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(5. Jahrhundert)
Der Sizilianer Empedokles ist eine der eigenartigsten Denkerpersönlichkeiten, die je gelebt haben: ganz entsprechend dem Boden der Erde, aus dem er entsproß, der Insel Sizilien. Im Gegensatz zu dem einsamen und unfruchtbaren Elea, herrschte hier strotzende Fruchtbarkeit – die Insel galt im Altertum lange als die »Kornkammer« Italiens, und die sizilischen Tische brachen unter der Last der Speisen –, freilich abwechselnd mit öder Steinlandschaft, namentlich im Innern. Ueberhaupt eine bunte Mannigfaltigkeit der Landschaft! »Wie wechselt da das Bild vom tropischen Meeresrand, der auf das nahe Afrika schaut, bis zur Schneehöhe des Aetna, dessen Abhang allein schon alle Klimaten Europas in sich vereinigt, von der steinigen Oede bis zur saftigsten Fruchtbarkeit, die dieser Erdteil kennt, vom Bauerntum der eingeborenen Stämme zur Handelsschiffahrt der Phönizier und Karthager, von der dort erwachten Poesie des Hirtenlebens bis zur glänzendsten Hofhaltung, die Hellas zeitigte, und bis zum lautesten, buntesten Weltstadttreiben« (K. Joël, Geschichte der antiken Philosophie I, 539).
Und die Bevölkerung: gemischt aus den eingeborenen Sikelern, dem eingewanderten Kulturvolk der Griechen und den phönizischen und karthagischen Händlern, eine Mischung, wie sie, vermehrt durch die römischen Eroberer und die Germanen der Völkerwanderung, noch fortgedauert hat bis zur »Sizilischen Monarchie« des Hohenstaufen Friedrich II. im 13. Jahrhundert. Aber selbst die zu Empedokles' Zeit herrschenden Griechen waren häufig durch innere Streitigkeiten zwischen und in den einzelnen Städten gespalten, die oft zu blutigen Parteikämpfen ausarteten und dann entweder zu grausamen oder auch milden Tyrannenherrschaften oder zu radikaler Volksherrschaft führten. Das heiße Blut des Südländers auch im Privatleben aufschäumend zu rasender Leidenschaft in Liebe und Haß (man denke an Schillers »Braut von Messina«!), im politischen sich verwandelnd in geheime Verschwörertätigkeit (Mazzini, Garibaldi) und Massenmord (die »Sizilianische Vesper«). Dabei ein den Südeuropäern überhaupt eigener, hier noch gesteigerter Hang zur Uebertreibung und theatralischen Schaustellung.
Und die Heimatstadt des Empedokles, das am Südufer der Insel gelegene Akragas (römisch Agrigentum, heute Girgenti), zeigt alle diese Eigenschaften in erhöhtem Maße. Noch heute, so schreibt der deutsche Historiker der Stadt Rom und große Italienkenner Ferdinand Gregorovius, genießt man in Girgenti die himmlische Weite, den blauen Spiegel des Meeres, an den Felsenhöhen den rotbraunen Farbenton von wärmster Glut, die im Sommersonnenschein flimmernde Wüste, still durchbrochen vom Silbergrau der Olivenhaine. Zu Empedokles Zeiten aber war diese Wüste noch ein fruchtbares Paradies, dessen Oliven- und Rebenfülle Diodor preist, dessen Fisch-, Schaf- und Pferdezucht berühmt waren, dessen Rosse manchen Wagensieg in Olympia errangen. Und die Stadt selbst, die von dem gleichnamigen »gelb-braunen« Flusse ihren Namen trug, die reichste und schönste Siziliens, die in ihrer Blütezeit über 800 000 Bewohner zählte, in regem Handelsverkehr mit Athen, Karthago und den verschiedensten Teilen Italiens stand, von der mancher Bürger nicht weniger als 500 Sklaven sein eigen nannte, mit Riesenbauten, die an das Morgenland gemahnten.
Kein Wunder, wenn auf so eigenartigem Boden auch ein eigenartiger Mensch aufwuchs, der um 490 hier aus vornehmem Geschlecht geborene Empedokles. Er vereinigt alle möglichen Eigenschaften, die einander entgegengesetzt scheinen, in sich. Er erscheint als Wundertäter und Bußprediger wie die alten Orphiker, als sagenumsponnener Prophet wie Pythagoras, als wandernder Dichter wie Xenophanes, voll Selbstbewußtsein und doch die Königswürde stolz ablehnend wie Heraklit Vgl. die freilich manchmal allzu phantasiereiche Schilderung Joëls (a. a. O. S. 489 ff.), der wir auch im folgenden einzelne Züge entlehnt haben.. Wie ein Heiland zieht er, mit Purpur und Gold angetan, mit langwallendem Haar, den Lorbeerkranz in der Hand, durch Stadt und Land; er selbst begrüßt in seinem »Sühnelied« die Freunde mit den von maßlosem Selbstgefühl geschwellten Versen: »Ich aber wandle vor Euch dahin als unsterblicher Gott, nicht mehr als Sterblicher von allen geehrt, wie mir's gebührt, mit Bändern und prangenden Kränzen umflochten. Sobald ich mit meinen Anhängern, Männern und Frauen, die blühenden Städte betrete, bringt man mir andächtige Verehrung dar. Unzählige folgen mir nach, um zu erkunden, wo der Pfad zum Heile führe, die einen wünschen Orakel, die anderen möchten für allerlei Krankheiten ein heilbringendes Wörtlein hören …«
Ja, einstmals weilte er selbst als ihr Tischgenosse unter den unsterblichen Göttern, alles »menschlichen Jammers bar«. Aber, wie die Seelen aller Menschen, verstrickte sich auch die seine in schwere Schuld. Und so begann auch für ihn die als Buße über die Sterblichen verhängte Seelenwanderung. Wie diese »der Luft Macht zum Meere jagt, das Meer sie auf den Erdboden ausspeit, die Erde sie zu den Strahlen der leuchtenden Sonne und diese sie in die Wirbel der Luft wirft«: so war auch Empedokles nacheinander früher einmal schon »Knabe und Mädchen und Busch und Vogel und flutenenttauchender stummer Fisch«. Einst gab es auch unter den Menschen keinen Mord und keine Zwietracht und keine blutigen Stier- oder gar Menschenopfer, sondern es herrschte als Königin Kypris (die Liebesgöttin, die am Ufer der Insel Cypern dem Meeresschaum entstieg, daher auch Aphrodite, d. h. die Schaumgeborene, genannt). Aber sie gerieten in Schuld und wurden zur Strafe verurteilt, in mannigfachen Gestalten an »freudlosem Ort« – erinnernd an unser »irdisches Jammertal« – zur Buße ihrer Sünden herumzuirren. Nur in langen Läuterungsstufen – und mit der sittlichen Besserung gehen allerlei äußerliche Reinigungen, Besprengungen, Weihungen, Enthaltung vom Fleischessen und anderes Hand in Hand – können sie langsam wieder emporsteigen, bis endlich die höchste menschliche Stufe, auf der Empedokles selbst wieder angekommen ist, wiederum erreicht ist: die des Sehers, Arztes, religiösen Dichters und Fürsten; von wo dann die endliche Rückkehr in die Urheimat möglich ist. Diese soll dann auch nach der Sage seiner Anhänger Empedokles in der Weise zu Teil geworden sein, daß er entweder lebendigen Leibes (wie Herakles, Jesus!) in den Himmel erhoben ward oder, wie die verbreitetere Legende lautete, sich freiwillig in den Krater seines heimatlichen Aetna stürzte. In Wahrheit ist der infolge seiner Redekraft, seiner Zauber- und Wetterkünste, seiner wunderbaren Heilungen – sogar Totenerweckungen schrieb man seinen magischen Kräften zu – lange Zeit vom Volke vergötterte wahrscheinlich, nachdem er doch schließlich die Volksgunst verloren, als Verbannter um 430 in Peloponnes oder in der von Athen in Süditalien gegründeten Kolonie Thurioi gestorben.
Bis hierher mußte Empedokles durchaus als Mystiker erscheinen und würde deshalb noch nicht in die Geschichte der Philosophie gehören. Aber er hat neben seinen »Sühnungen« auch ein Lehrgedicht »Ueber die Natur« verfaßt, von dem ebenfalls zahlreiche schwungvolle und bilderreiche Verse – von beiden zusammen gegen 450 – erhalten sind. Und hier erscheint er, obwohl nicht völlig frei von Ueberschwang des Gefühls, im wesentlichen doch als ein ganz anderer: als Arzt, Menschenfreund, philosophischer Denker, ja als Chemiker und Biologe. Diese zwei Naturen in ihm sind einander auf den ersten Blick so entgegengesetzt, daß manche an zwei Lebensabschnitte mit verschiedener Geisteseinstellung bei ihm gedacht haben, wie wir sie ja auch bei Kepler, A. Comte und F. Nietzsche finden. Aber Gestalten wie der Deutsche Paracelsus, die Italiener Cardano und Giordano Bruno in der Zeit der Renaissance, Fechner im 19. Jahrhundert beweisen, daß Phantasie bis zur Phantastik und wissenschaftliches Denken in einem und demselben Geiste vereint sein können.
In der Naturphilosophie ist seine sinnen- und farbenfreudige Art nicht sowohl, wie bei den Eleaten und Pythagoreern, der Mathematik und haarspaltenden Logik, als dem sinnlich Wahrnehmbaren, wissenschaftlich gesprochen der Chemie, Biologie und Menschenkunde (Anthropologie, Psychologie) zugewandt. Mit den Eleaten leugnet er, daß etwas aus nichts entstehen oder in nichts sich auflösen kann; mit Heraklit verbindet ihn der Gedanke der beständigen Entwicklung; mit den Milesiern die Frage nach dem Urstoff. Aber so weit ist das wissenschaftliche Denken jetzt vorgedrungen, daß er nicht mehr, wie diese, einen einzigen Urstoff, sondern vier »Wurzeln aller Dinge« annimmt, und zwar die von Aristoteles dem Mittelalter überlieferten und von da dann in unsere Schulbücher eingedrungenen allbekannten vier Elemente: Wasser, Feuer, Luft und Erde. In seiner bilderreichen Dichtersprache – Joël hebt hervor, daß er vorzugsweise in kühnen Beiwörtern und Prädikaten schwelgt, während Parmenides bezeichnenderweise die Dingwörter bevorzugte – stellt er sie allerdings gelegentlich noch als göttliche Persönlichkeiten dar: als die tränenreiche Nestis, den Gott der Unterwelt Aidoneus, den schimmernden Zeus und die lebenspendende Hera; aber er setzt sie doch auch wieder, und zwar wiederholt, gleich mit den vier Dingen, die wir alle vor Augen sehen: Meer, Sonne, Himmel und Erde. Die Hauptsache und der gedankliche Fortschritt besteht darin, daß nicht mehr ein Element, wie bei den Milesiern und Heraklit, die Alleinherrschaft hat, sondern alle vier gleichberechtigt sind, also ein Fortschritt nach der Seite der Wissenschaft hin, der zugleich der Volksauffassung näher kam.
Doch wie vollzog sich nun die weitere Entwicklung der Welt? Hier schlägt unser Denker einen Mittelweg zwischen der starren Seinslehre der Eleaten und der reinen Veränderlichkeitslehre ihrer Gegner ein. Es gibt weder Entstehen (Geburt), noch Vergehen (Tod), wohl aber Mischung und Trennung (»Entmischung«) des in seiner Gesamtmenge unveränderlichen Stoffes; und zwar bewirkt durch zwei Kräfte, die von Anfang an waren und auch in aller Zukunft sein werden: Liebe und Haß (oder Zwist). Im Urbeginn aller Dinge ruhten alle Stoffe, von dem einigenden Bande der »Liebe« zusammengehalten, unvermischt nebeneinander, in Gestalt einer in sich abgeschlossenen Kugel (wie bei Parmenides). Allmählich aber fand der Zwist (man denke an Heraklits »Streit«) Eingang, der zur Trennung in die Einzeldinge (die Scheinwelt des Parmenides) führte und zuletzt, zur Alleinherrschaft gelangt, den Untergang aller Lebewesen bewirkte, bis schließlich die Liebe wieder Macht gewann und das Getrennte wieder vereinte, das sie einst zum Urzustand der allumfassenden »Kugel«, d. h. des »allerseligsten« Gottes zurückführen wird. Worauf dann – man denkt an Anaximandros oder Heraklit zurück – in ähnlicher Weise neue Welten und Weltperioden einander ablösend, folgen werden. Die Auffassung aber von den Grundkräften Liebe und Haß erinnert an das Gesetz der chemischen Wahlverwandtschaften, wenn sie auch in ihrer dichterischen Darstellung mehr den Poeten anzuregen geeignet ist, wie unseren Goethe zu seinem »Ist es möglich, Stern der Sterne« im Buch Suleika des West-östlichen Divan.
Stärker als der leblosen Natur ist des Dichters und Arztes Interesse der Welt des Lebendigen zugewandt. Von den organischen Wesen sproßten zuerst, noch vor der Belichtung der Erde durch die Sonne, die zweigeschlechtigen, übrigens schon empfindungsbegabten Pflanzen aus der Erde hervor. Von der Entstehung der Tiere entwirft Empedokles eine höchst phantastische Schilderung. Ihr (der Erde) »entsproßten viele Köpfe ohne Hälse, nackte Arme ohne Schultern irrten hin und her, und Augen allein, die der Stirnen entbehrten, schweiften herum«. Kurz, »vereinzelt irrten die Glieder umher, Verbindung miteinander erstrebend«. Doch »als die eine Gottheit mit der anderen« – gemeint ist die Liebe mit dem Zwiste – sich noch stärker mischte, da fielen diese Glieder zusammen, so wie gerade ein jegliches sich traf, und noch viele andere Dinge entstanden außerdem, »sich aneinanderreihend«: zum Beispiel schleppfüßige mit zahllosen Händen. Ja, viele Geschöpfe wurden geboren mit doppeltem Antlitz und doppelter Brust, Ochsengestalten mit menschlichem Vorderteil, und umgekehrt Männergestalten mit Ochsenköpfen und Mischgeschöpfe von teils männlicher, teils weiblicher Gestalt: nebenbei gesagt, Vorstellungen, die ja auch der Sage der Griechen (Zentauren, Satyrn, Hermaphroditen) und Aegypter nicht fern lagen. Von diesen sonderbaren Zufallsgebilden blieben jedoch nur diejenigen erhalten, die zweckmäßig beschaffen waren und sich, infolge zahlenmäßig bestimmter Mischungsverhältnisse, zu lebensfähigen Organismen entwickeln konnten. Wir haben also auch hier, auf biologischem Gebiet, eine Art »Wahlverwandtschaft« und zugleich die Anfänge der Darwinschen Selektionstheorie (Auswahlslehre).
Besonders beschäftigte sein Denken dann weiter der Vorgang der Sinneswahrnehmungen, den er sich noch recht materialistisch denkt. Zwei Dinge sind dazu nötig: 1. die Teilchen der äußeren Gegenstände, die wir wahrnehmen, und 2. die sie ausnehmenden Sinnesorgane, z. B. das Auge. Die Mischung beider geht in der Weise vor sich, daß Ab- oder Ausflüsse des einen in die Poren (Spalten) des anderen eindringen: also der Vorgang der geschlechtlichen Mischung auf alle anderen Gegenstände übertragen. Poren und Abflüsse gibt es allerwegen. Vermittelst ihrer atmen wir, nehmen wir – wie übrigens schon die Pflanzen – Nahrung in uns auf, fühlen wir Lust und Schmerz. Es findet bei dieser Gelegenheit ein Austausch der Stoffteilchen, sozusagen eine gegenseitige Durchdringung statt, wie z. B. bei der Anziehung des Eisens durch den Magneten. Wichtig ist, daß wir so bei Empedokles mit zuerst, wenn auch noch in unreifer Form, der Anerkennung eines subjektiven, von uns und unserem Körper ausgehenden Beitrag zum Zustandekommen der sinnlichen Wahrnehmung begegnen. Damit letztere eintreten kann, müssen beide Teile zueinander passen, von gleicher oder doch ähnlicher Art sein. »Mit unserem Erdstoff erblicken wir die Erde, mit unserem Wasser das Wasser, mit unserer Luft die göttliche Luft, mit unserem Feuer das vernichtende Feuer, mit unserer Liebe die Liebe (in der Natur) und den Haß mit unserem traurigen Hasse.« Wir fühlen uns zum zweiten Male an Goethe erinnert:
»Wär' nicht das Auge sonnenhaft,
Die Sonne könnt' es nie erblicken.«
Kurz, Gleiches zieht Gleiches an, Süßes dringt zu Süßem, Bitteres zu Bitterem, Warmes zu Warmem und so fort. Selbst in anscheinend ganz Verschiedenem wirkt sich dasselbe aus. Und wir werden wiederum an Goethe und seine Lehre von der Metamorphose (Umwandlung) der Tiere und Pflanzen erinnert, wenn wir von dem vergleichenden Naturforscher Empedokles lesen, wie er die Haare der Tiere, die Blätter der Bäume, das Gefieder der Vögel und die Schuppen der Fische für »im Grunde dasselbe« erklärt.
Freilich, noch recht materialistisch zeigt sich unseres Sizilianers Vorstellungsweise. »Je nach vorhandenem Stoffe wächst dem Menschen die Einsicht«, sagt er einmal. Und er verlegt, hinter seinen ärztlichen Kollegen Alkmaion (S. 49) zurückgehend, den Sitz der Seele, ja der Denkkraft in das Herzblut. »In den Fluten des ihm entgegenspringenden Blutes nährt sich das Herz, wo ja gerade das vorzüglich sitzt, was bei den Menschen Denkkraft heißt. Denn das um das Herz wallende Blut ist den Menschen die Denkkraft.« Und von der Blutmischung hängt ihm die Art unseres Denkens ab (Anfang der Lehre von den »Temperamenten«: den Leicht-, Schwer-, Heiß- und Kaltblütigen). Werkmeister besitzen z. B. in ihrer Hand, Redner in ihrer Zunge die vollkommenste Mischung der Elemente! Und doch wird anderseits die Natur ganz aus dem Menschen heraus verstanden. Aller Materie legt er, wie wahrscheinlich schon der alte Thales, wie die Gegenfüßler Parmenides und Heraklit, wie in unseren Zeiten Ernst Haeckel, Denkkraft bei: »Wisse, alles hat Bewußtsein und Anteil am Denken«. Uebrigens traut er, trotz seiner Sinnenfreudigkeit, der Zuverlässigkeit der bloßen Sinnenwahrnehmung durchaus nicht allzusehr. Eng ist ihr Bezirk, und viel Armseliges dringt auf sie ein. Jeder glaubt nur an das, worauf er gerade bei seinen mannigfaltigen Irrfahrten gestoßen, und glaubt doch das Ganze gefunden zu haben. Das Denken der Toren reicht nicht weit. Auch die Gottheit will er, gleich Xenophanes, nicht menschenähnlich gedacht wissen, sondern »nur ein heiliger und unaussprechlicher Geist regt sich da, der mit schnellen Gedanken den gesamten Weltenbau durchfliegt.«
Eine außerhalb seiner religiösen Anschauung stehende Ethik scheint Empedokles nicht gelehrt zu haben. Politisch war er, trotz seiner vornehmen Abstammung und seines starken Selbstgefühls, Demokrat und soll als solcher auch in die Geschicke seiner Vaterstadt eingegriffen haben. Von besonderer philosophischer Klarheit ist er nicht, dazu war sein Wesen zu stark von Anschauung und Gefühl durchflutet; Joël sagt nicht ganz mit Unrecht von ihm: »Der Nüchterne soll über Empedokles schweigen, wie der Taube über Musik!« Vielleicht haben deshalb gerade so lyrisch gestimmte Geister wie Hölderlin und Nietzsche ihn zum Gegenstand einer Dichtung gemacht. Eine Schule konnte ein so ganz auf sich selbst gestellter, völlig eigene Wege gehender Denker wie er nicht hinterlassen. Aristoteles schätzt wenigstens die Gewalt seiner Sprache, die an Pracht des dichterischen Ausdrucks der homerischen gleichkomme, und bezeichnet ihn als Begründer der Rhetorik (Redekunst). Auch von dem römischen Dichterphilosophen Lukrez wird er hoch verehrt.