Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXXVI

In dieser ungeheuren Stille voll Schmerz und Dunkelheit erwachten ein paar Vögel. Es war Oktober. Es war kurz vor vier Uhr früh. Eliza streckte Bens Glieder aus und faltete ihm die Hände ... Sie glättete das verkrumpelte Bettlaken, schüttelte die Kissen auf und machte eine kleine Delle dort, wo Bens Kopf ruhen sollte. Sein glänzendes Haar, ziemlich kurz geschnitten um den wohlgeformten Kopf, war spröd und kraus wie das Haar eines Knaben, und es leuchtete mit vielen Spitzen. Mit einer Schere schnipselte sie eine Locke ab an einer Stelle, wo man es nicht sehen würde.

»Grovers Haar war pechschwarz und ganz glatt; kein Mensch hätte sie für Zwillinge gehalten«, sagte sie.

Sie gingen runter in die Küche.

»Also, Eliza«, sagte Gant – und das war das erste Mal seit dreißig Jahren, daß er sie einfach beim Vornamen nannte – »Du hast ein schweres Leben gehabt. Hätte ich mich anders benommen, dann wären wir vielleicht miteinander ausgekommen. Laß uns unser Bestes versuchen, den Rest unsrer Tage in Frieden hinzubringen. Niemand hat Dir was vorzuwerfen. Wenn man alles in Betracht zieht, hast Du Dich sehr gut gehalten.«

»Es gibt vieles, was ich gern noch einmal zu tun haben möchte«, sagte Eliza ernst. Sie schüttelte den Kopf. »Man weiß halt nie.«

»Sprecht Euch lieber ein andermal drüber aus«, meinte Helene. »Mir scheint, wir sind alle ziemlich kaputt. Ich jedenfalls bins. Ich geh schlafen. Und Du, Papa, daß Du mir um Himmels willen ins Bett gehst; Du kannst jetzt nicht das Geringste tun. Und, Mama, ich glaub, es war das beste, Du gingst auch ...«

»Nein«, sagte Eliza kopfschüttelnd, »Ihr Kinder geht jetzt ins Bett. Ich könnte doch kein Auge zumachen. Ich hab verschiednes zu erledigen. Ich werde gleich John Hines anrufen.«

»Dann sag ihm«, erklärte Gant, »er soll an nichts sparen. Ich werde für die Rechnung aufkommen.«

»Gut so!« sagte Helene. »Laßt uns dem Ben ein gutes Begräbnis geben, was es auch kostet. Es ist das Letzte, was wir für ihn tun, können. Ich möchte in diesem Punkt nichts zu bereuen haben.«

»Ja«, sagte Eliza langsam nickend, »ich wünsche das Beste, was für Geld zu haben ist. Ich werde alles mit John Hines vereinbaren, wenn ich mit ihm spreche. Ihr Kinder geht jetzt ins Bett!«

»Armer, alter Eugen!« sagte Helene. »Sieht er nicht aus wie des Sommers letzte Rose? Ganz verwelkt. Geh in die Falle, Lieberchen, und penn Dich aus.«

»Nein«, sagte Eugen, »ich hab Hunger. Ich hab nichts gegessen, seit ich von der Universität weg bin.«

»Ei! um Go-go-gottes willen«, stotterte Lukas. »Warum hast Du mir denn nichts davon gesagt, Du Blödel. Ich hätte Dir was gebracht. Komm jetzt«, schlug er grinsend vor, »ich möchte selbst gern was zu beißen haben, gehn wir rauf in die Stadt futtern.«

»Einverstanden«, sagte Eugen. »Ich sehne mich wirklich ein bißchen vom Busen der Familie fort.«

Sie lachten wie Verrückte über seine Redensart. Er machte sich am Herd zu schaffen. Sah in der Kachel nach.

»Huh! Hah! Was suchst Du da, Junge?« fragte Eliza argwöhnisch.

»Was hast Du Gutes zu essen, Miss Eliza?« fragte er mit einem irren Seitenblick. Er sah den Seemann an. Sie platzten heraus, lachten idiotisch, stocherten einer dem andern in die Rippen. Eugen nahm eine Kaffeekanne vom Herd; sie war halbvoll mit einem kalten, schwachen Aufguß; er hob den Deckel und roch.

»Bei Gott!« sagte er, »es gibt etwas, was dem Ben nun erspart bleibt. Er braucht Mamas Kaffee nicht mehr zu trinken.«

»Wha! Wha! Wha!« machte der Seemann.

Gant grinste und leckte seinen Daumen.

»Du solltest Dich schämen«, sagte Helene heiser kichernd. »Der arme, alte Ben.«

»Ei, was soll denn dem Kaffee fehlen?« fragte Eliza leicht gekränkt. »Es ist guter Kaffee.«

Sie heulten vor Lachen. Eliza schürzte schnell die Lippe.

»Mir gefallen solche Reden nicht, Junge«, sagte sie. Plötzlich traten ihr Tränen in die Augen. Eugen nahm ihre rauhe Hand und küßte sie.

»Es ist ja schon recht, Mama«, sagte er. »Es ist ja schon recht. Ich hab's nicht bös gemeint.« Er schloß sie in die Arme. Sie weinte bitterlich.

»Kein Mensch hat ihn gekannt. Er hat nie von sich selber gesprochen. Er war so still. Nun hab ich sie beide verloren.«

Dann trocknete sie ihre Augen und sagte:

»Ihr Jungen geht jetzt rauf in die Stadt und eßt was. Ein kleiner Gang durch die Luft wird Euch gut tun. Und sagt mal,« fügte sie hinzu, »könntet Ihr da nicht am ›Citizen‹-Büro vorbeigehn? Wir sollten ihnen Bescheid geben. Sie haben jeden Tag angerufen und sich nach ihm erkundigt.«

»Sie hielten große Stücke von ihm«, sagte Gant.

Sie alle waren müde und gleichzeitig angenehm entlastet. Länger als vierundzwanzig Stunden hatten sie gespürt, daß der Tod unausbleiblich sei, und nachdem sie so lange das gräßliche Röcheln des Erstickenden gehört hatten, rührte sie dieser einfache Friede, dieses schlichte Ende der Pein mit einer tiefen, einer trübseligen Freude.

»Der Ben ist also tot«, sagte Helene langsam. Tränen standen ihr in den Augen. Sie weinte leis und bekümmert, wie eine Liebende weint. »Ich bin froh, daß es vorüber ist. Der arme, alte Ben! Ich hab ihn nie recht kennengelernt, erst diese letzten Tage. Er war der Beste von der Bande. Gott sei Dank, daß er überstanden hat.«

Eugen dachte nun an den Tod, wie ein Liebender denkt, und mit Freude. Der Tod war eine liebe und zärtliche Frau, der Tod war Bens Freundin und Geliebte, die gekommen war, um ihn von der Lebensqual zu entbinden.

Da standen sie zusammen – ohne zu sprechen – in Elizas Küche, und ihre Blicke waren von Tränen geblendet, weil sie an die Holdseligkeit und die Süße des Todes dachten, und weil sie einander liebten.

 

Eugen und Lukas gingen leis über die Diele und traten in die Dunkelheit hinaus. Vorsichtig schlossen sie die große Haustür hinter sich. Sie stiegen die breiten Stufen der Terrassentreppe hinunter. In dieser ungeheuren Stille erwachten die Vögel. Es war kurz nach vier Uhr früh. Wind fuhr ins Gezweig. Es war noch dunkel. Aber über ihnen, die schweren Wolken, die tagelang den Himmel mit einer grauen Decke überzogen hatten, waren zerrissen. Eugen blickte auf in das tiefe, aufgeklüftete Gewölb des Himmels und sah die stolzen Sterne glänzen; sie waren hell und blinzelten nicht. Es bebte das welke Laub.

Ein Hahn krähte den schrillen Morgenschrei vom Beginn und Erwachen des Lebens. Der Hahn, der um Mitternacht krähte, – dachte Eugen – krähte den Elfenschrei. Sein Schrei war schlaftrunken, todesbetäubt, er klang fernher wie eine Trompete unter der See und war ein Warnruf an alle Menschen, die in Todesbanden lagen, und ein Mahnruf an alle Gespenster, die heimkehren sollen.

Aber der Hahn, der frühmorgens kräht, hat eine Stimme, die schrill ist wie einer Querpfeife Ton. Er will besagen: Der Schlaf ist getan, der Tod ist getan, sie liegen hinter uns. O wacht auf, wacht auf ins Leben, sagt seine Stimme, die schrill ist wie einer Querpfeife Ton. In dieser ungeheuren Stille erwachten die Vögel.

Er hörte das helle Spielmannslied des Hahns abermals, und vom Fluß her, aus der Dunkelheit, den großen Donner von Eisenbahnrädern und den langgezognen, klagend verhallenden Pfiff der Lokomotive. Und langsam, auf den kalten, öden Straßen hörte er das klingende Getrappel eisenbeschlagner Hufe.

In dieser ungeheuren Stille erwachte das Leben.

Freude erwachte in ihm und Lebensmut. Sie waren aus dem Todeskerker entflohn, sie waren wieder in den hellen Gang der Lebensräder einbezogen. Das Leben begann, es fuhr aus auf tausend Barken, die nicht untergehn würden, wohlgesteuertes, zielrichtiges Leben.

Ein Zeitungsjunge kam mit jenem steifen Humpelgang, den Eugen so gut kannte, mitten auf dem Fahrdamm frisch die Straße herunter. Er schleuderte eine zum Block gefaltete Zeitung treffsicher auf die Terrasse des Brunswick. Als er zu Dixieland kam, bog er auf den Bürgersteig und warf die Zeitung so, daß sie kaum hörbar aufplumpste. Er wußte, daß jemand im Haus krank war.

Mit ein paar Sätzen sprang Eugen über den Vorgartenrasen auf den Bürgersteig.

»Wie heißt Du, Junge?« fragte er.

»Tyson Smathers«, sagte der Bub und blickte auf mit seinem steten schottisch-irischen Gesicht, das voll Leben und Geschäftigkeit war.

»Mein Name ist Eugen Gant, hast Du von mir gehört?«

»Freilich«, sagte Tyson Smathers. »Sie hatten Route Nummer 7.«

»Lang, lang ist's her«, sagte Eugen pompös und grinste. »Damals war ich noch ein kleiner Bub.«

In dieser ungeheuren Stille erwachten die Vögel.

Er steckte die Hand in die Tasche und fand eine Dollarnote.

»Hier«, sagte er. »Ich hab die verdammten Dinger mal geschleppt. Außer meinem Bruder Ben war ich der beste Junge, den sie je hatten. Fröhliche Weihnachten, Tyson!«

»Es sind ja noch keine Weihnachten«, sagte Tyson Smathers.

»Stimmt, Tyson«, sagte Eugen. »Aber sie werden schon kommen.«

Tyson Smathers nahm das Geld mit einem erstaunten, sommersprossigen Grinsen. Dann ging er weiter, die Straße hinunter und schleuderte Zeitungsblöcke.

Die Ahorne waren dünn und dürr. Moderndes Laub bedeckte den Boden. Aber die Kronen der Bäume waren noch nicht völlig kahl. Es raschelte das Laub. Ein paar Vögel fingen an, in den Zweigen zu schwätzen. Wind fuhr ins Geäst, es bebte das welke Laub. Es war Oktober.

Als Lukas und Eugen die Straße hinauf auf die Stadt zu gingen, trat eine Frau aus dem großen Backsteinhaus gegenüber und ging über den Vorgarten und den Fahrdamm auf sie zu. Als sie näher kam, sahen sie, daß es Mistress Pert war. Es war Oktober, aber ein paar Vögel erwachten.

»Lukas?« sagte sie faserig, »ist es der alte Lukas?«

»Ja«, sagte Lukas.

»Und Eugen, gelt? Es ist der alte Eugen?« Sie lachte leise, tätschelte ihm die Hand, lugte ihn komisch an mit ihren verschwommenen Augen. Sie schwankte bedächtig hin und her mit der Würde der Alkoholiker. Es raschelte, es rauschte, im Laub, im welken Laub. Es war Oktober, und es bebte das welke Laub.

»Sie haben die alte Fatty rausgeschmissen, Eugen«, sagte sie. »Sie lassen sie nie mehr ins Haus rein. Sie haben sie rausgeschmissen, weil sie den alten Ben gern mochte. Ben, der alte Ben.« Sie schwankte unsicher, ihre Gedanken sammelnd. »Ja, der alte Ben. Wie stehts mit dem alten Ben, Eugen?« forschte sie. »Fatty möchte es wissen.«

»Tu-tu-tu-tu-tut mir furchtbar leid, Mistress P-p-pert«, fing Lukas an.

Wind fuhr ins Gezweig, es bebte das welke Laub.

»Ben ist tot«, sagte Eugen.

Sie starrte ihn eine Weile an, taumelnd.

»Fatty mochte den Ben gern«, sagte sie liebenswürdig nach einer Weile. »... Fatty und der alte Ben waren Freunde.«

Sie kehrte sich ab und wankte mit unsicheren Schritten über die Straße; sie hielt einen Arm bedächtig ausgestreckt, um sich im Gleichgewicht zu halten.

In dieser ungeheuren Stille erwachten die Vögel. Es war Oktober, aber ein paar Vögel erwachten.

 

Lukas und Eugen gingen dann auf die Stadt zu, und eine große Freude erfüllte sie, weil sie die Laute des Lebens und des erwachenden Tags hörten. Und unterwegs sprachen sie von Ben, lachend; mit angenehmen Erinnerungen; nicht wie von einem Verstorbnen sprachen sie, sondern von einem Bruder, der jahrelang verreist war und nun heimkommen sollte. Sie sprachen triumphierend und zärtlich von ihm als von einem, der überstanden hat und fröhlich davongezogen ist. Eugens Gedanken waren unbeholfen und täppisch, sie spielten, wie ein Kind spielt, mit Kleinigkeiten.

Sie empfanden eine stille und tiefe Zuneigung füreinander. Sie sprachen rückhaltlos, ungekünstelt, still wissend, selbstverständlich vertrauend.

»Erinnerst Du Dich«, fing Lukas an, »wie er da-da-damals dem kleinen Waisenknaben, den Tante Pett aufgenommen hatte –Markus hieß er –, die Haare schnitt?«

»Er setzte ihm – – – einen Potschamber auf – – – um die Ränder zu stutzen!« kreischte Eugen. Sein wildes Gelächter weckte die Straße auf.

Sie gingen des Wegs, heiter, sie grüßten ein paar frühe Straßengänger mit ironischer Feierlichkeit, sie machten sich hochgemut, brudereinig, über die Welt lustig. Dann traten sie in das Zeitungsbüro ein, wo Ben so viele Jahre gearbeitet hatte. Sie gaben die Nachricht dem müden Mann an der Annahmestelle.

Ein Bedauern, eine Verwunderung kam in das trübselige, entspannte Büro, wo der hurtige Bericht so vieler Tage der schnellen Vergessenheit anheimgefallen war. Das war eine Nachricht, die nicht so schnell sterben würde, eine Erinnerung an etwas Fremdes, das dahingegangen war.

»Verdammt! Tut mir leid! So ein feiner Kerl!« sagten die Männer.

Als das Morgengrauen auf die Straße fiel und die erste Tram zum Stadtplatz hinauf ratterte, kamen sie zu dem kleinen Bohnenpeißel, wo Ben so oft über einer Tasse Kaffee, eine Zigarette rauchend, zur Stunde des Tagens gesessen hatte. Eugen sah ins Lokal. Da saßen, wie sie vor vielen Jahren gesessen hatten: McGuire, Coker, der griesgrämige Barkellner und am untern Ende des Schanktischs Harry Tugman. Es war, als hätte sich ein gräßlich-prophetischer Alptraum erfüllt.

Lukas und Eugen traten ein und setzten sich an die Theke.

»Gentlemen, Gentlemen«, sagte Lukas volltönend.

»Hallo, Lukas«, bellte McGuire. »Glaubst Du, daß Du je Vernunft annehmen wirst? Und wie geht's Dir, Eugen? Was macht das Studium?« Die nasse Zigarette klebte komisch an seinen Lippen. Er starrte sie einen Augenblick lang mit seinen gutmütigen, betrunkenen Triefaugen an.

»Wie geht's dem Jungen, General? Und was trinkt man heutzutage, Terpentin oder Firnis?« fragte der Seemann und petzte McGuire in die feisten Rippenpolster. McGuire grunzte.

»Ist es überstanden, Sohn?« fragte Coker.

»Ja«, sagte Eugen.

Coker, mit einem gelben Grinsen, nahm die lange Zigarre aus dem Mund und fragte: »Geht Dir besser seitdem, Sohn, was?«

»Ja«, sagte Eugen. »Verdammt viel besser.«

»Nun, Eugenie«, sagte der Seemann forsch, »was willst Du essen?«

»Was hat der Mann denn?« sagte Eugen und betrachtete die speckige Speisekarte. »Haben Sie vielleicht 'nen jungen, gerösteten Walfisch übrig?«

»Nein«, sagte der Barkellner, »wir hatten ihn, aber er ist ausgegangen.«

»Wie wärs mit einem frikassierten Bullen?« sagte Lukas. »Noch was da?«

»Du brauchst keinen, der Dir den Bullen frikassiert«, sagte McGuire. »Du hast ohnehin zuviel, Sohn.«

Bullengelächter bellte durchs Bohnenpeißel.

Stirnrunzelnd stolperte Lukas stotternd übers Menü.

»B-b-b-brathuhn à la Maryland«, murmelte er. »À la Maryland«, wiederholte er, als stünde er vor einem Rätsel. »Na, ist das nicht hübsch?« sagte er und schnitt eine zimperlich-genäschige Fratze.

»Bringen Sie mir ein Beefsteak von dieser Woche und 'ne Fleischhaueraxt und 'ne Wursthackmaschine dazu.«

»Wozu brauchst Du 'ne Wursthackmaschine?« fragte Coker.

»Für das Mince-Pie«, erklärte Eugen.

»Also zweimal!« sagte Lukas. »Und ein paar Mokkas, genau so stark, wie sie bei Muttern sind!«

Er drehte sich wie ein Verrückter zu Eugen um, brach in laute Wha-Whas aus und pokte ihn in die Rippen.

»Wo bist Du jetzt stationiert, Lukas«, fragte Harry Tugman schnauzig, von seinem Kaffeekumpen herüberspähend.

»Zu-zur Z-z-zeit in Norfolk auf der Navy Base, um die Welt für die Hypokrisie sicher zu machen«, sagte der Seemann, der die Welt für die Demokratie sicher machen sollte.

»Bist Du schon mal zur See gefahren, Sohn?« fragte Coker.

»Sicher!« sagte Lukas. »Für f-f-fünf Cent mit der Straßenbahn an den Badestrand.«

»Dieser Junge hat das Zeug zum Seemann in sich. Seit er ins Bett gepißt hat, hab ich es prophezeit«, sagte McGuire.

»Horse« Hines kam rüstig herein, stutzte aber, als er der beiden Brüder ansichtig wurde.

»Gib acht!« flüsterte der Seemann verrückt grinsend in Eugens Ohr. »Du kommst als nächster dran. Schon pappen seine Fischäugen an Deinem langen Leichnam. Er schätzt Dich auf Sarglänge ab.«

Eugen blickte brummig nach Horse Hines um. Lukas räusperte sich wie ein Irrer.

»Guten Morgen, Gentlemen«, sagte Horse Hines im Ton zartsinniger Trauer. Mit bekümmerter Miene näherte er sich den beiden Brüdern. »Ich bin tief betrübt über den schweren Schlag, der Sie beide betroffen hat. Ich hätte nicht besser von diesem jungen Mann denken können, wenn er mein eigner Bruder gewesen wäre.«

McGuire hob protestierend vier fette Finger in die Höhe, und rief: »Fahren Sie nicht fort, Horse! Wir sehn es ja alle, daß es Ihnen das Herz gebrochen hat. Wenn Sie so weiterreden, könnten Sie vor lauter Schmerz hysterisch werden und plötzlich einen Lachkrampf bekommen. Wir könnten das nicht ertragen, Horse. Wir sind zwar große, starke Männer, aber wir haben ein schweres Leben hinter uns. Drum bitte ich Sie inständigst, Horse: Verschonen Sie uns!«

Mister John Hines, genannt »Horse«, nahm keine Notiz von McGuire.

»Ich habe ihn bereits drüben im Geschäft«, sagte er sanft. »Ich möchte, daß Sie beide heut im Laufe des Nachmittags mal reinkommen, um ihn anzusehn. Sie werden ihn nicht wiedererkennen, wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin.«

»Eine Vervollkommnung sozusagen, eins besser als die Natur«, bemerkte Coker. »Na, seine Mutter wird es zu schätzen wissen.«

»Haben, Sie eigentlich ein Beerdigungsgeschäft oder einen Verschönerungsladen, Horse?« fragte McGuire.

»Wir wissen, daß Sie Ihr B-b-bestes tun werden«, sagte der Seemann mit zungenfertiger, ernstgemeinter Unaufrichtigkeit, »Deswegen hat die Familie Sie beauftragt.«

»Essen Sie Ihr Beefsteak nicht auf?« fragte der Barkellner Eugen.

»Beefsteak, was?! Das ist doch kein Beefsteak«, murmelte er. »Ich weiß wahrhaftig nicht, was es jetzt ist.« Er stand vom Barstuhl auf und ging rüber zu Coker. »Können Sie mich retten, oder muß ich dran glauben? Seh ich krank aus, Coker?« murmelte er heiser.

»Nein, Sohn«, sagte Coker. »Nicht krank, sondern verrückt.«

Horse Hines nahm am andern Ende des Bartischs Platz. Eugen lehnte sich auf die speckige Marmorplatte der Theke und fing an zu singen:

»Heh! Höh! Die Aaskrähe, He!
Heißa, heißa, juchhe!«

»Halt's Maul, verdammter Narr«, flüsterte der Seemann rauh und grinste.

»Eine Aaskrähe saß auf einem Stein,
Heißa, heißa, juchhe!«

Draußen im grauen Frühlicht erwachte munter das Leben. Eine Tram bog langsam in die Avenue ein, der Schaffner, den warmen Nebel seines Atems in die kühle Luft blasend, lehnte aus dem Fenster der Wagenbrüstung und stellte vorsichtig mit dem langen Eisenstab die Weiche. Der patrouillierende Polizist Lesly Roberts, fahl, blutarm und leberkrank, schlapfte vorüber und schwang seinen Gummiknüttel. Das Negerfaktotum aus Woods Drogerie ging vergnügt ins Postgebäude, um die Morgenpost abzuholen. J. T. Stearns, der Passagieragent der Eisenbahngesellschaft, wartete auf der andern Straßenseite auf den Trambahnwagen, der zum Bahnhof fuhr. Er hatte ein rotes Gesicht, stand am Rinnstein und las die Morgenzeitung.

»Da leben sie, als ob sie nichts davon wüßten!« schrie Eugen plötzlich.

»Lukas!« sagte Harry Tugman und sah von seiner Zeitung auf. »Es tat mir sicher verdammt leid, als ich das von Ben hörte. Er war ein feiner Kerl.« Dann wandte er sich wieder zu seinem Blatt.

»Bei Gott!« sagte Eugen, »das sind Neuigkeiten!«

Er bekam einen Lachanfall, keuchte wild, unbeherrscht, heftig. Horse Hines beobachtete ihn sachkundig; dann steckte er die Nase wieder in die Zeitung.

 

Die beiden Brüder verließen das Lokal und gingen heim durch die Morgenfrische. Eugens Gedanken spielten mit Kleinigkeiten. Die Straßen schallten von hartem Rädergerassel, dem Knirschen der Fensterblenden, schnellen Geräuschen. Der perlenfarbne Himmel war rosig überhaucht. Auf dem Stadtplatz standen die Trambahnschaffner, die Nebelfahnen des Atems um die Münder, und schwatzten laut. In Dixieland herrschte eine Stimmung der Leere und Erschöpftheit. Das Haus schlief. Eliza war allein wach; sie war vollauf beschäftigt, hatte ein gutes Feuer im Küchenherd brennen.

»Geht jetzt und legt Euch schlafen, Kinder. Später am Tag gibts Arbeit für Euch.«

Lukas und Eugen gingen in das große Speisezimmer, das im Winter als Schlafraum eingerichtet war.

»Verda-da-dammt!« sagte der Seemann. »Ich könnte nicht da oben schlafen, nachdem ...«

»I wo!« sagte Eliza. »Das ist nichts wie Aberglauben. Mir würde es nicht das geringste ausmachen.«

 

Die Brüder schliefen bis tief in den Nachmittag. Dann gingen sie, um bei Horse Hines vorzusprechen. Sie fanden ihn, die Beine behaglich auf den kleinen Schreibtisch gelegt, in seinem Büro, wo es nach Trauerfarnen, welken Nelken und Weihrauch roch.

Er erhob sich, als die beiden eintraten. Das Stärkhemd knitterte; der schwarze Gehrock rauschte feierlich. Horse Hines grüßte mit gedämpfter Stimme, leicht vornübergebeugt stand er da.

Wie sehr dieser Mann dem Tod ähnlich ist, dachte Eugen. Er dachte an die dunklen Mysterien der Bestattung, die obszöne Beschäftigung mit Leichen, die finstre, üble Hexenmagie der Konservierung. Wo ist die Kanne, in die er die verweslichen Teile schmeißt? Ganz in der Nähe ist ein Restaurant. Das Festmahl der leichenzehrenden Guhlen.

Dann nahm er die Hand, die ihm Horse Hines entgegenstreckte, eine kalte, schwindsüchtige Hand, Sommersprossen auf dem Handrücken; ihm war, als wäre diese Hand einbalsamiert.

Der Leichenbestatter benahm sich noch geschäftlicher als am Morgen; er benahm sich offiziell. Er war der rührige Zeremonienmeister, der wachsame Marschall ihres Kummers. Sein ganzes Gehaben gab ihnen zartsinnig zu verstehen, daß Ordnung und Schicklichkeit zu Todesfällen gehören, daß es ein Ritual der Trauer gibt, das eingehalten werden muß. Sie waren beeindruckt.

»Wir hatten vor, zuerst wegen des Sargs mit Ihnen z-z-zu s-s-sprechen, Mister Hines«, lispelte Lukas nervös. »Wir wollten da Ihren Rat einholen, um was Passendes zu finden.«

Horse Hines nickte eine gewichtige Bejahung. Er ging mit leisen Schritten voran in eine große, dunkle Halle mit gewachstem Parkettboden, wo im schweren, toten Holz- und Samtgeruch auf fahrbaren Böcken die stolze Drohung der glänzenden Särge zur Schau gestellt war.

»Nun, ich weiß«, sagte Horse Hines ruhig, »daß die Familie nichts Billiges wünscht.«

»Das Beste, was Sie haben«, sagte der Seemann entschieden.

»Ich nehme ein persönliches Interesse an dieser Beerdigung«, sagte Horse Hines verbindlich und gerührt. »Ich bin mit den Familien Gant und Pentland seit dreißig Jahren oder noch länger bekannt. Mit Ihrem Vater stehe ich bald zwanzig Jahre in Geschäftsverbindung.«

»Und ich m-m-m-möchte Ihnen sagen, Mister Hines, daß die F-f-f-familie Ihnen f-f-für dieses Interesse sehr verbunden ist«, sagte der Seemann ernst.

In dieser Rolle gefällt er sich, der Lukas, dachte Eugen. Achtung und Wohlwollen der Welt, das braucht er wie's Brot.

»Ihr Vater«, fuhr Horse Hines fort, »ist einer der ältesten und geachtetsten Geschäftsleute am Ort. Und die Familie Pentland ist eine der wohlhabendsten und prominentesten.«

Eugen war einen Augenblick lang stolz.

»Etwas Schäbiges kommt also nicht in Frage, das weiß ich«, sagte Horse Hines. »Was Sie wünschen, soll geschmackvoll und würdig sein. Stimmt das?«

Lukas nickte eine nachdrückliche Bestätigung.

»Ganz so haben wir gedacht, Mister Hines. Wir wollen das Beste, das Sie haben. Es kommt' uns nicht auf ein paar Pfennige an, wenn es sich um Ben handelt«, sagte er stolz.

»Nun, dann will ich Ihnen meinen aufrichtigen Rat geben«, sagte Horse Hines. Er legte seine Hand auf einen Sarg. »Diesen da könnten Sie billig haben, aber ich glaube nicht, daß er Ihren Wünschen entspricht. Natürlich, er ist gut für den Preis. Er ist sein Geld wert, ganz ohne Frage. Er stellt eine Leistung dar für die Summe. Sie sind sehr gut bedient damit ...«

Nette Vorstellung, dachte Eugen.

»Nun ja, sie sind alle gut, wissen Sie, ich habe kein schlechtes Stück auf Lager. Aber ...«

»Wir wollen was Beßres«, erklärte Lukas ernst. Er wandte sich an Eugen: »Nicht wahr, das meinst D-d-du doch auch?«

»Ja«, sagte Eugen.

»Also«, sagte Horse Hines. »Ich könnte Ihnen diesen da verkaufen.« Er zeigte auf den prunkvollsten Sarg im Lager. »Beßre Ware gibts nicht. Das ist 'ne Spitzenleistung. Der Sarg ist tatsächlich jeden einzelnen Dollar wert, den er kostet.«

»Schön«, sagte Lukas. »Sie können es am besten beurteilen. Wenn das der be-be-beste ist, wollen wir ihn nehmen.«

Nein, aber nein! dachte Eugen. Du hättest nicht unterbrechen sollen. Laß ihn ausreden;

»Aber ...«, sagte Horse Hines unbeirrt, »sehen Sie, es besteht kein Grund dafür, daß Sie sich für diesen Sarg entscheiden. Was Sie suchen, ist Würde und einfache Ausstattung. Stimmt's?«

»Ja«, sagte der Seemann sanftmütig, »mich deucht, da haben Sie's getroffen, Mister Hines.«

Nun werden wir ja bald sehn, dachte Eugen. Dieser Mann hat Spaß an seinem Beruf.

»Somit denn«, sagte Horse Hines schlüssig, »möchte ich Ihnen beiden diesen Sarg hier vorschlagen.« Er legte seine Hand fast streichelnd auf den schönen Sarg, neben dem er nun stand.

»Er hält die goldne Mittelstraße ein, nicht zu einfach und nicht zu prunkvoll. Er ist schlicht und geschmackvoll. Silberbeschläge, wie Sie sehen, und hier eine Silberplatte für den Namen. Mit diesem Sarg werden Sie überall bestimmt den besten Eindruck machen; er ist das Richtige für Ihre Ansprüche. Und – er ist ein guter Kauf. Jeden einzelnen Dollar wert, den Sie reinstecken.«

Sie gingen um den Sarg herum und sahen ihn kritisch an.

Nach einer Weile fragte Lukas nervös: »W-w-wie hoch kommt er?«

»Vierhundertfünfzig Dollar«, sagte Horse Hines. »Aber«, fügte er nach einem Augenblick dunklen Nachdenkens hinzu, »ich will Ihnen etwas sagen. Ihr Vater und ich sind alte Geschäftsfreunde. Aus Entgegenkommen für die Familie will ich ihn Ihnen zum Anschaffungspreis geben, dreihundertfünfundsiebzig Dollar.«

»Was hältst Du davon?« fragte der Seemann. »Glaubst Du, er ist recht so, Eugen?«

Kaufen Sie Ihre Weihnachtsgeschenke frühzeitig ein!

»Ja«, sagte Eugen. »Nehmen wir ihn. Ich wünschte nur, er hätte 'ne andre Farbe. Ich mache mir nichts aus Schwarz. Haben Sie ihn nicht in einer andern Farbe?«

Horse Hines starrte ihn an.

»Schwarz ist die Farbe«, sagte er.

Sie schwiegen eine Weile, dann fragte Horse Hines:

»Möchten Sie die Leiche sehn?«

»Ja«, sagten sie.

Er ging voran, auf den Zehenspitzen, den Gang zwischen den Särgen hinunter, und öffnete die Tür zu einem Hinterzimmer. Der Raum war dunkel. Sie traten ein und standen mit angehaltnem Atem. Horse Hines knipste das Licht an und schloß die Tür.

Ben, in seinem besten Anzug, einem netten dunkelgrauen, lag steif ausgestreckt auf dem Tisch. Seine kalten, weißen Hände, ein wenig runzlig wie alte Äpfel, waren lose über seinem Bauch gefaltet. Die Fingernägel waren manikürt. Er war ganz glattrasiert. Die ganze Aufmachung war tadellos. Das starre Haupt zeigte scharf nach oben. Ein gräßliches, imitiertes Lächeln lag auf dem Gesicht. In den Naslöchern staken kleine Wachspfröpfchen. Eine Wachsbindung hielt die starren Lippen zusammen. Der Mund war fest geschlossen. Die Lippen waren ein wenig vorstehend und sahen voller aus als je im Leben.

Um ihn hing ein matter, unbezeichenbarer, klebrig-süßer Geruch.

Der Seemann blickte abergläubisch drein und runzelte nervös die Stirn. Dann wisperte er zu Eugen: »Ja, das ist wohl der B-b-ben, d-d-deucht mich.«

Weil, dachte Eugen, es nicht der Ben ist und wir verloren sind. Er blickte ihn an, diesen kalten, aufgeputzten Kadaver, dieses stümperhafte Machwerk eines Leichenkonservators, das nicht einmal die Ähnlichkeit einer gutausgeführten Wachspuppe hatte. Nichts von Ben konnte hier begraben werden. In diesem ausgestopften Zerrbild, pathetisch barbiert und säuberlich zugeknöpft, war nichts vom Eigentümer zurückgeblieben. Was da war, war eine Schneiderpuppe, zurechtgemacht von Horse Hines, der nun aufmerksam und lobeshungrig dabeistand.

Nein, dachte Eugen, das ist nicht der Ben. Keine Spur von Ben ist an diesem verlassenen Gehäus. Kein Zeichen von ihm ist an dieser leeren Hülse. Wohin ist er gegangen? Dies kann nicht sein eignes, helles Fleisch sein, das Abbild seines Ichs, dem seine einmalige Gebärde, seine eigne Seele Leben verlieh. Dieses Ding da ist eins mit allem Aas; es wird sich wieder der Erde vermischen. Ben? Wo? O verloren!

Der Seemann schaute hin, sagte:

»Er ha-ha-hat schwer gelitten!« Er schlug plötzlich die Hände vors Gesicht und brach in kurze, gequälte Seufzer aus. Sein verwirrtes, stammelndes Leben war aller Gespreiztheit enthoben in einem Augenblick harten, unerbittlichen Kummers.

Eugen weinte, nicht weil er da den Ben sah, sondern weil der Ben fort war und der Schmerz um ihn wiederkam.

»Er hat ausgelitten«, sagte Horse Hines. »Er hat seinen Frieden.«

»Bei Gott, Mister Hines«, sagte der Seemann und wischte sich die Augen mit dem Ärmel seiner Matrosenjacke ab. »Der Ben war ein feiner Kerl.«

Horse Hines sah verzückt das kalte, sonderbare Gesicht an. Seine Fischaugen hingen zärtlich an seinem Werk.

»Ein großartiger Junge«, murmelte er. »Und ich habe mich bemüht, dem gerecht zu werden.«

Sie schwiegen eine Weile und schauten.

»Sie haben das f-f-f-fein gemacht; Mister Hines, das muß man sagen«, erklärte der Seemann. »Was sagst Du, Eugen?«

»Ja«, sagte Eugen kleinlaut mit erstickter Stimme. »Ja.«

»Ein bi-bi-bißchen b-b-blaß ist er, meinst Du nicht?« stammelte der Seemann, kaum wissend, was er sagte.

»Eine Sekunde!« sagte Horse Hines mit erhobnem Zeigefinger. Er zog schnell einen Schminkstift aus der Westentasche, trat hinzu und skizzierte hurtig ein rosenhauchiges, gräßlich-trügerisches Rot von Leben und Gesundheit auf die toten, grauen Wangen.

»So!« sagte er tiefbefriedigt und trat ein paar Schritte zurück. Den Schminkstift gezückt, den Kopf kritisch zur Seite geneigt, ganz wie ein Maler vor seiner Leinwand, stand er zwischen den vor Entsetzen starren Brüdern.

»Künstler gibt es in jedem Beruf«, erklärte er mit stillem Stolz. »Und obschon ich es selbst sage, ich bin stolz auf meine Arbeit in diesem Fall. Sehn Sie sich ihn an!« rief er plötzlich lebhaft werdend, und eine leichte Röte überflog sein graues Gesicht. »Haben Sie in Ihrem Leben was Natürlicheres gesehn?«

Eugen starrte den Bestatter an; mit einer gewissen Rührung erkannte er den Ernst und den Stolz in dem langen Pferdegesicht. Er selber war blaurot im Gesicht, denn die Hunde des Gelächters rissen an seiner gespannten Kehle.

»Sehn Sie ihn an«, sagte Horse Hines abermals. Er sprach diesmal ganz langsam vor ehrlicher Selbstbewunderung. »Das werde ich nie wieder erreichen. Und wenn ich eine Million Jahre alt werde. Das ist Kunst, Ihr Jungen!«

Ein leiser, gurgelnder Laut kam aus Eugens zusammengepreßten Lippen. Der Seemann, ein Lächeln unterdrückend, drehte sich schnell nach ihm um.

»Was hast Du?« fragte er. »Sei doch nicht närrisch!« warnte er und grinste verrückt.

Eugen, brüllend vor Lachen, taumelte in einen Lehnstuhl, seine langen Arme flappten hilflos an der Seite herunter.

»Entschuldigung! Nicht – so – – gemeint!« keuchte er, nach Luft schnappend. »K-u-n-s-t! Ja! Ja! Das ist's!« schrie er und trommelte wie ein Verrückter mit den Fingerknöcheln auf den polierten Fußboden. Er rutschte aus dem Sessel aufs Parkett, er war am Ersticken, knöpfte sich die Weste auf und löste seine Krawatte. Ein schwaches Gurgeln kam aus seiner schlaffen Kehle, sein müder Kopf wackelte haltlos hin und her, Tränen rollten über sein verschwollnes Gesicht.

»Fehlt Dir was? Bist Du verrückt geworden?« fragte der Seemann übers ganze Gesicht grinsend.

Horse Hines beugte sich teilnahmsvoll herab und half Eugen auf die Beine.

»Die Folgen seelischer Überanstrengung«, bemerkte er fachmännisch zu dem Seemann. »Der arme Junge! Er hat 'nen hysterischen Anfall!«

 


 << zurück weiter >>