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Die Fürstin Danilowsky klagte über Migräne. Worth hatte eine Toilette geschickt, auf die sie große Hoffnungen gesetzt und die auf dem gestrigen Rout bei Madame Lawrow nicht durchgeschlagen hatte. Ihr letzter Teeabend war schwach besucht gewesen, einige der jüngeren Damen hatten laut über die dunkle Beleuchtung geklagt, und weder Anna Pawlowna, noch Boris Alexeiwitsch waren gekommen.
Besonders erregte sie das Ausbleiben des letzteren, der sich überhaupt seit einiger Zeit von der Fürstin fernhielt. Die Leidenschaft der alternden Weltdame für den jungen Lebemann war in ein Stadium getreten, daß sie alle Herrschaft über sich verlor. Die Kaltherzigkeit ihres Freundes brachte sie zur Verzweiflung, und sie war bereits so weit gelangt, kein Mittel zu verschmähen, um den spröden Schönen zu ihren Füßen zu sehen. Aber Boris hatte für alle ihre Künste, wenn er sich überhaupt herabließ, sie zu bemerken, nur ein kaltes Lächeln. Die Fürstin war außer sich. Stunden verbrachte sie vor dem Spiegel. Nicht das kleinste Fältchen entging ihr. Trotzdem meinte sie an dem Glauben festhalten zu dürfen, immer noch begehrenswert zu sein. Boris zuliebe änderte sie ihr Leben vollständig und empfing, ihn erwartend, niemanden. Er kam nicht. Sie schrieb ihm, doch er antwortete nicht. Was tat er, wo war er? Sie ließ seinem Leben und Treiben nachspüren und brachte in Erfahrung, daß er sein Verhältnis zu der Wiener Operettensängerin gelöst hatte. Diese Entdeckung bestärkte sie in dem Verdachte, daß eine neue Leidenschaft ihn fesselte. Wer war die Frau?
Und die Fürstin suchte. Bald fand sie eine Spur, die in die Preobraschenskaja-Vorstadt führte, in das einsame, scheinbar verlassene Haus, welches Anna Pawlowna gehörte. Jeden Tag begab sich Boris Alexeiwitsch dorthin. Anstatt in der eleganten Welt zu sein, verbrachte er also seine Abende mit Studenten und deren Weibern an einem abscheulichen Orte.
Es war ihm demnach Ernst mit seinen nihilistischen Neigungen? Unbegreiflich! Die Fürstin wurde nachdenklich. Eine Sache, um derentwillen dieser Mann sich kompromittieren konnte, mußte eigentümliche Reize haben. Von Neugierde und Eifersucht getrieben, beschloß sie, den Nihilismus näher kennen zu lernen.
So fuhr sie denn eines Vormittags in die Preobraschenskaja-Vorstadt, ließ ihre Equipage vor dem ehemaligen Gärtnerhause halten, befahl dem Diener, zurückzubleiben, und begab sich in den Hof, darauf gefaßt, eine Art von Räuberhöhle und eine Schar russischer Blusenmänner und Petroleusen vorzufinden. Colja gärtnerte in dem Kohlfeld, sah die Dame, hielt sie für die Barina und kümmerte sich nicht im mindesten um sie. Seitdem er sich in der Stadt befand, hatte er einen Haß auf die ganze Menschheit geworfen. Er sah sehr schlecht aus, als wäre er von einem schleichenden Fieber befallen, und seine kleinen Augen lagen tief eingesunken in den Höhlen.
Lange mußte die Fürstin stehen und rufen, bis er sich endlich von der Stelle bewegte.
»Ist jemand im Haus?«
»Wird wohl jemand drinnen sein.«
»Wer?«
»Das Täubchen Tania Nikolajewna. Wer anders?«
»Kennst du Boris Alexeiwitsch?«
»Wie sollte ich den nicht kennen? Boris Alexeiwitsch! Das ist ein Väterchen! Den kenne ich!«
Er machte die Gebärde des Zuschlagens und spie aus.
»Kommt er oft hierher?«
»So, so.«
»Zu Tania Nikolajewna, nicht wahr?«
Coljas Augen funkelten. Er sah die Fürstin so wild an, daß diese sich entsetzte.
»Was hast du? So rede doch!«
»Der zu Tania Nikolajewna, der! Er soll nur kommen.«
Und er wiederholte seine Bewegung von vorhin, eine Pantomime, die nicht mißzuverstehen war.
»Führe mich zu ihr.«
Doch Colja rührte sich nicht.
»Was wollen Sie von dem Täubchen?«
Die Fürstin war zuerst nicht geneigt, Antwort zu geben, aber der Mensch flößte ihr Furcht ein. Auch ließ sich vielleicht durch ihn etwas erfahren. Sie sagte also: »Ich will Tania Nikolajewna über Boris Alexeiwitsch fragen.«
»Dann müssen Sie zu Wera Iwanowna gehen.«
»Zu Wera Iwanowna? Wer ist das?«
»Wera Iwanowna aus Eskowo. Sie wohnt bei der Barina. Ich glaubte zuerst, Sie wären Anna Pawlowna. Aber so ist es: Wenn Sie etwas über Boris Alexeiwitsch wissen wollen, müssen Sie Wera Iwanowna fragen.«
»Nun gut. Indessen muß ich zuerst mit Tania Nikolajewna sprechen,« sagte die Fürstin entschlossen. »Also bringe mich zu ihr.«
Colja überlegte. Dann meinte er, halb für sich selbst: »Sie sitzt immer allein, den ganzen Tag allein. Und wenn sie allein ist, so denkt sie an dies und das. An ihr Mütterchen, das sie verlassen hat, an Eskowo, daraus sie fortgegangen ist, an das Birkenwäldchen, wo niemand mehr ihr liebes, hübsches Gesicht sehen wird. Sie pflückt auch keine Blumen mehr, sitzt immer allein, denkt und denkt. Das ist nichts für ihr Köpfchen. Sie sollten es ihr sagen. Wollen Sie?«
Das letztere flüsterte er ihr eindringlich zu, sie dabei flehentlich ansehend. Die Fürstin wußte nicht, was sie davon denken sollte, versprach jedoch, es Tania zu sagen.
Coljas Gesicht strahlte auf. Er neigte sich tief, faßte das Kleid der Fürstin und drückte es an seine Lippen. Dann öffnete er vor ihr die Tür, die in das Arbeitszimmer der »Auferstandenen« führte.
Tania befand sich allein. Sie saß am Tische, in ihrer Hand ein Stück Linnen, das sie beim Öffnen der Tür zu verbergen suchte: Wladimir würde schelten, sie bei einer solchen Arbeit zu treffen; für das Weib eines Terroristen gab es andere Dinge zu tun. Da sah sie die fremde Dame, stand auf und blieb am Tische stehen.
Mein Gott, welche Schönheit! dachte die Fürstin, sich Tania nähernd und bemüht, ein möglichst liebreiches Gesicht zu machen. Colja steckte den Kopf durch die Tür, nickte Tania hinter dem Rücken der Fürstin heftig zu, machte einige unverständliche Handbewegungen, stieß einen dumpfen Laut aus und verschwand.
»Sie suchen gewiß Wladimir Wassilitsch,« begann Tania schüchtern.
»Sind Sie seine Frau?« fragte die Fürstin aufs Geradewohl, indem sie sich setzte.
Die arme Tania errötete, schlug die Augen nieder und wagte nicht, eine Antwort zu geben.
Die Fürstin wußte sogleich, woran sie war.
»Nun, so sind Sie seine Geliebte,« sagte sie nachlässig. »Mein Gott, was kommt darauf an? Sie scheinen noch sehr jung zu sein. Wie alt sind Sie?«
»Achtzehn Jahre.«
Die Fürstin unterdrückte einen Seufzer.
»Nun, Gott behüte Sie. Sie wissen gar nicht, wie glücklich Sie sind. Ist Wladimir Wassilitsch nicht eifersüchtig?«
»Auf wen sollte er eifersüchtig sein?«
Und sie schlug ihre sanften, strahlenden Augen auf. »Wie unschuldig Sie sind! Wie ich höre, kommt jeden Abend ein gewisser Boris Alexeiwitsch in Ihr Haus?« Dabei fixierte sie Tania scharf, ohne jedoch eine Spur von Erregung oder Verlegenheit an ihr zu entdecken.
Die Fürstin atmete auf.
»Sie kennen Boris Alexeiwitsch?«
»Nein.«
»Wie ist das möglich? Da er doch jeden Abend kommt – –«
»Abends bin ich immer in meiner Kammer. Aber ich weiß, daß er kommt. Sie sprechen oft von ihm.«
»Wer spricht von ihm?«
»Nun, Wladimir Wassilitsch, Sascha und die anderen.«
»Und Wera Iwanowna?«
»Sie kommt auch jeden Abend. Gewöhnlich ist sie bei mir, aber Wladimir Wassilitsch läßt sie jedesmal herausrufen.«
»Weshalb?«
»Das weiß ich nicht.«
Das heißt, du willst es mir nicht sagen, meditierte die Fürstin. Dann fragte sie: »Ihr Liebhaber ist Student? Vielmehr Nihilist.«
»Ich werde Ihnen nichts sagen,« erwiderte Tania erblassend. »Fragen Sie mich also nicht.«
»Sie haben recht, nichts verraten zu wollen. Aber ich bin eine Freundin von Anna Pawlowna, ihre Cousine. Nun werden Sie begreifen. Ich komme her, um Wladimir Wassilitsch meine Dienste anzubieten. Sie dürfen mir also Vertrauen schenken. Nicht wahr, mein Kind, diese Wera Iwanowna ist die Geliebte von Boris Alexeiwitsch?«
»Wera Iwanowna ist niemandes Geliebte. Wenn Sie sie kennten, würden Sie das nicht von ihr denken. Sie ist stolz und stark, viel besser als ich und – –«
Sie verstummte. Ihr fiel ein, daß Wladimir wünschte, Wera sollte die Geliebte Boris Alexeiwitschs werden; sie erinnerte sich, daß er ihr befohlen hatte, Wera über Boris Alexeiwitsch auszuforschen.
Die Fürstin stand auf.
»Das muß ja ein wunderbares Wesen sein, Ihre Freundin Wera Iwanowna. Kann man sie nicht kennen lernen und wo?«
»Sie wohnt bei Anna Pawlowna.«
»Was hat Anna Pawlowna mit ihr zu tun?«
»Das müssen Sie die Barina selbst fragen.«
Überall Geheimnisse, dachte die Fürstin. Aber ich werde sie kennen lernen. Mich hintergeht man nicht.
Da hörte Tania jemanden kommen und erkannte Wladimirs Schritt; hastig raffte sie ihre Arbeit zusammen, stammelte einige Worte und ging in die Kammer. In demselben Augenblick trat Wladimir Wassilitsch ins Zimmer.
»Sie hier, Fürstin?«
»Sie kennen mich?«
»Ich erwartete schon längst, Sie hier zu sehen,« erwiderte Wladimir nachlässig.
»Wie kommen Sie dazu?«
Das gleichgültige Wesen Wladimirs beleidigte sie. Sie nahm ihre fürstliche Miene an, mit der sie sehr hoheitsvoll aussehen konnte. Wladimir lächelte leicht.
»Sie sind über Boris Alexeiwitsch beunruhigt, haben gehört, daß er jeden Abend dieses Haus besucht und kommen, um zu erfahren, was Boris Alexeiwitsch abhält, Ihnen zu Füßen zu liegen. Ich will es Ihnen sagen: Die Ursache ist ein Mädchen, namens Wera Iwanowna, eine Nihilistin. Boris Alexeiwitsch ist leidenschaftlich in sie verliebt und wird über kurz oder lang seinen Zweck erreichen. So stehen die Sachen.«
Vielleicht zum erstenmal in ihrem Leben verlor die Fürstin die Fassung. Sie erblaßte unter dem Puder und machte Miene, das Zimmer zu verlassen. Doch blieb sie.
»Wollen Sie nicht Platz nehmen?« fragte Wladimir höflich und schob ihr einen Stuhl hin. »Ich hoffe, daß Sie sich bei Tania Nikolajewna nicht gelangweilt haben. Sie versteht freilich nicht, Konversation zu machen.«
»Die junge Person ist reizend. Ich sah selten so schönes Haar und niemals so traurige Augen.«
»Finden Sie?«
Er sah sie scharf an und runzelte die Stirn.
»Dabei betet das arme Ding Sie an.«
»Lassen wir das.«
Die Fürstin lächelte. Sie hatte ihre Haltung wiedergefunden.
»Da Sie alles zu wissen scheinen, wird Ihnen wohl auch bekannt sein, daß ich die Gesinnungen meiner Cousine teile.«
»Sie setzen mich in Erstaunen.«
»Wirklich?«
»Auch Boris Alexeiwitsch ist einer der Unseren. Oder sollte Ihnen das unbekannt sein?«
»Durchaus nicht. Ist er es doch, der mich belehrt hat. Wir haben oft miteinander über dieses Thema gesprochen. Ich hatte anfänglich gar kein Verständnis für die Sache; aber er besitzt eine große Fähigkeit, die Gemüter mit sich fortzureißen und zu seinen Ansichten zu bekehren. Mit einem Wort, ich kam her, um Sie kennen zu lernen und – –«
Er unterbrach sie.
»Sie wissen, daß wir keine Spielerei treiben. Die Sache ist so ernst, daß sie Ihnen das Leben kosten kann. Eine Entdeckung von seiten der Regierung hat Verschickung nach Sibirien, ein Verrat an unserer Sache den Tod durch uns zur Folge. Natürlich wollen Sie nicht der Sache willen eine der Unseren werden, sondern weil Sie hoffen, dadurch für Boris Alexeiwitsch neue Anziehungskraft zu gewinnen.«
Was diese Art von Menschen für Manieren hat! dachte die Fürstin. Aber es ist interessant, auch das kennen zu lernen. Sie nahm die Lorgnette und betrachtete den jungen Terroristen genau. Er gefiel ihr ungemein, selbst sein zynisches Lächeln, mit dem er ihren Blicken begegnete, hatte einen gewissen Reiz für sie. Mit diesen blonden Locken, dem rosigen, schönen Gesicht, den weichen, roten Lippen und einem Geist, der vor nichts zurückscheute, war es jedenfalls ein Mensch, dessen nähere Bekanntschaft zu machen lohnen konnte. So sagte sie denn, seinen Blick erwidernd: »Verfügen Sie über mich.«
»Sie wollen es wagen?«
»Ja.«
»Dann kommen Sie diesen Abend her. Wera Iwanowna wird hier sein und – Boris Alexeiwitsch.«
»Das ist mir sehr gleichgültig; aber ich werde kommen.«
Wladimir Wassilitsch lächelte.