Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Neunundzwanzigstes Kapitel

Die zweite Hälfte desselben Tages

Der Tag ist noch nicht angebrochen, und trotzdem sprachen wir schon von seinem zweiten Teil. Was soll das bedeuten? Freundlicher Leser, haben wir dich nicht zu seinem ersten Vespergesang geführt, welcher zwischen Sebastianus von gestern und Agnes von heute geteilt war? Haben die beiden ihn nicht zusammen gesungen, ohne Neid, ohne Eifersucht, mit unparteiischer Brüderlichkeit, der eine vom Himmel herab, zu dem er am Morgen emporgestiegen ist, die andere aus dem Kerker, in den sie am Abend hinunterstieg? O glorreiche, christliche Kirche! Wie groß bist du in deiner harmonischen Einigkeit, die sich vom Himmel herab bis zur Erde erstreckt, überall hin, wo die Gerechten im Kerker schmachten.

Fulvius verließ seine Gemächer und trat in die kalte, schneidende Nachtluft hinaus, um sein Blut zu kühlen und seine pochenden Schläfen zu beruhigen. Planlos irrte er umher, aber ohne daß er es merkte, lenkten seine Schritte sich mehr dem Kerker der Tullia zu. Da er buchstäblich ohne jegliches Empfinden war – was konnte ihn dann dorthin ziehen? Es war ein seltsam zusammengesetztes Gefühl, das aus den bittersten Ingredienzien bestand, welche jemals den Becher eines Giftmischers angefüllt haben. Es waren nagende Gewissensbisse; gekränkte Eitelkeit, stachelnder Geiz, demütigende Scham und ein furchtbares Gefühl der sich nahenden Vollendung seines Verbrechens. Freilich war er abgewiesen, verschmäht, beschämt von einem Wesen, das kaum mehr war als ein Kind, während er des Vermögens dieses Mädchens bedurfte, um sich vor Tod und Schande und Bettelarmut zu bewahren – wenigstens dachte er so – und doch wollte er lieber ihre Hand haben als ihr Haupt. Der Mord, welcher an ihr begangen werden sollte, schien ihm so empörend gräßlich – wenn er nicht durchaus unvermeidlich war. Er wollte ihr also noch eine letzte Gelegenheit bieten.

Jetzt stand er am Thor des Kerkers, zu dem er sich durch Kenntnis des Losungswortes Einlaß verschaffen konnte. Er nannte es, trat ein und wurde auf seinen Wunsch in die Zelle seines Opfers geführt. Agnes erbebte nicht, sie flüchtete nicht in einen Winkel, wie ein Vogel, in dessen Käfig ein Habicht Einlaß gefunden hat – ruhig und mutig stand sie vor ihm.

»Hier wenigstens schone mich, Fulvius,« sagte sie sanft; »ich habe nur noch wenige Stunden zu leben, laß mich sie in Ruhe und Frieden hinbringen.«

»Edle Agnes, ich bin gekommen, um sie zu Jahren zu machen, wenn es dir gefallen sollte. Und anstatt des Friedens biete ich dir Glück

»Sicherlich Fulvius, die Zeit für solch eitle, traurige Dinge – wenn ich dich recht verstehe – ist vorüber. So zu einem Mädchen zu sprechen, das du dem Tode geweiht hast, bleibt doch immerhin bitterer Hohn.«

»Es ist nicht so, edle Agnes; dein Schicksal liegt in deiner eigenen Hand; nur dein eigener Eigensinn wird dich dem Tode überliefern. Ich bin gekommen, noch einmal mein Anerbieten zu wiederholen, und mit ihm biete ich dir auch das Leben. Doch dies ist die letzte Aussicht, welche du auf Rettung hast.«

»Habe ich dir nicht schon früher gesagt, daß ich Christin bin, und daß ich lieber tausend Leben hingeben würde, als einmal meinen Glauben verleugnen?«

»Jetzt verlange ich nicht mehr von dir, dies zu thun. Noch stehen die Thore des Kerkers mir offen. Flieh mit mir! Und trotz der kaiserlichen Befehle sollst du Christin bleiben und dennoch leben.«

»Und habe ich dir nicht auch klar und deutlich gesagt, daß ich bereits mit meinem Herrn und Heiland Jesus Christus verlobt bin, und daß ich ihm die ewige Treue bewahre?«

»Wahnsinn und Thorheit! Beharre nur bis morgen dabei, und du wirst dafür vielleicht mit dem gelohnt, was du mehr fürchtest, als den Tod, und das diese Illusion für immer aus deinem Hirn treiben wird.«

»Ich fürchte nichts für Christus. Denn wisse, ich habe einen Engel, der mich stets bewacht, und der nicht zugeben wird, daß der Magd seines Herrn Leides geschieht.»Mecum enim habeo custodem corporis mei, Angelum Domini.« Das Brevier.

Fulvius hatte allmählich die Geduld verloren und konnte seinen Zorn nicht länger bemustern. Wiederum abgewiesen, verschmäht von einem Kinde, über dessen Haupte dieses Mal sogar das Schwert hing! Aus der sengenden Glut, welche ihn innerlich verzehrte, schlug eine nicht zu unterdrückende Flamme empor; und in einem einzigen Augenblick wurden die giftigen Ingredienzien, deren Mischung in seinem Herzen wir beschrieben haben, zu einem schwarzen Tropfen destilliert – Haß! Mit zornsprühenden Augen und wütender Gebärde schrie er:

»Elendes Weib! Ich gebe dir noch eine einzige Gelegenheit, dich vor der Vernichtung zu erretten! Wähle! entweder das Leben mit mir oder den Tod!«

»Lieber den Tod für sie erwählen als das Leben mit dir, du Ungeheuer!« ertönte eine Stimme von der Thür her.

»Den Tod soll sie haben,« antwortete er und ballte die Faust und warf einen teuflischen Blick auf die Sprecherin, »und du ebenfalls, wenn du es noch ein einziges Mal wagst, deinen verfluchten Schatten auf meinen Weg zu werfen.«

Zum letztenmal war Fabiola mit Agnes allein. Während einiger Minuten hatte sie ungesehen den Kampf beobachtet, den sie, wenn sie Christin gewesen wäre, betrachtet haben würde, als ginge er zwischen einem Engel des Lichts und einem Dämon der Finsternis vor sich. Und wahrlich, wenn ein menschliches Wesen ersterem jemals ähnlich sein konnte, so war es Agnes in diesem Augenblick. Als Vorbereitung für das herannahende Fest ihrer endgültigen Vermählung mit dem Lamme, wo sie den Bund ihrer ewigen Liebe, wie Er es gethan, mit Blut besiegeln sollte, hatte sie über ihre schwarzen Trauergewänder ein weißes, fleckenloses, bräutliches Gewand geworfen. Inmitten des düsteren Kerkers, der nur durch eine einzige kleine, qualmende Lampe erhellt war, sah sie strahlend, beinahe blendend aus, während ihr Versucher in seinen dunklen Mantel gehüllt, sich bückend um aus der niederen Thür des Kerkers zu fliehen, aussah wie ein schwarzer, besiegter Dämon, welcher in einen dunklen, höllischen Abgrund taucht.

Dann blickte Fabiola ihr ins Antlitz, und ihr war, als hätte sie es noch nie so süß, so friedlich gesehen. Keine Spur von Zorn oder Furcht oder Bewegung war darin zu entdecken; keine Blässe, keine Nöte, nicht die Veränderung hektischer Erregung oder bleicher Niedergeschlagenheit. Aus ihren Augen strahlte mehr als der gewöhnliche, milde Geist, ihr Lächeln war so sanft und fröhlich wie sonst, wenn sie miteinander sprachen. Sie war von einer Würde, einer Größe des Wesens und des Ansehens angehaucht, welche Fabiola mit jener Miene und Erhabenheit, und jener ambrosischen, köstlichen Atmosphäre verglichen haben würde, an welcher man nach der poetischen Mythologie ein Wesen höherer Art auf Erden erkannte.»Incessu patuit Dea.« Es war nicht Begeisterung, denn es war leidenschaftslos; aber es war ein Ausdruck, eine Gebärde, welche nur die reinste Tugend, der geläutertste Geist einer Gestalt zu geben vermögen. Daher erhoben sich ihre Gefühle für Agnes zu einer höheren Stufe; sie kamen religiöser Ehrfurcht näher.

Agnes faßte mit beiden Händen die Hände Fabiolas, kreuzte sie auf ihrer eigenen ruhigen Brust und sagte, indem sie ihr mit ruhigem, friedlichem Ernst ins Antlitz sah:

»Fabiola, sterbend habe ich noch eine Bitte an dich. Du hast mir niemals auch nur eine einzige abgeschlagen, daher bin ich gewiß, daß du auch diese erfüllen wirst.«

»Sprich nicht so zu mir, Agnes, du hast nicht mehr zu bitten, du hast mir nur noch zu befehlen.«

»So versprich mir denn, daß du sofort beginnen wirst, die Lehren des Christentums zu erlernen. Ich weiß, daß du sie dir zu eigen machen wirst, und dann wirst du nicht länger für mich sein, was du jetzt bist.«

»Und was bin ich?«

»Dunkel, dunkel, teure Fabiola. Wenn ich dich erblicke, sehe ich einen edlen Geist in dir, einen großmütigen Charakter, ein liebevolles Herz, einen scharfen Verstand, ein zartes, moralisches Gefühl und ein tugendhaftes Leben. Was kann man mehr von einer Frau wünschen? Und doch liegt für meine Augen über all diesen herrlichen Gaben eine Wolke, ein düsterer Schatten – der Schatten des Todes. Verjage ihn – und alles wird hell und klar sein!«

»Ich fühle es, teure Agnes, ich fühle es. Wenn ich so vor dir stehe, sehe ich aus wie ein schwarzer Fleck im Vergleich zu deiner strahlenden Klarheit. Und wenn ich mich zum Christentum bekehre – kann ich dann werden, was du bist?«

»Du mußt durch den Strom gehen, Fabiola, der uns voneinander trennt« (Fabiola schrak zusammen, denn sie erinnerte sich ihres Traumes), »kühlende, erfrischende Wässer werden über deinen Körper fließen, und das Öl der Glückseligkeit wird dein Fleisch salben; deine Seele wird rein gewaschen werden wie frischgefallener Schnee, und dein Herz wird weich werden wie das eines Kindes. Aus dem Bade wirst du hervorgehen wie ein neues Wesen, das zu einem neuen und unsterblichen Leben geboren ist.«

»Und werde ich dann alles verlieren, was du soeben noch an mir gerühmt hast?« fragte Fabiola niedergeschlagen.

»Wie der Gärtner eine abgehärtete, kräftige aber nutzlose Pflanze wählt, und auf sie den kleinen Schößling einer anderen pfropft, die gut und süß ist, und deren Blüten und Früchte dennoch der ersteren angehören, ohne sie der Anmut und Schönheit zu berauben, welche sie vorher besaß – so wird das neue Leben, welches du empfangen wirst, dich veredeln, erheben und heiligen (dies Wort wirst du kaum verstehen können) dich, und die kostbaren Gaben der Natur und der Erziehung, welche du bereits besitzest. Welch ein herrliches Geschöpf würde das Christentum aus dir machen, Fabiola!« sagte die Märtyrerin.

»Du führst mich in eine neue Welt, Agnes! O, daß du mich doch nicht schon an ihrer Schwelle verlassen müßtest!«

»Horch! horch!« rief Agnes voll begeisterter Freude, »sie kommen, sie kommen! Du hörst den abgemessenen Schritt der Soldaten in der Galerie. Sie sind die Brautführer, welche kommen um mich abzuholen. Aber ich sehe auf den hellen Wolken des Morgens die weißgekleideten Brautjungfern, welche mir winken, hinauf zu kommen. Ja, meine Lampe ist gerichtet, und ich gehe fort, meinem Bräutigam entgegen. Lebe wohl, Fabiola, weine nicht um mich. O, wenn ich dich doch das Glück empfinden lassen könnte, für Christus sterben zu dürfen, wie ich es thue! Und jetzt werde ich dir ein Wort sagen, welches ich dir gegenüber noch niemals ausgesprochen habe – Gott segne dich!«

Und sie machte das Kreuzzeichen auf Fabiolas Stirn. Eine Umarmung, stürmisch und konvulsivisch auf Fabiolas, zärtlich und ruhig auf Agnes' Seite, war ihr letzter Gruß auf dieser Erde.

Die eine eilte nach Hause von einem neuen und hochherzigen Vorsatz beseelt. Die andere folgte der tiefbeschämten Wache.

Über den ersten Teil der Qualen der Märtyrerin werfen wir den Schleier des Schweigens, obgleich die alten Kirchenväter und die Kirche selbst bei denselben verweilen, weil sie ihre Krone verdoppeln.»Duplex corona est praestita martyri. Prudentius Es genüge zu sagen, daß ihr Schutzengel sie vor Schande bewahrte,»Ingressa Agnes turpitudinis locum, Angelum Domini praeparatum invenit.« Officium der heiligen Agnes. und daß die Reinheit ihrer Person eine Höhle des Lasters in ein heiliges und liebliches Sanktuarium verwandelte.Die Kirche der heiligen Agnes auf der Piazza Navona ist eine der schönsten in Rom.

»Cui posse soli Cunctipotens dedit
Castum vel ipsum reddere fornicem.
Nil non pudicum est, visere
Dignaris, almo vel pede tangere.«
         Prudentius

Es war noch früh am Morgen, als sie wiederum vor dem Tribunal des Präfekten auf dem Forum Romanum stand; unverändert, unverletzt, ohne Erröten auf dem lächelnden Antlitz, ohne Schmerz oder Kummer in ihrem unschuldigen Herzen. Nur ihr langes, unbeschnittenes Haar, das Symbol der Jungfräulichkeit, welches aufgelöst war, floß in goldenen Wellen über ihr schneeweißes Kleid herab.»Non intorto crine caput comptum« – »ihr Haupt war nicht umgeben von gekräuselten Haaren.« – Der heilige Ambrosius (de Virg. lib. 1, c. 2.) Siehe Prudentius, Beschreibung der heiligen Eulalia.

Es war ein lieblicher Morgen. Gar viele werden sich noch erinnern, welch ein herrlicher Tag es oft am Jahresfeste gewesen, wenn sie aus der Porta Nomentana, jetzt der Porta Pia, hinauspilgerten, der Kirche zu, welche den Namen unserer jungfräulichen Märtyrerin trägt, um auf ihrem Altar die beiden weißen Lämmer geweiht zu sehen, aus deren Wolle die Pallien gewebt werden, welche der Papst den Erzbischöfen seiner Gemeinde sendet. Schon sind die Mandelbäume weiß, aber nicht von Frost, sondern von Blüten; die Erde zwischen den Weinstöcken wird gelockert, und der Frühling scheint in den schwellenden Knospen zu schlummern, welche nur auf das Signal des Südwinds warten, um zu springen und zu wachsen.»Solvitur acria hyems gratu vice veris et Favoni.« Horaz. Die Atmosphäre, welche in den wolkenlosen Himmel emporsteigt, hat grade die Temperatur, welche man liebt, denn die Sonne, die wohl schon Kraft, aber noch keine Hitze hat, sänftigt den gelinden Frost der Luft. Einen solchen Tag der heiligen Agnes haben wir häufig erlebt, zusammen mit tausenden von Glücklichen und Fröhlichen, welche an ihren Altar eilten.

Der Richter saß auf dem offenen Forum, und eine ansehnliche Menschenmenge bildete einen Kreis um den verhängnisvollen Raum, welchen nur wenige mit Ausnahme der Christen gern und freiwillig betraten. Unter den Zuschauern befanden sich zwei, deren Aussehen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog; sie standen einander an beiden Enden des Halbkreises, welchen der Volkshaufe bildete, gegenüber. Der eine war ein in seine Toga gehüllter Jüngling; ein Hut mit breiter, herabhängender Krempe verbarg sein Gesicht, so daß man seine Züge nicht unterscheiden konnte. Die andere Gestalt war eine Dame von aristokratischem Aussehen; schlank und hoch aufgerichtet stand sie da, alles in allem eine Erscheinung wie man sie bei solchen Gelegenheiten kaum gewöhnt war zu sehen. Sie sah aus wie jene herrliche antike Statue, welche die Künstler mit dem Namen Pudicitia benennen, als sie so dastand von Kopf bis zu Fuß in ein Tuch oder einen Mantel von indischer Arbeit gehüllt, dessen reiches Muster in feuerrot, blau und gold ihn zu einem wahrhaft kaiserlichen Kleidungsstück machte, welches an diesen Ort des Verderbens und des Bluts noch weniger paßte als die Gegenwart einer Frau selbst. Eine Sklavin oder Dienerin, sorgsam verschleiert wie ihre Herrin, begleitete sie. Die Dame stand unbeweglich, den Ellbogen auf eine Marmorsäule gestützt, da, und ihr Geist und ihre Seele schienen, für alles andere unempfänglich, nur mit einem einzigen Gegenstande beschäftigt.

Agnes wurde von ihrer Wache in den offenen Raum geführt und stand mutig und unerschrocken dem Richterstuhl gegenüber da. Ihre Gedanken schienen in weite Fernen zu schweifen; sie beachtete auch nicht einmal jene beiden, welche bis zu ihrem Erscheinen der Gegenstand allgemeiner Beachtung gewesen.

»Weshalb trägt sie keine Fesseln?« fragte der Richter in zornigem Ton.

»Sie bedarf ihrer nicht: sie folgt so willig,« antwortete Catulus, »und sie ist noch so jung.«

»Aber sie ist eigensinniger als die ältesten. Legt ihr augenblicklich Handschellen an.«

Der Folterknecht suchte hin und her zwischen solchem Kerkerschmuck – für christliche Augen war er dies wirklich – und endlich wählte er das kleinste und leichteste Paar aus, welches er finden konnte und legte es um ihre Gelenke. Wie spielend schüttelte Agnes lächelnd die Hände, und rasselnd fielen sie gleich der Natter des heiligen Paulus vor ihre Füße.

Der heilige Ambrosius, ubi supra.
»Aeterne Rector, divide januas,
Coeli, obserratas terrigenis prius,
Ac te sequentem, Christe, animum voca,
Cum virginalem, tum Patris hostiam.«
                 Prudentius

»Es sind die kleinsten, welche wir haben, Herr,« sagte der besänftigte Henker, »ein so junges Geschöpf sollte andere Armspangen tragen.«

»Schweig, Bursche!« schrie der aufgebrachte Richter. Dann wandte er sich zu der Gefangenen und fügte in weicherem Tone hinzu:

»Agnes, es schmerzt mich um deine Jugend, es thut mir leid um deine Lage, deine schlechte Erziehung. Ich möchte dich retten, wenn es möglich wäre. Bedenk dich, so lange es noch Zeit ist. Entsage den falschen und trügerischen Lehren des Christentums, gehorche dem kaiserlichen Edikt und opfere den Göttern.«

»Es nützt dir nichts, mich noch länger zu versuchen,« entgegnete sie. »Mein Entschluß ist unerschütterlich. Ich verachte deine falschen Götter und kann nur den einen lebendigen Gott lieben und ihm dienen. Ewiger Herrscher, öffne weit deine himmlischen Thore, welche den Menschen noch bis vor kurzem verschlossen waren. Christus, rufe die Seele zu dir, welche an dir hängt, und die sich dir bereits durch das Gelübde der Jungfräulichkeit hingegeben hat und jetzt deinem Vater durch das Opfer des Märtyrertums angehört.«

»Ich vergeude die Zeit, wie ich sehe,« sagte der ungeduldige Präfekt, welcher Symptome des Mitleids und der Sympathie in der Volksmenge gewahrte. »Sekretär, schreib das Urteil. Wir verurteilen Agnes, mit dem Schwert bestraft zu werden, weil sie die kaiserlichen Edikte mißachtet hat.«

»An welcher Straße und an welchem Meilenstein soll das Urteil vollzogen werden?« fragte der Henker.Es war Brauch, die Enthauptung außerhalb der Stadt an dem zweiten, dritten oder vierten Meilenstein vorzunehmen; aber aus Prudentius und anderen Schriftstellern geht hervor, daß die heilige Agnes am Orte des Gerichts den Tod erlitt; dafür sprechen auch noch andere Beweise.

»Es soll auf der Stelle und hier vollzogen werden,« lautete die Antwort.

Einen Augenblick lang hob Agnes Augen und Hände zum Himmel empor, dann kniete sie ruhig und gefaßt hin. Mit ihren eigenen Händen zog sie ihr seidenweiches Haar über den Kopf zusammen und bot ihren schneeweißen Nacken dem Streiche dar.

Es folgte eine Pause, denn der Henker zitterte vor Bewegung und Mitleid und vermochte das Schwert nicht zu schwingen.

Wie das Kind dort allein niederkniete in ihrem weißen Gewande, das Haupt gesenkt, die Arme züchtig auf der Brust gekreuzt, die goldenen Locken bis ans den Boden herabhängend und ihr holdes Antlitz fast verschleiernd, hätte man sie sehr wohl mit einer herrlichen, seltenen Pflanze vergleichen können, deren schlanker, lilienweißer Stil durch die Üppigkeit der goldenen Blüte niedergezogen wird.

Der Richter tadelte den Henker in den heftigsten Ausdrücken um seines Zögerns willen und gebot ihm, sofort seine Pflicht zu thun. Der Mann fuhr mit seiner rauhen, linken Hand über die Augen und erhob das Schwert mit der rechten. Man sah es durch die Luft blitzen und in der nächsten Minute lagen Blume und Stengel am Boden. Man hätte es fast für ein Niederknieen zum Gebet halten können, wenn das weiße Gewand nicht in einem Augenblick schon hochrot gefärbt gewesen wäre – getränkt im Blute des Lammes.

Der Mann zur Rechten des Richters hatte mit unverwandtem Blicke die Enthauptung verfolgt, und ein boshafter Triumph flammte in seinen Augen auf, als er auf die hingestreckte Gestalt sah.

Die ihm gegenüberstehende Dame hatte das Haupt abgewandt, bis das Gemurmel der Menge, welche bis jetzt atemlos und lautlos den Vorgängen gefolgt war, ihr verkündete, daß alles vorüber sei. Jetzt trat sie kühn hervor, löste den herrlichen Brokatmantel von ihrer Gestalt und breitete ihn wie ein Leichentuch über den verstümmelten Körper. Ein rauschend stürmischer Beifall folgte auf diese liebreiche That weiblichen Mitgefühls,Prudentius berichtet, daß ein plötzlicher Schneefall den Körper der heiligen Eulalia, welche als Leiche auf dem Forum lag, einhüllte. und jetzt stand die Dame in den Gewändern tiefster Trauer vor dem Richterstuhl.

»Herr,« sagte sie in deutlichen, klaren Lauten, welche aber dennoch die tiefste Erregung verrieten, »gewähre mir eine Bitte. Laß nicht die rauhen, kalten Hände deiner Diener noch einmal die geheiligten Überreste jener berühren und entweihen, die ich mehr geliebt habe als irgend etwas anderes auf dieser Welt. Laß mich sie von hier nach der Grabstätte ihrer Väter tragen, denn sie war eben so edlen Blutes wie sie großen Herzens war.«

Augenscheinlich war Tertullus tief ergrimmt, als er entgegnete:

»Wer du auch sein magst, Weib, deine Bitte kann nicht gewährt werden. Catulus, sorge dafür, daß die Leiche wie gewöhnlich in den Fluß geworfen oder verbrannt wird.«

»Ich flehe dich an, Herr,« bat die Dame in ernstem Ton, »bei jedem Anspruch, den weibliche Tugend an dich machen darf, bei jeder Thräne, die eine Mutter über dich vergossen hat, bei jedem zärtlichen Worte, das eine Schwester jemals in Kummer oder in Krankheit zu dir gesprochen; bei jedem Dienst, den ihre zarten, liebreichen Hände dir geleistet, flehe ich dich an, meine demütige Bitte zu gewähren. Und wenn bei deiner Heimkehr heute Abend Töchter dir an der Schwelle deines Hauses entgegen treten, die deine Hände küssen, welche mit dem Blute eines Wesens befleckt sind, dem ähnlich zu sein, der Stolz eines jeden Mädchens sein dürfte, so sei wenigstens im stande, ihnen zu sagen, daß du es mir nicht verweigert, ihr jenen letzten Tribut zu leisten, welcher ihrer mädchenhaften Tugend gebührte.«

Die lauschende Menge gab ihre Sympathie so unverhohlen kund, daß Tertullus, eifrig bemüht diese zu unterdrücken, sie in scharfem Tone fragte:

»Sag, bist auch du eine Christin?«

Sie zögerte einen kurzen Augenblick, dann erwiderte sie:

»Nein, Herr, ich bin es nicht, aber ich gestehe, daß, wenn irgend etwas im stande wäre, mich dazu zu machen, es das wäre, was ich heute gesehen habe.«

»Was willst du damit sagen?«

»Nun, daß um die Religion des Kaiserreichs zu erhalten, solche Wesen wie sie eines war, (hier übermannten die Thränen sie für einen Augenblick) erschlagen werden müssen, während Ungeheuer, welche den menschlichen Namen und die menschliche Gestalt entehren, leben und gedeihen! O Herr, du weißt nicht, was du an diesem Tage von der Erde gelöscht hast! Sie war das reinste, süßeste, heiligste Geschöpf, welches ich je auf derselben wandeln sah – die Blume der Weiblichkeit, wenn auch beinahe noch ein Kind. Und sie hätte noch gelebt, wenn sie nicht die dargebotene Hand eines gemeinen Abenteurers verschmäht hätte, der sie mit seinen schändlichen Anträgen bis in die Einsamkeit und Abgeschiedenheit ihrer Villa, in das Heiligtum ihres Hauses, und sogar noch bis in ihren letzten Zufluchtsort, den Kerker verfolgte! Und nun mußte sie sterben, weil sie jenen asiatischen Spion nicht mit ihrem Reichtum beglücken, mit ihrer Hand adeln wollte!«

Mit stiller Verachtung deutete sie auf Fulvius, der zurückprallte und wütend schrie:

»Sie lügt, Herr! Das sind schändliche, verleumderische Erfindungen. Agnes hat offen bekannt, daß sie Christin sei.«

»Laß mir Zeit, Herr, während ich ihn überführe,« entgegnete die Dame mit edler Würde. »Blick in sein Gesicht, und du wirst dort finden, was vollauf Beweis für meine Worte ist. Fulvius, hast du nicht zeitig heute Morgen jenes liebliche Kind in seiner Zelle aufgesucht und ihm unumwunden gesagt, (von dir ungesehen belauschte ich euch) daß du ihr nicht allein das Leben retten, sondern allen kaiserlichen Edikten zum Trotz noch dafür sorgen würdest, daß sie im geheimen Christin bleibe, wenn sie nur deine Hand annehmen wolle?«

Fulvius stand da, bleich wie der Tod; er stand, wie ein Mensch es noch während einer Sekunde thut, der mitten durchs Herz geschossen oder vom Blitz getroffen worden ist. Er sah aus wie ein Mann, dessen Urteil gesprochen werden soll – nicht das Todesurteil, sondern jener Richterspruch, der ihn zum ewigen Schandpfahl verdammt.

Der Richter wandte sich zu ihm und sprach:

»Fulvius, dein Aussehen bestätigt diese furchtbare Anklage. Ich könnte dich deshalb sofort deines Hauptes verlustig erklären. Aber nimm meinen Rat, flieh für immer von hier. Flieh und verbirg dich vor dem Zorn aller gerechten Menschen und vor der Rache der Götter. Zeige dein Antlitz niemals wieder; nicht auf dem Forum, nicht an irgend einem anderen öffentlichen Platze in Rom. Wenn diese edle Dame will, so werde ich jetzt ihre Anklage gegen dich aufzeichnen. Willst du mir deinen Namen nennen?« fragte er in achtungsvollem Ton die Trauernde.

»Fabiola,« antwortete sie.

Jetzt war der Richter nur noch Liebenswürdigkeit, denn wie er hoffte, stand seine künftige Schwiegertochter vor ihm. »Ich habe oft von dir gehört,« sagte er, »von dir und deinen herrlichen Eigenschaften und Talenten und deiner großen, erhabenen Tugend. Du bist überdies diesem Opfer schändlichen Verrats nahe verwandt und hast ein Recht, die Herausgabe ihrer Leiche zu fordern. Du darfst über sie verfügen.«

Diese Rede wurde im Anfang von einem lauten Zischen und durchdringenden, Geschrei unterbrochen, welches Fulvius' Abgang begleitete. Er war bleich vor Scham, Schrecken und Wut.

Fabiola dankte dem Präfekten voll Anmut und machte Syra, welche sie begleitete, ein Zeichen. Diese gab ein zweites Zeichen, und augenblicklich erschienen vier Sklaven, welche die Sänfte einer Dame trugen. Fabiola erlaubte niemandem, die sterblichen Überreste der Märtyrerin vom Boden zu heben, sondern that es selbst in Gemeinschaft mit Syra. Sie legten sie in die Sänfte und bedeckten sie mit dem kostbaren Leichentuche.

»Tragt diesen Schatz nach ihrem eigenen Hause,« sagte sie und schritt als Leidtragende mit ihrer Dienerin hinterher. Ein kleines Mädchen, in Thränen aufgelöst, bat demütig, ob sie mit ihnen gehen dürfe.

»Wer bist du?« fragte Fabiola.

»Ich bin die arme Emerentiana, ihre Pflegeschwester,« erwiderte das Kind; und freundlich faßte Fabiola ihre Hand.

In demselben Augenblick, wo die Leiche fortgetragen wurde, stürzte eine große Anzahl von Christen, Männer, Weiber und Kinder mit Schwämmen und Linnentüchern vor, um einige Tropfen des kostbaren Blutes aufzufangen. Umsonst warfen die Wachen sich auf sie und machten Gebrauch von Peitschen, Geißeln, Knütteln und sogar noch schärferen Waffen, so daß sich das Blut von manchem mit dem der Märtyrerin vermischte. Wenn ein Herrscher bei seiner Krönung oder seinem ersten Einzuge in die Hauptstadt, einer alten Sitte gemäß, Händevoll goldener und silberner Münzen in die Menge wirft, so kann er keinen erbitterteren Wettkampf um seine ausgestreuten Schätze hervorrufen als jenen, welcher hier zwischen den ersten Christen entbrannt war um das, was sie höher schätzten als Gold und Edelsteine – die rubinroten Tropfen, welche aus dem Herzen einer Märtyrerin für den Herrn geflossen waren! Aber alle ehrten und achteten den Anspruch, welchen einer zu machen berechtigt war, und hier war es der Diakon Reparatus, welcher mit Gefahr seines Lebens gegenwärtig war, um mit einem Fläschchen in der Hand das Blut der heiligen Agnes aufzufangen, daß es wie ein treues Siegel zum ewigen Angedenken an ihr Märtyrertum über ihrem Grabe aufgehängt werde.


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