Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Zehntes Kapitel

Die Ordination im Dezember

Wer die Geschichte der ältesten Päpste gelesen hat, wird mit der Thatsache bekannt sein, welche fast von jedem einzelnen verzeichnet ist, daß er im Monat Dezember verschiedene Ordinationen abhielt, in welcher er eine gewisse Anzahl von Priestern und Diakonen, und viele Bischöfe für verschiedene Orte einsetzte. Die ersten beiden Würden waren bestimmt, den geistlichen Dienst in der Stadt zu versehen; letztere sollten die Oberhirten für andere Diöcesen stellen. In späteren Zeiten war der Quatember im Dezembermonat, welcher sich nach dem Feste der heiligen Lucia richtete, der Zeitpunkt, an welchem der Papst seine Konsistorien hielt, seine Kardinalpriester und Diakone ernannte und die Bischöfe für alle Teile der Welt präconisierte. Und wenn diese Funktion jetzt auch nicht mehr mit dem Zeitpunkt der Ordination zusammenfällt, so wird sie doch noch stets zu demselben Zwecke abgehalten.

Marcellinus, unter dessen Pontifikat unsere Erzählung spielt, soll nach zuverlässigen Aussagen in verschiedenen Jahren zwei Ordinationen in diesem Monat abgehalten haben. Eine von diesen ist es, von welcher wir als nahebevorstehend gesprochen haben.

Wo diese Feierlichkeit stattfinden solle, war Fulvius' erste Frage. Und wir können nicht umhin zu vermuten, daß die Antwort für den christlichen Altertumsforscher von großem Interesse sein wird. Ebenso kann unsere Kenntnis der alten römischen Kirche nicht vollständig sein, wenn wir nicht jenen Ort kennen, wo ein Papst nach dem andern Predigte und die göttlichen Geheimnisse feierte, und seine Konzilien oder jene glorreichen Ordinationen abhielt, welche nicht nur Bischöfe, sondern auch Märtyrer hinaussandten, daß sie Kirchen leiteten, und einem heiligen Laurentius seine Diakonenwürde oder einem heiligen Novatus oder Timotheus ihre priesterlichen Würden gaben. Dort auch suchten ein Polycarp und ein Irenaeus den Nachfolger des heiligen Petrus auf, und von dort kamen die Apostel, welche den englischen König Lucius bekehrten.

Das Haus, welches die römischen Päpste bewohnten und die Kirche, in welcher sie fungierten, bis Konstantinus ihnen die Basilika und den Palast des Lateran überwies, die Residenz und die Kathedrale der glorreichen Reihe der Märtyrerpäpste in den ersten drei Jahrhunderten, kann unmöglich ein unwürdiger Ort sein. Und damit wir bei seiner Ausforschung uns nicht durch nationale oder persönliche Vorurteile leiten lassen, wollen wir einem gelehrten noch lebenden Altertumsforscher folgen, welcher mit anderen Nachsuchungen beschäftigt, zufällig alle jene Daten zusammengestellt hat, deren wir zu unserem Zwecke bedürfen.» Sopra l'antichissimo altare di legno, rinchiuso nell' altare papale« u.s.w. »Über den ältesten hölzernen Altar, eingeschlossen in den päpstlichen Altar der allerheiligsten Lateranensischen Basilika.« Monsig. D. Bartolini, Rom 1852.

Wir haben das Haus von Agnes' Eltern als an dem Vicus Patricius belegen geschildert. Diese Straße hatte noch einen anderen Namen, denn man nannte sie auch die Straße der Cornelii, Vicus Corneliorum, weil die berühmte Familie dieses Namens an ihr wohnte. Der Centurio, welchen der heilige Petrus bekehrte,Apostelgeschichte, Kap. 10. gehörte zu dieser Familie, und vielleicht verdankte der Apostel ihm die Einführung in das Haus des Oberhauptes der Familie in Rom, Cornelius Pudens. Dieser Senator heiratete Claudia, eine edle Brittin, und es ist seltsam, wie der unkeusche Dichter Martial mit den reinsten und zartesten Dichtern wetteifert, indem er den Hochzeitsgesang dieser beiden tugendhaften Gatten singt.

In ihrem Hause hielt der heilige Petrus sich auf; und sein Mitapostel der heilige Paulus zählte sie zu seinen vertrautesten Freunden: »Cubulus und Pudens und Linus und Claudia und alle Brüder grüßen dich.«2. Timoth., Kap. 4, V. 21. Von diesem Hause also gingen die Bischöfe hinaus, welche der Fürst der Apostel in alle Richtungen der Welt sandte, um für den christlichen Glauben zu wirken und zu sterben. Nach dem Tode des Pudens wurde das Haus das Eigentum seiner Kinder oder seiner Enkel;Ein zweiter und jüngerer Pudens ist ebenfalls bekannt geworden. zweier Söhne und zweier Töchter. Letztere sind bekannter, weil sie einen Platz im Heiligenverzeichnis der Kirche gefunden haben, und weil sie ihren Namen zweien der berühmtesten Kirchen in Rom gegeben haben, die der heiligen Praxedes und die der heiligen Pudentiana. Es ist die letztere, welche Alban Buttler die älteste Kirche der Welt nennt,In seinem Leben der Heiligen, 19. Mai. und die zugleich den Vicus Patricius und das Haus des Pudens bezeichnet.

Wie in jeder anderen Stadt, so wurde auch in Rom das eucharistische Opfer ursprünglich nur an einem Orte vom Bischöfe dargebracht. Und selbst noch nachdem mehrere Kirchen errichtet waren, und die Gläubigen in denselben zusammen kamen, ward die Kommunion ihnen nur an einem Altar erteilt. Es war Papst Evaristus, der vierte Nachfolger des heiligen Petrus, welcher die Kirchen Roms unter besonders merkwürdigen Umständen vermehrte.

Dieser Papst that zwei Dinge. Erstens verfügte er, daß von jetzt an nur noch steinerne Altäre errichtet, und daß diese konsekriert werden sollten; und zweitens verteilte er die »Titel«; das heißt, er teilte Rom in Pfarreien, deren Pfarrkirchen er den Namen »Titel« beilegte. Der Zusammenhang dieser beiden Handlungen wird jedem ersichtlich sein, welcher die Genesis, Kap. 28 liest. In demselben hören wir, daß Jakob, nachdem er die Himmelsleiter im Traume gesehen, »während er auf einem Stein des Orts zu seinen Häupten« geschlafen hatte, »sich fürchtete und sprach: Wie furchtbar ist dieser Ort! Hier ist nichts anders, als das Haus Gottes und die Pforte des Himmels. Und Jakob erhob sich am Morgen, nahm den Stein ... und richtete ihn auf als Mal, und goß Öl oben darauf.

Die Kirche oder das Oratorium, wo die heiligen Geheimnisse gefeiert wurden, war für die Christen wirklich das Haus Gottes; und der steinerne Altar, welcher in demselben aufgerichtet war, wurde durch das Aufgießen von Öl konsekriert, wie es noch heutigentages geschieht (denn das Gesetz des Evaristus besteht in seiner vollen Kraft), und wurde so ein Titulus oder Monument.

Zwei bemerkenswerte Thatsachen sind aus diesem Bericht ersichtlich. Die eine ist daß es zu jener Zeit nur eine Kirche mit einem Altar in Rom gab, und ohne Zweifel diese später und noch heute unter dem Namen Sankt Pudentiana bekannt ist. Die zweite ist, daß der einzige Altar, welcher damals existierte, nicht aus Stein war. Es war in der That der hölzerne Altar, welchem der heilige Petrus gebraucht hatte; er wurde in jener Kirche aufbewahrt, bis der heilige Papst Sylvester ihn nach der Basilika des Lateran bringen ließ, in welcher er jetzt noch der Hochaltar ist.Nur der Papst kann an demselben Messe lesen, oder ein Kardinal, welcher durch eine besondere Bulle dazu autorisiert ist. Der Hochaltar ist vor kurzem prächtig ausgeschmückt worden. Ein Stück des hölzernen Altars ist stets in St. Peters Altar in der Kirche St. Pudentia aufbewahrt worden. Kürzlich hat man es mit dem Holze des Altars im Lateran verglichen und gefunden, daß beide identisch sind. Wir schließen ferner, daß das Gesetz des Evaristus keine rückwirkende Kraft hatte, und daß der hölzerne Altar der Päpste in jener Kirche, wo er zuerst aufgerichtet worden, bewahrt, wenn er auch von Zeit zu Zeit umhergetragen und an anderen Orten benützt wurde.

Die Kirche am Vicus Patricius, welche vor der Errichtung der »Titel« bestand, war selbst also kein Titel. Sie fuhr fort, die bischöfliche oder eigentlich die päpstliche Kirche von Rom zu sein. Das Pontifikat des heiligen Pius I., von 142 –157, bildet aus zwei Gründen eine wichtige Episode in ihrer Geschichte.

Erstens fügte der Papst ohne den Charakter der Kirche selbst zu verändern, derselben ein Oratorium bei, welches er zu einem Titel machte;Auf dieser Stelle steht jetzt die Caetanische Kapelle. und nachdem er denselben seinem Bruder Pastor verliehen, wurde er Titulus Pastoris benannt, lange Zeit hindurch noch die Bezeichnung des Kardinalats, welches zu jener Kirche gehörte. Dies zeigt, daß die Kirche selbst mehr als ein Titel war.

Zweitens kam während dieses Pontifikats, und zwar zum andernmal, der heilige und gelehrte Apologet Justinus nach Rom und erlitt den Märtyrertod. Wenn man seine Schriften mit seiner Lebens- und Leidensgeschichte vergleicht, kommt man zu einigen bemerkenswerten Schlußfolgerungen in Bezug auf den christlichen Gottesdienst während der Zeit der Verfolgungen.

»An welchem Orte kommen die Christen zusammen?« fragt ihn der Richter.

»Meint Ihr, daß wir alle an einem Orte zusammenkommen?« entgegnet er. »Dem ist nicht so.«

Als er aber gefragt wurde, wo er sich aufhalte, und wo die Zusammenkünfte mit seinen Schülern stattfänden, antwortete er:

»Ich habe bis jetzt in der Nähe des Hauses eines gewissen Martinus gewohnt, in dem Bade, welches man unter dem Namen des Timothinischen kennt. Ich bin zum andernmale nach Rom gekommen und kenne keinen andern Ort als den, welchen ich Euch genannt habe.«

Die Timothinischen Bäder bildeten einen Teil des Hauses der Familie des Pudens; es sind jene, von welchen wir sagten, daß Fulvius und Corvinus an einem frühen Morgen dort zusammengekommen. Novatus und Timotheus waren die Brüder der heiligen Jungfrauen Praxedes und Pudentiana, und daher wurden die Bäder, weil sie aus der Hand des einen Bruders in die des anderen übergingen, die Bäder des Novatus oder des Timotheus genannt.

Daher wohnte der heilige Justinus an diesem Orte, und da er keinen anderen kannte, wohnte er auch dem Gottesdienste daselbst bei. Die Gesetze der Gastfreundschaft lassen uns dies schon voraussetzen. In seiner Apologie, welche die christliche Liturgie beschreibt – natürlich so wie er sie hörte und auffaßte – spricht er von dem fungierenden Priester in Ausdrücken, welche den Bischof oder Oberhirten der Stadt hinlänglich beschreiben; nicht nur indem er ihm einen Titel giebt, welcher den Bischöfen des Altertums beigelegt wurde, sondern indem er ihn als diejenige Persönlichkeit beschreibt, welcher die Fürsorge für die Witwen und Waisen obliegt, welche den Kranken, den Armen, den Gefangenen, den Fremden, die als Gäste kommen, hilft, kurzum, als jenen, »welcher es unternimmt, für alle die zu sorgen, welche in Not und Kummer sind«. Dies konnte kein anderer sein als der Bischof oder der Papst selbst.

Wir müssen ferner bemerken, daß es vom heiligen Papst Pius verzeichnet ist, er habe ein Taufbecken in dieser Kirche errichtet, ein weiteres Vorrecht der Kathedrale, welches mit dem päpstlichen Altar später nach dem Lateran übertragen wurde. Es wird berichtet, daß der heilige Papst Stephanus (a. D. 257) den Tribun Nemesius und seine Familie mit vielen anderen in dem titulus Pastoris taufte.Der gelehrte Bianchini vermutet sehr glaublich, daß die »Station« am Ostersonntag nicht im Lateran (der Kathedrale), noch in St. Peter sei, wo der Papst fungiert, und wo man sie begreiflicherweise vermuten würde, sondern in der Basilika Liberia, weil an diesem Tage in Sankt Pudentiana getauft wurde, welche Kirche von jener nur um einen Steinwurf entfernt liegt. Und hier war es auch, wo der heilige Diakon Laurentius die reichen Geräte der Kirche unter die Armen verteilte.

Mit der Zeit ist dieser Name einem anderen gewichen. Aber die Stelle ist noch dieselbe, und es unterliegt gar keinem Zweifel, daß die Kirche Sankt Pudentiana während der ersten drei Jahrhunderte die einfache Kathedrale von Rom war.

An diesen Ort willigte Torquatus widerstrebend ein, den Fulvius zu führen, damit er der Dezember-Ordination beiwohnen könne.

Wir finden sowohl auf Grabschriften, wie in den Märtyrologien oder in Kirchengeschichten unzählige Spuren von allen Weihen, welche die katholische Kirche noch heute erteilt. Grabschriften erinnern uns vielleicht am häufigsten an jene des Lektors oder Vorlesers, und an die des Exorcisten. Wir wollen von beiden ein interessantes Beispiel geben.

Von einem Lektor:

CINNAMIVS OPAS LECTOR TITVLI FASCIOLE AMICVS
PAVPERUM QVI VIXIT ANN. XLVI. MENS. VII. D. VIII.
DEPOSIT IN PACE X. KAL. MART.

»Cinnamius Opas Lektor, vom Titel der Fasciola« (jetzt der heiligen Nereus und Achilleus), »der Freund der Armen, welcher sechsundvierzig Jahre, sieben Monate und acht Tage lebte. Beigesetzt in Frieden am zehnten Tage vor dem 1. März.«

Von einem Exorcisten:

MACEDONIVS
EXORCISTA DE KATOLICA

»Macedonius, Exorcist der katholischen Kirche«. Vom Cömeterium des heiligen Thraso und Saturninus.

Indessen war es nicht notwendig, daß eine Weihe die Vorstufe zu einer anderen bildete; sondern Personen blieben oft während ihres ganzen Lebens in einer der niederen Weihen. Daher war die häufige Erteilung derselben nicht notwendig, und wahrscheinlich wurde dieselbe auch niemals öffentlich zusammen mit der Austeilung der höheren Weihen vorgenommen.

Da Torquatus die nötige Parole kannte, trat er ein, begleitet von Fulvius, welcher sich bald sehr geschickt bewies, das, was seine Umgebung that, nachahmen zu können. Die Versammlung war nicht groß. Sie wurde in einer Halle des Hauses abgehalten, welche in eine Kirche oder ein Oratorium umgestaltet war; in derselben befanden sich hauptsächlich die Geistlichen und solche, welche die Weihen empfangen sollten. Unter den letzteren waren auch Marcus und Marcellianus, die gleichzeitig mit Torquatus bekehrten Zwillingsbrüder, welche zu Diakonen geweiht wurden, und ihr Vater Tranquillinus, welcher die Priesterweihe empfing. Ihre Züge und Gestalt prägte Fulvius sich genau ins Gedächtnis; und noch genauer merkte er sich die hier versammelten vornehmsten Geistlichen von Rom.

Aber auf einen vor allen anderen heftete er seinen durchdringenden Blick, studierte jede Bewegung, jeden Blick, jeden Zug, jeden Laut.

Dies war der Papst, welcher die erhabene Ceremonie vornahm. Marcellinus hatte schon seit sechs Jahren die Kirche regiert und bereits ein ehrwürdiges Alter erreicht. Sein mildes, wohlwollendes Antlitz schien nichts von dem Besitz jener Kraft und Widerstandsfähigkeit zu verraten, welche das Märtyrertum erheischt, und welche er durch seinen für Christus erlittenen Tod an den Tag gelegt hat. In jener Zeit vermied man sorgsam jedes äußere charakteristische Zeichen, welches den Wölfen den Oberhirten hätte verraten können. Es wurde nur das Gewand ehrenwerter Bürger getragen. Aber es herrscht kein Zweifel darüber, daß während des Altardienstes ein unterscheidendes Gewand von fleckenlosem Weiß, der Vorläufer der weiten Casel, über die gewöhnliche Kleidung geworfen wurde. Der Bischof trug außerdem eine Krone oder infula, der Ursprung der späteren Mitra, während er in der Hand den Stab, das Sinnbild seines Hirtenamtes und seiner Autorität trug.

Auf ihn, welcher jetzt mit dem Gesichte der Versammlung zugewandt war, vor dem Altar des heiligen Petrus, der zwischen ihm und dem Volke stand, heftete der Spion aus dem Osten seine schärfsten Blicke. Er prüfte ihn auf das genaueste, maß mit den Augen seine Größe, merkte sich die Farbe seines Haars und seine Gesichtsfarbe, achtete auf jede Bewegung seines Hauptes, auf seinen Gang, seine Sprachweise, seine Stimme, beinahe auf seinen Atem, bis er zu sich selbst sagen konnte: »Er mag sich verkleiden wie er will, – sobald dieser Mann sich draußen bewegt, ist er mein Opfer – und ich kenne seinen Wert.«


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