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Lois lag mindestens eine halbe Stunde auf dem Boden, bevor sie sich wieder rühren konnte und zu sich kam. Krank, schwach und zitternd schleppte sie sich mühsam zum Bett.
Sie fühlte sich elend und barg ihr Gesicht in den Händen, um den entsetzlichen Anblick der niedersausenden Peitsche zu vergessen und eine vernünftige Erklärung für diese Vorgänge zu finden. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu Michael Dorn zurück. Wer war diese andere Gefangene? Welche Rolle spielte die Gräfin bei dieser ganzen Sache? Waren die Unfälle, die sie erlebt hatte, wirklich wohlüberlegte Versuche, sie zu töten, wie Michael Dorn ihr erzählt hatte?
Als die Frau ihr das Abendessen brachte, war Lois äußerlich wieder ganz ruhig. Sie hatte eingesehen, daß es nutzlos war, die Alte zu fragen. Als sie später abräumte, brachte sie eine kleine Petroleumlampe mit und zündete sie an. Dann zog sie die zerrissenen Vorhänge vor den Fenstern zusammen. An der Tür blieb sie stehen und wünschte ihr gute Nacht.
»Wenn Sie irgend etwas wollen, stampfen Sie auf den Fußboden. Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, so fragen Sie nicht nach dem Doktor, er ist schwer betrunken. Kümmern Sie sich auch nicht um die Frau da unten – die ist verrückt!«
Das waren keine beruhigenden Mitteilungen. Aber es war jedenfalls sicher, daß man sie in der Nacht nicht mehr stören würde. Sie wollte jetzt den Plan ausführen, den sie sich überlegt hatte.
In ihrer Handtasche befand sich eine kleine Nagelfeile. Die Holzbalken, die die Fenster verschlossen, waren mit Schrauben an den Fensterrahmen befestigt, und Lois vermutete, daß sie das Instrument als Schraubenzieher benutzen könnte, wenn sie die Spitze abbräche. Es fiel ihr leicht, das zu tun; als sie aber die Feile in die Kerbe der ersten Schraube einsetzte, merkte sie, daß weder das kleine Werkzeug noch ihre Kraft ausreichten, die Schraube zu bewegen. Sie versuchte es noch an einer anderen Stelle, hatte aber ebensowenig Erfolg und gab schließlich in größter Verzweiflung ihr Vorhaben auf. Sie hätte das Glas eindrücken können, aber die einzelnen Scheiben waren kaum einen Fuß breit. Und dann sah sie unten die Hunde. Sie waren durch das Geräusch, das sie machte, angelockt worden und knurrten und heulten nun vor dem Fenster.
Sie wußte nicht, was sie anfangen sollte – sie hatte nichts zu lesen bei sich. Ihre Armbanduhr war stehengeblieben, sie konnte die Zeit nur nach dem Himmel schätzen. Sie ging in dem Zimmer auf und ab, um sich nicht von Furcht übermannen zu lassen. Immer wieder wollte sie die Angst packen, und sie war versucht, laut zu schreien. Aber dann dachte sie nach. Was mochte Lizzy jetzt tun? Wo war Michael Dorn?
»Ob ich mich wohl in ihn verliebt habe?« sagte sie laut und lächelte bei dem Gedanken. Sie hätte niemals geglaubt, daß sie sich gerade in ihn verlieben würde. Lizzy nahm natürlich fest an, daß sie ihn schon immer gern gehabt habe.
Er würde sie hier finden, dessen war sie sicher. Aber wenn es ihm doch nicht gelänge? Sie seufzte schwer, schraubte die Lampe herunter, stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett und starrte in die Dunkelheit hinaus. Irgendwo auf der anderen Seite des Hauses mußte der Mond aufgegangen sein. Sie sah das weiße, gespenstische Licht, das immer heller wurde und die düsteren Gegenstände mit seinem Silberlicht überstrahlte. Plötzlich hörte sie eilige Schritte in der Halle unten, ging schnell zum Tisch zurück und drehte die Lampe wieder hoch. Es wurde aufgeschlossen, und der Doktor kam herein. Aber er war nicht betrunken, sein Gesicht war eingefallen, und er zitterte.
»Kommen Sie hier heraus«, rief er und zog sie aus dem Zimmer und die Treppe hinunter in die Halle. »Gehen Sie schnell hinauf und machen Sie das Licht aus«, sagte er zu jemand in der Dunkelheit. Die Frau erschien aus irgendeiner Ecke und eilte hinauf.
»Was ist los, Doktor? Ist etwas –«
»Wollen Sie wohl ruhig sein!« zischte er. »Haben Sie das Licht ausgemacht?«
»Ja«, erwiderte eine verdrießliche Stimme von der Treppe her. »Warum sollten wir uns denn fürchten? Sie waren betrunken und haben geträumt.«
»Ich schlage Ihnen den Schädel ein, wenn Sie noch mal so reden«, sagte er ohne Erregung. »Ich sah ein Auto über den Hügel herüberkommen. Es hielt direkt vor dem Haus. Denken Sie denn, ich bin blind? Gehen Sie in mein Zimmer hinauf, da können Sie die Scheinwerfer sehen. Es stieg einer aus und ging die Mauer entlang. Dann konnte ich ihn nicht mehr entdecken.«
Lois' Herz schlug so wild, daß sie beinahe erstickte.
»Wo ist er jetzt?« fragte die Frau.
»Mund halten!«
Es folgte ein schreckliches, langes Schweigen, das nur von dem entfernten Heulen der Hunde unterbrochen wurde.
»Jetzt ist er hinten!«
Der Doktor hielt noch immer Lois' Arm fest und schüttelte sie leicht.
»Wenn Sie brüllen oder sonst etwas tun, schneide ich Ihnen die Kehle durch! Ich tue auch, was ich sage – haben Sie verstanden?«
»Warum haben Sie sie denn nicht oben gelassen?« brummte die Frau.
»Weil ich sie hier bei mir haben will. Holen Sie mein seidenes Taschentuch, es liegt in meinem Studierzimmer. Bringen Sie mir auch die Eisen – ich will sicher sein.«
Die Frau verließ das Zimmer und kam bald wieder zurück. Plötzlich fühlte Lois, wie er ihr einen Knoten des Taschentuchs in den Mund steckte und es hinter ihrem Kopf festband.
»Wehren Sie sich nicht, es geschieht Ihnen nichts – nur wenn Sie schreien. Geben Sie mir die Eisen.«
»Hier sind sie«, sagte die Frau.
Er ergriff ihre Handgelenke und drehte sie auf den Rücken. Im nächsten Augenblick war sie gefesselt.
»Setzen Sie sich hierher!« Er stieß sie auf einen Stuhl. Dann fühlte er, ob der Knebel richtig saß, und brummte zufrieden.
»Hören Sie! Es klopft.«
Tap, tap, tap, tap!
Geräuschlos gingen die beiden auf den dunklen Hof.
»Wer ist da?« rief die Frau.
Dann hörte Lois eine Stimme, die sie auffahren ließ.
»Ich möchte den Hausherrn sprechen«, sagte Michael Dorn.