Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Neuntes Kapitel

Zusammenkünfte

Von allen römischen Hügeln ist der Palatin unstreitig derjenige, welcher von beiden Seiten am deutlichsten erkennbar ist. Da Augustus ihn zu seiner Residenz gewählt hatte, folgten mehrere spätere Kaiser seinem Beispiel; nach und nach hatten sie seine bescheidene Residenz jedoch in einen Palast verwandelt, welcher den ganzen Hügel bedeckte. Nero, welcher mit den Dimensionen dieses Bauwerks noch immer nicht zufrieden war, zerstörte die Nachbarschaft durch Feuer und dehnte das kaiserliche Residenzschloß auch auf den benachbarten Esquilin aus, indem er den ganzen Raum zwischen den beiden Hügeln, auf welchem sich heute noch das Colosseum befindet, mit einbegriff. Vespasian riß das »goldene Haus«, dessen prächtige Gewölbe mit den herrlichsten Gemälden geziert noch stehen, wieder ein und errichtete das soeben erwähnte Amphitheater und noch andere Gebäude aus seinem Material. Bald nach dieser Periode wurde der Eingang zum Palast nahe am Triumphbogen des Titus vorüber durch die Via Sacra oder den heiligen Weg gelegt. Nachdem der Besucher durch ein Vestibüle geschritten, befindet er sich in einem Prachtvollen Hofe, dessen Plan man noch heute deutlich erkennen kann. Nachdem er sich von hier aus links wandte, trat er in einen ungeheuren viereckigen Raum, welcher mit Bäumen, Gebüschen und Blumen bepflanzt und von Domitian dem Adonis geweiht worden war.

Wenn man sich dann fernerhin links hielt, trat man in eine Reihe von Gemächern, welche Alexander Severus zu Ehren seiner Mutter Mammaea, deren Namen sie ebenfalls trugen, eingerichtet hatte. Sie hatten den Ausblick auf den Monte Coelius grade an jener Ecke desselben, welche auf den späteren Triumphbogen des Constantin und den Brunnen Meta Sudans»Der schwitzende Pfahl«. Es war ein Obelisk aus Ziegelsteinen, welcher noch heute existiert, bekleidet mit Marmor, von dessen Spitze Wasser in Form einer Glasglocke herabfloß und sich in eine weite Schale am Fuße desselben ergoß. genannt, hinausgeht. Dieses waren die Räumlichkeiten, in welchen Sebastianus sich als Tribun ober oberster Offizier der kaiserlichen Leibwache aufhielt. Sie bestanden aus wenigen Zimmern, welche so außerordentlich bescheiden ausgestattet waren, wie es einem Soldaten und Christen zukommt. Sein Haushalt beschränkte sich auf wenige Freigelassene und eine ehrwürdige Matrone, welche seine Amme gewesen war und ihn wie ein Kind liebte. Sie waren Christen, und alle Männer in seiner Kohorte waren es ebenfalls – teilweise durch Bekehrung, aber meistenteils durch die Sorgfalt, welche er bei der Rekrutierung neuer Soldaten anwandte.

Wenige Abende nach den soeben im letzten Kapitel beschriebenen Scenen, stieg Sebastianus einige Stunden nach Sonnenuntergang in Gesellschaft eines zweiten Jünglings, von welchem wir bereits gesprochen haben, die Stufen zu dem oben geschilderten Vestibüle hinan. Pancratius liebte und bewunderte Sebastianus mit jener Art von Liebe, welche ein heißblütiger, junger Offizier für einen älteren tapferen Soldaten zu hegen Pflegt, der ihm seine Freundschaft geschenkt hat. Aber es war nicht der Krieger der Cäsaren, sondern der Streiter Christi, welchen der Knabe in dem jungen Tribunen verehrte, dessen Edelmut, Großherzigkeit und Tapferkeit sich in ein so bescheidenes, anspruchsloses Gewand gekleidet hatten und von soviel Vorsicht und Überlegung begleitet wurden, daß sie allen, welche mit ihm in Berührung kamen, unbeschränktes Vertrauen und unbesiegbaren Mut einflößten. Und Sebastianus liebte den Pancratius nicht weniger um seiner Offenherzigkeit, Unerschrockenheit und Unschuld willen. Aber er sah die Gefahren, in welche seine jugendliche Hitze und sein Ungestüm ihn führen konnten; und er ermunterte ihn stets in seiner Nähe zu bleiben, daß er ihn führen, und wenn notwendig, zuweilen zurückhalten könne.

Als sie in jenen Teil des Palastes traten, in welchem Sebastianus' Kohorte die Wache hatte, sagte er zu seinem Begleiter: »Jedesmal, wenn ich hier eintrete, fällt es mir wiederum auf, welch ein gütiger Akt der göttlichen Vorsehung es gewesen, den Bogen, der zum Andenken an den Fall des ersten großen Systems, welches wider das Christentum war, und die Erfüllung der größten Weissagung des Evangeliums – der Zerstörung Jerusalems durch das römische ReichDer Triumphbogen des Titus, auf dem die im Tempel zu Jerusalem erbeuteten heiligen Geräte abgebildet sind. – errichtet worden, hier gleichsam an die Thore des kaiserlichen Palastes zu stellen. Ich kann nicht umhin zu hoffen, daß sich eines Tages noch ein Bogen erheben wird, welcher das Andenken eines nicht geringeren Sieges feiert, nämlich den Sieg über den zweiten Feind unserer Religion, das heidnische, römische Reich selbst.«

»Wie! meinst du, daß dieses große Reich erst gestürzt werden müsse, damit sich auf seinen Trümmern das Christentum begründen könne?«

»Das wolle Gott verhüten! Ich würde meinen letzten Mutstropfen hingeben, wie ich meinen ersten gegeben habe, um es zu erhalten. Und verlaß dich darauf, wenn das Reich bekehrt wird, so wird es nicht durch allmähliches Wachstum sein, solcher Art wie wir es jetzt erleben, sondern es wird durch ein Mittel sein, so überirdisch, so göttlich, wie wir es jetzt nicht einmal in unseren kühnsten Träumen voraussehen, aber alle werden ausrufen: »Dies hat der Allerhöchste mit seiner rechten Hand gethan.«

»Ohne Zweifel; aber deine Idee von einem Triumphbogen des Christentums setzt ein irdisches Werkzeug voraus; und wo glaubst du, daß sich dieses finden würde?«

»Nun, Pancratius, ich gestehe dir, daß meine Gedanken sich der Familie eines der Kaiser zuwenden, der des Constantius Chlorus, als einer, welche ganz entschieden einen leisen Keim besseren Denkens und Wollens in sich trägt.«

»Aber Sebastianus, wie viele unserer gelehrten und guten Männer würden, nein, werden dir entgegnen, wenn du so zu ihnen sprichst, daß man ähnliche Hoffnungen unter der Regierung des Alexander, des Gordianus und des Aurelianus hegte und nährte; und doch endeten sie stets mit einer Enttäuschung. Weshalb, fragen sie, müssen wir jetzt nicht auf dasselbe Resultat gefaßt sein?«

»Ich weiß es nur zu wohl, mein guter Pancratius, und bitter habe ich oft diese trüben Aussichten beklagt, welche unsere Energie vollständig unterdrücken – diesen lauernden Gedanken, daß die Rache ewig dauert, Gnade und Barmherzigkeit aber nur der Zeit angehören; wie oft habe ich beklagt, daß das Blut der Märtyrer, das Gebet der Jungfrauen nicht die Macht haben, die Zeit der Heimsuchung abzukürzen, die Gnadenstunde schneller herbeizuführen.«

Inzwischen hatten sie die Wohnung des Sebastianus erreicht; das Hauptgemach war erleuchtet und augenscheinlich zum Empfang einer Versammlung hergerichtet. Aber der Thür gegenüber war ein Fenster bis auf den Fußboden geöffnet; dieses führte auf eine Terrasse, welche an der ganzen Seite des Gebäudes entlang lief. Das Mondlicht fiel so klar in das Zimmer, daß beide instinktiv durch den Raum schritten und auf die Terrasse hinaus gingen. Ein lieblicher, prächtiger Anblick bot sich ihnen dar. Der Mond stand hoch am Himmel; er schien im Äther zu schwimmen, wie nur der Mond in Italien es thut, eine runde volle Kugel, – nicht eine platte Oberfläche – welche sich in ihrer eigenen strahlenden Atmosphäre badete. Er trübte das Licht der Sterne, welche in seiner Nähe schimmerten, und diese schienen sich daher in dickeren, glänzenderen Gruppen in entlegenere Winkel des azurblauen Himmels zurückgezogen zu haben. Solch ein Abend war's grade, auf den viele Jahre später Monica und Augustinus von einem Fenster in Ostia hinausblickten, während sie über himmlische Dinge sprachen.

Es ist wahr, daß unter ihnen und um sie her alles groß und herrlich war. Das Colosseum oder das Flavianische Amphitheater erhob sich an der einen Seite in seinem ganzen Umfange, und das leise Murmeln des Springbrunnens, dessen Wasser wie eine silberne Säule erglänzte, gleich der Meereswelle, welche über einen abschüssigen Felsen zurückfließt, schlug beruhigend an das Ohr. An der anderen Seite warf der herbstliche Mond seinen Strahlenglanz auf das großartige Gebäude, welches sie das Septizonium des Severus nannten, und auf die stattlichen Säulen und marmornen Wände der üppigen Bäder des Caracalla. Aber all diese massiven Monumente irdischer Macht und irdischen Ruhms erhoben sich unbeachtet vor den Blicken dieser beiden christlichen Jünglinge, während sie so schweigend da standen; der ältere hatte den rechten Arm um den Nacken seines jugendlichen Gefährten geschlungen und stützte sich auf dessen Schulter. Nach langem Schweigen nahm er den Faden ihrer letzten Unterredung wieder auf und sagte in leiserem, weicherem Ton: »Als wir hier heraustraten, wollte ich dir den Platz zu unseren Füßen zeigen, auf welchem ich stets im Geiste den Triumphbogen sehe, von dem ich dir zuvor gesprochen.Der Triumphbogen des Constantin erhebt sich gerade auf der Stelle, auf welcher sich die obengeschilderte Scene abspielte. Aber wer kann an so kleine irdische Dinge denken, wenn sich das Himmelsgewölbe in seiner ganzen Strahlenpracht über uns erhebt, gerade als wollte es unsere Augen und Herzen zu sich empor ziehen?«

»Du sprichst wahr, Sebastianus, und ich habe oft gedacht, daß wenn die untere Seite des Firmaments, zu welcher sich die Augen des Menschen – wie unglücklich und sündhaft er auch immer sein mag – emporheben dürfen, so schön und strahlend ist, was muß dann die obere Seite sein, auf welcher stets das Auge der unendlichen Herrlichkeit ruht! Ich stelle sie mir vor wie einen reich und köstlich gestickten Schleier, durch dessen Gewebe einige wenige Stiche eines güldenen Fadens dringen dürfen, die allein bis zu uns sichtbar sind. Wie erhaben, wie königlich muß jene für uns unsichtbare Oberfläche sein, auf welcher die Engel und die Gerechten, welche die ewige Seligkeit genießen, einherwandeln!«

»Welch ein anmutiger Gedanke, Pancratius, und trotzdem wie wahr! Er macht den Schleier, welcher zwischen uns, die wir hier unten arbeiten, und jener triumphierenden Kirche dort oben liegt, so leicht durchdringlich!«

»Und vergieb mir, Sebastianus,« sagte der Jüngling mit demselben Blick auf seinen Freund, welcher vor wenig Abenden dem begeisterten Auge seiner Mutter begegnet war, »vergieb mir, wenn ich, während du im Geiste den künftigen Triumphbogen siehst, welcher dem Christentum errichtet werden soll, wenn ich schon jenen Bogen errichtet und offen vor mir sehe, durch welchen wir, trotz unserer Schwäche, die Kirche bald zum Triumph des Sieges führen und selbst zur ewigen Seligkeit eingehen werden.«

»Wo, mein teurer Knabe, wo meinst du?«

Pancratius deutete fest mit der Hand nach links und sagte: »Dort, mein edler Sebastianus, jeder von jenen offenen Bögen im Amphitheater des Flavian, welche in die Arena führen; über ihnen liegt der Schleier, von dem du soeben noch sprachst! Doch horch!«

»Das war das Brüllen eines Löwen, welches vom Coelian herüber drang!« rief Sebastianus erstaunt aus. »Seit heute müssen wieder wilde Tiere im Vivarium des Amphitheaters angekommen sein, denn ich weiß bestimmt, daß sich gestern keine dort befanden.«

»Ja, horch nur,« fuhr Pancatius fort, welcher die Unterbrechung unbeachtet ließ. »Dies sind die Töne der Posaune, welche uns zusammen ruft; das ist die Musik, welche uns auf unserem Wege zum Siege begleitet!«

Beide hielten für einen Augenblick inne; dann unterbrach Pancratius die Stille von neuem und sagte: »Dies erinnert mich an eine Sache, über welche ich deine Ansicht gern hören möchte, mein teurer Ratgeber; werden deine Gäste bald eintreffen?«

»Noch nicht so bald; und dann werden sie auch einzeln kommen; bis sie sich versammelt haben, komm in mein Zimmer, wo niemand uns unterbrechen wird.«

Sie gingen die Terrasse entlang und traten in das letzte Zimmer der ganzen Reihe. Es lag an der Ecke des Hügels, grade dem Brunnen gegenüber; es hatte keine andere Beleuchtung als die Strahlen des Mondes, welche an jener Seite durch das geöffnete Fenster fielen. Der junge Soldat blieb an diesem stehen, während Pancratius sich auf das kleine Feldbett setzte.

»Um welche große Angelegenheit handelt es sich denn, Pancratius?« fragte der Offizier. »Über was möchtest du denn meine weise Ansicht, meinen Rat hören?«

»Vermutlich nur eine unbedeutende Kleinigkeit für einen kühnen und hochherzigen Mann, wie du es bist,« entgegnete der Jüngling bescheiden; »aber eine Sache von größter Wichtigkeit für einen schwachen Knaben, wie ich es bin.«

»Für einen guten und tugendhaften – daran zweifle ich nicht; laß mich die Angelegenheit hören und ich verspreche dir meinen Beistand.«

»Nun denn, Sebastianus, halte mich nicht für thöricht,« fuhr Pancratius fort, indem er bei jedem Worte zögerte und errötete. »Du weißt, daß ich zu Hause eine Menge überflüssigen Silbergeschirrs habe – das für uns bei unserer einfachen Lebensweise nur eine Last ist. Und so viel ich weiß, wird meine teure Mutter auch nichts mehr von all jenen altmodischen Schmuckgegenständen tragen, welche jetzt eingepackt daliegen und niemandem mehr von Nutzen sind. Ich habe keinen Menschen, der dies alles von mir erben würde. Ich bin und werde der letzte meines Geschlechts sein. Du hast mir oft gesagt, wer in solchem Falle die einzigen und natürlichen Erben eines Christen sind – die Witwen und die Waisen, die Hilflosen und die Armen. Weshalb nun sollen diese auf meinen Tod warten, um das zu bekommen, worauf sie Anwartschaft haben? Und wenn wiederum eine Christenverfolgung kommt, weshalb da Gefahr laufen, daß sie konfisziert werden oder plündernde Liktoren sie stehlen? Wir verlieren dann nicht allein unser Leben, sondern unsere rechtmäßigen Erben verlieren auch ihr Erbteil.«

»Pancratius,« sagte Sebastianus, »ich habe dir zugehört, ohne irgend eine Bemerkung über dein edles Anerbieten zu machen. Ich wollte, daß du das Verdienst haben solltest, ohne meine Beihilfe zu Ende zu sprechen. Jetzt sag mir aber, weshalb du zweifelst oder zögerst in Bezug auf das, was du zu thun wünschest?«

»Nun, um dir die Wahrheit zu gestehen, so fürchtete ich, daß es außerordentlich anmaßend und unbescheiden erscheinen könne, wenn ein Knabe in meinem Alter sich erbietet, etwas zu thun, was die Leute sicherlich für etwas großes und erhabenes halten werden. Aber ich versichere dich, Sebastianus, es ist durchaus nichts derartiges. Denn ich werde diese Dinge gar nicht entbehren; sie haben für mich nicht den geringsten Wert. Aber für die Armen werden sie Wert haben, besonders in den schweren Zeiten, welche uns bevorstehen.«

»Natürlich willigt Lucina ein?«

»O, da ist nichts zu befürchten!« Ich würde nicht ein Körnchen Goldstaub anrühren, wenn sie es nicht wünschte. Weshalb ich aber deinen Beistand erbitte, ist hauptsächlich folgendes. Ich würde es niemals ertragen, wenn man erführe, daß ich mich erkühnt habe, irgend etwas zu thun, was ungewöhnlich ist, besonders von einem Knaben. Verstehst du mich? Deshalb will ich und erbitte es von dir, daß du die Verteilung in irgend einem anderen Hause vornehmen lassest. Und sage, daß sie von einem kommen, der – der des Gebets, der Fürbitte, besonders jener der Armen, der Gläubigen besonders bedarf und unbekannt bleiben will.«

»Mein guter, wahrhaft edler Knabe, ich will dir mit Freuden dienen. Still! Hörtest du nicht soeben den Namen der Fabiola nennen? Da, noch einmal! Und mit einem Beiwort, welches nicht grade Wohlwollen verriet.«

Pancratius näherte sich dem Fenster; zwei Stimmen sprachen so nahe unter demselben miteinander, daß das dazwischenliegende Gesims den Lauschern die Sprecher, welche augenscheinlich ein Mann und eine Frau waren, unsichtbar machten. Nach wenigen Minuten jedoch traten sie wieder auf die von: Monde beschienene Fläche hinaus, auf welcher es so hell war, wie um die Mittagszeit.

»Ich kenne jenes dunkle Weib,« sagte Sebastianus, »es ist Fabiolas schwarze Sklavin Afra.«

»Und der Mann,« fügte Pancratius hinzu, »ist mein bisheriger Schulgefährte Corvinus.«

Sie hielten es für ihre Pflicht, den Faden von dem zu erhaschen, was sie für eine Verschwörung hielten; da die Sprechenden jedoch auf und ab gingen, konnten sie nur hier und dort einen zusammenhängenden Satz erhaschen. Wir indessen wollen uns nicht auf das Erlauschte beschränken, sondern das ganze Gespräch wiedergeben. Vorher nur noch ein Wort über die beiden Sprechenden.

Von der Sklavin wissen wir für den Augenblick genug. Wie wir schon früher berichtet, war Corvinus der Sohn des Tertullus, ursprünglich Präfekt des Prätoriums. Dieses Amt, in der Republik unbekannt, und eine Schöpfung des Kaiserreichs, hatte seit der Regierung des Tiberius nach und nach die ganze civile wie militärische Gewalt absorbiert, und derjenige, welcher dieses Amt inne hatte, erfüllte oft sämtliche Pflichten des ersten Richters in Rom. Es bedurfte keiner geringen Nervenstärke, um diesen Platz zur Zufriedenheit despotischer und unerbittlicher Herren auszufüllen. Den ganzen Tag hindurch in einem Tribunal zu sitzen, umgeben von abschreckenden Folterwerkzeugen, unbewegt von dem Jammer und Geschrei alter Männer, Jünglinge und Frauen, bei welchen jene zur Anwendung kamen; ein ruhiges Verhör mit einem Menschen anzustellen, welcher auf der Marterbank ausgestreckt und in den letzten Todeszuckungen liegt; den Befehl zu geben, daß ihm der Todesstreich mit Geißeln versetzt werde, an deren Enden sich bleierne Kugeln befinden; nach solchen Scenen ruhig einzuschlafen und mit dem Wunsch nach ihrer Wiederholung aufzustehen – das war ein Amt, nach welchem allerdings nicht jedes Mitglied des Gerichtshofes strebte. Man hatte den Tertullus von Sicilien herüber kommen lassen, um ihm dieses Amt zu übertragen, nicht weil er ein grausamer, sondern weil er ein kaltherziger Mann war, der kein Erbarmen und keine Parteilichkeit kannte. Sein Tribunal war indessen die erste Schule des Corvinus gewesen; als er noch ein sehr kleiner Knabe war, konnte er stundenlang zu den Füßen seines Vaters sitzen und sich an dem traurigen Schauspiel vor ihm ergötzen, jedesmal auf das höchste erbost, wenn, ein Angeklagter der Verurteilung entging. Als er heranwuchs, wurde er tölpelhaft, roh und brutal; und als er kaum das Jünglingsalter erreicht hatte, verkündeten sein aufgedunsenes, von Sommersprossen übersäetes Gesicht, seine triefenden Augen, von denen das eine zur Hälfte geschlossen war, bereits, daß er ein liederlicher, ausschweifender Mensch sei. Ohne Geschmack für etwas Edleres, ohne Fähigkeit etwas zu lernen, vereinte er in sich einen gewissen animalischen Mut und körperliche Kraft mit einem beträchtlichen Maß gemeiner Schlauheit. Er hatte niemals eine bessere, großherzige Empfindung gehegt und niemals hatte er eine gemeine Leidenschaft unterdrückt. Niemand hatte ihn jemals beleidigt, den er nicht haßte und mit seinen Rachegelüsten verfolgte. Zweien vor allen hatte er geschworen, niemals zu vergeben – dem Lehrer, welcher ihn oft für seine mürrische Trägheit gestraft, und dem Mitschüler, welcher für seinen brutalen Schimpf noch einen Segenswunsch gehabt hatte. Gerechtigkeit und Gnade, Gutes und Böses, das man ihm hatte widerfahren lassen, waren ihm gleichmäßig verhaßt.

Tertullus hatte kein Vermögen, das er ihm hätte geben können, und er selbst schien wenig Fähigkeit zu besitzen, sich eines zu erwerben. Und doch hegte er nur den einen, alles andere übertäubenden Wunsch, in den Besitz eines solchen zu kommen, denn Reichtum als das Mittel, die Erfüllung eines jeden Wunsches zu erlangen, war für ihn gleichbedeutend mit höchster Glückseligkeit. Eine reiche Erbin oder eigentlich ihr Vermögen, war der einfachste Gegenstand, welchen man erstreben konnte. Zu ungeschickt, unbeholfen und dumm, um sich selbst einen Weg in die Gesellschaft zu bahnen, suchte er andere Mittel und Wege, welche seinem Gemüt verwandter waren, um die Erfüllung seiner habsüchtigen und ehrgeizigen Pläne zu erlangen. Welcher Art diese Mittel waren, wird seine Unterredung mit der schwarzen Sklavin am besten erklären.

»Ich bin jetzt zum viertenmal zu so ungelegener Stunde an die Meta Sudans gekommen, um dich zu sprechen. Hast du irgendwelche Neuigkeiten für mich?«

»Nur die eine, daß meine Herrin sich übermorgen nach ihrer Villa in CajetaCajeta, das heutige Gaëta. begiebt, und ich sie natürlich begleite. Ich brauche noch mehr Geld, Herr, um meine Verrichtungen zu Euren Gunsten fortzusetzen.«

»Noch mehr? Du hast alles bekommen, was mein Vater mir seit Monaten gegeben hat.«

»Nun, wißt Ihr denn, was Fabiola ist?«

»Ja gewiß, die reichste Erbin in Rom.«

»Die hochmütige und kaltherzige Fabiola ist nicht so leicht zu gewinnen.«

»Und doch hast du mir versprochen, daß deine Zaubertränke mir ihre Hand oder doch auf jeden Fall ihr Vermögen sichern sollten. Welche Auslagen können denn diese Dinge verursachen?

»Sehr große Ausgaben in der That. Die kostbarsten Ingredienzien sind notwendig und müssen bezahlt werden. Und glaubt Ihr denn, Herr, daß ich zu einer solchen Stunde zwischen die Gräber der Via Appia gehen werde, um meine Kräuter zu suchen,, wenn ich nicht gehörig dafür belohnt werde? Wollt Ihr meinen Bemühungen denn nicht hilfreiche Hand leisten? Ich sagte Euch ja, daß das ihren Erfolg beschleunigen werde.«

»Und wie kann ich das? Du weißt, daß die Natur mich sehr stiefmütterlich behandelt hat, daß ich keine Eigenschaften besitze, welche einen großen Eindruck auf das Herz eines Mädchens machen könnten. Ich vertraue lieber der Macht deiner schwarzen Kunst.«

»Dann laßt mich Euch einen Rat erteilen; wenn Ihr keine Eigenschaften besitzt, durch welche Ihr Fabiolas Herz gewinnen könntet –«

»Reichtum, willst du sagen –«

»Sie können nicht voneinander getrennt werden; verlaßt Euch drauf, es giebt etwas, das Euch unwiderstehlich machen würde, wenn Ihr es mit Euch brächtet.«

»Und das wäre?«

»Gold.«

»Woher soll ich es nehmen? Das ist es ja gerade, was ich suche.«

Die schwarze Sklavin lächelte boshaft und sagte dann:

»Weshalb verschafft Ihr es Euch nicht, wie Fulvius es thut?«

»Wie erlangt er es?«

»Durch Blut.«

»Woher weißt du das?«

»Ich habe die Bekanntschaft eines alten Dieners gemacht, welcher ihn stets begleitet. Wenn seine Hautfarbe auch nicht ganz so dunkel ist wie die meine, so ist sein Herz desto schwärzer. Seine Sprache und die meine sind einander hinlänglich ähnlich, um eine Besprechung zwischen uns möglich zu machen. Er hat viele Fragen in Bezug auf Gifttränke an mich gerichtet, und er giebt vor, meine Freiheit erkaufen und mich als sein Weib mit nach Hause nehmen zu wollen; aber ich hoffe, daß ich etwas besseres als das in Aussicht habe. Indessen habe ich alles aus ihm herausgebracht, was ich wissen wollte.«

»Und was war das?«

»Nun, daß Fulvius eine große Verschwörung gegen Diocletian entdeckt habe. An dem Zwickern der schrecklichen Augen des alten Mannes sah ich, daß er der erste gewesen, welcher die Geschichte ausgeheckt hatte. Und man hat ihn mit mächtigen Empfehlungen nach Rom geschickt, daß er hier in derselben Weise verwendet und angestellt werde.«

»Aber ich besitze weder die Geschicklichkeit solche Verschwörungen zu entdecken noch auszuhecken, wenn ich sie vielleicht auch einmal zu strafen haben werde.«

»Auf eine Weise ist es jedoch sehr leicht.«

»Und diese wäre?«

»In meinem Vaterlande giebt es große Vögel, welche einzuholen man sich mit den schnellsten Pferden umsonst bemüht; sie verraten sich aber selbst, wenn man sie geräuschlos sucht, denn sie verbergen nur den Kopf.«

»Was willst du mir damit begreiflich machen?«

»Die Christen. Wird es nicht bald wieder eine Verfolgung geben?«

»Ja, und eine fürchterliche sogar; eine so entsetzliche, wie wir sie noch gar nicht erlebt haben.«

»Dann befolgt meinen Rat. Ermüdet Euch nicht damit, sie zu Tode zu jagen, und schließlich doch immer nur ganz gemeine Leute zu erhaschen; haltet Eure Augen offen und seht Euch nach einem oder zwei Bedeutenden um, welche halb und halb versuchen, sich zu verbergen; werft Euch auf sie, nehmt Euch ein gutes Teil ihrer konfiszierten Güter und kommt mit einer guten Handvoll, um zwei dafür wieder zu bekommen.«

»Dank dir, Dank dir, ich verstehe dich. Du liebst diese Christen also nicht?«

»Sie nicht lieben? Ich hasse die ganze Rasse. Die Geister, welche ich verehre, sind die tödlichsten Feinde ihres bloßen Namens.«

Und ihr Gesicht verzog sich zu einem furchtbar scheußlichen Lächeln, als sie fortfuhr:

»Ich mutmaße, daß eine meiner Gefährtinnen eine Christin ist. O! wie ich sie verabscheue!«

»Was bringt dich auf den Gedanken?«

»Erstens würde sie um keinen Preis der Welt eine Lüge sagen und bringt uns oft durch ihre alberne Wahrheitsliebe in die unangenehmsten Lagen,«

»Gut, und was weiter?«

»Dann legt sie keinen Wert weder auf Geld noch auf Geschenke. Daher verhindert sie auch oft, daß man sie uns anbietet.«

»Besser!«

»Und überdies ist sie –.« Das letzte Wort entging dem Ohr des Corvinus, welcher entgegnete:

»Nun, in der That, ich war heute vor dem Thor, um eine Karawane deiner Landsleute ankommen zu sehen; aber du übertriffst sie alle!«

»Wahrhaftig!« rief Afra ganz entzückt aus, »wer waren diese?«

»Einfach Afrikaner,«Bezeichnung für die wilden Tiere aus jenem Weltteil, im Gegensatz zu Bären und anderen aus dem Norden. entgegnete Corvinus mit einem boshaften Lachen, »Löwen, Panther, Leoparden!«

»Elender, beleidigt Ihr mich so?«

»Komm, komm, sei ruhig. Sie sind nur zu dem Zwecke hierhergebracht, um dich von jenen verhaßten Christen zu befreien. Laß uns als Freunde scheiden. Hier ist dein Geld. Aber laß es das letzte sein und setze mich in Kenntnis, wenn die Wirkung deiner Zaubertränke beginnt. Ich werde deinen Wink in Bezug auf das Geld der Christen nicht vergessen. Er ist ganz und gar nach meinem Geschmack.«

Als er über die Via Sacra von dannen ging, that sie, als ginge sie durch die Carinae, die Straße zwischen dem Palatin und den coelianischen Hügeln; dann wandte sie sich um und indem sie ihm nachblickte rief sie aus:

»Narr! Dreifacher Narr! Daß du glauben kannst, ich würde um deinetwillen Experimente an einem Geschöpf von Fabiolas Charakter versuchen!«

In einer gewissen Entfernung folgte sie ihm; dann aber wandte sie sich, wie Sebastianus zu seiner Bestürzung glaubte, in das Vestibüle des Palastes. Er beschloß sofort, Fabiola zu benachrichtigen, daß sie vor diesem Komplott auf ihrer Hut sei. Aber dies konnte erst geschehen, wenn sie vom Lande zurückgekehrt war.


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