Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Dreißigstes Kapitel

Das Ende desselben Tages

Tertullus eilte sofort nach dem kaiserlichen Palaste: zum Glück oder zum Unglück für die Kandidaten des Märtyrertums. Hier fand er den Corvinus mit dem in Bereitschaft gehaltenen Reskript, welches auf das feinste in großen Anfangsbuchstaben geschrieben war. Er genoß das Privilegium, stets bei dem Kaiser ohne vorhergehende Meldung vorgelassen zu werden. Er berichtete über Agnes' Tod wie über eine gleichgültige Geschäftsangelegenheit, übertrieb die Erregung des Volkes, welche wahrscheinlich durch denselben hervorgerufen wurde; schrieb alles der Thorheit des Fulvius zu, dessen größte Schuld er indessen nicht entdeckte aus Furcht, daß er die Untersuchung gegen ihn würde führen müssen und dadurch seine eigene Handlungsweise an den Tag brächte. Er verminderte den Wert von Agnes' Besitztum und schloß indem er sagte, daß es ein Akt der Güte und Gnade sein und gewiß der Erbitterung des Volkes entgegenarbeiten würde, wenn man das Vermögen ihrer Verwandten, und durch letztwillige Verfügung ihrer nächsten Erbin, überlassen wollte. Er beschrieb Fabiola als eine junge Dame von außerordentlicher Klugheit und wunderbarer Gelehrsamkeit, welche dem Dienste der Götter ergeben sei und dem Genius der Kaiser tägliche Opfer bringe.

»Ich kenne sie,« sagte Maximian lachend, als steige die Erinnerung an eine sehr komische Begebenheit wieder in ihm auf. »Armes Ding! sie sandte mir einen prächtigen Ring, und gestern bat sie für das Leben Sebastianus' grade als er mit Keulen zu Tode geschlagen war.« Und er lachte ganz unmäßig; dann fuhr er fort:

»Ja, ja, unter allen Umständen! Eine kleine Erbschaft wird sie über den Verlust jenes Burschen trösten. Laß sofort ein Reskript aufsetzen, und ich werde es unterzeichnen.«

Tertullus brachte dasjenige, welches er vorbereitet hatte, zum Vorschein, indem er sagte, er habe schon im voraus auf die erhabene Großmut des Kaisers gerechnet; der gekrönte Barbar setzte eine Unterschrift darunter, welche einem Schuljungen Schande gemacht haben würde. Gleich darauf übergab der Präfekt das Papier seinem Sohne.

Kaum hatte er den Palast verlassen, als Fulvius denselben betrat. Er hatte sich nach Hause begeben gehabt, um das passende Hofkleid anzulegen und mit Hilfe eines Bades und der Kunst wohlriechender Essenzen die Spuren der Leidenschaften, welche an diesem Morgen sein Gesicht durchfurcht und verzerrt, aus demselben zu entfernen. Er hatte das bestimmte Vorgefühl, daß er eine furchtbare Enttäuschung erleben werde. Die kaltblütige Besprechung des Eurotas am vorhergehenden Abend hatte ihn vorbereitet, und die Durchkreuzung all seiner schlauen Pläne und die unzähligen Widerwärtigkeiten dieses Tages hatten ihn in seiner instinktiven Überzeugung bestärkt. Ein Weib in der That schien dazu geboren, ihm überall, wohin er sich auch wenden mochte, entgegenzutreten und ihm Niederlagen zu bereiten: aber »Dank den Göttern,« dachte er, »hier kann sie meinen Weg nicht kreuzen. Heute morgen hat sie meinen Ruf für alle Zeiten geschändet; aber die Belohnung, welche mir von rechtswegen gebührt, kann sie nicht für sich in Anspruch nehmen; sie hat mich zu einem Ausgestoßenen gemacht, aber es liegt nicht in ihrer Macht, mich zum Bettler zu machen.«

Dies schien sein einziger Hoffnungsanker. Die Verzweiflung trieb ihn vorwärts und er war fest entschlossen, seine Ansprüche auf Agnes' konfisziertes Vermögen, dem einzigen Mitbewerber – dem raubsüchtigen Kaiser selbst gegenüber – bis aufs äußerste zu verfechten. Er wollte sogar sein Leben daran wagen, denn wenn es ihm mißlang, war er doch vollständig ruiniert. Nachdem er geraume Zeit gewartet, trat er in die Audienzhalle und schritt vorwärts, um sich mit dem süßesten Lächeln, das er auf seine Lippen zu zaubern vermochte, dem Kaiser zu Füßen zu werfen.

»Was suchst du hier?« lautete die erste Begrüßung.

»Herr,« erwiderte er, »ich bin gekommen, um dich demütig um deine kaiserliche Gnade und Gerechtigkeit anzuflehen und zu bitten, du wollest befehlen, daß man mich sofort in den rechtmäßigen Besitz des mir gebührenden Anteils von Agnes' Vermögen setze. Auf meine Anklage hin hat man sie überführt, und sie hat soeben die wohlverdiente Strafe aller derer erlitten, welche den kaiserlichen Befehlen entgegenhandeln.«

»Das ist alles in Ordnung. Aber wir haben bereits vernommen, wie dumm und ungeschickt du deiner Gewohnheit gemäß die ganze Sache geführt hast. Dadurch hat das Volk angefangen, gegen mich zu murren und unzufrieden zu sein. Also je schneller du dich aus meiner Nähe, meinem Palaste und Rom entfernst, desto besser für dich. Verstehst du mich? Gewöhnlich pflege ich nicht, solche Warnungen zweimal ergehen zu lassen.«

»Ich werde augenblicklich jeder Kundgebung deines erhabenen Willens gehorchen. Aber ich bin fast aller Mittel entblößt. Befiel, daß man mir ausliefere, was mir rechtmäßig zukommt, und ich gehe sofort.«

»Keine Worte mehr,« brüllte der Tyrann, »geh mir auf der Stelle aus den Augen. Was das Vermögen anbetrifft, welches du mit so großer Frechheit forderst, so kannst du dasselbe nicht bekommen. Wir haben das Ganze durch einen unwiderruflichen Befehl einer ausgezeichneten und verdienstvollen Persönlichkeit – der edlen Fabiola – überlassen.«

Fulvius sprach kein Wort mehr, sondern küßte die Hand des Kaisers und zog sich zurück. Er war ein gebrochener, zu Grunde gerichteter Mann. Als er zum Thor des Palastes hinausschritt, hörte man ihn nur murmeln:

»So hat sie mich also doch zum Bettler gemacht!«

Als er seine Wohnung erreichte, war Eurotas, welcher die Antwort in den Augen seines Neffen las, über dessen Ruhe und Gelassenheit aufs äußerste bestürzt.

»Ich sehe,« sagte er indessen trocken, »es ist alles vorüber?«

»Ja. Sind deine Vorbereitungen getroffen, Eurotas?«

»Fast alle. Ich habe die Edelsteine, Einrichtungsstücke und Sklaven mit einigem Verlust verkauft, aber mit der kleinen Summe, welche ich noch in Händen habe, können wir sicher nach Asien hinüber gelangen. Ich habe nur Stabio behalten, den treusten und zuverlässigsten unserer Diener. Er wird unsere geringen Habseligkeiten und Reisebedürfnisse auf seinem Pferde tragen. Zwei weitere Rosse werden für dich und mich in Bereitschaft gehalten. Nur noch einen Gegenstand habe ich für unsere Reise zu besorgen und dann bin ich zum Aufbruch bereit.«

»Und was für ein Gegenstand ist das?«

»Das Gift. Gestern Abend bestellte ich es, aber es kann erst heute Mittag bereit sein.«

»Zu welchem Zweck?« fragte Fulvius bestürzt.

»Das weißt du sicherlich selbst,« antwortete der andere unbewegt. »Ich beabsichtige, anderswo noch einen Versuch zu machen; aber unser Handel ist klar; die Familie meines Vaters darf nicht in Armut zu Grunde gehen. Sie darf nur in Ehren enden!«

Fulvius biß sich auf die Lippen und sagte:

»Gut; sei es, wie du willst. Ich bin dieses Lebens müde. Verlaß das Haus sobald als möglich, aus Furcht vor Ephraim; und halte bald nach Anbruch der Nacht an dem dritten Meilenstein vor der Porta Latina. Dort werde ich dich finden. Denn auch ich habe noch eine Sache von großer Wichtigkeit zu erledigen, bevor ich mich auf den Weg mache.«

»Welcher Art ist sie?« fragte Eurotas und verriet die größte Neugierde.

»Das kann ich selbst dir nicht sagen. Wenn ich aber zwei Stunden nach Sonnenuntergang nicht bei dir bin, so gieb mich auf und bringe dich ohne mich in Sicherheit.«

Eurotas heftete seine kalten, schwarzen Augen mit einem jener Blicke auf Fulvius, welche diesen stets bis in die innersten Tiefen erforschten. Er wollte sehen, ob er vielleicht den geheimen Gedanken hege, sich seinem Griffe zu entwinden. Aber Fulvius sah kalt und weniger verschlossen aus als gewöhnlich, und so that der alte Mann keine weiteren Fragen. Während dieses Gesprächs hatte Fulvius seine Hofkleidung abgelegt und zog sein Reisegewand an. So vollständig bereitete er sich augenscheinlich auf seine Reise vor, daß er sogar seine Waffen zu sich steckte, damit ihr Mangel ihn nicht nötige, noch einmal nach Hause zurückzukehren. Außer seinem Schwerte schob er auch noch einen jener krummen Dolche vom schärfsten Schliff und verhängnisvollster Form, die man nur im Orient kannte, in seinen Gürtel und verbarg ihn sorgsam durch seinen Mantel.

Eurotas begab sich sofort nach dem numidischen Quartier im kaiserlichen Palaste und fragte nach Jubala. Diese trat mit zwei kleinen Fläschchen von ungleicher Größe ein und war grade im Begriff, ihm die nötigen Erklärungen zu geben, als ihr halbbetrunkener, halbzorniger Gatte sich ihnen näherte. Eurotas hatte nur noch Zeit genug, um die Flaschen in seinem Gürtel zu verbergen und ihr eine Münze in die Hand zu drücken, als Hyphax herantrat. Sein Weib hatte ihm von den Anträgen gesprochen, welche Eurotas ihr vor ihrer Verheiratung gemacht hatte, und dadurch war in seinem heißen, afrikanischen Blut jene Eifersucht erzeugt, welche sich bis zum Haß steigerte. Der Wilde warf das Weib mit der grenzenlosesten Roheit aus dem Gemache und hätte einen Streit mit dem Syrier begonnen, wenn dieser nicht, jetzt, da er seinen Zweck erreicht, Nachsicht geübt und den Anführer der Bogenschützen versichert hätte, daß seine Augen ihn niemals wiedersehen würden, worauf er sich zurückzog.

Es ist indessen Zeit, daß wir zu Fabiola zurückkehren. Der Leser ist wahrscheinlich darauf vorbereitet, uns sagen zu hören, daß sie als Christin nach Hause zurückkehrte – aber dem war nicht so. Denn wieviel wußte sie bis jetzt vom Christentum, um sich zu demselben bekehren zu können? In Sebastianus und Agnes hatte sie in der That jene selbstlose, großmütige, mehr als irdische Tugend bewundert, welche sie jetzt bereit war, ihrem Glauben zuzuschreiben. Sie sah ein, daß dieser Beweggründe für Thaten, Grundsätze für das Leben, Seelengröße, Gewissensmut und fest entschlossenen, tugendhaften Willen gab, wie kein anderes Glaubenssystem sie zu verleihen imstande war. Und selbst wenn die erhabenen Enthüllungen Syras in Bezug auf eine unsichtbare Sphäre von Tugendhaftigkeit und deren allsehenden Herrscher aus derselben Quelle flossen – was war dies alles denn anderes als ein großartiges, moralisches und intellektuelles System, zum Teil praktisch, zum Teil spekulativ, wie jeder andere Codex philosophischer Gelehrsamkeit? – Bis jetzt hatte sie noch nichts von den wirklichen und hauptsächlichen Lehren des Christentums, seinen unergründlichen und doch zugänglichen geheimnisvollen Tiefen gehört; nichts von dem hehren, großen, himmelhohen Gebäude des Glaubens, welches die einfache Seele zu fassen vermochte, wie das Auge eines Kindes das vollkommene Abbild eines Berges aufnehmen kann, den ein Riese nicht abzumessen vermag. Sie hatte noch niemals von einem Gotte gehört, der Einer ist in der Dreifaltigkeit, nichts von Seinem Sohne, der gleichwesentlich mit dem Vater und um der Menschen willen Fleisch geworden ist. Noch hatte ihr niemand die wundersame Geschichte der Erlösung durch das Leiden und den Tod Gottes erzählt. Sie hatte nicht von Bethlehem, nicht von Nazareth, nicht von Golgatha gehört. Wie konnte sie sich Christin nennen oder Christin sein, wenn sie über alles dies noch in Unwissenheit schwebte?

Wie viele Namen mußten ihr noch bekannt und lieb werden, die ihr bis jetzt noch fremd oder barbarisch klangen – Maria, Joseph, Petrus, Paul oder Johannes? Nicht zu erwähnen des teuersten von allen, der Balsam ist für das wunde Herz, der wie Honig aus der zerbrochenen Honigscheibe tropft. Und wieviel hatte sie noch zu lernen von den Mitteln, das Heil ans Erden zu wirken in der Kirche, von der Gnade, den Sakramenten, dem Gebet, der Liebe Gottes und der Nächstenliebe. Welche unerforschten Regionen lagen noch hinter der schmalen engbegrenzten Strecke, welche sie bis jetzt erforscht hatte!

Nein. Fabiola kehrte nach Hause zurück, fast erschöpft durch den vorhergehenden Tag und die letzte Nacht und die traurigen Vorgänge des Morgens; sie zog sich in ihre innersten Gemächer zurück, vielleicht keine Philosophin mehr, aber immer noch keine Christin. Sie befahl der ganzen Dienerschaft, sich fern von dem Hofe zu halten, in welchem sie sich aufhielt, damit auch nicht das geringste Geräusch sie störe, und sie verbot, daß irgend jemand Zutritt zu ihr erhalte. So saß sie stundenlang da, zu heftig erregt, als daß der Schlummer ihr hätte Beruhigung bringen können. Lange trauerte sie um Agnes, wie eine Mutter um ein Kind, welches ihr plötzlich entrissen worden. Und doch, fiel nicht ein zarter Lichtstrahl auf die Wolke, welche alles verdüsterte? War ihre Trauer nicht weniger herbe als jene, welche sie an der Bahre ihres Vaters empfunden? Schien es ihr nicht wie eine Beleidigung gegen die Vernunft, wie ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, zu denken, daß sie vernichtet sei – daß sie in ihren strahlend weißen Gewändern mit ihrem lächelnden Antlitz, ihrem unschuldigen, fröhlichen Herzen gradeswegs in – das Nichts gegangen sei; – daß Gewissen, Gerechtigkeit, Reinheit und Wahrheit sie immer weiter gelockt, bis sie endlich mit weit geöffneten Armen, um sie zu empfangen in einen Abgrund gestürzt, auf dessen Grunde die Vernichtung lauerte? Nein. Agnes war glücklich, irgendwo, irgendwie; dessen war sie gewiß. Oder Gerechtigkeit wäre nur ein leeres Wort.

»Wie seltsam,« dachte sie weiter, »daß jeder, der mit besonders vortrefflichen Eigenschaften ausgerüstet, ein Mann wie Sebastianus, ein Mädchen wie Agnes der verachteten Rasse der Christen angehören mußte! Nur eine noch ist übrig – und diese will ich morgen befragen.«

Als sie sich von diesen Gestalten ab und der heidnischen Welt zuwandte und Fulvius, Tertullus, den Kaiser und Calpurnius erblickte – sie bebte zusammen als sie sich dabei ertappte auch den Namen ihres Vaters zu nennen – da widerte sie der Gegensatz zwischen Niedrigkeit und Edelmut, Laster und Tugend, Dummheit und Weisheit, Sinnlichkeit und Vergeistigung an. So bildeten sich ihr Geist und ihre Seele zu einer Form um, welche durch irgend eine praktische Vortrefflichkeit ausgefüllt werden muß, wenn sie nicht zerspringen soll; ihre Seele lechzte wie der ausgetrocknete Erdboden, dem der Himmel seinen Regen herabsenden muß, wenn er nicht zur ewigen Wüste werden soll.

Gewiß, Agnes verdiente wohl den Ruhm, durch ihren frühen Tod die Bekehrung ihrer Anverwandten herbeigeführt zu haben; aber gab es nicht noch eine andere, eine Untergebene, welche ältere Ansprüche machen konnte, sie veranlaßt zu haben? Eine, die die Freiheit von sich gewiesen und ihr Leben geweiht hatte, um diesen selbstlosen Gewinn zu erringen?

Als Fabiola noch einsam und trostlos dasaß, wurde sie durch den Eintritt eines Fremden gestört, welcher unter dem ominösen Titel »Ein Bote des Kaisers« eingeführt wurde. Der Thürhüter hatte ihm anfangs den Einlaß verwehrt; da der Fremde ihm aber die Versicherung gab, daß er der Überbringer einer wichtigen Botschaft des Herrschers sei, fühlte er sich verpflichtet, den Haushofmeister zu fragen, was er thun solle. Darauf erhielt er den Bescheid, daß man keinem, welcher unter einem solchen Vorwand komme, den Eintritt verweigern dürfe.

Fabiola war aufs höchste bestürzt und erzürnt, aber ihr Zorn wurde ein wenig durch die lächerliche Erscheinung der Persönlichkeit, welche sich unter einem so feierlichen Namen eingeführt hatte, gemildert. Es war Corvinus, welcher sich ihr mit linkischer Grazie näherte und ihr in einer augenscheinlich sehr blumenreichen Rede, welche einem außerordentlich schlechten Gedächtnis anvertraut worden, ein kaiserliches Reskript und seine eigene aufrichtige Liebe, die Güter der edlen Agnes und seine rohe Hand zu Füßen legte. Fabiola konnte durchaus nicht den Zusammenhang zwischen diesen beiden kombinierten Geschenken verstehen, und es fiel ihr nicht ein, zu vermuten, daß das eine die Bestechung für das andere bildete. Daher bat sie ihn, dem Kaiser für seinen huldreichen Akt ihren unterthänigen Dank zu überbringen und fügte hinzu:

»Sag dem Herrscher, daß ich heute zu krank bin, um ihm meinen Dank und meine Huldigung darbringen zu können.«

»Aber du weißt doch, edle Fabiola, daß diese Güter konfisziert und verfallen waren,« stieß er in der größten Verwirrung hervor, »mein Vater hat sie für dich zurück erlangt.«

»Das war unnötig,« sagte Fabiola, »denn sie waren mir schon vor langer Zeit vermacht und wurden mein in dem Augenblick,« hier versagte ihr die Stimme und erst nach langem Kampfe gelang es ihr, sich zu beherrschen; dann fuhr sie fort: »in dem Augenblick, als sie aufhörten, jener anderen Eigentum zu sein; daher konnten sie auch nicht der Konfiskation anheimfallen.«

Corvinus war niedergeschmettert. Endlich murmelte er etwas, das die demütige Bitte sein sollte, als bescheidener Bewerber um ihre Hand zugelassen zu werden; Fabiola indessen glaubte, er begehre eine Belohnung dafür, daß er ein so wichtiges Dokument überbracht habe. Sie versicherte ihn, daß sie jeden gerechten Anspruch, den er an sie machen könne, voll und gern in einem günstigeren Augenblick anerkennen werde; da sie aber überaus müde und krank sei, müsse sie ihn bitten, sie jetzt allein zu lassen. Er ging in der fröhlichsten Laune von dannen, denn er war überzeugt, daß er den ersehnten Preis errungen habe.

Nachdem er sich entfernt hatte, warf sie kaum einen Blick auf das Pergament, welches er offen auf einem kleinen Tische neben ihrem Ruhebette hatte liegen lassen, sondern dachte weiter über die traurigen Vorgänge nach, deren Augenzeuge sie gewesen. Es fehlte noch eine Stunde bis zum Sonnenuntergange. Zuweilen drehte sich ihr Träumen um diesen Punkt, zuweilen um jenen der letzten Geschehnisse, und zuletzt weilte sie bei dem Augenblick, wo sie Fulvius auf dem Forum gegenüber gestanden. Ihr Gedächtnis zauberte ihr den ganzen Vorgang noch einmal vor die Seele, und nach und nach geriet sie in einen so peinlichen Zustand qualvoller Erregung, daß sie laut ausrief:

»Dank dem Himmel! Das Antlitz jenes Elenden werde ich niemals wiedersehen!«

Kaum waren diese Worte ihren Lippen entschlüpft, als sie die Augen mit der Hand überschattete, sich auf dem Ruhebett emporrichtete und nach der Thür blickte. War es ihre überhitzte Phantasie, welche sie betrog, oder war das, was ihre Augen sahen, Wirklichkeit? Ihr Ohr entschied in dieser Frage, denn es vernahm die Worte:

»Und wer, edle Dame, ist der Mann, den du durch diese freundliche Rede ehrst?«

»Du, Fulvius,« sagte sie, indem sie sich voll Würde erhob. »Abermals bist du ein Eindringling; nicht allein in das Haus, die Villa, den Kerker, sondern in die geheimsten Gemächer der Wohnung einer Frau! Und was noch schlimmer ist, in das Haus des Kummers um eine, die du gemordet hast. Entferne dich sofort, oder ich lasse dich schmählich hinaustreiben.«

»Setze dich und fasse dich, edelste der Frauen,« entgegnete der Friedenstörer, »dies ist mein letzter Besuch bei dir; aber wir haben eine Rechnung von Bedeutung miteinander abzuschließen. Du brauchst dich nicht mit Schreien oder Hilferufen abzumühen; deinen Befehlen, daß die Dienerschaft sich fern halte, ist nur zu pünktlich nachgekommen. Niemand befindet sich innerhalb Hörweite.«

Es verhielt sich in der That so. Ohne daß Corvinus es ahnte, hatte er dem Fulvius den Weg vorbereitet; denn als er an das Thor kam, sagte ihm der Thürhüter, welcher ihn zweimal bei Gastmählern im Hause gesehen hatte, daß er den strengsten Befehl habe, niemand einzulassen, es sei denn, daß er ein Bote des Kaisers sei. Dies, behauptete Fulvius, sei der Fall bei ihm; und der Thürhüter, verwundert darüber, daß so viele kaiserliche Boten an einem Tage kamen, ließ ihn passieren. Er bat, die Thür unverschlossen zu lassen für den Fall, daß der Hüter nicht auf seinem Posten sein sollte, wenn er zurückkäme; denn er habe die größte Eile und wolle das Haus, über welches so tiefe Trauer hereingebrochen, nicht gern stören. Er fügte hinzu, daß er keines Führers bedürfe, da er den Weg zu Fabiolas Gemächern kenne.

Fulvius nahm der Dame gegenüber Platz und fuhr fort:

»Du solltest dich nicht beleidigt fühlen, edle Fabiola, daß ich so unerwartet zu dir komme und dein liebenswürdiges Selbstgespräch über meine Person belausche; es ist das eine Lehre, die du selbst mir im Kerker der Tullia gegeben hast. Ich muß jedoch mit einer alten Rechnung aus früherer Zeit beginnen. Als ich zum erstenmal von deinem ehrenwerten Vater an seine Tafel geladen wurde, traf ich ein Wesen, dessen Blicke und Worte sofort meine ganze Liebe errangen – ich will ihren Namen jetzt nicht erwähnen – und ihr Herz erwiderte dies mit instinktiver Sympathie.«

»Frecher Mann!« rief Fabiola aus, »daß du es wagst, diesen Gegenstand hier zu berühren! Es ist nicht wahr, daß eine solche Liebe jemals zwischen euch bestand.«

»Was die edle Agnes betrifft,« fuhr Fulvius unbeirrt fort, »so kann ich mich auf das Zeugnis des Glaubwürdigsten aller Menschen berufen, auf das deines Vaters, der mich mehr als einmal ermutigte, bei meiner Werbung zu beharren; er versicherte mich, daß seine Verwandte ihn zum Vertrauten ihrer Liebe gemacht habe.«

Fabiola war empfindlich berührt; denn sie erinnerte sich jetzt der Winke, welche Fabius ihr gegeben hatte und begriff nun dies verhängnisvolle Mißverständnis.

»Ich weiß sehr wohl, daß mein armer, teurer Vater in einer Täuschung über diesen Gegenstand befangen war; aber ich, vor der jenes teure Kind kein Geheimnis hatte – «

»Mit Ausnahme ihrer Religion,« unterbrach Fulvius sie mit bitterer Ironie.

»Schweig!« fuhr Fabiola fort, »jenes Wort klingt von deinen Lippen wie eine Blasphemie – ich weiß, daß du für sie nur ein Gegenstand des Abscheus und des Schreckens warst.«

»Gewiß! Nachdem du mich dazu gemacht hattest! Von der Stunde unserer ersten Begegnung an wurdest du meine bittere und unversöhnliche Feindin. Du schlossest einen Bund mit jenem verräterischen Offizier, der jetzt seinen wohlverdienten Lohn erhalten, und welchen du für den Platz erkoren, den ich anstrebte. Unterdrücke deine Entrüstung nur, schöne Dame, denn ich will zu Ende gehört sein, – du untergrubst meinen Ruf, du vergiftetest ihre Gefühle und du verwandeltest meine Liebe in notgedrungene Feindschaft.«

» Deine Liebe!« rief Fabiola jetzt entrüstet aus, »selbst wenn alles, was du gesagt hast, nicht niedrig und falsch wäre – welche Liebe konntest du für sie hegen? Wie konntest du ihre ungekünstelte Einfachheit, ihre natürliche Ehrlichkeit, ihren seltenen Verstand, ihre offene Unschuld mehr würdigen, als der Wolf die Sanftmut des Lammes oder der Geier die Milde der Taube zu verstehen vermag? Nein! es war ihr Reichtum, die Stellung ihrer Familie, ihre edle Geburt, nach denen du strebtest – und nichts anderes! Ich las es in dem Aufblitzen deiner Augen, als sie sich zum erstenmal wie die eines Basilisken auf sie hefteten!«

»Die Beschuldigung ist falsch!« antwortete er, »wenn sie meine Bitte gewährt hätte, wenn ich eine liebenswerte Gattin errungen hätte, so wäre ich auch meines Glückes würdig gewesen; ich wäre häuslich, zufrieden und liebevoll gewesen; ich wäre ihrer so würdig geworden wie – –«

»Wie ein Mensch es sein kann,« fiel Fabiola ein, »der, indem er seine Hand anbietet, sich bereit erklärt, den Gegenstand seiner Liebe, innerhalb drei Stunden zu heiraten oder – zu morden. Sie zieht letzteres vor, und er – hält sein Wort. Verschone mich mit deiner Gesellschaft! Du verpestest die Atmosphäre, in der du dich bewegst!«

»Ich werde dich verlassen, wenn ich mit der Aufgabe, die ich mir gestellt habe, zu Ende bin, und du wirst wenig Ursache zur Freude haben, wenn ich fortgehe. Du hast also vorsätzlich und ohne Veranlassung von meiner Seite jeden ehrenhaften Vorsatz meines Lebens durchkreuzt und zerstört, du hast meine einzige Hoffnung getötet, du hast es mir unmöglich gemacht, Rang, Stellung, Wohlleben und häusliches Glück zu erringen.«

»Und das war dir noch nicht genug. Nachdem du wie ein Spion gehandelt und dadurch meine Verdammnis herbeigeführt hattest, nachdem du heute früh mein Gespräch im Kerker belauscht – da streiftest du jedes weibliche Schamgefühl ab und stelltest dich auf das Forum, um öffentlich zu vollenden, was du im geheimen begonnen, du riefest den obersten Richter und durch ihn den Kaiser gegen mich auf, du erregtest die Wut und das Rachegefühl des Pöbels gegen mich! Wenn mich nicht eine Empfindung, die stärker ist als Furcht, hierhergeführt hätte, so könnte ich jetzt wie ein gehetzter Wolf umherschleichen, bis ich Gelegenheit fände, mich zum nächsten Thor hinauszustehlen.«

»Und ich sage dir, Fulvius,« unterbrach ihn hier Fabiola, »daß das Frohngeld der Tugend in dieser gottlosen Stadt in dem Augenblick erhoben werden wird, wo du ihre Thore hinter dir lassest. Noch einmal befehle ich dir, mein Haus wenigstens zu verlassen – oder mir zu gestatten, daß ich mich dieser beleidigenden Zudringlichkeit entziehe.«

»Wir scheiden noch nicht, edle Dame,« sagte Fulvius, dessen Gesicht sich nach und nach mit einer flammenden Zornesröte bedeckt hatte, während seine Lippen leichenfahl wurden. Er packte ihren Arm und warf sie auf ihren Sitz zurück, »und hüte dich,« fügte er hinzu, »mir entwischen oder Hilfe herbeirufen zu wollen; dein erster Schrei würde dein letzter sein – und wenn es mein eigenes Leben kostete.«

»Du hast mich zu einem Ausgestoßenen gemacht, der nicht allein die Gesellschaft, sondern auch Rom meiden muß, ein heimatloser Wanderer auf einer Erde, die keinen Freund für mich trägt – war das noch nicht genug, um deinen Rachedurst zu befriedigen? Nein, du mußtest mich durchaus noch meines Goldes, meines rechtmäßig wenn auch qualvoll erworbenen Reichtums berauben; du, eine Fremde für mich, ein junges, wehrloses Weib, du mußtest mir meinen Frieden, meinen Ruf, meine Existenzmittel rauben!«

»Böser und gottloser Mensch!« rief jetzt die empörte Römerin unbekümmert um die Folgen, »du sollst schwer für deine Kühnheit büßen. Du wagst es, mich in meinem eigenen Hause eine Diebin zu nennen?«

»Ich wage es! Und ich sage dir, dies ist dein Tag der Rechenschaft, nicht meiner. Ich habe meinen vollen Anteil an dem Vermögen deiner Verwandten rechtmäßig verdient, – wenn auch durch ein Verbrechen, das kümmert dich nicht. Ich habe es schwer verdient, durch Qualen und Herzensangst, durch schlaflose Nächte des Kampfes mit höllischen Feinden, die mich endlich besiegt haben, ja, und mit einem in meinem eigenen Hause, der stärker und furchtbarer ist als sie alle; ich habe es verdient durch rastloses Suchen nach Beweisen, daß sie Christin war – ich mußte meinen stolzen, wenn auch erniedrigten Geist beugen! – Habe ich jetzt nicht ein Recht, mich dieses Goldes zu freuen?

Ja, nenne es wie du willst, nenne es mein Blutgeld – je schändlicher erworben es ist, desto unedler ist es von dir, einzuschreiten und es mir zu entreißen! Es ist, wie wenn ein reicher Mann dem Hunde das Aas aus dem Maul reißt, das dieser sich durch geschwollene Pfoten und zerrissenes Fell erjagt hat.«

»Ich will nicht nach weiteren Bezeichnungen suchen, die ich dir beilegen könnte; eine eitle Einbildung muß dein Hirn umnachten,« sagte Fabiola mit einem Ernst, der nicht ganz frei von Angst und Schrecken war. Sie fühlte, daß sie sich einem Wahnwitzigen gegenüber befand, in dem eine heftige Leidenschaft, angestachelt durch eine tief erregte, unbemeisterte Phantasie, sich zu jener Intensivität verruchter, bösartiger Aufregung steigerte, die ein moralischer Wahnsinn ist – ein Wahnsinn, in dem sich der gemeine Mörder für den tugendhaften Rächer hält.

»Fulvius,« fuhr sie mit scheinbarer Ruhe und ihm grade ins Gesicht blickend fort, »ich bitte dich jetzt zu gehen. Wenn du Gold brauchst, so sollst du es haben; aber geh, in des Himmels Namen, geh, bevor du deine Vernunft durch deinen Zorn vernichtest.«

»Welche eitle Einbildung meinst du?« fragte Fulvius.

»Nun, daß ich an einem solchen Tage auch nur des Reichtums und der Besitztümer meiner armen Toten gedacht haben oder aus ihrem grausamen Tode einen Vorteil gezogen haben könnte.«

»Und doch ist es so. Der Kaiser selbst hat mir gesagt, daß er dir jene Erbschaft überlassen habe. Willst du mich vielleicht glauben machen, daß dieser großmütigste und freigebigste aller Prinzen sich jemals von einem Heller getrennt, ohne daß man ihn bestochen oder ihn um denselben gebeten hätte?«

»Davon weiß ich nichts. Aber ich weiß, daß ich lieber Hungers gestorben wäre, als daß ich um einen Heller von solchem Gelde gebeten hätte!«

»Willst du mir also zu verstehen geben, daß in dieser Stadt ein Mensch lebt, der uneigennützig genug gewesen, für dich um dieses Geld zu bitten, ohne daß du ihn darum ersucht hättest? Nein, nein, edle Fabiola, dies alles ist zu unglaublich. Aber was ist das?«

Mit Heftigkeit und Ungestüm packte er das kaiserliche Reskript. welches unbeachtet da gelegen seitdem Corvinus sich entfernt hatte. Er empfand ungefähr dasselbe wie Äneas, als er Pallas' Gürtel auf dem Körper des Turnus sah. Die Wut, welche seiner List und Spitzfindigkeit gewichen zu sein schien solange er sich bemühte, Fabiolas Schuld gegen sich zu beweisen, brach bei dem Anblick dieses verhängnisvollen Dokuments aufs neue los. Er besichtigte es einen Augenblick und vor Zorn mit den Zähnen knirschend, schrie er:

»Jetzt, du edles Weib, überführe ich dich der Gemeinheit, der Raubsucht und der unnatürlichen Grausamkeit! Das überschreitet alles, dessen du mich anzuklagen im stande gewesen! Sieh dies schön geschriebene Reskript mit seinen goldenen Buchstaben und herrlich bemalten Rändern an. Und dann wage noch einmal mir zu sagen, daß es in der einen Stunde hergestellt wurde, welche zwischen dem Tode der von dir so tief Betrauerten und dein Augenblick verrann, in welchem der Kaiser mir mitteilte, daß er es bereits unterzeichnet habe! Gieb nicht vor, den großmütigen Freund nicht zu kennen, der dir dieses reiche Geschenk verschaffte. Bah! während Agnes noch im Kerker weilte – während du mich der Grausamkeit und des Verrats gegen sie anklagtest – mich, einen Fremden! – Da berietest du, die vornehme Dame, die tugendhafte Philosophin, die liebende, zärtliche Anverwandte, du, meine strenge Richterin, da berietest du mit dir selbst, wie du aus meinem Verbrechen Vorteil ziehen könntest, um dir ihren Reichtum zu sichern; du suchtest dir den feinen Schreiber, der deine Habgier mit seiner Feder vergolden und deinen Verrat an deinem eigenen Fleisch und Blut mit seinem errötenden Minium übermalen sollte.«Rote Farbe.

»Halt ein, Wahnsinniger, halt ein!« rief Fabiola, die sich umsonst bemühte, eine Herrschaft über seine funkelnden Augen zu üben.

Aber in noch wilderem Ton fuhr er fort:

»Und dann kommst du in der That und bietest mir Gold an, nachdem du mich so schändlich beraubt hast. Du hast mich übertroffen – und jetzt bemitleidest du mich! Du hast mich zum Bettler gemacht – und nun bietest du mir Almosen – Almosen von meinem eigenen verdienten Lohn, von jenem Lohn, den sogar die Hölle den ihr bestimmten Opfern gewährt, solange sie noch auf Erden wandeln!«

Fabiola erhob sich wieder, aber er packte sie mit dem Griff eines Wahnsinnigen, und diesmal ließ er sie nicht los. Er fuhr fort:

»Jetzt höre auf die letzten Worte, die ich zu dir sprechen werde, oder es sind die letzten, welche du hörst. Gieb mir jenes unrechtmäßig erworbene Gut zurück. Es ist nicht gerecht, daß ich die Schuld trage, und du den Lohn hast. Übertrage es durch deine Handschrift als freies Geschenk auf mich – und ich gehe. Thust du es nicht, so hast du dein eigenes Urteil unterzeichnet.«

Eine fürchterlich drohende Gebärde begleitete diese Worte.

Fabiolas stolzes Selbst bäumte sich in ihr empor; ihr unbesiegtes, starkes römisches Herz hielt Stand. Die Gefahr machte sie furchtlos. Mit frauenhafter Würde raffte sie ihre Gewänder fest um sich zusammen und entgegnete:

»Fulvius, höre auf meine Worte, wenn es auch vielleicht die letzten sind, welche ich spreche; bestimmt sind es die letzten, welche du von mir hörst.

»Dir diesen Reichtum überlassen? Ich bin bereit, ihn dem ersten Aussätzigen zu geben, der mir auf der Straße begegnet – dir aber nimmermehr. Niemals sollst du einen Gegenstand berühren, welcher jener heiligen Jungfrau gehörte, sei es ein Edelstein, sei es ein Strohhalm! Deine Berührung wäre eine Entweihung. Nimm mein Gold, wenn du willst; aber von dem, was sie jemals besessen, könnten keine Schätze der Welt etwas von mir erkaufen. Und ein Vermächtnis schätze ich höher als das ganze Erbgut: du hast mir jetzt zwei Alternativen geboten, wie du es ihr gestern Abend gethan – deine Forderungen zu erfüllen oder zu sterben. Agnes hat mich gelehrt, was ich zu wählen habe. Noch einmal sage ich, geh!«

»Dich in dem Besitz dessen lassen, was mir gehört? Dich verlassen, damit du über mich triumphierst wie über einen, den du übertölpelt hast – du hoch geehrt, ich entehrt – du reich, ich bettelarm – du glücklich, ich unglücklich? Nein! Nimmermehr! Ich kann mich nicht mehr von dem erretten, wozu du mich gemacht hast, aber ich kann dich verhindern, das zu sein, wozu du kein Recht hast. Und deshalb bin ich hergekommen. Dies ist mein Tag der Rache. Jetzt stirb!«

Während er diese Vorwürfe hervorstieß, schob er sie mit seiner linken Hand langsam rückwärts nach dem Ruhebette hin, von welchem sie sich erhoben hatte, während seine rechte zitternd nach einem in den Brustfalten seines Gewandes verborgenem Gegenstande suchte.

Kaum hatte er die letzten Worte gesprochen, als er sie heftig auf das Ruhebett warf und sie bei den Haaren packte. Sie leistete keinen Widerstand, sie stieß nicht einmal einen Schrei aus, teils, weil eine Empfindung von Mattigkeit und Erschlaffung über sie kam, teils, weil ein edles Gefühl der Selbstachtung sie daran hinderte, einem so tief verachteten Feinde auch nur die leiseste Furcht zu verraten. In dem Moment, wo sie die Augen schloß, sah sie etwas durch die Luft blitzen; sie wußte nicht, ob es seine zornsprühenden Augen oder ein blanker Dolch waren.

Im nächsten Augenblick glaubte sie sich dem Ersticken nahe; es war, als sei eine schwere Last auf sie herabgefallen; ein heißer Strom ergoß sich über ihren Busen.

Eine süße, ernste Stimme klang ihr in die Ohren:

»Laß ab, Orontius, ich bin deine Schwester Mirjam!«

Fulvius schrie in einem von Leidenschaft beinahe erstickten Ton:

»Du lügst! Laß mir meine Beute!«

In einer Sprache, welche für Fabiola fremd war, hörte sie noch einige mit matter Stimme gesprochene Worte; dann löste sich der feste Griff von ihrem Haar; sie vernahm, wie der Dolch zu Boden geschleudert wurde, und Fulvius, als er aus dem Gemache stürzte, in herzzerreißendem Ton aufschrie:

»O Christus! Dies ist deine Nemesis!«

Fabiolas Kräfte kehrten wieder, aber sie fühlte, wie die Last, welche sie bedrückte, immer schwerer wurde. Sie machte einige Anstrengungen und befreite sich von ihr. Ein zweiter Körper lag neben ihr, anscheinend tot und mit Blut bedeckt. Es war die treue Syra, welche sich zwischen das Leben ihrer Herrin und den Dolch ihres Bruders geworfen hatte.


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