Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Fünftes Kapitel

Der Besuch

Während des letzten Teils des soeben wiederholten Dialogs und der Katastrophe, welche ihm ein Ende machte, trat eine Erscheinung in Fabiolas Zimmer, welche, wenn diese sie erblickt hätte, dem ersteren wahrscheinlich ein Ende gemacht und letztere verhütet haben würde. Die inneren Gemächer des römischen Hauses waren häufiger durch Vorhänge an den Thüröffnungen abgeschlossen als durch Thüren, und daher war es leicht, besonders während einer so erregten Scene wie die oben geschilderte, unbemerkt einzutreten. Dies war auch jetzt der Fall, und als Syra sich umwandte, um das Zimmer zu verlassen, erschrak sie fast, als sie von dem purpurroten Hintergrunde des Thürvorhangs sich eine lichte Gestalt abheben sah, welche sie augenblicklich erkannte, die wir aber kurz beschreiben müssen.

Es war die einer Jungfrau oder eigentlich eines Kindes, das nicht mehr als zwölf oder dreizehn Jahre zählte, in reines, fleckenloses Weiß gekleidet, ohne einen einzigen Schmuckgegenstand.

In ihrem Antlitz vereinigte sie die Unbefangenheit und Reinheit der Kindheit mit dem Verstande des reiferen Alters. In ihren Augen lag nicht nur die taubengleiche Unschuld, welche der heilige Dichter beschreibt,Hohelied Sal. Kap. 1., V. 14. sondern oft strahlten sie auch in so reiner Liebe, als blickten sie über alles, was sie umgab, fort, und ruhten auf Einem, der von allen anderen ungesehen, nur ihr gegenwärtig und ihrem Herzen unendlich teuer war. Auf ihrer Stirn thronte die Wahrheit und Aufrichtigkeit; ein gütiges Lächeln umspielte ihre Lippen, und auf den frischen jugendlichen Zügen wechselte der Ausdruck tiefer Empfindung mit arglosem Ernst; jedes Gefühl spiegelte sich eben so schnell auf ihrem Antlitz ab, wie ihr warmes und zärtliches Herz es empfand. Diejenigen, welche sie kannten, hegten die Überzeugung, daß sie niemals an sich selbst dachte, sondern sich vollständig zwischen der Güte und Fürsorge für ihre Umgebung und der Hingebung für ihre unsichtbare Liebe teilte.

Als Syra diese wunderliebliche Erscheinung erblickte, welche einem Engel gleich vor ihr stand, hielt sie einen Augenblick inne. Aber das Kind ergriff ihre Hand und sagte, indem sie sie ehrerbietig küßte: »Ich habe alles gesehen; warte auf mich in dem kleinen Zimmer am Eingange, wenn ich fort gehe, komme ich zu dir.«

Dann trat sie näher. Als Fabiola ihrer ansichtig wurde, bedeckte ein tiefes Rot ihre Wangen, denn sie fürchtete, daß das Kind Zeuge des unwürdigen Ausbruches ihrer Leidenschaften gewesen sein könne. Mit einer hochmütigen Handbewegung entließ sie ihre Dienerinnen und begrüßte dann ihre Verwandte – denn das war sie – mit herzlicher Freundlichkeit. Wir haben schon gesagt, daß Fabiola in ihrer hochfahrenden Laune dennoch einige Ausnahmen machte. Eine derselben war ihre alte Amme und Freigelassene Euphrosyne, welche ihren ganzen Privathaushalt führte und deren ganzes Glaubensbekenntnis dahin lautete, daß Fabiola das vollkommenste Wesen der Schöpfung, die klügste, die schönste, die bewunderungswürdigste Dame in Rom sei.

Die zweite Ausnahme bildete ihre junge Besucherin, welche sie liebte und stets mit der zartesten Hingebung behandelte, deren Gesellschaft sie unaufhörlich begehrte.

»Es ist wirklich gütig von dir, Agnes,« sagte die schnell besänftigte Fabiola, »meiner plötzlichen Einladung, uns bei der heutigen Abendtafel Gesellschaft zu leisten, so schnell Folge zu leisten. Die Sache ist aber die, daß mein Vater einen oder zwei Fremde eingeladen hat, und ich dringend wünschte, eine Person hier zu haben, mit der ich unter dem Vorwande, daß es meine Pflicht sei, sie zu unterhalten, ungestört sprechen könnte. Ich gestehe indessen, daß ich in Bezug auf den einen unserer Gäste ein wenig Neugierde hege. Es ist Fulvius, von dessen Liebenswürdigkeit, Anmut, Reichtum und Klugheit ich so viel höre, obgleich niemand zu wissen scheint, wer und was er ist, oder woher er so plötzlich gekommen ist.«

»Meine teure Fabiola,« antwortete Agnes, »du weißt, daß ich stets glücklich bin, dich zu besuchen, und daß meine gütigen Eltern mir es auch gern gestatten; deshalb mach keine Entschuldigungen über diesen Punkt.«

»Und so bist du denn wieder wie gewöhnlich zu mir gekommen,« sagte die andere scherzhaft, »in deinem eigentümlichen schneeweißen Gewande, ohne Edelsteine, ohne Schmuck, grade als wenn du täglich eine Braut wärst. Du scheinst eine ewige Hochzeit zu feiern. Aber gütiger Himmel! Was ist das? Hast du dich verletzt? Oder weißt du nicht, daß mitten auf deiner Tunika, grade an der Stelle des Herzens sich ein großer roter Fleck befindet? – Es sieht aus wie Blut. Wenn dem so ist, so laß mich dir sofort einen anderen Überwurf geben.«

»Nicht um alle Schätze der Welt; es ist der Edelstein, der einzige Schmuck den ich heute Abend zu tragen gedenke. Es ist Blut, und zwar das einer Sklavin; in meinen Augen aber edler und hochherziger als das, welches in deinen und meinen Adern fließt!«

Fabiola erfaßte sofort die ganze Wahrheit. Agnes hatte alles gesehen; und über alle Begriffe gedemütigt, sagte sie schnippisch: »Du willst also vor aller Welt einen Beweis meiner Laune und Heftigkeit zur Schau tragen, nur weil ich mich hinreißen ließ, eine übermütige Sklavin etwas zu strenge zu strafen?«

»Nein, teure Cousine, weit entfernt davon. Ich will nur mir selbst eine Lehre der Charakterfestigkeit und Hochherzigkeit bewahren, welche eine Sklavin mir gegeben hat. Sie ist erhabener als manche, die ein patrizischer Philosoph uns geben kann.«

»Welch seltsamer Gedanke, Agnes! In der That, es hat mich oft bedünkt, daß du zu viel aus dieser Klasse von Leuten machst. Schließlich – was sind sie denn eigentlich?«

»Menschliche Geschöpfe so gut wie wir selbst, mit derselben Vernunft, denselben Gefühlen, dem gleichen Organismus begabt. Das wirst du mir doch zugeben müssen. Dann bilden sie einen Teil derselben Familie, und wenn Gott, von dem wir unser Leben haben, dadurch unser Vater ist, so ist Er der ihre ebensogut, und folglich sind sie unsere Brüder.«

»Ein Sklave mein Bruder oder eine Sklavin meine Schwester! Agnes! Die Götter mögen mich davor bewahren! Sie sind unser Gut und unser Eigentum, und ich kenne nichts anderes, als daß es ihnen gestattet ist, sich zu bewegen, zu handeln, zu denken und zu fühlen, wie ihre Herren es befehlen, oder wie es deren Vorteil ist.«

»Komm, komm, Fabiola,« sagte Agnes in ihrer süßesten Weise, »laß uns nicht in einen Wortkampf geraten. Du bist zu wahr und zu hochherzig, um nicht zu fühlen und anzuerkennen, daß du heute in allem, was du am meisten bewundern mußt, von einer Sklavin übertroffen worden bist – in Gemüt, in Vernunft, in Wahrhaftigkeit und in heldenmütiger Stärke! Antworte mir nicht; in jener Thräne sehe ich deine Antwort. Aber, teure Cousine, ich will dir eine Wiederholung deines Kummers ersparen. Willst du mir meine Bitte gewähren?«

»Jede, welche zu gewähren in meiner Macht liegt.«

»So gestatte mir denn, Syra zu kaufen – nicht, wahr, Syra ist ihr Name. Es wird dir nicht lieb sein, sie um dich zu sehen.«

»Du irrst, Agnes. Ich will dies eine Mal meinen Stolz besiegen, und ich gestehe dir, daß ich sie jetzt achten, vielleicht sie sogar bewundern werde. Es ist dies ein neues Gefühl, welches ich für ein Wesen in ihrer Stellung hege.«

»Aber ich glaube, Fabiola, daß ich sie glücklicher machen könnte, als sie es jetzt ist.«

»Ohne Zweifel, teure Agnes, denn du hast die herrliche Gabe, jeden glücklich zu machen, der in deine Nähe kommt. Niemals sah ich einen Haushalt wie den deinen. Du scheinst jene seltsame Philosophie, auf welche Syra anspielte, in Ausführung zu bringen, nämlich, daß es keinen Unterschied zwischen Freien und Sklaven giebt. Jedermann in eurem Hause lächelt stets und ist freudig besorgt, seine Pflicht zu thun. Und trotzdem scheint niemand dort zu sein, welcher ans Befehlen denkt. Komm, erzähle mir dein Geheimnis!«

Agnes lächelte.

»Ich argwöhne, du kleine Zauberin, daß du in jenem geheimnisvollen Zimmer, welches du niemals vor mir öffnen willst, deine Zaubertränke und Mixturen aufbewahrst, mit denen du bewirkst, daß jedermann und jedes Ding dich liebt und dir zulächelt. Wenn du eine Christin und im Cirkus ausgestellt wärst, so bin ich fest überzeugt, daß sogar die Leoparden dich schonen und dir zu Füßen kriechen würden. Aber weshalb siehst du so ernst aus, Kind? Du weißt ja, daß ich nur scherze.«

Agnes schien in Gedanken versunken; dann sandte sie jenen durchdringenden und zärtlichen Blick empor, den wir schon erwähnt haben; es war, als sähe sie jemand vor sich, nein, als hörte sie ein innig geliebtes Wesen sprechen. Dies ging vorüber, und fröhlich sagte sie:

»Nun, nun, Fabiola, es sind schon seltsamere Dinge vorgekommen; und wenn etwas so fürchterliches jemals geschehen sollte, so wäre Syra auf jeden Fall das Wesen, welches man zur Seite haben möchte. Du mußt sie mir also durchaus geben.«

»Um Gottes willen Agnes, nimm meine Worte doch nicht so ernst. Ich versichere dir, daß ich sie nur im Scherz gesprochen habe. Ich habe einen zu hohen Begriff von deiner gesunden Vernunft, um etwas so schreckliches auch nur für möglich zu halten. Was aber Syras Hingebung anbetrifft, so hast du recht. Als du im vorigen Sommer fern von Rom warst, und das ansteckende Fieber mich aufs Krankenlager warf, waren die übrigen Sklavinnen nur mit der Peitsche dazu zu bewegen, sich mir zu nähern. Jenes arme Geschöpf hingegen verließ mich kaum, wachte bei mir, pflegte mich Tag und Nacht, und ich glaube wirklich, daß ich ihr meine Wiederherstellung verdanke.«

»Und liebst du sie nicht dafür?«

»Sie lieben! eine Sklavin lieben! Kind! Natürlich ließ ich es mir angelegen sein, sie großmütig zu belohnen, obgleich ich nicht begreifen kann, was sie mit dem thut, was ich ihr gebe. Die andern sagen mir, daß sie nichts erspart hat, und ganz gewiß giebt sie nicht das geringste für ihre eigene Person aus. Nein, ich habe sogar vernommen, daß sie thörichterweise ihre tägliche Nahrung mit einem blinden Bettlermädchen teilt. Das ist doch wahrlich eine ganz seltsame Idee!«

»Teuerste Fabiola,« rief Agnes aus, »sie muß mein Eigentum werden! Du hast versprochen, meine Bitte zu erfüllen. Nenne den Preis, und laß mich sie schon heute Abend mit nach Hause führen.«

»Gut, es sei so, du unwiderstehlichste aller Bittstellerinnen! Aber wir wollen nicht miteinander handeln. Schicke morgen jemand her, der mit dem Hausverwalter meines Vaters spricht und alles in Ordnung bringt. Und jetzt, da diese große Geschäftsangelegenheit zwischen uns geordnet ist, laß uns hinuntergehen zu unseren Gästen.«

»Du hast aber vergessen deine Juwelen anzulegen.«

»Laß das. Ich werde einmal ohne sie sein können. Heute ist mir alle Freude daran vergangen.


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