Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Zwanzigstes Kapitel

Die öffentlichen Arbeiten

Wenn die Thermen des Diocletianus durch die Arbeit und den Schweiß der christlichen Gefangenen bereits vor dem Edikt errichtet wurden, so wird es niemand überraschen zu hören, daß diese mit der zunehmenden Heftigkeit der wildesten aller Verfolgungen an Zahl noch zunahm, während ihre Leiden bis zur Unerträglichkeit verschärft wurden. Jener Kaiser wurde in höchst eigener Person zur Einweihung seines Lieblingsbauwerkes erwartet, und daher wurde die Anzahl der Arbeitenden verdoppelt, um die Vollendung zu beschleunigen. Vom Hafen von Luna, aus Sardinien, sogar aus der Krim oder dem Chersonesus, wo sie in Steinbrüchen oder Bergwerken beschäftigt gewesen, langten täglich ganze Reihen von angeblichen Verbrechern an, und hier wurden sie nun bei den noch schwereren Arbeiten der Baukunst angestellt. Das Material zu transportieren, den Marmor und die Steine zu sägen und zu schneiden, den Mörtel zu mischen und Mauern aufzuführen: das waren die Pflichten, welche den um der Religion willen Verurteilten oblagen, von denen die meisten Männer waren, welche durchaus nicht an so niedere Arbeit gewöhnt. Den einzigen Lohn, welchen sie für ihre Arbeit erhielten, teilten sie mit den Ochsen und Maultieren, mit denen sie auch die Arbeit teilten. Ein Obdach, wenig besser als ein Stall, um darin zu schlafen, Nahrung kaum hinreichend, um ihre Kräfte aufrecht zu erhalten; Kleidung genug, um sie notdürftig gegen die Unbill der Jahreszeit zu schützen – das war alles, was sie zu erwarten hatten, Fesseln an den Füßen, schwere Ketten, welche sie an der Flucht hindern sollten, vermehrten ihre Leiden noch. Rohe und unvernünftige Aufseher überwachten jeden Trupp mit der Peitsche oder dem Stock in der Hand und waren stets bereit, der schweren Mühsal noch den brennenden Schmerz hinzuzufügen, ob es nun geschah, um ihrer eigenen zügellosen Wut an den wehrlosen Opfern Luft zu machen, oder um ihren noch grausameren Gebietern Genüge zu thun.

Aber die römischen Christen trugen noch besondere Sorge für diese frommen Dulder für den Glauben, welche in hohem Ansehen bei ihnen standen. Ihre Diakonen besuchten sie, nachdem sie vorerst die Aufseher bestochen hatten: und junge Männer wagten sich kühn unter sie, um kräftigere Nahrung oder wärmere Kleidung an sie zu verteilen, oder um ihnen die Mittel zu bringen, mit denen sie ihre Kerkermeister gefügig machen konnten, um eine bessere Behandlung von ihnen zu erlangen. Dann pflegten sie auch zu bitten, daß diese Märtyrer sie in ihre Gebete einschließen möchten, und sie küßten die Ketten und die Beulen, welche diese heiligen Bekenner des Glaubens für Christus trugen.

Diese Männer, welche gefangen waren, weil sie ihrem göttlichen Herrn treu dienten, waren auch noch für einen anderen Zweck nützlich. Wie die Fischbehälter, in welchem der üppige Lucullus seine für ein Gastmahl bereits gemästeten Lampreten aufbewahren ließ; wie die Käfige, in denen seltene Vögel; die Hürden, in denen gut gefüttertes Vieh für die Opfer oder für das Fest eines kaiserlichen Geburtstages aufbewahrt wurden; wie die Zellen in der Nähe des Amphitheaters, in welchen wilde Bestien für die Schaustellung bei den öffentlichen Spielen – grade so waren die öffentlichen Arbeiten die Vorratskammern, aus denen man zu jeder Zeit das Material für eine blutige Hekatombe nehmen oder die Befriedigung des allgemeinen Appetits nach grausamen Schauspielen bei jeder festlichen Gelegenheit bewerkstelligen konnte, – öffentliche Vorräte von Nahrung für jene wilden Tiere, wann es dem römischen Volk einfiel, sich an ihren blutdürstigen Neigungen ergötzen zu wollen.

Solch eine Gelegenheit stand nun bevor. Die Christenverfolgung hatte sich hinausgezogen. Bis jetzt war noch keine Persönlichkeit von Bedeutung gefangen genommen. Die Niederlagen des ersten Tages waren noch nicht wieder vollständig ausgewetzt und man erwartete nun etwas wirksameres, umfassenderes, größeres. Das Volk verlangte mehr Unterhaltung; und der herannahende kaiserliche Geburtstag versprach ihm Befriedigung seines Wunsches. Die wilden Tiere, welche Pancratius und Sebastianus gehört hatten, brüllten noch nach ihrer gesetzlichen Beute. » Christianos ad leones«, schien von ihnen so ausgelegt zu sein, als bedeute es, »daß die Christen ihnen von Rechts wegen zukämen.«

Eines Nachmittags gegen Ende Dezember begab sich Corvinus nach den Bädern des Diocletianus, begleitet von Catulus, welcher ein scharfes Auge für passende Fechter im Amphitheater hatte, ungefähr so wie ein guter Viehhändler es für das auf den Markt gebrachte Vieh hat. Er rief den Rabirius, den Oberaufseher der Gefangenenabteilung, und sagte zu ihm:

»Rabirius, ich bin auf Befehl des Kaisers gekommen, um eine hinreichende Anzahl der unter deiner Aufsicht stehenden verruchten Christen auszuwählen, welche bei Gelegenheit des herannahenden Festes die Ehre haben sollen, im Amphitheater zu fechten.«

»In der That,« entgegnete der Beamte, »ich kann keine entbehren. Ich bin gezwungen, die Arbeit in einer ganz bestimmten Zeit zu Ende zu führen und das vermag ich nicht, wenn man mir Arbeiter nimmt.«

»Ich kann dir nicht helfen. Man wird dir andere senden, um jene zu ersetzen, welche man dir genommen hat. Du mußt Catulus und mich durch die Reihen der Arbeitenden führen und uns diejenigen wählen lassen, welche uns passend erscheinen.«

Rabirius, welcher über diese unvernünftige Forderung murrte, gab derselben trotzdem nach, und führte die beiden auf eine weite Fläche, welche soeben überwölbt war. Man betrat dieselbe durch eine runde Vorhalle, welche wie das Pantheon das Licht von oben erhielt. Diese führte in einen der kürzeren Arme einer kreuzförmigen Halle von edlen Dimensionen, auf welche eine Anzahl von kleineren, obgleich ebenfalls geräumigen Zimmern hinausgingen. In jeder Ecke der Halle, wo die Arme sich kreuzten, sollte ein riesiger aus einem Block bestehender Granitpfeiler errichtet werden. Zwei derselben standen bereits an ihrem Platze; ein dritter war mit Stricken umwickelt, welche von großen Gangspillen ausliefen; er sollte am nächsten Morgen aufgerichtet werden. Eine bedeutende Anzahl von Männern waren beschäftigt, die letzten Vorbereitungen zu treffen. Catulus stieß den Corvinus an und zeigte mit dem Daumen auf zwei schöne Jünglinge, welche nach Sklavenart bis zu den Hüften bloß, Musterbilder männlicher, athletischer Formen waren.

»Diese beiden muß ich haben, Rabirius,« sagte der liebenswürdige Versorger der wilden Bestien, »sie werden ausgezeichnet passen. Ich bin überzeugt, daß sie Christen sind, denn sie sind so willig und fröhlich bei der Arbeit.«

»In diesem Augenblick kann ich sie unmöglich entbehren. Sie sind mir wenigstens so viel wert wie sechs andere Männer oder zwei Pferde. Wartet doch, bis die schwerste Arbeit vorüber ist, dann stehen sie euch zu Diensten.«

»Wie heißen sie, daß ich mir ihre Namen merken kann? Und merk wohl auf, erhalte sie in gutem Stande.«

»Sie heißen Largus und Smaragdus; sie sind junge Männer aus guten Familien, aber sie arbeiten wie Plebejer und werden froh sein, wenn sie euch folgen dürfen.«

»Ihr Wunsch soll ihnen erfüllt werden,« sagte Corvinus mit großer Freude.

Und er wurde ihnen erfüllt.

Als sie durch die Arbeiterreihen schritten, suchten sie noch eine Anzahl von Gefangenen aus, gegen deren Wahl Rabirius sich stets, aber meistens umsonst sträubte. Endlich kamen sie an einen jener Räume, welche sich an der östlichen Seite des längeren Arms der Halle entlang zogen. In einem derselben sahen sie eine Anzahl von Verbrechern, (wenn wir diese Bezeichnung anwenden müssen) welche nach der Arbeit ausruhten. Den Mittelpunkt dieser Gruppe bildete ein alter Mann von ehrwürdigem Aussehen, mit einem langen, weißen Barte, welcher ihm bis auf die Brust herabwallte; milde von Blick, sanft von Worten, fröhlich bei seiner geringen Arbeit. Es war der Bekenner Saturninus, welcher jetzt in seinem achtzigsten Jahre stand und trotzdem zwei schwere Ketten tragen mußte. Auf jeder Seite von ihm befanden sich die jugendlicheren Arbeiter Cyriacus und Sisinnius, von welchen man erzählt, daß sie neben ihrer eigenen Arbeit auch noch seine Fesseln trugen. In der That, man sagt sogar, daß es ihre besondere Freude war, neben ihrer eigenen vorgeschriebenen Arbeit auch noch ihren schwächeren Brüdern zu helfen und die schwere Arbeit für sie zu verrichten.Siehe Piazza über die Kirche Santa Maria degli Angeli in seinem Werke über die »Stationen in Rom«. Aber ihre Zeit war noch nicht gekommen, denn bevor sie die Märtyrerkronen erhielten, wurden sie unter dem nächsten Pontifikat noch zu Diakonen geweiht.

Mehrere andere Gefangene lagerten zu den Füßen des alten Mannes auf der Erde, welcher, auf einem Marmorblock sitzend, mit freundlichem Ernste zu ihnen sprach, ihre Aufmerksamkeit fesselte und sie auf diese Weise ihre Leiden vergessen zu machen suchte. Was sprach er zu ihnen? Belohnte er Cyriacus für seine außerordentliche Barmherzigkeit, indem er ihm prophezeite, daß zum Gedenken an dieselbe ein Teil des ungeheuren Gebäudes, an dessen Errichtung sie mitarbeiteten, eines Tages unter seiner Anrufung Gott geweiht, ein Titel werden, und mit einem berühmten Namen die Reihe der Kardinäle dieses Titels schließen werde?Der letzte Kardinal dieses aufgehobenen Titels St. Cyriacus, welcher aus einem Teil der Bäder des Diocletian erbaut wurde, war Kardinal Bembo.

Oder sprach er von jener noch herrlicheren Vision, wie dieses kleinere Oratorium in einen erhabenen Tempel zu Ehren der Engelskönigin übergehen würde, welcher jene ganze prächtige Halle mit ihrem Vestibül unter der leitenden Geschicklichkeit des mächtigsten künstlerischen Genius, den die Welt je getragen, in sich fassen würde?«Michelangelo. Die schöne und edle Kirche Santa Maria degli Angeli wurde von ihm aus der mittleren Halle und dem runden Vestibül, welche im Text beschrieben sind, erbaut. Später wurde der Boden höher gelegt; auf diese Weise wurden die Pfeiler gekürzt und die Höhe des Gebäudes um mehrere Fuß vermindert.

Konnte diesen armen, unterdrückten Gefangenen ein tröstenderer Gedanke gegönnt werden, als daß sie nicht so sehr ein Bad für den Luxus eines heidnischen Volkes oder die Verschwendungssucht eines gottlosen Kaisers erbauen halfen, wie sie in Wahrheit eine der stattlichsten Kirchen errichteten, in welcher der wahre Gott angebetet und die jungfräuliche Mutter des Sohnes Gottes andächtig verehrt wird.

Aus der Entfernung sah Corvinus die Gruppe; er blieb stehen und fragte den Oberaufseher nach den Namen derjenigen, welche sie bildeten. Willig zählte dieser sie her. Dann fügte er hinzu:

»Du kannst auch jenen alten Mann mitnehmen, wenn es dir gefällt; denn er ist die Kost nicht wert, die er bekommt; seine Arbeit ist kaum nennenswert.«

»Ich danke dir,« entgegnete Corvinus, »der würde eine schöne Figur im Amphitheater machen. Das Volk läßt sich nicht mit gebrechlichen alten Leuten abspeisen, die ein einziger Schlag von der Tatze eines Bären oder Tigers schon zu Boden wirft und tötet. Das Volk will junges Blut fließen und frisches, volles Leben gegen Wunden und Streiche kämpfen sehen, ehe der Tod kommt, um den Kampf zu entscheiden. Aber da ist noch einer, dessen Namen du mir nicht genannt hast. Sein Gesicht ist von uns abgewandt; er trägt nicht die Kleidung der Sträflinge und auch keine Ketten. Wer mag er sein?«

»Ich kenne seinen Namen nicht,« antwortete Rabirius, »aber er ist ein schöner Jüngling, welcher einen großen Teil seiner Zeit unter den Gefangenen zubringt, sie ermuntert, und oft sogar an ihrer Arbeit teilnimmt. Natürlich bezahlt er gut dafür, daß man ihm dies alles gestattet; daher kommt es uns nicht zu, Fragen an ihn zu richten.«

»Aber mir kommt es zu,« sagte Corvinus scharf und trat zu diesem Zwecke vor. Die Stimme schlug an das Ohr des Fremden und er wandte sich, um zu sehen, wer es sei.

Mit den Blicken und Gebärden eines Tigers stürzte Corvinus sich auf ihn, ergriff ihn und rief triumphierend aus:

»Legt ihm augenblicklich Ketten an. Dieses Mal, Pancratius, sollst du mir nicht wieder entschlüpfen!«


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