Jakob Wassermann
Der Fall Maurizius
Jakob Wassermann

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Zehntes Kapitel

1

Etzel begriff natürlich sofort, daß er sich in eine gefahrdrohende Situation begeben hatte. Gut, daß ich endlich seine Augen sehe, dachte er, während er sich vorsichtshalber in eine etwas entfernte Gegend des Zimmers zurückzog, sie sind nicht angenehm, die Augen, er hat alle Ursache, sie zu verstecken. Woran erinnern sie einen nur, an Lurche oder sonst was Scheußliches, pfui Teufel. Er war blaß vor Spannung, wie sich die Sache weiterentwickeln würde. Daß er nicht im Vorteil war, lag auf der Hand. Er hatte das Visier geöffnet, jener nicht. Daß sie heute noch in die Versammlung am Stettiner Bahnhof gehen würden, war wohl ausgeschlossen. Jetzt hatten sie an anderes zu denken, alle beide.

Langsam setzte Warschauer die Brille wieder auf die Nase. »Sonderbar«, murmelte er gedehnt, mit einem Ausdruck, als bohre er mit den Augen einen Tunnel in eine völlig verschüttete Vergangenheit. Dabei musterte er den Knaben unausgesetzt. »Ich hab Wurst und Sprotten gebracht«, sagte Etzel mit einem nicht recht glückenden Versuch, unbefangen zu sein, und deutete auf das Päckchen, das noch auf dem Sims lag, »Brot ist in der Tischlade, Butter auch, glaub ich, wollen Sie nicht essen?« Warschauer räusperte sich. »Schließen Sie das Fenster, Mohl«, sagte er schullehrerhaft, mit eigentümlich hämmernder Stimme, »es wird kühl.« Etzel tat, wie ihm geheißen, ein Nachtfalter flatterte in sein Gesicht, während er die Fenster zumachte. Hoch über den Dächern zuckte es im roten Dunst wie von Scheinwerfern. Inzwischen hatte er wieder Mut gefaßt, er nahm das Eßpaket, schnürte es auf, trat zum Tisch, holte zwei Teller und den Brotlaib aus der Lade, legte geschäftig ein blaukariertes, ziemlich schmutziges Tischtuch auf, klapperte mit Messer und Gabel und stellte den Schnellsieder für den Kaffee bereit. Warschauer sah ihm eine Weile schweigend zu, ging dann in den Alkoven, ließ die Schiebetür offen und wusch sich mit der gewöhnlichen Umständlichkeit die Hände. Als er wieder zurückkam, spielte sich folgendes ab:

Er setzte sich, begann mit in sich gekehrter Miene lustlos zu essen. Etzel, der sich immer mehr den Anschein der Munterkeit gab, als hätte er den unheimlichen, kleinen Wortwechsel längst vergessen, zündete den Kocher an und löffelte den gemahlenen Kaffee auf ein Brettchen. Dabei zählte er laut: eins, zwei, drei. Während des Zählens machte ihm der Gedanke das Herz schwer, daß er bis jetzt noch nicht den leisesten Beweis dafür hatte, daß dieser »Professor« Warschauer und Gregor Waremme ein und dieselbe Person war. Er hatte sich lediglich auf die Angaben des alten Maurizius verlassen, aber genügte das? Freilich hatte ihm auch sein Instinkt verraten, daß er auf der richtigen Fährte war, sobald er Warschauer nur erblickt hatte, aber irgendwelche Gewißheit besaß er nicht. Das beharrliche Schweigen des Professors flößte ihm unbestimmte Bangigkeit ein, die er nicht merken lassen durfte, er spürte wohl, von der ersten Frage und Antwort hing alles ab, und indem er in die Spiritusflamme schaute, entwarf er einen Kriegsplan. Er seinerseits wagte nicht, das Schweigen zu brechen, hütete sich auch, einen neugierigen Blick, eine beunruhigte Miene zu zeigen, sah nur aufmerksam bald in die Flamme, bald in den Blechtopf hinein. Es war Respekt, ja eine ahnungsvolle Scheu vor der Figur des Professors, die ihn zu solchem Verhalten nötigten; Figur im Sinne eines jungen Geistes, der sich ein einheitliches Bild, ein wie Dichtung geschlossenes Wesen neben die zufällige und ungenaue Wirklichkeit stellt und dieses Wesen auch in seiner ganzen Tiefe und Ausdehnung konzipiert. Endlich legte Warschauer das Besteck hin, fuhr mit dem Zeigefinger ein paarmal im Mund herum, was Etzel gräßlich unappetitlich fand, und sagte herrisch, fast befehlend: »Na, also? Was denn? Wie lang soll ich noch auf Erklärungen warten, my dear Mr. Mohl oder Mr. Nobody oder wie Sie sonst heißen? Was bedeutet die Anrempelei? Wer hat Sie geschickt? Was steckt hinter dem Gefasel? Schön, hier bin ich, Georg Warschauer alias Gregor Waremme, was wollen Sie, junger Mann?«

Es gab also hierüber keinen Zweifel mehr, Gott sei Dank. Doch Etzel schrak bei der Nennung des Namens zusammen wie bei einem Schuß und brauchte einige Sekunden, um sich zu sammeln. »Gleich, Herr Professor«, erwiderte er dienstbeflissen, mit einem hurtigen, harmlosen, wichtigen Lächeln, »gleich, ein bißchen Geduld bitte, das Wasser kocht bereits.« Derweil konnte er noch überlegen. Warschauer trommelte mit den kurznägeligen Fingern dumpf auf der Tischplatte. Etzel manipulierte in aller Ruhe, endlich war er fertig, goß das dampfende Getränk in die Tasse und schob diese zu Warschauer hinüber. Dann lehnte er sich mit den Ellbogen über den Tisch, blinzelte ein wenig, zögerte ein wenig und fing an, vom alten Maurizius zu berichten. »Ein unglücklicher, alter Mann, Herr Professor. Haben Sie eine Ahnung, wie alt der ist? Vierundsiebzig. Unglaublich, daß so jemand noch lebt. Er behauptet, er stirbt nicht eher, als bis sein Sohn Leonhart aus dem Zuchthaus entlassen ist. Wo doch nicht die mindeste Aussicht dazu besteht. Lebenslänglich verurteilt, weshalb sollen sie ihn entlassen? Aber er hat sich's in den Kopf gesetzt und läßt nicht um die Welt davon ab.« Er verbreitete sich, führte aus, sehr plausibel und mit charakteristischen Einzelheiten, daß er den Alten seit Jahren kenne, seine Großeltern hätten eine Zeitlang Haus an Haus mit ihm gewohnt, zu denen sei der sonst so menschenscheue Greis häufig zu Besuch gekommen und habe stundenlang von nichts anderm erzählt als von seinem Sohn und dessen schrecklichem Schicksal. Ihn, Etzel, habe er nach und nach ins Herz geschlossen, ihm alles anvertraut, alle seine Hoffnungen, die Schritte bei Gericht, alle Fehlschläge, die ganze Geschichte und den Verlauf des Prozesses. »Sie müssen ihn übrigens kennen, Herr Professor«, schaltete er in einem schmeichlerischen Ton ein, »er hat gesagt, er war mal hier bei Ihnen.« Warschauer blickte verwundert empor. »Ja, er hatte mit vieler Mühe und großen Kosten Ihren jetzigen Namen und Wohnort ausgekundschaftet und reiste einfach her. Setzte sich eines Tags auf die Eisenbahn, um mit Ihnen zu reden. Aber ich glaube, er hat nicht eine Silbe gesprochen, er hat sich nicht getraut, der einfältige, alte Kerl, ist Hals über Kopf wieder umgekehrt. Erinnern Sie sich nicht?« Es schien, daß in Warschauer die Erinnerung erwachte. Es sei einmal, gab er zu, ein ziemlich vertrackt aussehender Alter dagewesen, eine Art Bauer oder Kleinstädter, er entsinne sich, stand an der Tür, glotzte wie ein Kalb, fragte, ob ein Zimmer zu vermieten sei, und marschierte wieder ab. Mochte ungefähr ein Jahr her sein. »Also das war der . . . hm . . . der Vater Maurizius. Wie merkwürdig. Aber . . . (wiederholtes Räuspern) was wollte er denn? Weshalb kam er?« – »Wegen gewisser Briefe . . .«, flüsterte Etzel, abermals in dem schmeichelnden Ton, und beugte sich noch weiter über den Tisch. Warschauer, der geräuschvoll den Rest des Kaffees schlürfte, behielt die Tasse in der Hand und fragte erstaunt: »Briefe? Was für Briefe?« – »Er sagt, Sie müßten Briefe haben, die Ihnen der Leonhart damals geschrieben hat, noch vor dem Unglück. Auch andere Briefe, die er an die Fräulein Jahn geschrieben hat. Er schwört darauf, daß Sie sie haben. Er gäbe sein halbes Vermögen drum, wenn er sie bekäme. Und da er selber sich nicht getraut hat damals und zu alt und kränklich ist, um wiederzukommen, . . . kurz, mir ist's nahegegangen, wie er sich so abgehärmt hat, meines Bleibens war dort sowieso nicht mehr, ich wollte ja immer schon nach Berlin, so sagte ich ihm, ich will's versuchen, vielleicht gibt er mir die Briefe.« Warschauer schüttelte den Kopf. »Ich weiß nichts von Briefen«, bemerkte er abweisend, »leere Einbildung. Da haben Sie sich umsonst bemüht, junger Mohl.« Die Worte klangen spöttisch, hatten aber den Ton vollkommener Aufrichtigkeit. Etzel hatte auch nicht erwartet, etwas anderes zu hören, doch nahm er eine enttäuschte Miene an und fragte schüchtern: »Wirklich nicht? Sehn Sie doch mal genau nach, Herr Professor. Mir zuliebe. Nämlich, Sie können sich nicht vorstellen, was der Alte für einen Kultus mit seinem Sohn treibt. Gar nicht wie mit einem Verbrecher, keine Spur, wie mit einem Heiligen fast. Vergöttert ihn geradezu. Die dümmsten Kleinigkeiten sammelt er aus seiner früheren Zeit. Sein Kinderspielzeug hat er aufgehoben. Verrückt, sag ich Ihnen. Vielleicht schaun Sie doch noch unter Ihren Papieren nach . . .« Hinter den schwarzen Gläsern funkelte es flüchtig auf. Der Blick senkte sich, glitt über den Fußboden hin, kehrte zurück, kroch am Körper des Knaben hinauf bis zu dessen Gesicht und begegnete dort einem andern Funkeln, hell und stark, wie von Bronze. »Ich besitze keine Briefe«, stieß er böse hervor und malmte mit dem Kiefer, »ich besitze überhaupt nichts Schriftliches von . . . von Leonhart Maurizius, keine Briefe an mich, keine an . . . ›die‹ Fräulein Jahn. Schluß damit.«

Etzel richtete sich auf, sah ein wenig bestürzt vor sich hin, drückte die Hand vor den Mund, eine Knabengebärde, die er sich nicht abgewöhnen konnte. Er stand vor Warschauer, der in seinem langen, grauen Gehrock mächtig und formlos auf dem Stuhl kauerte, schlank und klein wie ein Ausrufezeichen. »Waren Sie denn nicht befreundet mit ihm, Herr Professor?« erkundigte er sich mit unschuldiger Neugier, »ich dachte, Sie seien sein Freund gewesen . . .« Warschauer zog verächtlich die Brauen zusammen und entgegnete ausweichend, in schläfrig-unwilligem Ton: »Freund . . . kann sein . . . möglich . . . da waren viele . . . damals . . . möglich.« Etzel trat einen Schritt näher. »Und sagen Sie mir eins, Herr Professor«, fuhr er eifrig, gleichsam unüberlegt, zu fragen fort, »glauben Sie eigentlich, daß er den Mord begangen hat? Ich meine«, verbesserte er sich hastig, da ihm, dem Kronzeugen Waremme gegenüber, die Ungeheuerlichkeit der Frage Angst einjagte, »ich meine, ob er schuldig ist, auch wenn er . . . auch wenn er den Schuß abgefeuert hat?«

Warschauer gab keine Antwort, sah ihn nur mit einem unbeschreiblich toten, kalten, gefrorenen Blick an. Es war, als hätte er die Frage nicht gehört oder sie gleich darauf vergessen. Etzel konnte sich eines leichten Schauders nicht erwehren.

2

Vermutlich hatte Warschauer-Waremme seine kleinen Finten und Verstellungskünste viel früher durchschaut, als Etzel sich's träumen ließ. Zu dieser Zeit hatte er ja von dem durchdringenden Geist des Mannes und seiner wahrhaft monströsen Erfahrung nur einen sehr undeutlichen Begriff. Er spürte ihn, die geduckte Ruhe, die etwas unterirdisch Kochendes hatte und manchmal einen verheerenden Ausbruch fürchten ließ, das undefinierbar Zerrissene und Verwüstete, das an eine von einem Wolkenbruch heimgesuchte Landschaft erinnerte, das Schleichende, Ungesellige, Argwöhnische wie bei einem gehetzten, kranken, doch immer noch ungeheuer starken Höhlentier, er spürte alles, ermaß es aber nicht. So blieb ihm auch einstweilen verborgen, daß Warschauer die Motivierung, er sei nur wegen Erlangung der Briefe zu ihm gekommen, mit einer Skepsis aufnahm, der glücklicherweise zuviel Gleichgültigkeit zugemischt war, als daß er sich zu einer für den jungen Menschen jedenfalls unbequemen Inquisition hätte herbeilassen mögen. Er sah, daß der Aufwand in keinem Verhältnis zum Zweck stand, erst wochenlanges Um-den-Bart-Gehen, listige Veranstaltungen bei Frau Bobike, Sprachstunden, Famulusdienste und dann das: Es war putzig und ridikül. Immer, wenn er einen flüchtigen Gedanken daran verschwendete, bezeichnete er es bei sich mit einem Grinsen als putzig und ridikül. Denn der Junge selbst, seine Haltung, seine Art zu reden, seine guten Manieren, die zu verleugnen ihm trotz gelegentlichen Anlaufs zu Derbheit und Saloppheit nicht gelingen wollte, diese und jene Anzeichen von guten, häuslichen Umständen, die Beschaffenheit der Strümpfe, der Wäsche, Schnitt der Kleider, nein, es war zu lächerlich, zu unverschämt, fand Warschauer, ohne sich mehr zu ärgern als über das Kratzen einer Maus. Einige Tage später geschah es, daß er den Knaben zu sich herzog, zwischen seine Knie preßte und ihm dringlich und aufmerksam ins Gesicht schaute. Sodann nahm er jede von Etzels Händen einzeln und schaute auch diese an, die Finger, die Nägel, die inneren Flächen. Endlich sagte er: »Sie haben eine zarte Haut, Kerlchen, sind schon als Baby nach allen Regeln moderner Hygiene gepflegt worden, he? Feiner junger Herr, nicht schlecht geboren, dünne Schläfen, delikate Gelenke und vif im Kopf. Ich mag Sie leiden, Mohl, ich mag Sie verteufelt gut leiden.« Damit ließ er, widrig kichernd, Etzel los, der ihn mit Augen betrachtete, in denen sich äußerste Bestürzung spiegelte. Er kam sich plötzlich so klein vor wie sein eigener Daumen. Na, du bist mir ein schöner Satan, dachte er und kehrte sich mutlos ab. Warschauer schlug vor, er solle mit ihm in eine Konditorei gehen und Schokolade trinken.

Er zog offensichtlich keinerlei Konsequenzen daraus, daß er Etzels Annäherungsmanöver als das erkannt hatte, was sie waren. Vielleicht amüsierte es ihn sogar, zu beobachten, wie weit er sie vervollkommnete und wohin sie ihn noch führten. Er war der Ansicht, daß die Menschen ihre Beweggründe und Zwecke von selber bloßlegten, wenn man ihnen nur Zeit ließ. Sie spulten sich einfach ab wie der Zwirn von der Rolle. Er war so sicher. Er war so unerreichbar, daß er sich einen Zynismus leisten konnte, der andern als Demut und Bescheidenheit erschien. Als sie in der Konditorei an der Rheinsberger Straße in einer schummrigen Ecke einander gegenüber saßen, sagte er mit jenem süßlichen Wohlwollen, bei dem Etzel stets das Gefühl hatte, als zwicke man ihn mit Fingernägeln ins Ohr: »Sie können mich fragen, was Sie wollen, Mohl, ich werde Ihnen mit Vergnügen Auskunft geben. Auf die Weise werden Sie Nützlicheres erfahren, als wenn Sie Indianer auf dem Kriegspfad spielen und meine Fußspuren beschnüffeln. Das ist kein Geschäft für Sie. Sie sollen bei mir was lernen.« Etzel errötete bis in die Haare. »Alles andere interessiert mich nicht, wissen Sie«, fuhr Warschauer fort und leckte seine Lippen ab, an denen Schokolade klebte, »interessiert mich nicht und berührt mich nicht. All solches Hintenherum, Aufpassen und Belauern, das ist mir wie Flohstiche, da blick ich gar nicht hin, denn greif ich erst mal zu, Junge, o weh! ein Knips, und der Floh ist kaputt.«

»Ich mag Sie leiden, kleiner Mohl.« Denkt euch an den Rand einer Wüste in einer schweren, aber reglosen Nacht eine brennende Kerze hingestellt, so habt ihr, die Phantastik des Bildes zugegeben, den ungefähren Sinn dieser Worte. Der Vorgang ist so dunkel wie die Seelenverfassung des Mannes, der in seiner Beziehung zur Welt beim letzten Stadium der Zersetzung hält. »Es interessiert mich nicht, es berührt mich nicht.« Das ist der Schlüssel. Selbstausschaltung. Man gewinnt den Eindruck eines Menschen, der zwischen gläsernen Wänden und gläsernen Mauern herumgeht und es aus Ekel und Verachtung unterläßt, die Augen aufzuheben, um einen Blick hineinzutun. Er könnte alles sehen, links und rechts, vorn und hinten, er hat den Röntgenblick, aber es macht ihm durchaus keinen Spaß. Er ist in einem Grade illusionslos, daß er nicht den Finger regen würde, um seine anscheinend ziemlich tristen Umstände zu verbessern. Die Reden, die zwischen Menschen gewechselt werden, gleichviel worüber, sind ihm unerheblicher als Insektengeschwirr; sie dienen dazu, Taten glauben zu machen, die nie getan werden, und andere zu verdecken, die geleugnet werden, wenn man sie mit den Reden konfrontiert. Sämtliche großen Worte, die klingenden Panazeen, als da sind: Religion, Vaterland, Menschheit, Ethik, Nächstenliebe usw. betrachtet er wie aufgeklebte Zettel in einer Kurpfuscher-Apotheke, und außer der Dummheit und der Habsucht anerkennt er keine wirksamen Eigenschaften, die zu untersuchen sich lohnte. Alles was auf andere Defekte zurückgeführt wird, sind nur Folgeerscheinungen jenes allmächtigen Paares. Er hat keine Gelegenheit, seine Ansichten zu verkünden, und wenn sie sich ihm böte, würde er sie meiden wie die Pest. Warum sollte er sich mitteilen? Man könnte ihm ebensogut zumuten, auf dem Potsdamer Platz Purzelbäume zu schlagen. Käme ihn auch das Bedürfnis an, sich gesprächsweise zu äußern, er wüßte keinen Zuhörer, denn er ist so einsam, daß im Vergleich dazu der Sträfling 357 in Kressa eine gesellschaftliche Existenz führt. Schließlich kann sich der mit seinen Wärtern unterhalten und an seine Genossen anschließen, diese Einsamkeit aber ist freiwillig und gewünscht. Immerhin eine auffällige Ähnlichwerdung der Schicksale, die einen Geist von kleinerem Zuschnitt zu Grübeleien über okkulte Zusammenhänge veranlassen könnte. Er ist weit davon entfernt. Es hat ihn seit vielen Jahren nicht mehr verlockt, sich umzuschauen und seine Wege nach rückwärts zu verfolgen. Nicht als ob er die Vergangenheit aus dem Gedächtnis verloren hätte. Wie wäre das möglich, er trägt sie ja, doch eben darum ist es überflüssig, sich mit ihr zu beschäftigen: Sie ist für ihn nicht wie für die meisten Menschen die verwitterte Inschrift auf einem Grabstein, sondern der Blutbach in seinen Adern, der in den Meerbusen des Todes hinüberrauscht.

Was er an dem Knaben »leiden mag«, läßt er nicht in den Bereich der Überlegung. Die Jugend allein ist es nicht, er braucht sie nicht, sucht sie nicht, schätzt sie nicht. Er betrachtet sie als einen Zustand unerquicklicher Kämpfe und anmaßender Träume. Es rührt wohl zum Teil daher, daß er die Erinnerung an die eigene Jugend in sich erstickt hat, er haßt sich, wenn er sich in ihr denkt. Ja, sehr jung ist er, der »junge Mohl«, aber in seiner Sechzehn- oder Siebzehnjährigkeit liegt etwas anziehend Selbstverständliches, keine hysterische Besoffenheit, kein Pubertätsqualm, keine schleimige Schneckenhaus-Romantik. Ist das der neue Geist? Kommen solche jetzt? Heitere, flinke, kühle Burschen, die überall gleich merken, wo ein Nagel von der Wand gefallen ist und eine Konservenbüchse aus dem Vorrat fehlt? Schwerlich. Das entwickelte Exemplar meldet höchstens einen Typus an, der schon wieder verwaschen ist. Aber da ist ein Reiz, ein bestimmter Reiz, wirksam wie feines Gift, verführerisch wie edles Parfüm. Sympathie? Nein, damit hat es wenig zu tun. Eher damit, daß man es haben möchte. Aber wie: haben? was: haben? Es ist bisweilen eine Hautannehmlichkeit, wie ein Pelz auf dem nackten Leib. Eine Wärme und ein Kitzel. Es begreift das »Putzige und Ridiküle« in sich. Aber das genügt nicht. Wenn man es sorgfältig analysiert, ruft es ein Gefühl von Zärtlichkeit und Haß hervor, von mittelpunktloser Eifersucht, von dem Verlangen, einen Abgrund zu überbrücken, in dessen Tiefe eine zerschmetterte Welt vorliegt. Da er ihm versprochen hat, er solle bei ihm was lernen, wird er versuchen, diese Welt zu heben, nicht um ein Vineta aufzuzeigen, was ein Märchengebilde wäre, ganz im Gegenteil. Der Jüngling ist wie ein Sohn, den man zu zeugen versäumt hat, entstanden durch eine Art Protoplasma-Wunder, um in einer grausigen Öde lichtvoll zu erscheinen. Man muß sich seiner bemächtigen, auf welche Weise, läßt sich nicht vorherbestimmen. Die Wißbegier, die das Wesen des Knaben durchflammt, auf ein Ziel gerichtet, das er, Warschauer, allerdings lieber nicht aufs Korn nehmen möchte, gibt vielleicht die Mittel in die Hand. Er entdeckt, daß es etwas Hinreißendes ist um ein Paar Augen, die einen wirklich anschauen. Abstruser Einfall, das mit dem ungezeugten Sohn. Wahrhaftig, der Gedanke eines Verrückten oder eines Teufels, im Hinblick darauf, daß die bloße physische Nähe des Knaben ihm manchmal eine ähnlich zwitterhafte Empfindung verursacht wie die Berührung eines Pfirsichs, der in der Sonne gelegen hat.

3

Wißbegier . . . Schwache Bezeichnung. Man brauchte kein Seelenerrater zu sein, um zu verstehen, daß es mehr war, mehr als zugeflossenes Interesse, mehr als Anhänglichkeit an eine nennbare Person. Nun, man muß abwarten, beschloß er und ließ sich zunächst auf nichts ein. An jenem Abend hatte er Etzel einfach fortgeschickt, und dieser war danach ziemlich verschüchtert oder stellte sich wenigstens so. Es vergingen Tage, ehe er sich wieder zu einer Andeutung vorwagte. Inzwischen verdoppelte er seinen Diensteifer, brachte die Nachmittage, die Abende in Warschauers Stube zu, verkroch sich in einen Winkel, wenn andere Schüler und Schülerinnen Unterricht hatten, begann ein Verzeichnis der Bücher anzulegen, ordnete die Schubladen mit der Wäsche, nähte locker gewordene Knöpfe an den Kleidern des Professors fest, trug die Manuskriptblätter zu dem Museumsdirektor, büffelte Vokabeln und Regeln und machte sich möglichst unscheinbar. Eines späten Nachmittags kam er mit einem Strauß Maiglöckchen an, den er unterwegs gekauft hatte, und reichte sie Warschauer mit einem trotzigen Lächeln. Dieser gebärdete sich auffallend übertrieben und tartüffisch. Er schlug entzückt die Hände zusammen und rief in einem singenden Derwischton: »Wundervoll, kleiner Mohl, wundervoll! Maiglöckchen, welcher Glanz in meiner niederen Hütte! Eine zartsinnige Idee. Da merkt man wieder die gediegene Erziehung, die ästhetische Veranlagung. Unter keinen Umständen könnte sich etwa Paalzows Junge so was ausdenken! Bezaubernd. Leider haben wir keine würdigen Behälter, müssen mit einem gemeinen Wasserglas vorliebnehmen. Allein der Geber adelt das Gefäß . . .« So ging es noch eine Zeitlang weiter, Etzel wurde so nervös, daß er ihm ins Gesicht hätte springen mögen. Plötzlich bemerkte Warschauer, daß die Nässe von ihm troff. Er war ohne Schirm im Regen gegangen, Mantel und Mütze waren zum Auswringen, die Strümpfe klebten an den Beinen. Da begann das Getue erst recht. Der Professor jammerte, als hätte er einen Schwerverwundeten vor sich. Er drang darauf, daß sich Etzel der Schuhe und Strümpfe entledigte, hängte Mantel und Jacke zum Trocknen auf, holte eine Wolldecke aus dem Alkoven und wickelte ihn ein, hieß ihn sich aufs Sofa legen, was Etzel erst nach einigem ärgerlichen Weigern tat, und schickte sich alsbald an, ihm zur Erwärmung Tee zu kochen. Seine Bestürzung, seine Geschäftigkeit, sein Gewimmer, die Art, wie er die Hände aneinanderrieb und fortwährend »tz, tz, tz« machte, war so augenscheinliche Komödie, daß es Etzel endlich nicht mehr ertrug und ihn mit blassen Wangen anschrie: »Hören Sie doch auf. Das tun Sie alles nur, um mich zu verhöhnen. Weil Sie von wirklichen Sachen nicht mit mir reden wollen. Ich hab aber genug davon. Ich geh heim.« Und er warf die Beine vom Sofa und setzte sich aufrecht. Warschauer streckte eben den Arm nach der chinesischen Teeschachtel auf dem Holzregal. Er drehte sich langsam um. »Von was für wirklichen Sachen, mein lieber, junger Freund?« erkundigte er sich honigsüß, mit gespielter Überraschung. – »Nun, ich hab Sie ja schon einmal gefragt«, stieß Etzel verdrossen hervor. »Sie haben mir nicht darauf geantwortet.« – »Was? Um was handelt es sich?«, forschte Warschauer, sich noch immer stellend, als wisse er nicht, wovon die Rede sei. – »Ich hab Sie gefragt, ob Sie glauben, daß er schuldig ist . . . Maurizius.«

Warschauer tat groß erstaunt. Die Teeschachtel in der einen, den Deckel in der andern Hand, schritt er kniesteif zum Sofa. »Da Sie über die Fakta so genau orientiert sind, kleiner Mohl, wird Ihnen doch bekannt sein, daß ich es damals beschworen habe.« Die Stimme klang jetzt nicht mehr ölig, sondern trocken. »Ja, schon . . . das schon . . .« erwiderte Etzel und heftete die Augen verschlingend auf die schwarzen Brillengläser, »aber man kann sich täuschen. Ist jede, jede, jede Möglichkeit ausgeschlossen, daß Sie sich getäuscht haben?« – »Donnerwetter«, murmelte Warschauer. Es war das dreimalige »jede«, das ihm den Ausruf abnötigte. »Eine derartige Täuschung hätte doch immerhin auf einem realen Vorgang beruhen müssen, junger Mohl«, sagte er und stellte die Teeschachtel fast unhörbar auf den Tisch. – »Gewiß«, gab Etzel zu, »er kann zum Beispiel geschossen und nicht getroffen haben.« – Warschauer grinste. »Soso. Geschossen und nicht . . . Merkwürdig. Eine beachtenswerte Theorie.« – Etzels Augen funkelten zornig. »Ich sag Ihnen was, mit Ihrem Sarkasmus können Sie mir nicht imponieren. Das ist, wie wenn einer nicht ehrlich ringen will, sich in Sicherheit bringt und die Zunge heraussteckt. Schämen Sie sich.« – »I understand«, sagte Warschauer ruhig und starrte den erregten Knaben eine Weile aufmerksam an. »Ich will offen mit Ihnen reden, Mohl«, sagte er dann, »auch wenn ich mich getäuscht hätte, es hätte keine Täuschung sein dürfen.« – »Was heißt das? Erklären Sie mir's, bitte . . .« Warschauer ging zweimal durch das Zimmer, die Hände auf dem Rücken und mit ihnen die Rockschöße schwenkend. »Um das zu erklären, Mohl . . . es war selbstverständlich eine rhetorische Figur. Kein Gedanke an Täuschung.« Er stand schon wieder beim Sofa. »Wie fühlen Sie sich? Heiß? Wenn Sie mir kein Fieber kriegen . . .« – »Um das zu erklären . . .«, sprach Etzel seine ersten Worte nach, hartnäckig wie ein Kind, dem man eine angefangene Geschichte vorenthält. – »Was für eine Ungeduld! Zähme deine wilden Triebe, Freundchen«, spottete Warschauer mit orgelnder Stimme und nahm seinen Marsch wieder auf, das Kreuz eingedrückt (wodurch sein stolzierender Gang dem eines Hahnes ähnlich wurde), die Rockschöße schwenkend. – »Erst wollen Sie offen reden, dann ist es wieder eine rhetorische Figur«, erzürnte sich Etzel, »wer kennt sich da aus.« – Warschauer seufzte. »Mein lieber, guter Mohl, das ist alles so weit weg . . . das ganze tragische Possenspiel . . . so weit weg . . . total unter den Horizont gesunken . . . lauter Schatten . . . lauter Phantome . . . am besten, man hüllt es in Schweigen.« Er ging um den Tisch herum, ergriff die Teedose, stülpte den Deckel darüber und schlug mit der flachen Hand darauf; ein kategorisches Schlußzeichen.

Etzel dachte verzweifelt: Elender alter Kerl, eben war er so schön im Zug, was tu ich nur, was fang ich an? Äußerlich blieb er still, er sah wohl, daß er für heute nicht weiter drängen durfte. Doch bäumte sich alles in ihm auf gegen dies lahme Gehaspel Schritt vor Schritt, als ob man mit den Füßen im Morast steckte und der andere, am Rand stehend, sich immer mehr entfernte, während er vorgab, einem zu helfen. Er sah auch, daß er auf die bisherige Art nichts erreichte, er mußte eine neue finden. Gegen den ist Trismegistos ein wahrer Ofen von Gemütlichkeit, faßte er seine Erbitterung zusammen, und plötzlich erschien sein Vater vor ihm, halbabgekehrt sitzend, die Beine gekreuzt, unbewegliches Monument. Es war ein scheues Erinnern, das zum Bild wurde und gleich wieder zerfloß. Er hatte keine Zeit, in seinem Gehirn keinen Raum für andere Überlegungen als die eine: was tu ich nur, was fang ich an? Während er grübelte und sich den Kopf wund dachte, hatte ihm der Instinkt bereits den richtigen Weg gewiesen. Instinkt und Anteil. In dem Maß, wie ihm die Person Warschauers immer rätselhafter wurde, immer unaufschließbarer, wuchs auch das Beunruhigende an dem Mann, er konnte nicht ablassen, ihn zu beobachten, zu studieren, zu belauschen, und er verspürte das brennende Verlangen, in sein unbekanntes Leben einzudringen, dort, wo Georg Warschauer aufhörte und Gregor Waremme begann. Denn von Waremme wußte er so gut wie nichts. Waremme stand hinter einem Nebel. Waremme war der Meister, der sich verbarg, Warschauer nur der unbedeutende Gehilfe, der die Befehle empfing. Zwei Gestalten, scharf abgetrennt voneinander, viel schärfer als etwa E.  Andergast und E. Mohl. Von denen war wieder Mohl der Wichtigere, obschon er der Spätere war. E. Andergast hätte niemals Warschauer begegnen können, das war E. Mohls Aufgabe gewesen, und Mohl hatte nun auch dafür zu sorgen, Waremme stellig zu machen; armer Mohl, ironisierte sich Etzel, du allein gegen alle zwei, Warschauer und Waremme. Mit solchen Gedankenspielereien verscheuchte er manchmal seine Anfälle von Mutlosigkeit. Was Warschauer betrifft, so nahm er das ihm halb heimlich, halb mit naiver Ungeduld entgegengebrachte Interesse freundlich auf und wartete nur auf den Anstoß, es zu befriedigen, ich habe ja schon erwähnt, daß ein derartiges Verlangen, insofern es ihm selber galt, seiner vollen Bereitwilligkeit sicher war. Zwei Tage nach dem letzten Gespräch geschah es, daß Etzel unter einem Stoß alter, verstaubter Broschüren eine hervorzog, auf der mit kühnen, unverkennbar jugendlichen Schriftzügen der Name Georg Warschauer stand. Dazu Monat und Jahr: April 1896. Warschauer, der zufällig nach ihm hinschaute, bemerkte sein betroffenes Gesicht, kam heran, blickte auf den Namen und sagte: »Stimmt, so heiß ich, das ist mein wirklicher Name. So heiß ich von Hause aus.« Etzel machte große Augen. Komisch, dachte er in einem Gefühl, als sei er überlistet worden. Es ist also nur eine Einbildung, daß Warschauer ein Überbleibsel von Waremme ist, vor Waremme gab's schon einmal einen Warschauer, Waremme ist bloß ein Zwischenfall . . . Und er flüsterte den Namen leise vor sich hin. Warschauer nickte. »Ja«, bestätigte er, »Georg Warschauer, Sohn jüdischer Eltern aus Thorn. Damit Sie es genau wissen, Freund Mohl. Und darüber wäre mancherlei zu sagen.«

Er schien aber für jetzt keine Lust dazu zu haben, wie wenn ihn der Raum störte oder die frühe Nachmittagsstunde, doch dünkte es Etzel, als sei er nah daran und müsse sich innerlich nur noch lockern. »Wir wollen einen Bummel machen, kleiner Mohl«, sagte er, »das Wetter ist schön, wir wollen uns ein wenig das Leben ansehen.« – »Mir ist's recht«, antwortete Etzel, »aber beim Bummeln wird's nicht bleiben, zuletzt werden wir doch wieder in einer Konditorei landen.« – Warschauer meckerte. »Naja, ich weiß eine, wo es nicht so stumpfsinnig ist wie da drüben in der Rheinsberger Straße, auch nicht weit, neben dem Zehdenicker Kasino, da spielt um fünf, heut ist Sonnabend, wie? da spielt die Jazzmusik.« Etzel war's zufrieden, obwohl ihm der Sinn nicht nach Jazzmusik stand, aber da er Warschauers Vorliebe dafür kannte und ihn nicht mißgelaunt machen wollte, ging er mit. Sie saßen anderthalb Stunden in wüstem Trubel, Tisch an Tisch mit Kleinbürgerinnen, Vorstadtdirnen, kleinen Beamten, Ladenschwengeln und Professionaltänzern von anrüchiger Eleganz, geschminkt und grausig abgelebt. Warschauer war vergnügt, das Drehen, Schleifen, Schieben, Sichwinden der Tanzpaare, die erhitzten Gesichter im Dämmerdunst, besonders aber das Schmettern, Quietschen und Heulen der Instrumente regte ihn geradezu auf vor Wonne. Einmal packte er Etzel beim Handgelenk und raunte ihm zu: »Junge, so ein Saxophon ist unbezahlbar. Das wiegt eine dreibändige Kulturgeschichte auf. Schauen Sie sich den Mann beim Schlagwerk an, Mohl, schaun Sie ihn an! Sieht er nicht aus wie ein richtiger Torquemada? Grausam, finster, fanatisch –? Herrliches Exemplar, bestimmt hat er als kleiner Junge Maikäfern die Beine ausgerissen und Katzen die Schwänze geröstet.« – »Sehr möglich, aber was begeistert Sie daran so?« fragte Etzel kühl. Warschauer tätschelte seine Hand. »Biologisch, rein forschungsmäßig«, versicherte er mit hochgezogenen Brauen. »Kennen Sie die junge Dame dort?« unterbrach er sich und wies mit dem Kinn auf ein hageres, unhübsches Mädchen, das an einem der Nebentische aufgestanden war und Etzel dreist fixierte. Es war Melitta Schneevogt. Sie erhob warnend den Finger, als wolle sie sagen: Jetzt hab ich dich, Duckmäuser. Etzel nickte ihr kollegial zu, er bemerkte, daß ihre Haare kurzgeschnitten waren, als er sie zuletzt gesehen, hatte sie noch eine Frisur getragen. Mit der geht was vor, auf die sollte man achtgeben, fuhr es ihm durch den Kopf, doch vergaß er es sofort.

Es dämmerte schon, als sie aufbrachen, in der Gegend des Senefelder Platzes war Feuerlärm, bald gewahrten sie braunrote Flammen, die zwischen den Straßenschluchten hochschlugen. Leute fingen an zu rennen, berittene Schupo sprengte vorüber. Eine Möbelfabrik brannte. Sie strichen eine Weile durch die benachbarten Straßen, hörten zwischen den Signalen der Löschmannschaften das Knallen und Prasseln des Feuers, dann wurde das Gewühl zu bedrohlich; bei der Schröderstraße kamen sie zu einer Parkanlage, da war es fast menschenleer. Sie setzten sich auf eine Bank, durch die Kronen der Linden schimmerten purpurne Funkenschleier. Ein Hund schlich lautlos vorbei, kehrte um, blieb vor ihnen stehen, schnupperte erwartungsvoll und verschwand wieder. Warschauer sagte: »Also das mit dem Namen, das will ich Ihnen erklären . . .«


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