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Der Morgen brach hell und klar und frostig an. Und die Sonne, welche ihre Strahlen auf die vergoldeten Ornamente der Tempel und anderer öffentlicher Gebäude warf, schien diese in Feiertagspracht zu kleiden. Auch die Menschen treten bald in ihren besten Gewändern, ungewöhnlich reich geschmückt, auf die Straßen hinaus. Die verschiedenen Ströme vereinigen sich zu einem einzigen, der sich nach dem flavianischen Amphitheater zu ergießt, welches man heutigen Tags nur unter dem Namen »Colosseum« kennt. Jedermann lenkt seine Schritte nach dem Bogen zu, welcher mit der auf seiner Karte angegebenen Nummer bezeichnet ist, und so saugt jenes steinerne Ungeheuer nach und nach den Strom von Leben auf, welcher sich bald in jene ovalen übereinander aufsteigenden Reihen von Stufen lenkt, bis das Innere desselben gleichsam nur noch einen mit menschlichen Gesichtern gezierten Teppich trägt, und die Mauern sich durch das Hin- und Herwogen der Massen zu heben und zu senken scheinen. Und nachdem diese Massen durch Blut gesättigt und von Wut entstammt sind, lösen sie sich noch einmal wieder auf und stürzen wie ein breiter, ununterbrochener Strom durch die vielen Wege, auf welchen sie hineingedrungen sind, und die jetzt den außerordentlich passenden Namen »Vomitorio« tragen, wieder hinaus. Vomitorio – denn niemals drang ein schlammigerer Strom von Hefe und Pest des Menschentums aus einem schmutzigeren Reservoir durch schmutzigere Kanäle, als der römische Pöbel, welcher sich, trunken vom Blute der Märtyrer, aus allen Poren des herrlichen Amphitheaters ergoß.
Umgeben von seinem ganzen Hofstaat, kam der Kaiser zu den »Spielen«. Begierig wie der niedrigste seiner Unterthanen, sich an dem grausamen Spiel zu ergötzen und seine Augen an diesem Blutbade zu weiden, erschien er mit dem unermeßlichen Pomp und der strahlenden Pracht, welche einem kaiserlichen Feste gebührten. Sein Thron befand sich an der östlichen Seite des Amphitheaters, wo ein großer Raum, pulvinar genannt, für den kaiserlichen Hofstaat abgesperrt und reich geschmückt war.
Verschiedene Spiele folgten aufeinander; und mancher verwundete oder getötete Gladiator hatte den Sand mit seinem Blute gefärbt, als der Pöbel, welcher nach wütenderem Kampfe lechzte, nach den Christen und den wilden Tieren zu verlangen oder vielmehr zu brüllen begann.
Es ist daher Zeit, daß wir unserer Gefangenen gedenken.
Ehe noch das Volk von Rom auf den Füßen war, hatte man sie aus dem Kerker in eine Gefängniszelle, spoliatorium genannt, gebracht, wo man ihnen die Ketten und Fesseln abnahm. Der Versuch wurde gemacht, sie prunkhaft wie heidnische Priester und Priesterinnen zu kleiden; sie leisteten jedoch Widerstand und sagten, da sie freiwillig zu dem Kampfe gekommen, sei es unbillig, sie zu einer Verkleidung zwingen zu wollen, welche sie verabscheuten. Während des ersten Teils des Tages blieben sie auf diese Weise vereinigt, ermutigten einander und sangen die göttlichen Lobgesänge ungeachtet des Gebrülls und des Tobens, welches ihre Stimmen von Zeit zu Zeit übertönte.
Während sie noch so beschäftigt waren, trat Corvinus ein. Mit einem frechen Blick übermütigen Triumphes sprach er zu Pancratius:
»Dank den Göttern, endlich ist der Tag gekommen, den ich längst herbei gesehnt habe. Es ist ein langer und langweiliger Kampf um den Sieg zwischen uns gewesen. Ich habe ihn gewonnen!«
»Was sagst du, Corvinus? Wann und wo hätte ich mit dir gekämpft?«
»Immer. Überall. Du hast mich in meinen Träumen heimgesucht; du hast vor meinen Augen wie ein Meteor getanzt, und ich habe umsonst versucht, dich zu packen. Du bist mein Folterknecht, mein böser Genius gewesen. Ich habe dich gehaßt; ich habe dich den höllischen Geistern geweiht; ich habe dich verflucht, ich habe dich verabscheut; – und jetzt ist mein Tag der Rache gekommen.«
»Mich dünkt,« entgegnete Pancratius lächelnd, »dies sieht nicht aus wie ein Kampf. Denn er ist nur auf einer Seite gewesen. Ich habe von all diesen Gefühlen nicht ein einziges gegen dich gehegt.«
»Nein? Meinst du, daß ich dir glaube? Du hast stets wie eine Viper auf meinem Wege gelegen, du hast mich in die Ferse gestochen; du hast mich überfallen.«
»Wo, frage ich noch einmal.«
»Überall, wiederhole ich. In der Schule; im Hause der stolzen Agnes; auf dem Forum; in der Katakombe; im Gerichtshof meines eigenen Vaters; in der Villa des Chromatius. Ja, überall, überall, überall!«
»Und an keinem anderen Orte als an denen, welche du genannt hast? Hörtest du nicht die Hufschläge von Pferden, die dich einzuholen versuchten, als dein Wagen in wilder Hast durch die Via Appia geschleift wurde?«
»Elender!« schrie der Sohn des Präfekten in Wut, »und war es dein verfluchtes Roß, welches mit Vorsatz wütend angespornt, das meine scheu machte und beinahe meinen Tod verursachte?«
»Nein, Corvinus, höre mich ruhig an. Es ist das letzte Mal, daß wir zusammen sprechen. Ich ritt ruhig mit einem Gefährten gen Rom zu, nachdem wir unserem alten Lehrer Cassianus die letzten Ehren erwiesen hatten,« (Corvinus schrak zusammen, denn dies hatte er bis jetzt nicht gewußt) »als ich das Gerassel eines in rasendster Eile dahin sausenden Gefährtes vernahm; dann allerdings gab ich meinem Pferde die Sporen. Und dein Glück war es, daß ich es that.«
»Wie das?«
»Weil ich dich grade noch zu rechter Zeit erreichte. Deine Kräfte waren beinahe erschöpft, dein Blut war fast erstarrt durch das wiederholte Untertauchen in dem eisigen Wasser des Kanals; dein schon erlahmter Arm hatte seinen letzten Halt verloren, und du fielst zum letztenmal ins Wasser zurück. Da erblickte ich dich. Ich erkannte dich, als ich dich fast bewußtlos, hinaufzog. Ich hatte den Mörder eines Menschen, der mir teuer gewesen, in meinen Händen. Die göttliche Gerechtigkeit schien dich erreicht zu haben. Zwischen dir und deinem Richter stand nur mein Wille. Mein Tag der Rache war gekommen – und ich befriedigte sie vollkommen.«
»He! und wie? Sag' mir das!«
»Indem ich dich aus dem Wasser zog, dich an das Ufer legte und dich rieb, bis das Herz seine Funktionen wieder aufnahm; indem ich dich deinen Dienern übergab, als ich dich vom Tode gerettet hatte.«
»Du lügst!« brüllte Corvinus, »meine Diener sagten mir, daß sie mich herausgezogen hätten.«
»Und haben sie dir mein Messer wiedergegeben zusammen mit deinem Geldbeutel aus Leopardenfell, welchen ich auf der Erde fand, nachdem ich dich aus dem Wasser gezogen hatte?«
»Nein. Sie sagten, daß die Geldbörse im Kanal verloren gegangen sein müsse. Es war allerdings ein Beutel aus Leopardenfell, die Gabe einer afrikanischen Zauberin. Was hast du von dem Messer zu sagen?«
»Daß ich es hier habe, noch rostig vom Wasser. Sieh es an. Deinen Geldbeutel gab ich deinen Sklaven, mein eigenes Messer behielt ich für mich. Sieh es noch einmal an. Glaubst du mir jetzt? Bin ich stets eine Viper auf deinem Wege gewesen?«
Zu wenig großmütig, um zuzugeben, daß er in dem Streite unterlegen sei, fühlte Corvinus sich nur verachtet, erniedrigt vor seinem früheren Schulkameraden. Ihm war, als müsse sogar sein Herz erröten. Er dünkte sich wie ein Körnchen Staub, das der andere, in seiner reinen Hand zerrieben hatte. Er wurde elend, ließ den Kopf auf die Brust sinken, er taumelte und schlich von dannen. Er verwünschte die Spiele, den Kaiser, den tobenden Pöbel, die brüllenden Tiere, seine Pferde, seinen Wagen, seine Sklaven, seinen Vater, sich selbst – alle Dinge, alle Menschen, mit Ausnahme eines einzigen – wenn es sein Leben gekostet hätte, so wäre er nicht im stande gewesen, den Pancratius zu verwünschen.
Er hatte die Thür erreicht, als der Jüngling ihn zurückrief. Er wandte sich um und sah ihn mit einem Blicke an, welcher Verehrung, ja, beinahe Liebe verriet. Pancratius legte die Hand auf seinen Arm und sagte:
»Corvinus, ich habe dir von Herzen vergeben. Aber dort oben wohnt einer, der dir nicht ohne deine aufrichtige Reue vergeben kann. Erflehe von ihm Verzeihung! Wenn du es nicht thust, so prophezeie ich dir an diesem Tage, daß, welchen Tod ich auch erleiden mag, du eines Tages desselben sterben wirst.«
Corvinus schlich fort, und niemand sah ihn an diesem Tage wieder. Er ging des Anblicks verlustig, an welchem seine rohe Phantasie sich bereits seit Tagen ergötzt hatte, nach dem er sich schon seit Monaten gesehnt hatte. Als der Festtag vorüber war, wurde er von seinem Vater vollständig berauscht aufgefunden; er kannte keine andere Art und Weise, seine Gewissensbisse zu übertäuben.
Als er die Gefangenen verließ, trat der lanista oder Meister der Gladiatoren, in den Raum, und gebot ihnen, ihm zum Kampfe zu folgen. Sie umarmten einander schnell und nahmen von diesem Leben Abschied. Sie traten in die Arena oder auf den Kampfplatz des Amphitheaters, der sich dem kaiserlichen Thron gegenüber befand; dann hatten sie zwischen zwei Reihen von venatores oder Jägern hindurchzuschreiten, welchen die Sorge für die wilden Tiere oblag und die mit einer schweren Peitsche bewaffnet waren, mit welcher sie jedem Vorübergehenden einen heftigen Schlag versetzten. Sie wurden nun einzeln oder in Gruppen, wie das Volk es verlangte, oder die Leiter des Schauspiels es für gut befanden, vorwärts gebracht. Zuweilen wurde die erwählte Beute auch auf eine erhöhte Plattform gestellt, um besser sichtbar zu sein; zuweilen wurde sie auch an einen Pfosten gebunden, um desto hilfloser zu sein. Eine beliebte Unterhaltung war es ebenfalls, ein weibliches Opfer in ein Netz zu binden und es den wilden Tieren vorzuwerfen, die es hin- und herwarfen und aufspießten.Siehe die Akten der Märtyrer von Lyon. Ruinart. vol. 1, pag. 152. Hier ist die Beschreibung eines Märtyrers, eines Jünglings von fünfzehn Jahren, und diejenige der heiligen Perpetua und Felicitas. S. 221. Gewöhnlich machte ein einziges Gefecht mit einem wilden Tiere dem Leben des Märtyrers schon ein Ende, während gelegentlich auch drei oder vier losgelassen wurden, ohne daß sie dem Fechter eine tödliche Wunde beizubringen vermochten. Der Bekenner wurde dann entweder wieder ins Gefängnis zurückgeführt, um späterhin weitere Qualen zu erdulden oder in das spoliatorium gebracht, wo die Lehrlinge der Gladiatoren sich damit belustigten, ihn aus der Welt zu schaffen.
Wir aber müssen uns damit begnügen, die letzten Schritte unseres jugendlichen Helden Pancratius hier auf Erden zu verfolgen. Als er durch den Gang schritt, welcher nach dem Amphitheater führte, erblickte er Sebastianus, welcher auf einer Seite stand und neben ihm eine dichtverschleierte, in einen Mantel gehüllte, weibliche Gestalt. Er erkannte sie sofort, blieb vor ihr stehen, kniete nieder, ergriff ihre Hand und küßte sie liebevoll.
»Segne mich, meine teure Mutter,« sagte er, »in dieser ersehnten Stunde.«
»Blicke auf, mein Kind, gen Himmel,« erwiderte sie, »dort hinauf, wo Christus mit seinen Heiligen deiner harrt. Kämpfe den guten Kampf für deine unvergängliche Seele und zeige dich treu und fest in der Liebe zu deinem Erlöser.Siehe die Geschichte der heiligen Felicitas und ihrer sieben Söhne. Ruinart, vol. 1, pag. 55.) Und denk auch an jenen, dessen kostbare Reliquie du an deinem Halse trägst.«
»Ehe viele Stunden verflossen sind, wird sie einen doppelten Wert für dich haben, meine süße Mutter.«
»Vorwärts, vorwärts! Nichts mehr von diesen Narreteien,« rief der Lanista, indem er noch einen Schlag mit seinem Stocke hinzufügte.
Lucina zog sich zurück, während Sebastianus die Hand ihres Sohnes drückte und ihm ins Ohr flüsterte: »Mut, teurer Knabe; möge Gott dich segnen! Ich werde dicht hinter dem Kaiser stehen; sende mir einen letzten Blick und – deinen Segen!«
»Ha! ha! ha!« ertönte ein teuflisches Gelächter unmittelbar hinter ihm. War es das Lachen eines Dämons? Er blickte sich um und sah nur noch den Zipfel eines flatternden Mantels, welcher hinter einem Pfeiler verschwand. Wer konnte es gewesen sein? Er erriet es nicht. Es war Fulvius, welcher durch jene Worte das letzte Glied einer Kette von Beweisen erlangt, die er seit langer Zeit geschmiedet hatte – nämlich daß Sebastianus mit Gewißheit ein Christ sei.
Bald stand Pancratius inmitten der Arena, der letzte der getreuen Truppe. Man hatte ihn bis zuletzt bewahrt in der Hoffnung, daß der Anblick der Leiden anderer seine Festigkeit erschüttern würde; aber dies hatte den entgegengesetzten Eindruck gemacht. Er blieb stehen, wohin man ihn gestellt hatte, und seine noch zarte Gestalt stach seltsam von den sehnigen, schwieligen Gliedern der Folterknechte ab, welche ihn umgaben. Jetzt ließen sie ihn allein, und wir können ihn nicht besser beschreiben als Eusebius, ein Augenzeuge, einen um wenige Jahre älteren Jüngling beschreibt:
»Ihr hättet einen zarten Jüngling, welcher noch nicht in sein zwanzigstes Jahr getreten war, sehen können, wie er ohne Ketten dastand, die Hände in Kreuzesform emporgestreckt, und aufmerksam und innig mit festem, unerschrockenem Herzen zu Gott flehend; er wich nicht von dem Platze, an welchem er zuerst gestanden, er schwankte nicht einen Augenblick, während Bären und Leoparden, deren Brüllen ihm Tod bedeuteten, vorwärts stürzten, um seine Glieder in Stücke zu zerreißen. Und doch, ich weiß nicht, wie es geschah, schien eine geheimnisvolle, göttliche Macht ihre Tatzen und Rachen zu lähmen und zu packen, und gleichsam wie erschrocken zogen sie sich zurück.Hist. Eccles. lib. VIII. cap. 7.
So war die Haltung, und so das Wunder, welches sich an unserem heldenmütigen Jüngling zu vollziehen schien. Der Pöbel war wild und unsinnig, als er sah, wie eine wütende Bestie nach der anderen ihn tobend umkreiste, und brüllend mit dem Schweife um sich schlug, während er wie in einen Zauberkreis gebannt schien, dem sie sich nicht zu nähern vermochten.
Ein wütender Stier, welcher gegen ihn losgelassen wurde, stürzte den Nacken gebeugt wild vorwärts. Plötzlich, als ob er gegen eine Wand gerannt wäre, hielt er inne, kratzte den Boden auf und wühlte heiser brüllend im Sande umher.
»Reize ihn, Feigling, reize ihn!« brüllte noch lauter der wütende Kaiser.
Pancratius erwachte wie aus einer Verzückung und indem er die Arme bewegte, lief er seinem Feinde entgegen.Euseb. ibid. Siehe ebenfalls Briefe des heiligen Ignatius an die Römer. (Ruinart. vol. I, pag. 40.) Aber die wilde Bestie – als ob sich ein Löwe auf sie gestürzt hätte – wandte sich um und lief dem Ausgange zu; hier stieß sie auf ihren Wärter, hob diesen auf den Hörnern empor und schleuderte ihn hoch in die Luft. Jedermann war fassungslos, mit Ausnahme des tapferen Jünglings, welcher seine betende Stellung wieder eingenommen hatte. Da plötzlich rief einer aus der Menge: »Er trägt ein Zaubermittel um den Hals; er ist ein Zauberer!«
Die ganze Pöbelschar wiederholte den Schrei, bis der Kaiser, welcher Ruhe befohlen hatte, ihm zurief:
»Nimm das Amulett von deinem Halse und wirf es von dir, oder ich schicke dir jemand, der es härter für dich besorgt.«
»Herr,« entgegnete der Jüngling mit seiner melodischen Stimme, die süß durch das ganze Amphitheater ertönte, »es ist kein Zaubermittel, das ich trage,» sondern ein Andenken an meinen Vater, welcher an diesem selben Orte das gleiche herrliche Bekenntnis ablegte, das ich hier in Demut ablege. Ich bin ein Christ. Und aus Liebe zu Jesum Christum, dem Gottmenschen, gebe ich mein Leben freudig hin. Nimm mir nicht dies einzige Vermächtnis, welches ich einer Anderen noch reicher und wertvoller zurücklasse, als ich selbst es bekommen habe. Versuch es noch einmal; es war ein Panther, welcher ihm die Krone verschaffte; vielleicht giebt er sie auch mir.«
Für einen Augenblick herrschte Totenstille. Die Menge schien besänftigt, gewonnen. Die anmutige Gestalt des tapferen Knaben, sein begeistertes Antlitz, die süßklingenden Laute seiner Stimme, die Unerschrockenheit seiner Sprache, die großmütige Hingebung an seine Sache: das alles hatte auf jene feige Herde gewirkt. Pancratius fühlte dies, und sein Herz bebte mehr vor ihrer Gnade als vor ihrer Wut zurück. Er hatte gehofft, er werde noch an diesem Tage den Himmel sehen; sollte er enttäuscht werden? Thränen traten ihm in die Augen, als er die Arme noch einmal in Kreuzesform ausstreckte und in einem Ton, welcher alle Herzen erzittern machte, ausrief:
»Heute, ach ja, heute, gebenedeiter Herr, heute ist der Tag, an welchem du zu mir kommst. Zögere nicht länger; du hast deine Kraft denen, die nicht an dich glauben, jetzt hinlänglich durch mich bewiesen; beweise jetzt mir, der ich an dich glaube, deine Gnade!«
»Der Panther!« rief eine Stimme.
»Der Panther!« wiederholten zwanzig.
»Der Panther!« brüllten hunderttausend in einem Chor, welcher wie das Rollen einer Lawine klang.Das Amphitheater faßte 150 000 Menschen. Wie mit einem Zauberschlage stand plötzlich ein Käfig inmitten der sandigen Fläche; er schien aus dem Boden herauszuwachsen und indem er emporstieg, fielen seine Wände und befreiten auf diese Weise den gefangenen Bewohner der Wüste.Die unterirdischen Konstruktionen für die Ausführung dieser Erfindung sind im Kolosseum gefunden worden. Mit einem einzigen graziösen Sprunge gewann der zierliche Wilde seine Freiheit; und obgleich durch Dunkelheit, Absperrung und Hunger wütend gemacht, schien er beinahe mutwillig, wie er umher sprang, sich drehte und wendete, hüpfte und fast geräuschlos auf dem Sande umhertanzte. Endlich wurde er seine Beute gewahr. All seine katzenartige List und Grausamkeit schienen zurückzukehren und zusammen zu wirken, indem sie die vorsichtigen und hinterlistigen Bewegungen des sammetweichen Leibes belebten. Das ganze Amphitheater war so still, als sei es die Zelle eines Eremiten, während jedes Auge begierig die Annäherungen überwachte, welche das falsche Tier nach seinem Opfer machte. Pancratius stand noch auf demselben Platze, dem Kaiser grade gegenüber, augenscheinlich so sehr in höhere Gedanken versunken, daß er die Bewegungen seines Feindes gar nicht beachtete. Der Panther war um ihn herumgeschlichen, als verschmähe er es, ihn anders, als von vorn anzugreifen. Auf dem Bauche kriechend, langsam eine Tatze vor die andere setzend, lag er endlich einige Augenblicke regungslos da. Ein tiefes, knurrendes Brüllen, ein elastischer Sprung durch die Luft – und man sah ihn zusammen gekrochen wie ein Blutigel mit seinen Hinterbeinen auf der Brust, mit seinen Vordertatzen an der Kehle des Märtyrers.
Noch einen Augenblick stand dieser aufrecht da. Er führte die rechte Hand an den Mund, und indem er mit einem Lächeln zu Sebastianus hinüberblickte, sandte er ihm mit einer liebevollen Bewegung des Arms den letzten Gruß von seinen Lippen, und fiel.
Die Arterien des Halses waren zerrissen, und der Schlaf des Märtyrertums senkte sich sofort auf seine Lider herab. Sein reiches, helles, klares Blut vermischte sich unzertrennlich mit dem seines Vaters, welches Lucina um seinen Hals gelegt hatte. Das Opfer der Mutter war angenommen.Der Märtyrer Saturus, welcher von einem Leoparden zerrissen wurde, redete den Soldaten Pudens, der noch nicht Christ geworden war, im Augenblick des Sterbens an und beschwor ihn, sich zu bekehren. Dann bat er ihn um den Ring an seinem Finger, tauchte ihn in sein eigenes Blut, gab ihn zurück und hinterließ ihm so das Erbe dieses kostbaren Pfandes und das Andenken an sein Blut.