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Er wußte wohl, was im Menschen war
Johannes 2, 25
23. Mai 1745
Er ist ein Mensch. Er weiß, was von einem Menschen zu erwarten ist. Er mutet einem Menschen nicht mehr zu, als ihm zuzumuten ist. Er kann einen Menschen entschuldigen, wo keine Entschuldigung für ihn zu finden wäre, denn er ist selbst ein Mensch. Er weiß, ob die Herzen rechtschaffen sind, ob man sich einem Menschen vertrauen kann. Ein jeder Mensch hat seine eigene böse Art, ein ander Gemüt, eine andere Erziehung, eine andere Verfassung in vielerlei Stücken, darinnen sind sie unter sich sehr verschieden und nach dieser Verschiedenheit müssen sie beurteilt werden. Er aber weiß, was in einem jeden Menschen ist, er weiß, was er von einem erwarten kann.
Es ist gut, daß ein jeder denkt: der andere ist besser als ich. Aber wenn die Rede vom Heiland ist, so muß einem jeden so sein: Lieber Heiland, du weißt, es kleben Herz und Sinnen an dir, mein Leben, das weißt du. Danach kann's sein, daß ich eine arme Kreatur bin, danach kann's sein, daß ich zu allem Bösen von Natur aufgelegt bin, danach kann's sein, daß ich mich noch nicht genug kenne, daß noch ein Haufen Dinge in mir verborgen stecken, die ich nicht weiß, das manchmal unversehens kann zum Vorschein kommen und sehr zur Unzeit. Aber du weißt, mein Herz klebt an dir. Wenn ich nun so ein elendes Geschöpf bin, noch so viel versehen habe, noch so schlecht bin, so ist allemal mein gerader Weg zu dir, ich gehe zu dir, mein Herz sagt mir's, ich komme immer gut an.
Er weiß, was im Menschen ist. Das, wovor alle Menschen zittern, die Allwissenheit, die Augen wie Feuerflammen, die sind die allerseligsten Gedanken, die ein Kind Gottes haben kann. Wo soll ich hingehen vor deinem Geist? Wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht? Bei uns heißt's: Sieh doch auf mich, Herr, ich bitte dich.
12. November 1750
Er weiß wohl, was im Menschen ist, er weiß, was entschuldigt werden kann und was verurteilt werden muß. Darum wird er einmal richten. Uns aber ist gesagt: Richtet nicht, bis der Herr kommt. Es ist Schmach genug für ein armes Herz, das unter Kindern Gottes ist, wenn's noch so viel Unanständiges an sich hat. Man sollte nicht nötig haben, es ihm zu sagen, es sollte aus anderer ihrer Gnade sehen, wieviel ihm an Gnade mangelt. Denn wenn nur ein jeder dem Herrn sein Herz überläßt, so kommt alles gewiß dahin, wo es hinkommen soll. Wir sind nicht gesetzt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen durch unsern Herrn Jesum Christ. Wir leben in einer Welt, da man den Menschen nicht mehr recht kennt. Darum taugt auch die eigene Heiligkeit und Selbstgerechtigkeit nichts, weil wir kein Modell haben, wie wir einen vollkommenen Menschen (das ist die Lage der Menschlichkeit seit dem Falle) bilden sollten. Daher ist lediglich unsere Sache, uns ihm hinzugeben und uns der Leitung und Erziehung des Heiligen Geistes zu überlassen. Das ist nun schon gut für uns. Wenn wir aber unsern Mitmenschen dienen und helfen und es dabei nicht einmal übers andere versehen sollen, so muß uns der Heiland selbst darüber belehren. Aus eben dem Grunde, weil er den Menschen von Grund aus kennt, können wir uns auch in seinem Dienst keinen bessern Rat geben als wir bitten ihn: »Rat uns nach deinem Herzen«, so treffen wir's. Weil wir ihn aber nicht da haben können, so hat er uns versprochen, daß der Heilige Geist, der bei uns bleibt, uns in alle praktische Wahrheit leiten soll.