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Oliver heiratete Eliza im Mai. Sie machten eine Hochzeitsreise nach Philadelphia und zogen dann in das Haus an der Woodson Street, das er ihr gebaut hatte.
Mit seinen großen Händen hatte er Fundamente gelegt, tiefe Keller ausgegraben, Wände mit glattem, warm-braunem Mörtel verkleidet. Er hatte sehr wenig Geld, dies Haus aber ward zum Spiegelbild seiner reichen Phantasie. Schließlich stand es – mit behaglichen Stuben im Innern, in denen er nach Laune auf und ab gehen konnte – mit einer großen weitbauchigen Veranda nach außen – an der Berglehne, nahe bei der hügeligen Straße. In der mulmigen Erde des Vorgartens legte Oliver Blumenbeete an; das kurze Stück Wegs zur Veranda pflasterte er mit viereckigen Buntmarmorplatten; er errichtete einen Staketenzaun zwischen seinem Heim und der Welt.
Im Garten hinterm Haus, der vierhundert Fuß den Abhang hinauf reichte, pflanzte er Obstbäume und Reben. Was er auch anrührte, gedieh. Mit den Jahren wuchsen die Bäume – Pfirsich, Pflaume, Kirsche und Apfel – hoch und trugen schwer. Die Rebhölzer wurden zäh, schlangen, wanden und schraubten sich an den Drähten, trieben üppig in Blätter, Ranken und Trauben. Sie umzogen das Grundstück in doppeltem Spalier, klommen zur Veranda vor, umrahmten die Fenster des Obergeschosses dicht mit Laub. Die Gartenblumen wucherten in wildem Tumult: sammelblättriges Nasturtium mit hundert gelb-goldnen Farben gefleckt, Rosen, Schneeballblüten, rotkelchige Tulpen und Lilien. Dichtes Geißblatt belud den Zaun. Was auch immer Olivers große Hände berührten, gedieh.
Für ihn war das Haus ein Bild seiner Seele, ein Gewand seines Lebenswillens. Aber für Eliza war es ein Stück Hab und Gut, dessen Wert als Grundstock zu einem Vermögen sie klug einschätzte. Wie alle älteren Kinder des Majors Pentland hatte sie seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr langsam angefangen, Boden zu erwerben. Sie besaß bereits ein oder zwei Stücke Land, die sie vom Ersparten ihres kargen Verdiensts als Lehrerin und Buchagentin gekauft hatte. Sie überredete Oliver, sich auf einem dieser Grundstücke, einem kleinen Eckchen am Rand des Stadtplatzes, eine Werkstatt zu bauen. Mit eignen Händen und der Hilfe von zwei Negerarbeitern errichtete er einen Backsteinschuppen mit einer breiten Holztreppe, die von einer marmorgepflasterten Veranda auf dem Platz hinunter führte. Auf der Veranda lagerte er die Steinklötze. Neben der hölzernen Tür stellte er eine alberne, plumpe Engelsfigur aus.
Aber Eliza war mit seinem Geschäft nicht zufrieden. Am Tod war kein Geld zu machen. Die Leute stürben zu langsam, dachte sie. Sie sah voraus, daß ihr Bruder Will, der mit fünfzehn Jahren als Lehrling in den Holzhandel eingetreten war und nun bereits ein eignes Geschäft besaß, mit der Zeit ein reicher Mann werden würde. Sie überredete Gant, Will Pentlands Geschäftspartner zu werden. Nach einem Jahr jedoch ging Gants Geduld aus; sein Egoismus brach durch. Er schrie, daß Will sie alle ruinieren würde. Will, der seine Stunden im Geschäft abwechselnd damit zubrachte, mit einem Bleistiftstummel auf verschmutzte Briefumschläge Zahlen zu kritzeln, an seinen Nägeln herumzuschnipseln und blöde Witze zu reißen, kaufte stillschweigend Olivers Geschäftsanteil aus und baute weiterhin an seinem Vermögen. Gant zog sich in den einsamen Werkschuppen zu seinen verstaubten Marmorengeln zurück.
Die seltsame Gestalt Oliver Gants warf ihren Schatten durch die Stadt. Die Leute hörten, wie er früh und spät Eliza pathetisch verfluchte, sahen ihn, wie er vom Haus zur Werkstatt rannte, wie er sich über seinen Marmorblöcken beschäftigte, wie er fluchend und heulend mit leidenschaftlichem Eifer an seinem Heim baute. Sie lachten über die Großspurigkeit seiner Redensarten, seiner Fühlweise, seiner Gebärden. Sie verstummten vor der manisch-trunksüchtigen Wut, die ihn fast pünktlich alle zwei Monate befiel und zwei bis drei Tage dauerte. Stinkend und bewußtlos fanden sie ihn in der Gosse und schleppten ihn heim ... der Bankier, der Schutzmann, ein ihm ergebner, schäbiger Juwelier namens Jannadeau, ein stämmiger Schweizer, der eine kleine, ausgezäunte Ecke von Gants Grabmalschuppen gemietet hatte. Sie behandelten ihn zart und sorgfältig, sie empfanden das Seltsame, Stolze und Glorreiche in ihm. Er blieb ihnen fremd. Niemand – nicht einmal Eliza – nannte ihn je beim Vornamen. Er war und blieb für immer »Mister« Gant.
Was Eliza an Schmerz, Angst und Herrlichkeit ausstand, weiß kein Mensch. Über alles atmete Gant seine Gier, seine Wut. Wenn er betrunken war, trieb ihn ihr weißes, zusammengezogenes Gesicht mit den kleinen, langsamen Anzeichen des Mißmuts zum hellen Wahnsinn. Sie war dann tatsächlich in Lebensgefahr und mußte ihr Zimmer vor ihm absperren. Von allem Anfang an führten die beiden einen dunklen, unheimlichen Krieg miteinander. Wenn er fluchte, flennte Eliza oder blieb stumm. Auf seine hochtrabenden Reden antwortete sie mit trocknem Genörgel. Sie war nachgiebig wie eine Weide im Sturm ... und langsam, unwiderstehlich setzte sie ihren Willen gegen ihn durch. Jahr um Jahr, trotz seines brüllenden Protests, erwarben sie – er wußte nicht wie – kleine Stücke Land, zahlten die verhaßten Grundsteuern und kauften von dem übrigen Geld neuen Boden hinzu. Über die Ehefrau hinweg, über die Mutter hinaus, entwickelte sich in Eliza eine Person männischen Wesens: die Grundstücksspekulantin.
In elf Jahren gebar sie ihm neun Kinder, von denen sechs am Leben blieben. Das erste, ein Mädchen, starb im zwanzigsten Monat an Kindercholera. Zwei andre starben bei der Geburt. Die übrigen überstanden die grimmen Anfälligkeiten der ersten Lebenszeit. Das älteste, ein Junge, war 1885 geboren und wurde Steve getauft. Das zweite, fünfzehn Monate später geboren, war ein Mädchen: Daisy. Das nächste, gleichfalls ein Mädchen, kam drei Jahre später. Dann, 1892, kamen Zwillingsbuben, denen Gant, der stets Geschmack an der Politik fand, die Namen der Präsidenten Grover Cleveland und Benjamin Harrison gab. Der letzte, Luke, war zwei Jahre später, 1894, geboren.
Zweimal in dieser Zeitspanne – in fünfjährigen Intervallen – artete Gants periodische Trunksucht in wochenlang ununterbrochene Sauferei aus. Er verkam. Beide Male schickte ihn Eliza zur Kur in eine Trinkerheilstätte in Richmond. Einmal erkrankten sie und vier ihrer Kinder zu gleicher Zeit an Typhus. Während einer langwierigen Rekonvaleszenz schürzte sie die Lippe und fuhr mit den Kranken zur Erholung nach Florida.
Schwerfällig rang sich Eliza in diesen Jahren der Liebe, der Widerwärtigkeiten und des Verlusts zum Sieg durch. Sie ertrug das wilde Flackern von Gants fremdem, leidenschaftlichem Sein. Stumpf und grausam war er oft, aber sie erinnerte sich immer an das Herrliche, die ungeheure Leuchtkraft des Lebens in ihm, sie dachte stets an das Verlorne, Verschüttete in ihm, das er nicht finden konnte. Furcht und wortloses Mitleid packten sie, wenn sie manchmal beobachtete, daß seine kleinen unruhigen Augen still und dunkel wurden vom sinnlos-gierigen Hunger, der alten Qual. O verloren!