Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Drittes Kapitel

Das Letzte

Am nächsten Morgen machte der Pilger sich auf den Weg, um das Geschäft zu erledigen, an dessen Ausführung er durch die im letzten Kapitel berichteten Umstände verhindert worden war. In der Nähe der Janusbilder auf dem Forum sah man ihn, wie er sich zuerst geschäftig nach jemand zu erkundigen schien. Endlich war die Persönlichkeit gefunden, und die beiden schritten einer schmutzigen, kleinen Schreibstube unter dem Kapitol auf dem Hügel zu, welcher Clivus Asyli genannt wurde. Alte, staubige Bücher wurden hervorgeholt, Kolonne auf Kolonne durchgesehen, bis sie an das Datum »Konsul Diocletianus Augustus und Maximianus Herculeus Augustus« kamen. Hier fanden sie verschiedene Eintragungen in Bezug auf gewisse Dokumente. Eine Rolle halb vermoderter Pergamente jenes Datums wurde hervorgeholt, die Nummer, welche mit den vorher erwähnten Eintragungen übereinstimmte, herausgezogen und geprüft. Das Resultat der Nachforschung schien für beide Teile gleich befriedigend.

»Dies ist das erste Mal in meinem Leben,« sagte der Besitzer des kleinen Geschäftsraums, »daß ich einen Menschen gesehen habe, welcher glücklich entkommen, nach fünfzehn Jahren wieder zurückkehrt, um sich nach seinen Schulden zu erkundigen. Ein Christ, wie ich vermute, Herr?«

»Gewiß; durch Gottes Gnade.«

»Das konnte ich mir denken; guten Morgen, Herr. Ich würde glücklich sein, wenn ich Ihnen einmal dienen könnte unter ebenso vernünftigen Bedingungen, wie mein Vater Ephraim, der jetzt in Abrahams Schoß ruht, es gethan hat.« Als der Fremde außer Hörweite war, fügte der Jude hinzu: »Ein großer Narr, das muß ich sagen.«

Mit festerem Schritt und fröhlicherer Miene, als man sie bis jetzt an ihm wahrgenommen, begab er sich gradeswegs nach der Villa an der Via Nomentana. Nachdem er abermals, wenn auch mit leichterem Herzen, sein Gebet in der Krypta gesprochen hatte, wandte er sich sofort an den Totengräber, als feien sie niemals voneinander fern gewesen: »Torquatus, kann ich mit der edlen Fabiola sprechen?«

»Gewiß,« entgegnete der andere, »folge mir.«

Als sie miteinander weiter gingen, gedachte keiner von beiden alter Zeiten, noch that er Fragen in Bezug auf die Lebensgeschichte des anderen. Es schien ein instinktives Einverständnis obzuwalten, daß die Vergangenheit ebensowohl vor Menschen begraben sein sollte, wie sie hofften, daß sie es vor Gott sei.

Fabiola war an diesem und dem vorhergehenden Tage zu Hause geblieben, weil sie auf die Wiederkehr des Fremden wartete. Sie saß im Garten nahe an einem Springbrunnen, als Torquatus sie dem Pilger bezeichnete und sich dann zurückzog.

Sie erhob sich, als sie den langerwarteten Besucher nahen sah, und eine unbeschreibliche Rührung überkam sie, als er endlich vor ihr stand.

»Edle Fabiola,« sagte er mit demütigem Ton und ernster Bescheidenheit und Einfachheit, »ich würde niemals gewagt haben, mich wieder vor dir zu zeigen, wenn nicht eine Pflicht der Dankbarkeit sowohl, wie eine zweite der Gerechtigkeit mich dazu gezwungen hätte.«

»Orontius,« erwiderte sie, » – ist dies der Name, mit dem ich dich nennen muß?« (er nickte zustimmend) »du kannst keine Verpflichtung gegen mich haben – mit Ausnahme jener einen, welche unser großer Apostel uns auferlegt – daß wir uns untereinander lieben sollen.«

»Ich weiß, daß du so denkst. Und deshalb, gütige Fabiola, hätte ich, Unwürdiger der ich bin, niemals den Mut gehabt, dich zu belästigen, wenn nicht strengste Pflichterfüllung das Motiv gewesen wäre, welches mich herbeigeführt hat. Ich weiß, wieviel Dankbarkeit ich dir schulde, für all die unendliche Liebe und Treue, welche du jener erwiesen hast, die mir jetzt teurer ist, als irgend eine Schwester der Erde dem Bruderherzen sein kann. Du vollbrachtest alle jene Thaten der Liebe an ihr, welche ich versäumt habe.«

»Das war es, was sie zu mir geführt hat, damit sie der Schutzengel meines Lebens werden sollte. Vergiß nicht, Orontius, daß Joseph von seinen Brüdern verkauft wurde, damit er der Erretter seines Volkes werde.«

»Du bist in der That zu gut und erbarmungsvoll gegen einen Unwürdigen wie ich es bin,« begann der Pilger von neuem, »aber ich will dir nicht mehr für deine Güte gegen jene danken, die dich so reichlich dafür gelohnt hat. Erst heute früh habe ich wieder einen Beweis deiner Fürsorge gehabt, ohne daß der Empfänger desselben einen Anspruch an deine Mildthätigkeit hätte machen dürfen.«

»Ich verstehe dich nicht,« bemerkte Fabiola.

»So laß mich dir alles deutlich erzählen,« erwiderte Orontius. »Ich bin jetzt seit vielen Jahren ein Mitglied einer jener Genossenschaften in Palästina, deren Mitglieder abgeschieden von der Welt an einsamen Orten leben und ihre Tage und sogar ihre Nächte in frommen Betrachtungen, mit der Arbeit ihrer Hände und dem Absingen göttlichen Lobes zubringen. Strenge Buße für unsere vergangenen Sünden, Fasten, Abtötungen und Gebete bilden den größten Teil unseres Büßertums. Hast du auch hier von solchen Männern gehört?« »Der Ruhm des heiligen Paulus und heiligen Antonius ist ebenso groß im Westen wie im Osten,« entgegnete die Dame.

»Es war der größte Schüler des letzteren, mit dem ich zusammen gelebt habe; sein erhabenes Beispiel und der Trost, den er mir spendete, stützten mich. Aber ein Gedanke quälte mich unaufhörlich, und selbst nach langen Jahren der Buße raubte er mir noch den Frieden und die Sicherheit. Bevor ich Rom verließ, war ich eine schwere Schuld eingegangen; diese mußte zusammen mit den vereinbarten Zinsen bis zu einer erdrückenden Höhe angewachsen sein. Aber dennoch war es eine Verpflichtung, die ich mit reiflicher Überlegung auf mich genommen hatte, der ich mich folglich auch nicht entziehen durfte. Ich war ein armer CönobitKlosterbruder. und lebte nur von dem Ertrag der wenigen Palmblattmatten, die ich flechten konnte; sonst nährte ich mich von den kärglichen Wurzeln und Gräsern, die der Boden lieferte. Wie sollte ich meinen Verpflichtungen nachkommen?

»Mir blieb nur noch ein Mittel. Ich konnte mich meinem Gläubiger als Sklave hingeben, um für ihn zu arbeiten und seine Schläge und verächtlichen Schimpfworte mit Geduld ertragen, oder ich konnte mich von ihm nach meinem Werte verkaufen lassen – denn ich bin noch stark. In beiden Fällen hätte ich das Beispiel unseres Erlösers vor Augen gehabt, das mich getröstet und aufrecht erhalten hätte. Ich hätte das einzige hingegeben, was ich besaß – mich selbst.

»Heute Morgen begab ich mich nach dem Forum, fand meines Gläubigers Sohn, prüfte seine Rechnungsbücher und fand, daß du, edle Fabiola, meine ganze Schuld bezahlt hattest. Deshalb bin ich jetzt dein Sklave und nicht der jenes Juden.«

Demütig kniete er vor ihr nieder.

»Steh auf! steh auf!« sagte Fabiola und wandte sich thränenden Auges ab. »Du bist nicht mein Sklave, sondern mein teurer Bruder in unserem gemeinsamen Herrn.«

Als er sich dann, wie sie ihm befahl, neben ihr auf einem Sitz niedergelassen hatte, fuhr sie fort: »Orontius, ich habe noch eine große Gunst von dir zu erbitten. Gieb mir einen genauen Bericht von den Umständen, welche dich dem Leben zugeführt haben, das du jetzt führst.«

»Ich werde dir gehorchen und mich so kurz wie möglich fassen. In einer trüben, entsetzlichen Nacht floh ich, wie du weißt, aus Rom, begleitet von einem Manne –« – hier versagte ihm die Stimme.

»Ich weiß, ich weiß, wen du meinst – Eurotas,« unterbrach ihn Fabiola.

»Derselbe. Der Fluch unseres Hauses, der Urheber all meiner und meiner teuren Schwester Leiden. Wir mußten mit großem Kostenaufwand ein Schiff mieten, welches uns von BrundusiumBrundusium – das heutige Brindisi. nach Cyprus brachte. Wir versuchten es mit dem Handel und verschiedenen anderen Spekulationen –aber nichts gelang uns. Es lastete augenscheinlich ein Fluch auf allem, was wir unternahmen. Unsere Mittel schmolzen zusammen, und wir waren wiederum gezwungen, ein anderes Land aufzusuchen. Wir kreuzten hinüber nach Palästina und ließen uns für einige Zeit in Gaza nieder. Gar bald suchte uns bitteres Elend heim. Jedermann mied uns, wir wußten nicht weshalb, aber mein Gewissen sagte mir, daß ich das Kainszeichen auf der Stirn trug.«

Hier hielt Orontius einige Minuten inne; heiße Thränen entquollen seinen Augen. Dann fuhr er fort:

»Endlich, als unsere Mittel erschöpft waren und nichts uns blieb als einige Edelsteine von allerdings großem Wert, von denen Eurotas sich jedoch aus mir unbekannt gebliebenen Gründen nicht trennen wollte, begann er mich zu überreden, daß ich das verächtliche Amt eines Angebers der Christen übernehmen solle. Grade damals brach eine furchtbare Verfolgung aus. Zum erstenmale in meinem Leben empörte ich mich gegen seine Befehle und verweigerte ihm den Gehorsam. Eines Tages forderte er mich auf mit ihm zu den Thoren hinaus zu gehen; wir wanderten weit, bis wir endlich an einen köstlichen Fleck Erde inmitten der Wüste gelangten. Es war ein enges Thal, üppiges Grün wucherte überall, Palmbäume verbreiteten kühlenden Schatten; ein klarer Bach rieselte hindurch, der einem Felsen am oberen Ende des Thals entsprang. In diesem Felsen erblickten wir Grotten und Höhlen, aber diese schienen unbewohnt zu sein. Man hörte außer dem leisen Rauschen des Wassers keinen Laut.

»Wir ließen uns nieder um zu ruhen; da begann Eurotas eine grauenvolle Rede. Die Zeit sei gekommen, sagte er, wo wir beide den furchtbaren Entschluß ausführen müßten, den er gefaßt, nämlich, den Ruin unserer Familie nicht zu überleben. Hier auf dieser Stelle müßten wir beide sterben; die wilden Tiere würden unsere Leichen verzehren, und niemand würde jemals das Ende der beiden letzten unseres Stammes erfahren.

»Nach diesen Worten zog er zwei kleine Fläschchen von ungleicher Größe hervor, gab mir die größere und verschluckte den Inhalt der kleineren.

»Ich weigerte mich, seinen Befehl zu vollziehen und hielt ihm die Ungleichheit der Phiolen vor; aber er entgegnete, daß er alt sei und ich jung; daß der Inhalt im richtigen Verhältnis zu unserer Lebenskraft stehe. Noch immer weigerte ich mich, denn ich hegte nicht den Wunsch zu sterben. Aber eine Art von dämonischer Wut schien sich seiner zu bemächtigen; er packte mich mit der Faust eines Riesen, als ich so am Boden saß, warf mich auf den Rücken und schrie: »Wir müssen beide zusammen untergehen.« Und damit goß er mir den Inhalt der Flasche in die Kehle, ohne mir auch nur einen Tropfen zu ersparen.

»In einer Minute verlor ich das Bewußtsein; so blieb ich liegen, bis ich in einer Höhle erwachte und mit matter Stimme um einen Labetrunk bat. Ein ehrwürdiger, alter Mann mit weißem Bart hielt eine hölzerne Schale mit klarem Wasser an meine Lippen.

»Wo ist Eurotas? fragte ich.

»Ist das dein Gefährte? fragte der alte Mönch.

»Ja, entgegnete ich.

»Er ist tot, lautete die Antwort.

»Ich weiß nicht, durch welches Verhängnis dies herbeiführt worden, aber ich danke Gott aus tiefstem Herzen, daß Er mich errettet hat.

»Jener alte Mann war Hilarion, ein Eingeborener von Gaza. welcher, nachdem er viele Jahre mit dem heiligen Antonius in Ägypten zugebracht hatte, in diesem JahreA. D. 303 zurückgekehrt war, um in seinem eigenen Lande das Cönobiten- und Eremitenleben zu gründen, und bereits mehrere Schüler gefunden hatte. Sie lebten in den nahe gelegenen Höhlen und nahmen ihre Nahrung unter dem Schatten jener Palmen ein und würzten ihr trockenes Brot in dem Wasser jenes Baches.

»Ihre Güte gegen mich, ihre fröhliche Frömmigkeit, ihr heiliges Leben – das alles gewann mich ihnen sobald ich genesen war. Ich erblickte die Religion, welche ich verfolgt hatte, in einer erhabenen Form; die Lehren meiner teuren Mutter und das Beispiel meiner frommen Schwester kehrten in mein Gedächtnis zurück, so daß ich mich der göttlichen Gnade anempfahl, meine Sünden zu den Füßen eines Priesters des Herrn bekannte und beklagte und die heilige Taufe am Osterabend empfing.«

»So sind wir doppelt Geschwister, sogar Zwillingsgeschwister der Kirche, denn auch ich wurde an jenem Tage zum ewigen Leben geboren. Aber was gedenkst du jetzt zu thun?«

»Heute Abend schon meine Rückreise anzutreten. Ich habe die beiden Zwecke meiner Reise erreicht. Der erste war, meine Schuld zu tilgen – der zweite, eine Gabe am Grabe der Agnes niederzulegen. Du wirst nicht vergessen haben,« fügte er lächelnd hinzu, »daß dein guter Vater unabsichtlich den Glauben in mir erweckte, sie trage Verlangen nach den Edelsteinen, welche ich zur Schau trug. Thor, der ich war! Aber ich beschloß nach meiner Bekehrung, daß sie die schönsten erhalten solle, welche ich noch in Eurotas' Besitz fand. Diese habe ich ihr gebracht.«

»Aber besitzest du die Mittel, um die Rückreise antreten zu können?« fragte die edle Fabiola zögernd.

»Ich habe deren im Überfluß durch die Mildthätigkeit der Gläubigen,« entgegnete er. »Ich führe Briefe vom Bischof von Gaza mit, die mir überall ein Unterkommen und Nahrung sichern; aber ich werde von dir einen Trunk Wasser und eine Kruste Brot annehmen im Namen eines Jüngers.«

Sie erhoben sich und schritten dem Hause zu, als plötzlich ein Weib wie rasend durch die Büsche daher gejagt kam, sich ihnen zu Füßen warf und ausrief:

»O, rette mich, teure Herrin! Rette mich! Er verfolgt mich und will mich töten!«

Fabiola erkannte in dem armen, geängstigten Geschöpf ihre frühere Sklavin Jubala wieder; aber ihr Haar war ergraut und hing in wilden Strähnen über das Gesicht, und ihre ganze Gestalt erzählte eine Geschichte des tiefsten Elends. Fabiola fragte, von wem sie spreche.

»Von meinem Gatten,« entgegnete sie, »er hat mich schon lange grausam und hart behandelt, aber heute ist er tierischer und roher denn je. O! rette mich vor ihm!«

»Hier ist keine Gefahr für dich,« beruhigte sie die edle Römerin, »aber ich fürchte, arme Jubala, daß du durchaus nicht glücklich bist. Ich sah dich vor langer, langer Zeit zum letztenmal.«

»Nein, teure Herrin, ich bin nicht glücklich, aber weshalb sollte ich kommen, um dir von meinem Elend zu sprechen? O! weshalb habe ich dich und dein Haus jemals verlassen, wo ich so glücklich hätte sein müssen! Ich hätte dann mit dir und Graja und der guten, alten Euphrosyne, die jetzt tot ist, lernen können, gut zu werden. Ich hätte Christin werden können!« »Wie, Jubala, hast du wirklich daran gedacht?«

»Seit langer Zeit schon, Herrin, in meinem Kummer und meinem Schmerz und meinen Gewissensbissen. Denn ich habe gesehen, wie glücklich die Christen sind, selbst jene, die ebenso verderbt gewesen sind wie ich. Und weil ich meinem Gatten dies heute Morgen andeutete, hat er mich geschlagen und mir gedroht, mein Leben zu nehmen. Aber Gott sei dafür gelobt, durch eine Freundin habe ich die Lehren der Christen kennen gelernt.«

»Seit wie langer Zeit hast du von seiner schlechten Behandlung zu leiden gehabt, Jubala?« fragte Orontius, welcher von seinem Onkel davon gehört hatte.

»Bald nach unserer Heirat sprach ich ihm von einem Anerbieten, welches mir ein dunkler Fremder, Namens Eurotas gemacht hatte, antwortete die Gefragte. »Ah! Und er war in der That ein böser Mann, ein Mensch von düsteren Leidenschaften und gewissenloser Schlechtigkeit. Meine quälendste Erinnerung steht mit ihm in Verbindung.«

»Wie das?« fragte Orontius, dessen Neugierde geweckt worden.

»Höre; als er Rom verließ, verlangte er zwei narkotische Tränke von mir. Einen für einen Feind, wenn man ihn jemals zum Gefangenen machen sollte. Dieser sollte durchaus tödlich wirken. Der zweite sollte nur das Bewußtsein für einige Stunden rauben, für den Fall, daß er desselben für sich bedürfe.

»Als er die beiden Tränke von mir holen kam, war ich grade im Begriff, ihm zu erklären, daß entgegen allem äußeren Schein, die kleine Phiole ein stark wirkendes Gift enthielte und die größere eine schwächere und verdünnte Dosis. Aber in diesem Augenblick trat mein Gatte ein und trieb mich in einem Anfall von Eifersucht aus dem Gemache. Nun fürchte ich, daß ein Irrtum begangen und ein unbeabsichtigter Tod verursacht worden ist.«

Fabiola und Orontius blickten einander schweigend an, staunend über die wundersamen Wege der Vorsehung. Plötzlich wurden sie durch einen markerschütternden Schrei des Weibes aufgerüttelt. Voll Entsetzen gewahrten sie, daß ein Pfeil in ihrer Brust steckte. Während Fabiola sie stützte, blickte Orontius umher und sah noch das widerliche Grinsen eines schwarzen Gesichts, welches durch den Zaun lugte. Im nächsten Augenblick sah man einen Numidier auf seinem Rosse davon eilen, den Bogen nach Art der Parther über die Schulter gespannt, bereit den Kampf mit jedem Verfolger aufzunehmen. Ohne daß sie es bemerkt hatten, war der Pfeil zwischen Fabiola und Orontius durchgeflogen.

»Jubala,« fragte Fabiola, »wünschest du als Christin zu sterben?«

»Von ganzem Herzen,« antwortete die Schwarze.

»Glaubst du an einen Gott in drei Personen?«

»Ich glaube fest an alles, was die christliche Kirche lehrt.«

»Und an Jesum Christum, der für uns und unsere Sünden geboren ward und starb?«

»Ja. Ich glaube alles, was du glaubst.« Die Antwort wurde bereits mit matter Stimme gegeben.

»Beeile dich, beeile dich, Orontius,« rief Fabiola und zeigte nach dem Brunnen.

Er stand bereits an dem Becken desselben, füllte seine beiden Hände mit Wasser, kam eilends zurück und goß es über das Haupt der armen Afrikanerin, indem er die Taufformel sprach. Gleich darauf hauchte sie ihre Seele aus, und das Wasser der Wiedergeburt floß zusammen mit dem Blute der Sühnung.

Nach diesem traurigen aber dennoch trostreichen Vorfall traten sie in das Haus und gaben dem Torquatus ihre Weisungen in Bezug auf das Begräbnis dieser zweifach getauften Neubekehrten.

Orontius war überrascht durch die einfache Sauberkeit des Hauses, welche einen so scharfen Gegensatz zu der strahlenden Pracht bildete, die ehemals in Fabiolas Behausung geherrscht. Aber plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit in einem inneren Gemache durch einen köstlichen Schrein gefesselt, der mit Edelsteinen besetzt, jedoch von einem durchsichtigen Vorhang so verhüllt war, daß man nur die äußere Umrahmung desselben sehen konnte. Er trat näher und gewahrte die Inschrift: »Das Blut der seligen Mirjam, vergossen von grausamen Händen!«

Orontius wurde leichenblaß, dann feuerrot. Er taumelte zurück.

Fabiola gewahrte dies, und indem sie auf ihn zuschritt und freundlich die Hand auf seinen Arm legte, sagte sie milde und gütig:

»Orontius, da drinnen ist etwas, das uns beide tief erröten machen muß – aber dennoch dürfen wir nicht verzweifeln.«

Bei diesen Worten zog sie den verhüllenden Vorhang zur Seite, und Orontius erblickte zwischen zwei Krystallplatten das gestickte Tuch, welches in so innigem Zusammenhange mit seiner eigenen und der Geschichte seiner Schwester stand. Auf demselben lagen zwei spitze Waffen, auf denen Blut eingerostet war. In der einen erkannte er seinen eigenen Dolch; in der andern glaubte er eines jener Werkzeuge weiblicher Rache zu sehen, mit denen, wie er wußte, heidnische Damen ihre Dienerinnen zu strafen pflegten.

»Wir beide haben, ohne es zu wollen, eine Wunde geschlagen und das Blut derjenigen vergossen, welche wir jetzt wie unsere Schwester im Himmel ehren. Doch was mich anbetrifft, so brach an jedem Tage, wo ich jene That beging und ihr Gelegenheit gab, ihre reiche Tugend zu entfalten, die Morgenröte der Gnade für meine Seele an. Was sagst du?« fragte Fabiola.

»Daß ich ebenfalls von dem Augenblick an, wo ich sie mißhandelte und sie dahin brachte, ihren christlichen Heldenmut zu beweisen, Gottes Hand, welche auf mir ruhte, zu empfinden begann – Seine Hand, die mich zur Reue und Vergebung geführt hat.« »So ist es stets,« schloß Fabiola. »Das Beispiel unseres Herrn hat die Märtyrer gemacht; und das Beispiel der Märtyrer führt uns zu ihm empor. Ihr Blut macht unsere harten Herzen weich; das Seine reinigt unsere Seelen. Das ihre sieht um Gnade für uns – das Seinige verleiht sie!

»Möge die Kirche in den Tagen des Friedens und der Siege niemals vergessen, was sie dem Zeitalter ihrer Märtyrer schuldet. Was uns beide betrifft, so schulden wir ihr unser seelisches Leben. Möchten viele, welche nur davon lesen, dieselbe Erbarmung und Gnade daraus schöpfen!«

Sie knieten nieder und beteten lange vor dem Schrein.

Dann trennten sie sich, um sich niemals wieder zu sehen.

Nach wenigen Jahren, welche Orontius in strengen Bußübungen hinbrachte, bezeichnete ein grüner Hügel unter den Palmen in dem kleinen Thal bei Gaza die Stelle, wo er den Schlaf der Gerechten schlief.

Und nach vielen Jahren, welche sie mit Werken der christlichen Barmherzigkeit und Frömmigkeit ausfüllte, ging auch Fabiola zum ewigen Frieden ein und fand ihre Ruhestätte neben Agnes und Mirjam.

 

Ende.


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