Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Fünfzehntes Kapitel

Werke der Wohltätigkeit

Als die Ruhe nach dieser zweifachen störenden Unterbrechung wieder hergestellt war, fuhr man mit dem friedlichen Werke des Tages fort. Außer der Verteilung größerer und reicherer Almosen von der Kirche, wie z. B. der heilige Laurentianus eine vornahm, war es in jenen früheren Zeiten gar keine so ungewöhnliche Sache, daß jene, welche die Absicht hatten, sich von der Welt zurückzuziehen, ihr ganzes Vermögen mit einemmale den Armen und Bedürftigen gaben.Es wird uns von Nepotian berichtet, daß er bei seiner Bekehrung all sein Hab und Gut den Armen gab. Der heilige Paulinus von Nola that dasselbe. Wir finden es nur ganz natürlich, daß die edle Mildthätigkeit der apostolischen Kirche in Jerusalem kein unfruchtbares Beispiel für die Kirche in Rom sein konnte. Aber diese außerordentliche Opferfreudigkeit bemächtigte sich selbstverständlich der Geber am meisten, wenn der Kirche eine Verfolgung drohte. Und zu solchen Zeiten gaben die Christen, welchen durch die Lage und Umstände das Märtyrertum entgegenleuchtete, und welche – um einen gebräuchlichen Ausdruck anzuwenden – ihr Herz und ihr Haus schlagbereit halten wollten, alles hin, sowohl um sich von allem frei zu machen, was sie an die Erde fesselte, wie um den ruchlosen Soldaten den Raub zu entreißen, welchen sie den Armen als Erbteil bestimmt hatten.» Dabis impio militi, quod non vis dare sacerdoti, et hoc tollit fiscus, quod non accipit Christus.« – »Du wirst dem ruchlosen Soldaten geben müssen, was du dem Priester nicht geben willst, und der Fiskus nimmt, was Christus nicht bekommt«, sagt der heilige Augustinus

Auch sollten die großen Grundsätze nicht vergessen werden, das Licht der guten Werke hell leuchten zu lassen vor den Menschen, während die Hand, welche die Lampe mit Öl anfüllte, dieses so im geheimen that, daß nur Er es sehen konnte, für den es kein Geheimnis giebt. Daß das Silbergeschirr und die Juwelen einer edlen, vornehmen Familie öffentlich geschätzt, verkauft und nach ihrem ganzen Preise unter die Armen verteilt wurden, muß ein hellleuchtendes Beispiel der Wohlthätigkeit gewesen sein, welches die Kirche tröstete, die Großmütigen mit neuem Mute belebte, die Geizigen beschämte, das Herz der Katechumen rührte und Segen und Gebete von den Lippen der Armen sprechen ließ. Und doch blieb die rechte Hand, welche dies alles gab, streng verborgen vor der Neugierde und Kenntnis der Linken; und die Demut und Bescheidenheit des edlen Gebers lagen still gebettet in der Brust dessen, dem diese irdischen Schätze geopfert wurden, damit sie einst mit unendlichen und himmlischen Zinsen zurückgezahlt würden.

Und so war es auch bei der in Rede stehenden Sache. Als alles vorbereitet war, erschien Dionysius, der Priester, welcher zugleich der Arzt war, welchem die Sorge für die Kranken übertragen war, und der dem frommen Polycarp in den Titel von St. Pastor gefolgt war. Indem er sich auf einen Stuhl am äußersten Ende des Hofes setzte, redete er die Versammelten folgendermaßen an:

»Teure Brüder, unser allbarmherziger Gott hat das Herz eines unserer Mitbrüder gerührt, daß er Mitleid mit seinen armen Mitmenschen habe, und er hat um Christi willen einem großen Teil seines irdischen Reichtums entsagt. Wer er ist, weiß ich nicht; und ich werde auch nicht suchen, es zu erfahren. Er ist nicht einer von jenen, welche ihre Schätze von Rost verzehren und von Dieben stehlen und davon tragen lassen, sondern er zieht es vor, wie der heilige Laurentius, sie von den Händen der Armen in Christi empor in die himmlische Schatzkammer tragen zu lassen.

Nehmt also die Verteilung, welche alsbald vorgenommen werden wird, wie eine Gabe Gottes hin, welcher dem Geber diese Barmherzigkeit eingegeben hat. In den Tagen der Heimsuchung und Verfolgung, welche uns bevorstehen, kann sie euch eine gar nützliche Hilfe sein. Und als die einzige Wiedervergeltung, welche von euch gewünscht wird, stimmt alle ein in das vertraute Gebet, welches wir täglich sprechen für diejenigen, so uns gutes thun und geben.«

Während dieser kurzen Anrede wußte der arme Pancratius nicht, wohin er die Augen wenden sollte. Er hatte sich in einen Winkel hinter die Anwesenden verkrochen, und Sebastianus hatte sich mitleidig vor ihn gestellt, indem er sich so groß und breit machte, wie nur irgend möglich. Und fast hätte seine Rührung ihn verraten, als die ganze Versammlung auf die Kniee fiel und mit ausgestreckten Armen, emporblickenden Augen und innigem Ton wie mit einer Stimme betete:

» Retribuere dignare, Domine, omnibus nobis bona facientibus, propter Nomen tuum, vitam aeternam. Amen.«Wolle gütig geben, o Gott, jedem der uns Gutes thut in Deinem Namen, das ewige Leben. Amen!

Dann wurden die Almosen verteilt, und sie erwiesen sich als unerwartet reichlich. Auch wurde allen Nahrung im Überfluß gereicht, und ein fröhliches Mahl beschloß die erbauliche Feier. Es war noch früh. Einige aus der Versammlung nahmen in der That gar keine Speisen zu sich, weil ihnen in der benachbarten Kirche ein geistiges, köstlicheres Mahl bereitet wurde.

Als alles vorüber war, bestand Cäcilia, die Blinde, darauf, ihren armen, alten Krüppel nach Hause zu geleiten und seinen schweren Leinenbeutel für ihn zu tragen. Unterwegs plauderte sie so fröhlich mit ihm, daß er erstaunt war, als er sah, daß sie an der Thür seiner armseligen aber reinlichen Wohnung angekommen waren. Seine blinde Führerin drückte ihm dann seinen Beutel in die Hand, wünschte ihm einen eiligen guten Morgen, trippelte leichten Schrittes davon und war seinen Blicken bald entschwunden. Der leinene Sack war ungewöhnlich voll; daher zählte er seinen Inhalt sorgsam durch und fand zu seiner größten Bestürzung, daß er einen doppelten Anteil enthielt. Er zählte noch einmal, aber das Resultat blieb dasselbe. Bei der ersten Gelegenheit, welche sich ihm darbot, stellte er bei Reparatus Nachforschungen an, aber auch von diesem konnte er keine Erklärung erlangen. Wenn er gesehen hätte, wie Cäcilia, als sie um die Ecke gebogen war, laut auflachte, wie wenn sie irgend jemand einen tollen Streich gespielt hätte und dann so leichtfüßig davon lief, als ob sie durchaus keine schwere Last zu tragen habe, so hätte er vielleicht die Lösung des Rätsels seines Überflusses gefunden.


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