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Die Nacht war längst herabgesunken, und die Sterne funkelten am Himmel, als die schwarze Sklavin, nachdem sie ihren Heiratsvertrag zu ihrer eigenen Zufriedenheit abgeschlossen hatte, in das Haus ihrer Gebieterin zurückkehrte. Es war in der That eine kalte Winternacht; Afra hatte sich warm eingehüllt und war durchaus nicht in der Laune, sich stören zu lassen. Aber es war auch eine herrliche Nacht, und der Mond schien mit zarten silbernen Händen das weiche Kleid der Meta SudansMeta Sudans – der im ersten Teil bereits beschriebene Springbrunnen. zu streicheln. Hier stand sie still, und nach ein paar Minuten tiefer Ruhe brach sie in ein schallendes Gelächter aus, als ob irgend eine Erinnerung komischer Art bei dem Anblick dieses herrlichen Springbrunnens in ihr aufstiege. Sie wandte sich dann, um weiter zu gehen, als sie sich plötzlich rauh am Arm gepackt fühlte.
»Wenn du nicht gelacht hättest,« sagte jemand in bitterem Ton, »so würde ich dich nicht wieder erkannt haben. Aber dein Hyänenlachen ist unverkennbar. Horch, die wilden Tiere, deine afrikanischen Vettern, antworten dir vom Amphitheater her. – Was machte dich lachen, sag es mir!«
»Du!«
»Wie! ich?«
»Ich dachte an unsere letzte Zusammenkunft an diesem Orte, und welch ein Narr du doch bist!«
»Wie gütig von dir, Afra, an mich zu denken, besonders da ich durchaus nicht an dich dachte, sondern an deine Landsleute dort drüben in jenen Zellen.«
»Laß ab von deinen Frechheiten und nenne Leute bei dem Namen, der ihnen zukommt. Ich bin nicht mehr Afra, die Sklavin – wenigstens werde ich es in einigen Stunden nicht mehr sein – sondern Jubala, die Gemahlin des Hyphax, Oberbefehlshaber der mauritanischen Bogenschützen.«
»Ein sehr achtbarer Mann ohne Zweifel, wenn er nur außer seinem kauderwälsch noch irgend eine verständliche Sprache reden könnte; aber diese wenigen Stunden der Zwischenzeit werden hinreichen, um unser Geschäft abzumachen. Mich dünkt, du begingst einen Irrtum in dem, was du soeben sagtest. Nicht wahr, du warst es, die bei unserer letzten Zusammenkunft einen Narren aus mir machte? Was ist aus deinen schönen Versprechungen geworden? Und aus meinem noch schöneren Golde? Beides tauschten wir bei jener Gelegenheit aus! Was ich gab, hat sich als recht erwiesen, was du gabst, ist zu Staub geworden.«
»Ohne Zweifel. Ein Sprichwort in meiner Muttersprache sagt: »Der Staub auf dem Rocke eines weisen Mannes ist besser als das Gold im Gürtel eines Thoren.« Aber laß uns zur Sache kommen, hast du wirklich jemals an die Kraft meiner Zaubersprüche und Getränke geglaubt?«
»Gewiß that ich das. Willst du wirklich sagen, daß alles nur Betrug war?«
»Nicht alles. Du siehst, wir sind den Fabius losgeworden, und die Tochter ist in den Besitz des Vermögens gelangt. Das war ein vorbereitender Schritt von unumgänglicher Notwendigkeit.«
»Was! Willst du behaupten, daß deine Beschwörungsformeln den Vater aus dem Wege räumten?« fragte Corvinus entsetzt und trat einen Schritt zurück.
Es war nur ein glücklicher Gedanke, der Afra plötzlich gekommen war; sie nahm also ihren Vorteil wahr und fuhr fort:
»Gewiß! Was sonst? Es ist sehr leicht, auf diese Weise jemanden los zu werden, der einem im Wege ist.«
»Gute Nacht! Gute Nacht!« rief er von Furcht übermannt.
»Bleib noch einen Augenblick,« sagte sie in einigermaßen versöhnendem Ton: »Corvinus, ich gab dir an jenem Abend zwei Ratschläge, welche mehr wert waren, als all dein Gold. Gegen den einen hast du gehandelt, und den zweiten hast du nicht befolgt.«
»Wie?«
»Habe ich dir nicht geraten, die Christen nicht zu verfolgen, sondern sie in deinen Netzen zu fangen? Fulvius hat das letztere gethan und dabei manches gewonnen. Du thatest ersteres – und was hast du geerntet?«
»Nichts als Wut, Beschämung und Schläge.«
»Mein erster Ratschlag war also gut; nun, befolge dann den zweiten.«
»Und dieser war?«
»Dich meiner Herrin mit all deinem Reichtum anzubieten, wenn du durch christliche Beute reich genug geworden. Bis jetzt hat sie jeden Antrag kalt zurückgewiesen; aber eines habe ich dabei sorgfältig beobachtet. Kein einziger ihrer Freier hatte ihr Reichtümer zu bieten. Jeder Verschwender hat nach ihrem Vermögen getrachtet, um das seine wieder dadurch herzustellen; verlaß dich darauf, derjenige, welcher den Preis gewinnen will, muß nach dem Grundsatze handeln, daß zwei und zwei vier macht. Verstehst du. mich?«
»Nur zu gut, denn woher soll ich meine zwei nehmen?«
»Höre mich an, Corvinus, denn dies ist unsere letzte Besprechung, und ich habe eine gewisse Vorliebe für dich, du kannst gewissenlos, herzlich, unbarmherzig und gefühllos hassen.«
Dann zog sie ihn näher an sich heran und flüsterte:
»Ich weiß von Eurotas, dem ich alles abschmeicheln kann, daß Fulvius einige prächtige, christliche Preise in Aussicht hat, besonders einen. Komm hierher in den Schatten, wo uns niemand sehen kann, und ich werde dir sagen, wie du ihm seinen Schatz vorweg nehmen kannst. Überlaß ihm den gemeinen Mord, der vielleicht sehr mühsam ist und böse Folgen haben kann; aber tritt dann zwischen ihn und seine Beute. Er würde jeden Augenblick an dir ebenso handeln.«
Während einiger Minuten sprach sie eindringlich und leise zu ihm; am Schlusse des Zwiegesprächs rief er jubelnd aus: »Ausgezeichnet! Herrlich!« – Welch ein Wort in solchem Munde!
Sie that seinem Freudenausbruch Einhalt, indem sie ihn am Ärmel zupfte und nach dem gegenüberliegenden Gebäude zeigend, ausrief:
»Still, sieh dort hin.«
Wie hat sich das Blatt gewendet! Oder vielmehr, wie hat sich die Erde in einer so kurzen Zeit gedreht! Das letzte Mal, wo diese beiden gottlosen Geschöpfe auf derselben Stelle standen und Verderben für andere planten, befanden sich in jenem Fenster dort oben zwei tugendhafte Jünglinge, welche wie zwei gute Engel, sich bemühten, ihr Gewebe von Unheil zu entwirren und ihre bösen Pläne zu durchkreuzen. Sie sind fort! Der eine schlummert in seinem Grabe; der andere schläft dem Tage der Vollstreckung seines Todesurteils entgegen. Der Tod muß uns doch wie eine heilige Macht erscheinen, wenn wir sehen, wie gern er die Guten in sein Reich holt und wie gern er die Bösen zurückläßt so lange er kann. Er reißt die Blume ab und läßt das Unkraut sein giftiges Leben weiterleben, bis es der natürlichen Verwesung anheimfällt.
Aber in dem Augenblick, wo sie hinaufblickten, standen zwei andere Gestalten im Fenster.
»Das ist Fulvius,« sagte Corvinus, »der grade jetzt an das Fenster getreten ist.«
»Und der andere ist sein böser Dämon Eurotas,« fügte die Sklavin hinzu. Beide lauschten und beobachteten von ihrem dunklen Winkel aus.
In diesem Augenblick trat Fulvius wieder an das Fenster; in der Hand hielt er ein Schwert, dessen Gefäß er bei dem hellen Mondlicht sorgsam umwandte und prüfte. Endlich warf er es zu Boden und schrie fluchend:
»Es ist doch nur Erz!«
Eurotas kam mit dem, was allem Anschein nach der Gürtel eines reichen Offiziers gewesen; er untersuchte ihn lange.
»Nichts als falsche Steine! Nun, ich erkläre, daß der ganze Plunder keinen Heller wert ist. Dabei hast du nur ein armseliges Geschäft gemacht, Fulvius.«
»Immer Vorwürfe, Eurotas! Und doch hat dieser elende Gewinn das Leben eines der besten Offiziere des Kaisers gekostet.«
»Und hat dir wahrscheinlich keinen Dank von deinem Herrn eingebracht!«
Eurotas hatte recht.
Als die Sklaven am nächsten Morgen den Körper des Sebastianus abholten, waren sie erstaunt, eine dunkle Frauengestalt vorübergehen zu sehen, welche ihnen zuflüsterte:
»Er lebt noch.«
Anstatt ihn daher hinaus zur Bestattung zu tragen, brachten sie ihn in die Wohnung der Irene. Die frühe Morgenstunde und der Umstand, daß der Kaiser am Abend vorher in seinen Lieblingspalast, den Lateran übersiedelt war, erleichterten die Ausführung bedeutend. Augenblicklich ließ man den Dionysius holen, und dieser gab den Ausspruch ab, daß jede der Wunden heilbar sei, da kein einziger Pfeil einen edlen Teil getroffen hatte. Aber der Blutverlust war ein so ungeheurer gewesen, daß er der Ansicht war, es würden Wochen vergehen, ehe der Patient imstande sein könne, eine Bewegung zu machen.
Während vierundzwanzig Stunden kam Afra unablässig, um sich nach Sebastianus' Ergehen zu erkundigen. Als die Prüfungszeit vorüber war, führte sie Fabiola in die Gemächer der Irene, damit sie selbst sich überzeuge, daß er atme – wenn auch kaum merkbar. Der Akt ihrer Befreiung vom Sklavendienst ward vollzogen, ihre Mitgift ausbezahlt, und der ganze Palatin und das Forum hallten wieder von dem abscheulichen Ritus und den tollen Gelagen ihrer Hochzeit.
Fabiola fragte mit so zärtlicher Sorgfalt nach dem Ergehen Sebastianus', daß Irene die feste Überzeugung gewann, auch sie sei eine Christin. Die ersten Male begnügte sie sich damit, den Bescheid an der Thür entgegenzunehmen und der Wirtin des Sebastianus eine große Geldsumme zu übergeben, um mit derselben die Kosten seiner Wiederherstellung zu bestreiten; aber nach zwei Tagen, als er auf dem Wege der Besserung war, wurde sie höflich aufgefordert, einzutreten, und zum erstenmal in ihrem Leben ward sie sich bewußt, sich im Schoße einer christlichen Familie zu befinden.
Man sagt uns, daß Irene die Witwe des Castulus war, eines der Bekehrten, welche zur kleinen Gemeinde des Chromatius gehörte. Ihr Gatte hatte soeben den Tod erlitten; aber sie wohnte noch unbeachtet in den Gemächern weiter, welche die seinen im Palaste gewesen waren. Zwei Töchter lebten bei ihr, und ein auffallender Unterschied im Benehmen der beiden fiel Fabiola auf, als sie bekannter mit ihnen wurde. Die eine sah Sebastianus wie einen Eindringling an und kam ihm selten oder niemals nahe. Ihr Betragen gegen die Mutter war rauh und hochmütig, all ihr Denken gehörte der Alltagswelt an – sie war vorlaut, selbstsüchtig und leichtsinnig. Die andere, welche jünger als sie, war das vollständige Gegenteil – so sanft, so geduldig und liebevoll; so rücksichtsvoll für andere, ihrer Mutter so zugethan, so aufmerksam und opfermütig dem armen Kranken gegenüber. Irene selbst war der Typus einer christlichen Matrone aus den mittleren Klassen. Fabiola fand sie weder klug, noch witzig, noch gelehrt, noch von feinen Sitten; aber sie sah sie stets ruhig, thätig vernünftig und ehrlich. Sie war herzensgut, großmütig, innig, liebevoll und geduldig. Die vornehme, heidnische Dame hatte niemals einen solchen Haushalt gesehen – so einfach, so sparsam, so ordentlich. Nichts störte ihn, außer dem Charakter der älteren Schwester. In wenigen Tagen hatte man die Gewißheit erlangt, daß die tägliche Besucherin keine Christin sei, aber dies rief durchaus keine Veränderung in dem Verhalten gegen sie hervor. Und dann machte auch sie ihrerseits eine Entdeckung, welche sie betrübte, nämlich die – daß die ältere Tochter noch Heidin sei. – Alles was sie sah, machte einen günstigen Eindruck auf sie und begann die harte Kruste des Vorurteils zu schmelzen. Für den Augenblick jedoch waren noch all ihre Gedanken von Sebastianus in Anspruch genommen, dessen Genesung nur langsam vorwärts schritt. Sie machte Pläne mit Irene, wie sie ihn nach ihrer Villa in Campania transportieren könne. Dort wollte sie dann in Muße mit ihm über Religion verhandeln. Doch der Ausführung dieses Plans stellte sich ein unüberwindliches Hindernis entgegen.
Wir wollen nicht versuchen, unseren Leser einen Einblick in die Gefühle des Sebastianus thun zu lassen. Nach dem Märtyrertum gelechzt zu haben, es erfleht zu haben, all seine Qualen und Schmerzen durchkostet zu haben, dafür gestorben zu sein so weit menschliches Bewußtsein reicht, die Welt bereits aus dem Gesicht verloren zu haben und dann wieder in ihr zu erwachen, nicht als Märtyrer, sondern als ein gewöhnlicher Erdenmensch, dem eine Prüfung auferlegt ist, und welcher des Heils noch verlustig gehen kann – dies war doch gewiß eine härtere, Prüfung als das Märtyrertum selbst. Er dünkte sich jenem Manne gleich, welcher inmitten einer stürmischen Nacht versucht, einen tobenden Fluß oder eine bewegte Meeresbucht zu durchschiffen, und nachdem er stundenlang gekämpft und sein Schiff hin und hergelenkt hat und beinahe gekentert wäre, sich wieder an derselben Landungsstelle sieht, von welcher er abgestoßen ist. Oder es war ihm wie dem heiligen Paulus, der wieder auf die Erde zurückgeschickt und den Faustschlägen des Satans preisgegeben wird, nachdem er schon die geheimnisvollen Worte vernommen hat, die nur ein Geist sprechen kann. Indessen murrte er nicht, kein Klagelaut kam über seine Lippen. Er betete im stillen den göttlichen Willen an und hoffte, daß es seine Absicht sei, ihm das Verdienst des zwiefachen Märtyrertums zu gönnen. Nach dieser zweiten Krone sehnte er sich so sehr, daß er jeden Vorschlag zur Flucht oder zur Geheimhaltung von sich wies.
»Jetzt habe ich,« entgegnete er großmütig, »das eine Vorrecht des Märtyrers erworben – ich darf mutig und kühn zu den Verfolgern sprechen. Und dessen will ich mich am ersten Tage, da ich mein Lager verlassen darf, bedienen. Pflegt mich daher gut, damit jener Tag um so früher kommt!«