Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII

Jene Fahrt nach Kalifornien war Gants letzte große Reise. Er fuhr, als er sechsundfünfzig war, zwei Jahre nach Elizas Rückkehr aus St. Louis. In seinem mächtigen Körper spukten bereits Alter und Tod. Unausgesprochen, unbestimmt wußte er, daß er in der Falle des bürgerlichen Lebens gefangen saß, daß sein Wandertrieb schließlich Elizas furchtbarem Willen, etwas von der Erde zu besitzen, unterliegen würde. Zum letztenmal flackerte jener alte Hunger in ihm auf, von dem seine grauen Augen einst dunkler geworden waren, der den Knaben in neues Land, dem Lächeln eines Engels aus Stein, entgegengeführt hatte.

Nach einer Wanderschaft von 15000 Kilometern kehrte er in das öde, kahle, unfruchtbare Gefängnis der Berge zurück. Es war ein grauer Tag gegen Ende des Winters. Wie oft war er in den mehr als 8000 Nächten seines Lebens mit Eliza zwischen 1 Uhr nachts und 5 Uhr früh in nüchternem, zurechnungsfähigem Zustand wach gewesen? Im ganzen nicht mehr als neunzehnmal.

Einmal, als Leslie, Elizas erstes Kind, geboren wurde. Einmal, als sie 26 Monate später an Kindercholera starb. Einmal als Totenwache für seinen Schwiegervater, den alten Major Tom Pentland. Einmal bei Lukas' Geburt. Einmal im Zug nach St. Louis, kurz vor Grovers Tod. Einmal als der alte »Onkel« Thaddäus Evans, ein ihm ergebner Neger, im Theater starb. Einmal im März 1897, bei der Leiche eines Nachbars, des alten Majors Isaacs. Dreimal hintereinander, im Juli 1897, als Eliza, völlig ausgezehrt vom Typhus, fast gestorben wäre. Einmal im April 1903, als Lukas todkrank mit Typhus lag. Einmal als Totenwache für seinen Schwager Greely Pentland, 26 Jahre alt, skrofulös und schwindsüchtig, Witzbold und Nägelschnipsler, Scheckfälscher im kleinen, Gefängnisvogel auf sechs Wochen. Dreimal hintereinander, vom 11. bis 14. Januar 1905, vom Rheumatismus in der rechten Seite, als Teilhaber, seiner eignen Kümmernis und in der Rolle des Anklägers seiner selbst und seines Gottes. Einmal im Februar 1896 als Totenwache bei der Leiche des elfjährigen Nachbarsohns Sandy Duncan. Einmal im September 1895 im Stadtgefängnis, voll Scham und voll Reue. Einmal, am 17. Juni 1896, in einem Zimmer von Keeleys Trinkerheilstätte in Piedmont. – – – Und schließlich am 7. März 1906 im Zug zwischen Knoxville (Tennessee) und Altamont, am Ende einer siebenwöchigen Reise nach Kalifornien.

Und wie erschien die Heimaterde Gant, dem Weitgewanderten?

Graues Licht kroch, zerlöste sich überm Felsenstrom, der Rauch der Lokomotive strich wie kalter Atem. Die Berge waren groß, aber näher, sehr viel näher, als er ihrer gedachte. Und Altamont lag klein und grau und verwittert und öd und nichtssagend und winterlich in diesen Bergen. Er stieg vorsichtig aus; er kam sich wie Gulliver vor, der den Fuß in die Spielzeugstadt setzt. Alles war niedrig, nahgerückt und zusammengedrückt. Er erkannte die Häuser, die Hotels, die Läden wieder.

Klein, klein, klein, dachte er. Ich hätte es nie geglaubt. Sogar die Berge. Bald werde ich sechzig.

Sein übernächtiges, dünnbäckiges Gesicht wurde traurig und bang. Ein leerer Straßenbahnwagen stand an der Endhaltestelle. Er stieg ein, nahm Platz, stierte dumpf und altklug den strohgepolsterten, Sitz an. Der Wagenführer, noch Tabakrauch in der Kehle, stieg ein, schob die Tür zu, gähnte.

»Wo sind Sie gewesen, Mister Gant?«

»Kalifornien«, sprach Gant.

»Dacht mir's schon., daß Sie wegwären, als ich Sie wochenlang nicht sah.«

Es roch warm, nach Elektrizität, heißgelaufnem Stahl.

...Aber tot! Zwei Monate tot! Und wieder hierher zurück. In dieses furchtbare, dieses entsetzliche, dieses verruchte Klima. Tot, tot! Ach, Land des Lebens, Blütenland Kalifornien! Wie grün die klare See war. Und die vielen Fische. Der Vergnügungsdampfer mit dem Glasboden nach der Insel Santa Catalina. O Westen! Wie bin ich hierhergekommen? Baltimore, Sidney ... der Dampfer mit dem Glasboden, durch den ich ins Meer hineinsah. Die beiden hübschen Schicksen. Wo sind sie nun, wo? Die eine, die den Rock hob, als sie die Treppe hinunterging ...

»Jim Bowles ist gestorben, während Sie wegwaren«, sagte der Wagenführer.

»Was??« dröhnte Gant. Er schlug betrübt die Augen nieder.

»Woran?« fragte er.

»Lungenentzündung«, sagte der Wagenführer. »Vier Tage krank, dann war's alle.«

»Ein Mann in den besten Jahren, groß und stark«, sagte Gant, »Ich traf ihn am Tag vor meiner Abreise«, log er, fest überzeugt, daß es wahr wäre. »Er sah aus, als ob er im Leben keinen Tag krank gewesen wäre.«

»Freitag kam er mit einer Erkältung heim«, sagte der Wagenführer. »Dienstag lag er tot.«

Die Schienen brummten. Gant wischte mit dicken Handschuhfingern eine Lichtung in den Frostbeschlag der Fensterscheibe. Eine Trambahn erschien auf dem Gleis und bog kreischend mit einem Ruck in die Weiche aus.

»Jaja«, sagte der Wagenführer und schob die Tür auf. »Man weiß nie, wer als nächster drankommt. Heute rot, morgen tot. Manchmal kommen die Großen und Starken zuerst dran.«

Er stieß die Schiebtür wieder zu. schaltete Strom ein. Der Wagen fuhr los wie ein aufgezogenes Spielzeug.

... In den besten Jahren ..., dachte Gant ... Weg ist er. So wird mir's auch eines Tags gehen. Nein, lieber die andern zuerst. Meine Mutter ist sechsundachtzig. Frißt wie ein Drescher, schreibt mir Augusta. Muß ihr zwanzig Dollar schicken. Weg ist er. In der kalten Erde. Erfroren. Da hält er sich bis zum Frühling. Verweicht, verwittert, verwest. Wer wohl den Auftrag gekriegt hat? Sicher einer von den Einheimischen, James Brock oder Saul Gudger. Schnappen mir das Brot vom Mund weg. Wär 'ne schöne Sache geworden. Marmor aus Georgia. Auf einem Sandsteinsockel. Vierzig Dollar.

»Ein lieber Freund ging fort von uns,
Von dieser Erde Leid und Not.
Doch Treu und Glauben leiten uns,
Er lebt, er ist nicht tot.«

Vier Cent der Buchstabe. Verdammt wenig für die Arbeit. Niemand haut bessere Lettern. Hätte Schriftsteller werden sollen. Wollte immer auch zeichnen. Nein, ich werde nicht an Lungenentzündung eingehn. Bei mir fängt's weiter unten an. Whisky frißt Löcher in die Gedärme. Krebs? Das Bild in Dr. Cardiacs Wartezimmer. Vielleicht schneiden sie mich erst. Dr. McGuire, der verdammte Metzger. Er soll alles fertigbringen. Dem Hominymann hätte er 'ne Nase aus einem Stück Schienbein gemacht. Ob's wahr ist? Wer weiß. Vielleicht bringen sie's mal soweit. Na, da bin ich sicher längst futsch.

»Der alte Herr Hecht hat ein Loch im Bauch,
Das schöpft er aus mit 'nem Becher ...«

Krebs vielleicht. Nein, der Bulle ist zu stark. Bald kommt der Frühling. Bald stirbst Du. Nicht stark genug. Lauter Blut in ihrem Hirn. Volle, füllige Fontänen aus Bullenmilch. Jupiter und –?? wie heißt sie schnell? ...

 

Er sah durchs Fenster. Im Vorübergleiten streifte sein Blick Pisgah und die westlichen Berge. Die Gipfel reckten sich in die aufgehende Sonne ... Es ist weiträumiger dort. Das Auge hat Blickfeld. Weit in den sonnendunstigen Westen. Den Osten zur Heimat, den Westen zum Wunschziel.

Gegen Osten reichten die Berge, schützender Wall, an den Ring der Stadt. Eine dicke Rauchsäule stieg aus Judge Buck Seviers weißgeschindelter Villa am Hang auf. Dünne Rauchfähnchen flatterten von den Hütten der Neger drunten in der Schlucht ... Frühstück! Gebacknes Hirn! Speck und Eier! Aufstehn, ihr Bankerte aus dem Gebirg! Ob sie noch immer in drei alte, dreckige Nachtjacken eingewickelt schläft? In der niegelüfteten, muffig-kalten Bude? Schmutzig gelbes Licht durch die Fensterblenden. Die rauhen Hände der Hausfrau mit widerlich süßem Glyzerin eingeschmiert? Klebrige Flaschen, Haarnadeln, die Stücke Bindfaden herum? Kein Mensch kann dort reinkommen. Sie sollte sich schämen ...

 

Ein Zeitungsträger, Nummer 7, beendete gerade seine Route an der Ecke von Vine Street, als die Tram dort stoppte. Geschickt faltete der Junge die frischgedruckte Zeitung, bog sie flach ein und schleuderte sie auf die Schwelle von Shielos Juwelierladen. Plopp! Dann ging er, der Übermüdete, die Pisgah Avenue hinunter, der Erleichterte, in die Zeit, in das zwanzigste Jahrhundert hinein. Er spürte den Gespensterkuß des entledigten Gewichts auf seiner rechten Schulter, die vom Druck der schweren Zeitungstasche noch herabhing.

... Schätze ihn auf vierzehn ... dachte Gant ... Ja, als ich vierzehn war! Das war Frühling 1864. Im Lager von Harrisburg. Mit Maultieren. 39 Dollar die Woche und freie Station. Krieg im Land. Die Männer stanken ärger als die Maultiere. Wir schliefen in Baracken, drei Betten übereinander. Ich im obersten, Gil unter mir im zweiten Stock. »Schieb mir Deine Schweißquanten nicht ins Maul«, schrie er, wenn ich aufstand. Mutter hatte uns hingeschickt. »Seid groß und stark genug zur Arbeit«, sagte sie. Ja, der Bürgerkrieg. Die Südstaaten. Männer kamen ins Lager. Gefangne. Ohne Schuh. Hatten hohe Zylinder auf, gestohlne, natürlich. Widerlich die Verbandstation. »Gib mir zu trinken, Kamerad.« Gestank von Eiter und Blut. Die abgesägten Arme und Beine. Ob's da unten noch so üppig ist? Die Scheuern größer als die Häuser? Die schöne Belle Boyd, viermal verurteilt, erschossen zu werden. Stahl ihm den Aufmarschplan aus der Tasche, als er mit ihr tanzte. Sicher ein Luder. Hm? Wie wir futterten. Alle waren wir starke Esser. Gut, daß ich damals das Vieh im Busch versteckte. Schweinsnieren mit heißem Knusperbrot. Muß ich mir mal machen lassen. Die ganze Sau oder nichts. War immer ein guter Fürsorger, verdammt noch 'mal, und für mich tut kein Mensch was ...

Die Tram fuhr noch immer bergan, die dreckig braungraue Skyland Avenue hinauf.

 

... ja, das da, Amerikas Schweiz, Land des Himmels, Skyland. Jesus mein Gott! Oh, Pasadena! Der alte Borman sagte mir, er würde eines Tags nach Geld stinken. Bleib hier, Gant! hat er gesagt. Hier werden Vermögen gemacht ... Ist Straßenbauuntemehmer. Hat die Staatsstraße nach Pasadena gebaut. Für mich ist's nun zu spät. Ob er in sie verknallt war? Nein, zu alt. Macht nichts. Oh, einen Frühling, um mich reinzuwaschen! Einmal noch sauber sein wie ein Säugling! Donnerwetter, diese Nacht damals in New. Orleans, als Jim Corbett den John L. Sullivan knockout schlug. Die ganze Stadt voll von Taschendieben. Wegen des Boxwettkampfs. Der Einbrecher, der meine Uhr und meine Kleider nahm. Ich rannte ihm nach. Über fünf Straßen. Im Nachthemd. Zwei Uhr nachts war's. Da ließ er den Raub fallen. Die Uhr obenauf. Die Polizei wie immer eine halbe Stunde zu spät. Nette Geschichte, sollte sie mal aufschreiben. Die Weiber dort kommen raus auf die Straße, laden einen ins Haus ein. Französinnen, Kreolinnen. Nimm Dir den Schinken, sagen sie stolz. Sie putzen sich am Fenster und machen Kußmäuler, wenn sie einen sehn. Wer denen wohl Grabsteine setzt? Sie werden über der Erde bestattet. Das Grundwasser ist nur 'nen halben Meter unterm Boden. Italien, Carrara, Rom. Kreolen sind spanisch-französischer Abstammung. Ob sie auch Negerblut haben? Muß mal Cardiac fragen ...

 

Die Trambahn stoppte kurz vor der Wagenhalle, neben dem Bau des Elektrizitätswerks ... Gott ja, das Grundstück hätt ich haben können. Wurde mir für tausend Dollar angeboten, am dritten Tag, als ich hierher kam. Wäre heut Millionär, wenn ...

 

Die Tram fuhr am Tusgegee-Hotel vorbei zum Stadtplatz hinauf. Gant sah durch die Fenster. Schwere Männer saßen in der Bar ... Wie Fische im Aquarium ... In der Hotelhalle wischte ein Negerboy die Klubsessel mit einem grauen Staubtuch ... Verschlafen ... Der feiste Nachtportier schlief, aufs Sofa im Büro ausgestreckt.

Die Tram kam auf den Stadtplatz, holperte über das Netzwerk der Schienenlinien, hielt auf der Nordseite. Gant schürfte den Frostbeschlag vom Fenster. Starrte hinaus. Im fahlen Frühlicht erschien ihm der Platz ungewöhnlich klein, eng, gemein. Er wurde grün im Gesicht vor Angst, es fror ihn ums Herz, daß dieser Platz, die einzig feste Mitte seines Daseins, so zusammengeschrumpft war. Alles war entsetzlich konkret, wie im Traum. An der Südostecke sah er seine Werkstatt, die großen Lettern über der Backsteinfront:

W. O. Gant Marmorlager.
Grabsteinkunst
Friedhofseinrichtungen

Ein Neger stieg ein. In den hinteren Teil des Wagens, der für seine Rasse reserviert ist. Er ließ sich auf den Sitz fallen und fing sofort an, langsam durch seine bibbernden Puddinglippen zu schnarchen.

Big Bill Messler, die Weste halb aufgeknöpft über dem schweren runden Bauch, kam langsam die Freitreppe vorm Rathaus herunter. Der Springbrunnen auf der Ostseite des Platzes spielte nur zur halben Strahlhöhe. Eisblaues Wasser plätscherte in das von einem Eisgürtel umgebne Becken.

Es hielten viele Trambahnen am Platz. Die Wagenführer standen zusammen, stampften, rauchten, sprachen. In der Feuerwehrhalle brannte Licht. Ein Marktwagen fuhr über den Platz. Der alte Gaul bog vorsichtig in die gepflasterte Gasse, die bergabführend den Marktplatz mit dem Stadtplatz verband. Die Stadt regte sich, rüstete sich für den Tag.

 

Die Tram fuhr wieder. Sie glitt die Academy Street hinunter, bog am Rand des Negerviertels ab, fuhr durch die Ivy Street, bog in eine schmutzige lange Straße ein. Armselige Hütten standen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite war ein Hain von herrlichen alten Eichen. Dort hinter den Stämmen stand verlassen und verfiel der mit Stuckornamenten verzierte Bau, der einst Professor Bormans Höhere Töchterschule hieß. Der frühere Besitzer baute jetzt Straßen in Pasadena, stank bald nach Geld.

Die Tram hielt an der Ecke, fuhr wieder bergan, die gewundne Woodson Street hinauf, hielt vor dem öden Bau eines fallierten Hotels. Dann kam Gants Haltestelle.

Gant schob seine schwere Reisetasche mit dem Knie vor sich her, stellte sie einen Augenblick hin, ehe er das Stück bergab zu seinem Haus ging. Die Straße war ungepflastert, die lehmige Erde war in Klumpen gefroren. Der Weg war abschüssiger, kürzer, näher als Gant gedacht hatte. Nur die Bäume sahen groß aus. Gant sah, wie Duncan in Hemdsärmeln die Morgenzeitung von seiner Veranda hereinholte ... Werde ihn später sprechen. Jetzt dauert's zu lang ... Ganz wie er erwartet hatte, stieg eine dicke Rauchsäule aus dem Schornstein des Schotten, aber sein Schornstein rauchte nicht.

Er ging die paar Schritte bergab, öffnete leis das eigne Gittertor, schlich ums Haus. Die kahlen Rebstöcke wanden sich an den Spalieren, zäh, sehnig, wie gedrehte Taue. Er ließ sich durch, die Seitentür ein, ging ins Wohnzimmer. Es roch scharf nach kaltem Leder. Ein bißchen spärliche, längst erkaltete Asche lag im offnen Kamin. Er stellte seine Reisetasche ab und ging in die Küche. Eliza, in einem seiner abgelegten Röcke und wollnen Handschuhen ohne Finger, stocherte in den Schlacken eines armseligen, schwindsüchtigen Herdfeuers herum.

»Hallo, da bin ich wieder!« sprach Gant.

»Um Himmels willen!« rief sie, ganz wie er erwartet hatte. Sie war verlegen, wußte nicht, was sie mit ihren Händen anfangen sollte. Er legte seine Rechte einen Augenblick täppisch auf ihre Schulter. Dann nahm er die Petroleumkanne, goß Öl auf das Holz. Die Flamme bleckte hoch aus dem Herd.

»Um Gottes willen, Du steckst uns das Haus an!« zeterte Eliza.

Er aber griff eine Handvoll Reisig, nahm die Petroleumkanne, stürmte wütend ins Wohnzimmer.

Als die Flammen knisternd und knackend aus dem ölgetränkten Reisig aufschossen, als er spürte, wie die Luft im feuererfüllten Kamin zitterte, kam seine Freude wieder. Er brachte die Weite der Mojave-Wüste mit ... die lange gelbe alluviale Schlange des Colorado River, der Geröll von einem ganzen Kontinent mitführt ... den Reichtum und Geruch beladner Schiffe im Hafen von Frisko ... die großen Namen Louisiana, Texas, Arizona, Colorado, Kalifornien ... die machtvollen Baumstrünke der Riesensequoia, unter deren Wurzeltunnel ein Wagen hindurchfahren kann ... Wasserstürze, Geiser, kochende Schlammtümpel aus dem Yellowstone Park ... mächtige Gebirgslandschaften, großes Meer, irisierende Himmel.

 

Eliza, noch ganz aufgeregt, fand allmählich die Sprache wieder. Sie war ihm ins Wohnzimmer gefolgt. Sie hielt die halb-behandschuhten, verbrauchten Hände der Hausfrau vor den Magen, während sie sprach:

»Gestern abend noch hab ich zu Steve gesagt, es sollte mich nicht wundern, wenn Vater jetzt jede Minute reinkäme.« Sie verzog das Gesicht, denn die Fabrikation der Legende strengte an. »Ich hatte so ein Gefühl, ich weiß nicht, wie man das nennt, komisch ist ja so was schon, wenn man drüber nachdenkt. Vor ein paar Tagen war ich bei Garretts im Laden, Du weißt ja, das Lebensmittelgeschäft, um ein paar Sachen für den Haushalt zu bestellen, etwas Vanilleextrakt, Soda und ein Pfund Kaffee, da kam Aleck Garter zu mir und sagte: »Eliza«, sagte er, »wenn Mister Gant zurückkommt, werde ich, glaube ich, einen Auftrag für ihn haben.« »Aber wieso, Aleck«, sagte ich zu ihm, »ich erwarte ihn kaum vor dem ersten April«. Na und also, wer kann das wissen wieso, ich war kaum wieder draußen aus dem Laden, ich nehme, an, ich muß an etwas ganz andres gedacht haben, denn ich entsinne mich genau, daß mir Emma Aldrich auf der Straße begegnete und mich ansprach ... na, ich dachte gar nicht daran, mich mit ihr auf einen Schwatz einzulassen, ich wartete eigentlich nur drauf, daß sie weiterginge, und antwortete ihr gar nicht auf ihr Zeug, so sagte ich denn plötzlich, ja, ganz laut sagte ich, ja, ihr zu Gefallen rief ich aus: »Emma«, – es ist mir ja ganz überraschend gekommen, so wahr, wie ich hier stehe, ich war meiner Sache ganz sicher, also »Emma«, rief ich aus, »weißt Du, Mister Gant ist auf der Heimreise begriffen«, ja, ganz genau so –«

Jesus und Gott! dachte Gant. Es geht wieder los.

Elizas Gedächtnis bewegte sich im Seebecken des Geschehens wie ein riesenhafter Polyp, der zwar blind, aber vollkommen zum Tasten ausgerüstet, seinen Weg über Meereshöhlen, Rillen und Bodengebirge fühlt. Ihr gierig saugendes Gedächtnis hatte Anhaltspunkte an allen Dingen, die sie je gedacht, gefühlt, getan hatte. Sie war eine echte Pentland: Die Ereignisse rutschten aus der Leere für einen Nu in ihren Erlebnisrahmen und wurden dort für immer festgehalten.

Gant legte mittlerweile Kohlen und Holz aufs Feuer und murmelte vor sich hin. Er ordnete im Kopf seine Rhetorik: deutlich gegliedert, proportioniert und interpunktiert: ansteigende Sequenzen, ausgewogene Sätze, Höhepunkte.

...Ja, staubige Baumwollballen in langen Schuppen neben den Schienensträngen der Frachtbahnhöfe, verladebereit. Duftende Föhrenwälder der südlichen Ebnen, vom goldbraunen Feenlicht gesättigt, das zwischen hohen, geraden, glatten Stämmen steht. Ein Frauenbein beim Einsteigen in eine Kutsche, unter einem elegant gehobenen Rock in der Canal Street, vermutlich das einer Französin oder Kreolin. Die Beugung eines vollen weißen Frauenarms, der nach einer Fensterblende griff. Die olivenfarbnen Gesichter, die durch die Scheiben blickten. Die Gattin eines Arztes aus Georgia, die im Zimmer über ihm schlief, beim Ausgang. Das unauslöschbare, von Fischen überfüllte Übermaß des Stillen Ozeans; ungezäunt, blau, langsam, katzenhaft träg, an die Ufer schwappend. Und der Strom, der alles austrinkt, der Colorado River, die gelbe, langsam schürfende, den Kontinent entwässernde Schlange. Sein Leben war wie dieser Strom, reich mit Geröll, mit Fortgeführtem, mit Sedimentablagerung, unerschöpflich vom Leben gefüllt, daß es noch reicher würde. Und dieses Leben würde er nun im Hafen dieses Hauses ausströmen lassen. Diese Mündungsbucht würde genügen. Der Rebstock wand sich dreimal ums Haus, die Erde wucherte mächtig mit Blüte und Frucht, das Feuer brannte wild.

»Was gibt's zum Frühstück?« fragte er.

»Na«, sagte sie und schürzte die Lippe. »Möchtest Du ein paar Eier haben?«

»Ja«, sagte er, »mit ein paar Scheiben knusprig gebräunten Specks und mehreren Bratwürstchen.«

Er schritt durchs Speisezimmer und über die Diele.

»Steve! Ben! Lukas! Ihr verdammten Gauner!« gellte er. »Aufstehn!«

Beinah gleichzeitig stampften ihre Füße auf den Boden. »Papa ist zurück!« schrien sie.

Mister Duncan sah zu, wie die Butter in das frischbackne, warme Frühstücksbrötchen einsickerte. Er blickte auf, schräg durch die Gardine. Da sah er aus Gants Schornstein dicken, schweren wolkigen Rauch aufsteigen.

»Er ist wieder da«, sagte er befriedigt.

Als er den Rauch sah, im gleichen Augenblick, sagte Tarkinton, der Farbenhändler:

»W. O. ist zurück.«

 

So kehrte er heim, der ins Land gen Westen geschweift war, Gant, der Weitgewanderte.


 << zurück weiter >>