Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Erster Teil. Frieden.

Erstes Kapitel

Das christliche Haus

Wir bitten unseren Leser, uns an einem Nachmittage im September des Jahres 302 durch die Straßen von Rom zu begleiten. Die Sonne hat den Meridian längst überschritten, und es sind ungefähr noch zwei Stunden bis zu ihrem Untergange. Der Tag ist wolkenlos, die Hitze ist vorüber, die Menschen entströmen ihren Häusern und schlagen den Weg nach den Gärten Cäsars auf der einen Seite oder nach denen des Sallust auf der anderen Seite ein, um die Kühle des Abends auf einem Spaziergange zu genießen oder die Neuigkeiten des Tages zu hören.

Aber jener Teil der Stadt, nach welchem uns zu begleiten wir unseren freundlichen Leser bitten, ist der, welcher unter dem Namen Campus Martius bekannt ist. Er umfaßte die flache, angeschwemmte Ebene zwischen den sieben Hügeln des älteren Rom und dem Tiber. Vor dem Ende der republikanischen Periode hatte man begonnen, dieses flache Land, welches einst für die athletischen Übungen und kriegerischen Spiele des Volkes frei und offen gelassen worden, mit öffentlichen Gebäuden zu bebauen. Pompejus hatte dort sein Theater errichtet: bald darauf erbaute Agrippa das Pantheon und die daran grenzenden Bäder. Aber nach und nach entstanden dort auch Privatwohnungen, während die Hügel – in der ersten Zeit des Kaiserreichs der aristokratische Teil der Stadt – nur für größere Bauwerke benützt wurden. So wurde der Palatin nach Neros Feuersbrunst fast zu klein für die kaiserliche Residenz und den daran stoßenden Cirkus Maximus. Der Esquilin wurde von den Bädern des Titus usurpiert, welche auf den Ruinen des Goldenen Hauses erbaut wurden; der Aventin von denen des Caracalla; und zu der Zeit, von welcher wir schreiben, bedeckte der Kaiser Diocletian einen Raum, welcher für manches herrliche Wohngebäude hingereicht haben würde, durch die Errichtung seiner Thermen (heiße Bäder) auf dem Quirinal, nicht weit entfernt von den oben erwähnten Gärten des Sallust.

Die besondere Stelle auf dem Campus Martius, nach welcher wir unsere Schritte lenken wollen, ist eine, deren Lage so bestimmt ist, daß wir sie jedem, der mit der Topographie des alten oder neuen Rom bekannt ist, ganz genau beschreiben können. In den Zeiten der Republik lag inmitten des Campus Martius ein großer viereckiger Platz, der von einem Bretterverschlag umgeben und in Hürden abgeteilt war; hier wurden die Comitia oder Zusammenkünfte der verschiedenen Volksklassen abgehalten, um ihre Stimmen abzugeben. Dies wurde die Septa oder Ovile genannt wegen ihrer Ähnlichkeit mit einer Schafhürde. Augustus brachte einen Plan, welchen Cicero in einem Briefe an AtticusBand 4, Br. 16. beschreibt, zur Ausführung, indem er dieses häßliche Machwerk in ein prächtiges und festes Gebäude umwandelte. Die Septa Julia, wie sie fortan genannt wurde, war ein herrlicher Portikus von 1000 Fuß Höhe zu 500 Fuß Breite, von Säulen getragen und mit Gemälden geschmückt. Noch heute sind Spuren ihrer Ruinen vorhanden; sie stand auf dem Platze, wo sich in unseren Tagen die Paläste der Dorias und der Verospis (also an dem heutigen Corso entlang), das Collegio Romano, die Kirche des heiligen Ignatius und die Kapelle der Caravita erheben.

Das Haus, in welches wir den Leser bitten, uns zu folgen, liegt gerade gegenüber und auf der östlichen Seite des Gebäudes (auf seiner Grundfläche erhebt sich heute die Kirche des heiligen Marcellus), von wo es sich bis an den Fuß des Quirinals hinzog. Man sieht also, daß es eine sehr beträchtliche Fläche bedeckte, wie es damals der Fall war mit den Häusern der vornehmen Römer. Von außen bietet es nur einen leeren und toten Anblick. Die Mauern sind nackt und schlicht ohne architektonischen Schmuck, nicht hoch und fast ohne Fenster. In der Mitte der einen Wand dieses Vierecks befindet sich eine Thür, in antis, das heißt, nur hervorgehoben durch ein tympanum oder einen dreieckigen Fries, welcher auf zwei Säulen ruht. Indem wir von unserem Vorrecht der unsichtbaren Allgegenwart Gebrauch machen, wollen wir mit unserem Freund oder unserem »Schatten« wie man ihn in alten Zeiten genannt haben würde, eintreten. Jetzt treten wir durch den Porticus, auf dessen Pflaster wir mit Freuden den Gruß »Salve« oder Willkommen in Mosaikschrift lesen, und befinden uns im Atrium oder dem ersten Hofe des Hauses, welcher von Kolonnaden umgeben ist.

In der Mitte des marmorgepflasterten Hofes springt sanft murmelnd ein Strahl klaren Wassers, durch den Aquaduct des Claudius von den Hügeln Tusculums hierhergeleitet, in die Luft empor, bald höher, bald niedriger, und fällt dann in ein großes Bassin aus rotem Marmor, über dessen Rand es sich in weiß schäumenden Wellen ergießt und einen seinen Tropfenregen auf die herrlichen, seltenen Blumen, welche in kostbaren Vasen umherstehen, stiebt, bevor er in den größeren unteren Behälter fällt. Unter den Kolonnaden stehen reiche und eigenartige Möbelstücke umher; Ruhebetten, welche mit Silber und Elfenbein eingelegt sind; Tische aus orientalischem Holz, auf welchen Kandelaber, Lampen und andere Hausgeräte aus Bronze und Silber stehen; fein gemeißelte Büsten, Vasen, Dreifüße und herrliche Kunstgegenstände. An den Wänden sind Gemälde, augenscheinlich aus einer früheren Zeit, welche indessen noch ihre ganze Farbenpracht und die Feinheit der Ausführung bewahrt haben. Diese werden unterbrochen durch Nischen, in welchen sich Statuen befinden, die ebenso wie die Gemälde mythologische und historische Gestalten und Scenen darstellen. Aber wir können nicht umhin zu bemerken, daß sich dort nichts befindet, was das Auge ober das zarteste Gemüt verletzen könnte. Und daß dies nicht nur das Resultat des Zufalls, beweist hier und dort ein verhängtes Gemälde, eine leere Nische.

Da das gewölbte Dach außerhalb des Säulenganges ein großes Viereck läßt, welches sich nach dem Centrum hin öffnet, impluvium genannt, so ist ein Vorhang oder Schleier von dunklerem Stoff darüber gezogen, welcher sowohl Regen wie Sonne ausschließt. Daher setzt uns nur ein künstliches Zwielicht in den Stand, alles das zu sehen, was wir soeben beschrieben haben, aber es verleiht dem, was dahinter liegt, auch eine um so größere Wirkung. Durch einen Bogengang, gegenüber dem, durch welchen wir eingetreten sind, erhaschen wir einen Blick in den inneren und noch prächtigeren Hof, welcher mit buntfarbigem Marmor gepflastert und mit glänzenden Vergoldungen geschmückt ist. Da der Schleier, der die obere Öffnung bedeckt, welche hier jedoch mit dickem Glase oder Talkschiefer ( lapis specularis) geschlossen ist, halb zur Seite gezogen worden und einen hellen jedoch milden Strahl der Abendsonne einläßt, sehen wir zum erstenmal, daß wir uns nicht in einer verzauberten Halle, sondern in einem von Menschen bewohnten Hause befinden.

Neben einem Tische, welcher gerade außerhalb der Kolonnaden von phrygischem Marmor steht, sitzt eine Matrone, welche die Mitte des Lebens noch nicht überschritten hat; ihre edlen und doch so milden Züge zeigen Spuren von schwerem Leid und Kummer, welcher sie vielleicht in früherer Zeit betroffen hat. Aber ein mächtiger Einfluß hat die Erinnerung daran geschwächt oder sie durch süßere Gedanken gemildert. Und diese Gedanken und jener Einfluß herrschen schon lange vereint in ihrem Herzen. Die Einfachheit ihrer Erscheinung kontrastiert seltsam mit dem Reichtum, welcher sie umgiebt. Ihr Haar, das bereits mit Silberfäden durchzogen, ist unbedeckt und durch keine Kunst entstellt. Ihre Gewänder sind von einfachster Farbe und Stoff, ohne Stickerei, mit Ausnahme des purpurfarbigen aufgenähten Bandes, segmentum genannt, welches die Witwenschaft anzeigte; kein Juwel, kein kostbarerer Schmuck, mit dem die römischen Damen so verschwenderisch umzugehen pflegten, war an ihrer Gestalt zu entdecken. Nur um den Hals trug sie eine dünne goldene Kette oder Schnur, an welcher anscheinend ein Gegenstand hing, den sie sorgsam in dem oberen Saum ihres Gewandes verbarg.

In dem Augenblick, wo wir ihrer ansichtig werden, ist sie emsig mit einer Handarbeit beschäftigt, welche nicht für den persönlichen Gebrauch bestimmt ist. Auf einem langen, reichen Streifen von golddurchwirktem Tuch stickt sie mit noch kostbareren goldenen Fäden, und gelegentlich öffnet sie dies oder jenes prächtige Juwelenkästchen, von denen eine Menge auf dem Tische stehen, nimmt eine Perle heraus oder einen in Gold gefaßten Edelstein und fügt ihn dem Muster ein, welches sie stickt. Es scheint, als weihe sie den köstlichen Schmuck aus früheren Tagen irgend einem höheren Zwecke. Aber wie die Zeit vergeht, bemerken wir, daß eine leichte Unruhe sich ihrer Gedanken bemächtigt, welche allem Anschein nach bis jetzt vollständig in ihre Arbeit vertieft waren. Sie wendet den Blick dann und wann dem Eingange zu; nun horcht sie auf Fußtritte und scheint enttäuscht. Sie blickt zur Sonne empor; dann richtet sie das Auge auf eine clepsydra oder Wasseruhr, welche neben ihr auf einem Träger steht. Aber gerade in dem Augenblick, wo ein Gefühl ernsterer Beunruhigung sich auf ihren Zügen zu malen beginnt, ertönt ein fröhliches Klopfen von der Hausthür her, und sie beugt sich mit einem strahlenden Blick des Willkommens vorüber, um den Ankömmling zu begrüßen.


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