernt man ihn kennen.

Und was hat sein Vater dabei getan? Ist ihm das einerlei gewesen? Wer will das denken? Aber er hat die Welt so geliebt. Er hat seinen Sohn hergegeben. Ja, wer das glauben kann, der muß in seinem Herzen, wo er geht und steht, vor dem Vater hinsinken, er muß ihn über alles lieben, was man menschlicher Weise lieben kann. Er hat seinen eingeborenen, seinen lieben Sohn, sein ganzes Herz, hergegeben, nicht auf eine Minute nur, sondern auf »dreißig Jahr fürwahr arm und veracht, danach geschlacht't zum Lösegeld für uns und alle Welt.« Denn er hat die Welt lieb, das kann man sagen, daß das geliebt heißt.

Warum er sie so liebt? wie das zugeht? Das ist eine Tiefe, da können wir weiter nichts dazu sagen. Aber das ist eine Erklärung von den Worten Jesu, niemand kommt zum Vater, denn durch mich.

Wer da wissen will, was der himmlische Vater für ein Vater ist, das kann man nicht anders erfahren, als bis man Jesu Menschwerdung, seine Geburt, seinen Tod am Kreuz hat glauben lernen. Wenn man das recht zu Herzen nimmt, o seht, heißt's danach, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget! Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Welcher seines einzigen Sohnes nicht hat verschonet, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben.

O, es wäre eine selige Sache, wenn wir uns das könnten so gründlich zu Herzen nehmen und wenn wir könnten durch Jesu Wunden alle heil werden, so heil werden durch seine Beulen, daß die tiefe Betrachtung der Seligkeit, die uns dadurch widerfahren ist, in das Herz des Vaters hineinführte.

Lieber Vater! Du Vater unsers Herrn Jesu Christi! Du anbetungswürdiger Gott! Wir legen dir unser dankbares Herz zu deinen heiligen Füßen. Du ewige Liebe! Hast du deines eingeborenen Sohnes nicht verschont und hast ihn für uns alle dahingegeben? Du hast uns unsinnige, mutwillige Sünder nicht wollen verderben lassen und hast deinen Gottessohn zum Lamme gemacht und zum Schlachtopfer für uns. O großes, majestätisches Wesen! diese Liebe können wir dir nicht genug danken mit allem unserm Glauben, mit aller unserer Liebe, Treue und Gottseligkeit. Ach, es hätte kein Bruder den andern erlösen, noch Gott jemand versöhnen können. »So konnt's nicht anders sein, denn Gottes Sohn mußt' leiden des Todes bittre Pein. So nicht wäre kommen dein Sohn in die Welt und an sich genommen unsere arm' Gestalt und für unsre Sünde gestorben williglich, so hätten wir müssen verdammt sein ewiglich.« Diese große Gnade und väterliche Gunst hast du uns aus lauter Liebe erzeiget in Christo, deinem Sohn, den du übergeben, hingeschenkt, überlassen hast in den Tod des Kreuzes zu unserer Seligkeit.

Wer kann dir nun mit Worten dafür danken? Das ist nicht möglich. Alle Zungen sind zu wenig, das auszusprechen. Alle Engel und Himmelsheer können nur Amen sagen, Halleluja, Lob und Dank von Ewigkeit zu Ewigkeit. O nimm unser Herz, wie es ist, nimm du es an, mein Vater! verachte es nicht. Wir gebens, so gut wir es geben können. Das ist das einzige Opfer, das wir deinem Namen bringen können. Nimm an diesen Dank, mit unserm Lobgesang und vergib, was noch gebricht bei unserm Lobopfer, denn es ist nicht möglich, daß wir's ganz bereiten können. Aber, du treuer Gott! segne unsere Seele, heilige sie durch und durch und mache dir daraus wohlgefällige und für die bittren Schmerzen Jesu Christi bereitete Herzen. Habe du die Ehre und die Freude, daß vor deinem Sohne alles die Knie beuge auch in diesem Lande und alle Zungen schwören und sagen, in dem Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke. Amen.

Es sind in den Worten des Heilandes sehr viele Wunder, das größte Wunder aber ist: Also hat Gott die Welt geliebet. Wenn wir den Heiland nicht so gut kennen, daß wir ihm alles glauben, so dachte man, es wäre nicht wahr, daß Gott es so gut mit der Welt gemeint hätte, denn wenn man sich die unendliche Macht und Majestät Gottes vorstellt, und muß sich überzeugen lassen, daß Gott der Welt nicht anders hat helfen können, als er hat müssen seinen Sohn hergeben, da bleiben einem freilich die Gedanken und Sinne stille stehen. Und daraus fließt die unendliche Dankbarkeit, da man sein ganzes Herz zu seinen Füßen legt und weiß nicht, was man tun soll, wenn man noch was mehr als sich könnte hergeben, so täte man es.


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