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Elftes Kapitel

Der Selbstmord des Staatsrats und das Aufsehen, welches derselbe erregte, vereitelten für den Augenblick alle Pläne der Terroristen. Moskau wimmelte von Polizeiagenten und Spionen. Die revolutionäre Partei mußte die äußerste Vorsicht gebrauchen, ihre Versammlungen gänzlich einstellen, sich überhaupt mit ihrer Tätigkeit vollständig im dunkeln halten.

Wladimir war außer sich, und die arme Tania verzehrte sich in Sorge und Angst. Er verbrachte die Tage in der Druckerei, wo er glühende Reden an die Partei und das Volk niederschrieb und sogleich druckte. Aber niemand von denen, an welche diese wilden Ergüsse gerichtet waren, bekam sie zu lesen, denn sie konnten weder ausgeteilt noch verschickt werden. In dieser Zeit wich Natalia nicht von der Seite ihres Freundes, obgleich die Luft in dem unterirdischen Raume Gift für sie war. Er las ihr seine Aufsätze vor, entwickelte vor ihr seine Ideen, die immer mehr einem sozialistischen Wahnsinn zustrebten und raste sich aus bei ihr. Sie hatte Verständnis für jede seiner wilden Regungen, feuerte ihn an, tröstete ihn, beruhigte ihn.

Es war ein seltsames Bild, diese beiden Menschen miteinander in dem Gewölbe, das einer Grabkammer glich. Der Mann an Schönheit einem griechischen Halbgott gleich, die Frau mehr einem Schatten als einer Lebenden ähnlich. Beide sich erschöpfend in den Ausbrüchen ihres Hasses, beide trunken von Träumen, darin sie alles Bestehende in einer blutigen Sintflut untergehen sahen.

Nur widerstrebend ließ sich Wladimir in diesen Tagen die Nähe Tanias gefallen. Nicht, daß er weniger Zärtlichkeit für sie empfunden hätte. Im Gegenteil! Er wollte nur nicht dulden, daß dieses Gefühl zum Ausdruck, wohl gar zum Ausbruch kam; es hätte ihn von der Sache abziehen können! Nahm daher Tania sich einmal das Herz zu einer schüchternen Liebkosung, so wehrte er sie rauh ab, während er sich gewaltsam zurückhalten mußte, sie nicht an seine Brust zu reißen und mit Küssen zu ersticken. Er wollte nichts anderes lieben als das Volk und tobte gegen seine Empfindungen, wenn er entdeckte, wie sein ganzes Wesen seiner reizenden Geliebten zustrebte, nichts verlangend, als zu lieben und geliebt zu werden. So erwachte in ihm von neuem der Asket, den Tanias Liebesflüstern für eine kurze Weile in Schlummer geraunt hatte. Nachts kam er erst dann aus der Druckerei ins Haus, wenn er sie bereits schlafend wußte, er jagte Colja aus dem Zimmer und brachte die Nacht vor ihrer Kammertür zu, ohne ein Auge zu schließen, in einem Fieber, das seine Kräfte verzehrte. Am liebsten hatte er sie wieder zurück nach Eskowo zu ihren Eltern geschickt; aber sie dauerte ihn! Außerdem mußte er sie endlich für die Sache beschäftigen; denn sein Weib durfte nicht zurückbleiben, wo andere Frauen ihr Leben wagten. Aber was sollte er ihr zu tun geben? Sie war so zart, so furchtsam, so kindisch. Vergebens grübelte er darüber und beschloß, nicht eher zu ruhen, als bis auch Tania in Wahrheit eine der Ihren geworden – eine Nihilistin und »Auferstandene«.

Um einen Anfang zu machen, nahm er Tania mit sich in die Druckerei. Sie setzte sich dann in eine Ecke, sah unsäglich traurig und geängstigt aus, hörte schweigend alle die von Haß erfüllten, Vernichtung fordernden Ergüsse ihres Geliebten an, verstand nichts und – billigte alles; denn Wladimir mußte in allem recht haben.

Hätte die arme Tania den treuen Colja nicht gehabt, sie wäre verkommen wie eine Frühlingsblume im heißen Sommer; aber Colja erlaubte das nicht. Immer war Colja da, an alles dachte Colja. Und wie gesprächig war er geworden! Es war erstaunlich! Geschichten wußte er plötzlich zu erzählen; solche hübsche, lustige, dumme Geschichten. Man mußte darüber lachen! Das tat Tania freilich nicht, aber sie lächelte doch; Colja erzählte so lange, bis sie wenigstens lächelte. Dann wußte er nicht, was er vor Freude angeben sollte; er redete die tollsten Dinge, und zuletzt mußte sie doch über ihn lachen. Ob er wohl jemals noch brummte, murrte und knurrte? Gewiß nicht! Er war ein ganz freundlicher, heiterer, gutmütiger Colja geworden. Und wie er arbeitete! Nämlich zusammen mit seiner Herrin, dem Täubchen Tania Nikolajewna. Das Haus war von oben bis unten blitzblank, so blank es eben zu machen war. Und die Sauberkeit, die auf dem Hofe herrschte, mußte dem kaltherzigsten Menschen Staunen und Freude bereiten. Der Birnbaum zum Beispiel war einfach ein Wunder; bis hinauf in die obersten Zweige hatte Colja die Bohnen klettern lassen. Und wie sie voller Schoten hingen! Das Täubchen konnte davon einsalzen und trocknen, soviel es wollte. Das gab eine Lust, als die Bohnen gebrochen wurden; und es ist gar nicht zu sagen, was für Possen dieser närrische Colja dabei trieb. Und der Kohl! Das würde im Winter eine Kohlsuppe geben! Was für Köpfe! So groß wie ein Kürbis und ebenso fest. Ob er wohl eine einzige kleine Raupe daran ließ? Gott bewahre! Und was für ein Gesicht er machte, wenn das Täubchen ihm nicht traute und selbst nachsah und natürlich nichts fand. Dann murrte er, aber man konnte ihm nicht böse sein. Ganz unmöglich!

Ein Stück Feld, das zum Häuschen gehörte, war mit Zuckererbsen bebaut; ihr wißt, mit solchen kleinen, zarten, süßen. Auf die Zuckererbsen konnte das Täubchen stolz sein. Die Melonen, die sie mit Hilfe Coljas zog, waren vollends eine Pracht. Tania dachte daran, sie in Honig einzumachen, und freute sich, Wladimir damit zu überraschen. Himbeeren und Johannisbeeren gab es in Hülle und Fülle. Und Blumen! Colja hatte Blumen gepflanzt, ein ganzes Beet voll: Nelken und Feuerlilien, Sonnenblumen und Malven. Natürlich waren es Tanias Lieblingsblumen und natürlich blühten sie vor Tanias Fenster. Es war eine wahre Herrlichkeit! Und was für Sträuße sich daraus binden ließen! Colja riß vor Erstaunen seine kleinen Augen weit auf, so daß Tania häufig nur deshalb Blumen pflückte, um sein seliges Gesicht zu sehen. Heimlich wand sie sogar Kränze, die brachte sie heimlich, mit Coljas Hilfe natürlich, in eine Kirche und hing sie vor dem Muttergottesbild auf. Dann betete sie und schluchzte und weinte, als ob ihr das Herz brechen wollte. Colja sah von weitem zu ihr hinüber und die dicken Tränen liefen ihm über die Wangen in den Bart hinein. Kam das Täubchen aber dann zu ihm, ganz erschöpft vom Beten und Weinen, so schnitt er ein solches grimmiges Gesicht, daß sie alle ihre Liebenswürdigkeit aufbieten mußte, um ihn wieder gut zu machen. Darüber vergaß sie natürlich ihr eigenes Leid und wurde zuletzt selbst ganz heiter.

Ja, dieser Colja!

Und die Hühner, die Enten, die Tauben nicht zu vergessen!

Alles hatte Colja herbeigeschafft, niemand ahnte, durch welche List und welche Mittel. Vielleicht hatte er sie gestohlen oder auf der Straße gefunden, oder er konnte zaubern, oder irgend jemand hatte ihn angefleht, dem Täubchen Tania Nikolajewna doch um des Himmelswillen die hübschen, weißen Tauben zu bringen. Tatsache war, daß sie da waren und einen wunderhübschen kleinen Verschlag hatten, darin Tania sie täglich besuchen und ihnen Futter streuen konnte. Sie hatte ihre helle Freude daran, wie alles Federvieh sie kannte. Wenn Tania in den Hof trat, schlug der große, bunte Hahn gewaltig mit den Flügeln und begann ganz mörderisch zu krähen. Um seine Hühner kümmerte er sich dann gar nicht mehr. Die waren so eifersüchtig auf die schöne Tania, daß sie ihr fast auf die Schultern geflogen wären, um ihr vor Ärger die Augen auszupicken. Aber auf Tanias Schultern, Kopf und Armen saßen bereits die Tauben, girrten und gurrten. Colja lachte das Herz im Leibe, und wenn zuletzt auch noch die Enten angewatschelt kamen und die größte Eile bezeigten, um zu Tanias Füßen ihr Futter zu empfangen, so war dieser mürrische Colja ein glücklicher Mensch.

Wenn sie gar traurig war – und sie war es recht oft – nahm dieser abgefeimte Bursche seine Zuflucht zu einer List, zu einer ganz gemeinen List! Er stellte sich nämlich krank und tat so jammervoll, daß sie in ihrer Sorge um ihn sogar aufhörte, sich um Wladimir zu ängstigen und ihn pflegte und hätschelte, als ob der große, alte, garstige Colja ein allerliebstes kleines Coljachen wäre. Als sie immer stiller und bleicher ward, half es ihr nichts, sie mußte mit Colja weite Wanderungen antreten, bis hinaus auf die Felder, wo sie alsdann über jeden Baum, über jede Blume eine kindische Freude empfand, sich in Heimatserinnerungen verlor, von Eskowo zu plaudern begann und wie schön es sein könnte, wenn – – Doch da standen ihr schon wieder die Tränen in den Augen und Colja fing an zu singen, so greulich falsch, daß sie es nicht mit anhören konnte und selber sang, nur damit er aufhören sollte. Er wurde auch sogleich ganz still, warf sich auf den Boden und hörte zu. Sie sang dann gewöhnlich alle ihre Lieder, mit einer Stimme, daß Colja die Lerchen nicht begreifen konnte, die ganz frech in den Lüften weiter sangen und sich nicht schämten, neben Tanias Stimme ihr Jubilieren ertönen zu lassen. Es waren doch recht herzlose Vögel!


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